AMERICANA –
KORRESPONDENZEN AUS DER NEUEN WELT (6)
Trotz Bush, Cheney, Rumsfeld: Die USA bieten immer noch ein Vorbild für das Zusammenwachsen der Welt
Wer als Neuankömmling in
New York so etwas wie öffentliche Gastfreundschaft erwartet, ist im Wortsinne
»fehl am Platz« – dieser Stadt fehlt jede Art von Herzlichkeit. Zum sozialen
Habitus ihrer Bewohner und Bewohnerinnen scheint ein Aneinandervorbeischauen,
eine Distanz zu gehören, eine an Unhöflichkeit grenzende Indifferenz im Umgang
untereinander, die der europäische Gast wie selbstverständlich zunächst auf
sich bezieht. Nach einer Weile verliert sich jedoch dieses Gefühl der
Fremdheit. Nicht etwa weil man sich in seiner Wahrnehmung geirrt hätte. Nein –
der Schein trügt in diesem Falle nicht. Das Fremdheitsgefühl verschwindet
deshalb, weil man nur einer von vielen ist und allmählich feststellt, dass es
den anderen genauso geht: Als Gast ist man hier unter lauter Gästen, ein
Ausländer unter anderen Ausländern, ein Fremder unter anderen Fremden – und
damit kein Gast, kein Ausländer, kein Fremder mehr. Dann entsteht ein Empfinden
kosmopolitischer Zugehörigkeit, wie man es aus Berlin, London oder Paris zu
kennen glaubt. Was dort aber mit einem Zug ins Mondäne verbunden ist,
mit einer Spur von großbürgerlicher oder bohemienhafter Exklusivität, die
andere ausschließt, ist in New York inklusiv – so inklusiv, wie es in einem
Schmelztiegel nur sein kann.
New York – Hauptstadt
des 20. und wohl auch des 21. Jahrhunderts
In New York lässt sich
nachvollziehen, wie der »melting pot« als transnationale Metapher der
Nationswerdung ins kollektive Geschichtsunbewusste der USA eingedrungen sein
muss. Man kann das Gebrodel buchstäblich sehen, hören oder riechen – im
Menschengewühl der Straßen und Plätze, in der Polyphonie des Stimmenlärms, in
allen möglichen Duftkreuzungen. An jeder Ecke spürt man, wie multikulturell New
York ist und dass die ganze, nicht nur die »große« Welt hier zu Hause ist. Der
Internationale der Völker, Klassen und Rassen kann man sich täglich in den
öffentlichen Verkehrsmitteln anschließen. In den U-Bahnen drängen sich die
Menschen aller Hautfarben, wobei die Weißen – die »Kaukasier« (selbst auf
Behördenformularen steht „caucasian“ als Hautfarbenoption) – deutlich in der
Minderheit sind. Ein buntes Bild auch in den städtischen Bussen, die all
diejenigen transportieren, die mehr Zeit haben, etwas sehen wollen oder, weil
sie alt sind, körperbehindert oder verrückt, die Treppen der Metro-Stationen
nicht mehr schaffen. Wer ein Taxi benutzt (auch Taxifahren ist hier
»öffentlich« und kein privater Luxus, den sich nur die Wohlhabenden leisten
können), kommt sich vor, als ob er gerade in einem Remake von Jim Jarmuschs Night
on Earth mitspielt: mit einem Fahrer wie »Helmut« alias Armin Müller-Stahl,
des Englischen ebenso wenig mächtig wie besonders intimer Straßenkenntnis – nur
heißt Helmut in Wirklichkeit Tariq, Alejandro oder Dimitrij und kommt nicht aus
Deutschland, sondern aus Bangla Desh, Ecuador oder Weißrussland.
Dass die Vereinigten
Staaten von Amerika ein Einwanderungsland sind, wusste man zwar vorher schon,
aber in New York bekommt dieses Wissen eine sinnliche Qualität. Die Ruppigkeit,
die den New Yorkern (einschließlich der New Yorkerinnen) den zweifelhaften Ruf
eingetragen hat, besonders »tough« und rücksichtslos zu sein, erweist sich als
pure Oberfläche. Eine kommunikative Schutzhaut ist nötig, um das Maß an Abstand
zu wahren, das im hoch verdichteten Zusammenleben dieser Stadt unerlässlich
ist. Darunter hat man als Fremder teil an der heimlichen Solidarität der
Eingewanderten. Bereits mehr als die Hälfte aller heutigen New Yorker stammt
gar nicht aus New York, wobei die offizielle Statistik die illegalen Bewohner
(die konservativen Schätzungen gehen in die Hunderttausende, realistische über
die Millionengrenze; die Zahl der Illegalen wird in den USA insgesamt auf 6 bis
8 Millionen geschätzt) nicht einmal mitzählt. Der Zuzug hält an, und auch der
11. September 2001 hat daran nur vorübergehend etwas geändert.
Dabei ist New York alles
andere als eine multikulturelle Idylle. Hier sieht sich die tiefste Armut dem
höchsten Reichtum gegenüber, hier prallen die stärksten religiösen und
ethnischen Gegensätze aufeinander, hier sind auf engstem Raum die
verschiedensten kulturellen und subkulturellen Strömungen gezwungen,
miteinander zurechtzukommen. In New York City – zur Stadt gehören seit 1898
übrigens nicht nur Manhattan, sondern auch Queens, Brooklyn, Staten Island und
die Bronx (die einzige Nicht-Insel unter den 5 Boroughs) – kann man zuschauen,
wie die Welt zusammenwächst. Wie unter einem riesigen Vergrößerungsglas zeigen
sich auf wenigen Quadratmeilen exemplarisch die Hoffnungen auf ein gedeihliches
Zusammenleben, aber eben auch die Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten und
Ungleichzeitigkeiten, welche die friedliche Koexistenz unterminieren. Die
inneren Probleme New Yorks sind immens, und entsprechend groß sind die
Anstrengungen, welche die Stadtregierung unternimmt, um die diversen
Sprengsätze zu entschärfen, die unvermeidlichen Konflikte zu moderieren und die
bestehenden Risse halbwegs zu verklammern. Im Großen und Ganzen funktioniert
die städtische Integrationspolitik, die einer permanenten Krisenintervention
gleichkommt.
Kapitalistische
Einwanderungsgesellschaft – Modell für die Welt?
Gewiss, New York ist nicht Amerika,
und mit der zivilisatorischen Entwicklung in den beiden Küstenstreifen hat das
weite Land zwischen Atlantik und Pazifik nicht mithalten können. Aber eine
amerikanische Tradition reicht noch bis in den letzten Winkel des Bible Belt
oder des mittleren Westens: Die USA sind eine Nation von Einwanderern, die
Neuankömmlinge als ihresgleichen willkommen heißt. Jedes Jahr werden
Hunderttausende aus aller Herren Länder »naturalisiert«. Ihnen wird die
Staatsbürgerschaft verliehen, und zwar nicht in Form anonymer bürokratischer
Handlungen. Formal sind es öffentliche Sitzungen der Bezirksgerichte, aber
eigentlich symbolische Gemeinschaftsaktionen, in denen die Nation ihre
internationale Herkunft feiert, ihre gewollte Vielfalt, ihre anhaltende
Fähigkeit zur Integration. Auf diesen Veranstaltungen begrüßt der zuständige
Richter die neuen Staatsbürger, ruft den Unabhängigkeitskrieg, die
Freiheitstraditionen, die Ideale des Landes in Erinnerung, nennt ihnen ihre
Rechte und Pflichten und würdigt die Rolle der Einwanderung, die Amerika groß
gemacht hat. Nachdem der Treueeid auf die Verfassung geleistet ist, wird auf
einer Videoleinwand die Begrüßungsrede des Präsidenten zugespielt, der den
republikanischen Charakter des von Blut- und Bodenideologie freien
amerikanischen Staatsbürgerrechts preist. Im Chor wird die Nationalhymne
gesungen, bevor schließlich feierlich die Einbürgerungsurkunden überreicht
werden.
Im Jahr 2004 werden auf
diese Weise an die 650000
Staatsbürgerschaften an Ausländer verliehen werden. Zwischen 1980 und 1990
waren es insgesamt 2,4 Millionen, zwischen 1990 und 2000 sogar 7,4 Millionen.
Wenn man bedenkt, dass im gesamten 19. Jahrhundert die Zahl der Eingebürgerten
wenig mehr als 19,3 Millionen betrug, kann man ermessen, welche Bedeutung das
Land dieser Art von Bevölkerungswachstum zumisst und welcher wachsenden
Wertschätzung sich die USA weltweit erfreuen. Nur die Herkunft der Einwanderer
(und zukünftigen Neubürger) hat sich geändert, was wiederum mit der Situation
in den Auswanderungsländern zu tun hat. Kamen im 18., 19. und bis in die
Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts die großen Einwanderungswellen aus dem
kriegs- und krisengeschüttelten Europa, war in den letzten dreißig Jahren die
politische und wirtschaftliche Lage in den asiatischen und seit den
Neunzigerjahren in den lateinamerikanischen (aber auch osteuropäischen Ländern)
die Hauptursache für den unverminderten Drang in die Neue Welt. Bei der
Volkszählung im Jahre 2000 gaben 80 Prozent der Bevölkerung (nicht eingerechnet
die illegalen Einwanderer) eine »ethnische« Herkunft an – 58 Prozent »einfach«,
22 Prozent »gemischt«. Die Deutschstämmigen liegen immer noch an der Spitze
dieser Statistik. Von zirka 280 Millionen US-Amerikanern und -Amerikanerinnen
sind es 42,8 Millionen, gefolgt von den aus Irland stammenden (30,5), den
Afro-Americans (24,9) und denen, die England als Herkunftsland nennen (24,4).
Aber diejenigen mit einer Herkunft aus den neuen Einwanderungsländern holen
rapide auf. In Kalifornien stellen die »Nicht-Weißen« seit 2002 die
Bevölkerungsmehrheit.
Amerika empfing die
politischen und wirtschaftlichen Flüchtlinge in aller Regel mit offenen Armen,
wenn es ihnen auch keine Sozialfürsorge, sondern nur das Glück des Tüchtigen
verhieß. Dass ein auf Privatinitiative gegründetes Wirtschaftssystem, das der
Risikofreude und dem Unternehmergeist »opportunities« bietet, eine derartige
Anziehungskraft hat, während es in Deutschland eher die Segnungen der
Sozialstaats sind, sollte hierzulande den Verächtern des »bloßen Wirtschaftsflüchtlings«
auf der einen Seite genauso zu denken geben, wie jenen, denen beim Stichwort
Einwanderung bloß Asyl einfällt.
Wer nur die Bilder von den
Grenzzäunen nach Mexiko oder die Aktivitäten der Küstenwache vor Florida kennt,
wird es nicht glauben wollen: Die imperialistische Supermacht, die viele
bereits auf dem Weg zum Überwachungsstaat oder gar in einen neuen
Totalitarismus wähnen, setzt nach wie vor auf Immigration und Einbürgerung (Was
für ein Kontrast übrigens zu dem engstirnig-kleinlichen Buchhaltergeist, den
das gerade mühsam geborene deutsche »Zuwanderungsgesetz« atmet!). Wir übersehen
in Europa gerne, dass der scheinbar überbordende amerikanische Patriotismus
eben keine völkischen Wurzeln hat, sondern im Stolz auf die republikanische Verfassung
wurzelt. Die patriotische Begeisterung einschließlich der Fahnenschwingerei
hält ein Land zusammen, das seine heterogenen Wurzeln ausdrücklich anerkennt,
seine Freiheiten in einer politischen Revolution gesichert und den Staat
historisch in seine Schranken verwiesen hat. Da hat es auch die totalitäre
Versuchung schwerer als anderswo (siehe dazu den Beitrag auf der nachfolgenden
Seite).
Dick Howard untersucht die Geburt der »totalitären Versuchung« aus der Theorie
Es muss Gründe geben,
weshalb die Vereinigten Staaten eine stabile Demokratie entwickeln konnten, die
allen Stürmen des sozialen und wirtschaftlichen Wandels bisher standgehalten
haben, während die europäischen Demokratien historisch anfällig für den
Totalitarismus gewesen sind. Oder sind auch die USA gegen die totalitäre
Versuchung nicht gefeiht?
Hannah Arendt, die in Über
die Revolution die amerikanische mit der französischen Erfahrung
vergleicht, hat bekanntlich in der die Stürme der Geschichte überdauernden
Stabilität der politischen Institutionen das Geheimnis der demokratischen
Kontinuität in den USA gesehen, aber gleichwohl die Gerechtigkeitslücke
benannt: Wie kann eine nach amerikanischem Modell auf den Pragmatismus von
Interessen gegründete Gesellschaft soziales Unrecht beseitigen ohne den
totalitären Verführungen des Sozialismus zu erliegen?
In zwei wichtigen Büchern
hat der in den USA politische Philosophie lehrende Dick Howard diese
Problemstellung aufgenommen, an den Erfahrungen der osteuropäischen
Revolutionen von 1989 aktualisiert und letzten Endes eine Theorie der
Demokratie angemahnt. Er entwickelt die These, dass es dabei um die
Aufrechterhaltung der Differenz zwischen Individuum und Gesellschaft geht, die
weder nach der einen noch der anderen Seite aufgelöst werden darf.
Demokratische Republik
oder Republikanische Demokratie? In Die Grundlegung der amerikanischen
Demokratie (edition suhrkamp, Frankfurt 2001; orig. 1986, 1990) untersucht
Howard die wechselseitige Beeinflussung von theoretischer Reflexion und
verändernder Praxis im Prozess der amerikanischen Revolution. Gerade die
reflektierte Gründungserfahrung hat die Vereinigten Staaten davor bewahrt, die
Gesellschaft der Politik völlig auszuliefern. Die republikanische Demokratie
amerikanischer Provenienz reduziert Politik auf die anerkannte Sphäre des
Gemeinwohls, lässt dem Egoismus des Einzelnen sein Recht und auf diese Weise
das notwendige Spannungsverhältnis bestehen. Die demokratische Republik nach
französischem Vorbild versucht, diese Differenz zur revolutionären Einheit
einer »volonté générale« zu verschmelzen, wie sie in der jakobinischen
Herrschaft historisch erstmals zum Ausdruck gekommen ist. Im realen Sozialismus
waren es die kommunistischen Parteien, die diesen einheitlichen Volkswillen
letzten Endes zu repräsentieren beanspruchten: Sie leugneten die Autonomie der
Politik im Namen der Demokratie – das ist nach Howard der eigentliche Kern des
totalitären Anspruchs, der paradoxerweise als Allgegenwart der Politik spürbar
wurde. Dagegen richteten sich nun die Dissidentenbewegungen in Osteuropa. Sie
reklamierten die Gesellschaft gegen die Politik. Deshalb konnten sie an die
amerikanische Tradition einer republikanischen Demokratie anschließen, während
die demokratische Republik mit der Erfahrung des Totalitarismus verbunden
blieb. Aber die Zivilgesellschaft, so Howard, ist selber ein politisches
Projekt und nicht jene »Antipolitik«, als die sie ihre Verfechter (und so
manche Bürgerbewegte oder Grüne) gerne missverstehen. In der Absicht,
historische Kriterien für eine avancierte Theorie der Demokratie zu finden,
wendet er sich gegen zwei komplementäre Traditionen in der vergleichenden
Betrachtung der beiden Revolutionsgeschichten.
Auf der Linken wird
traditionell eine Lesart bevorzugt, welche die »soziale« Revolution in
Frankreich der amerikanischen gegenüberstellt, die »nur politisch« war: Weil
die französische Umwälzung ein Feudalsystem zu beseitigen hatte, war sie ihrem
Wesen nach mit tief greifenden gesellschaftlichen Veränderungen verbunden. Das
Projekt der Gleichheit musste aber unvollendet bleiben, solange diese
Gleichheit bloß formal bestand, wie in der bürgerlichen Demokratie. Nur durch
den Fortschritt zum Sozialismus können die wirklichen Ungleichheiten beseitigt
werden, die eine Klassengesellschaft kennzeichnen. Wahre Demokratie herrscht
erst, wenn die Gesellschaft im Kommunismus zu sich selbst gefunden, das heißt
sich die Politik einverleibt und den Staat als eine Formation der
Klassenherrschaft beseitigt haben wird: Staat und Gesellschaft sind dann eins.
Nach diesem Verständnis führt ein konsequenter Weg vom revolutionären
Frankreich 1789 zum revolutionären Russland 1917. Dagegen hatte sich die
amerikanische Revolution lediglich Freiheit und Unabhängigkeit auf die Fahnen
geschrieben und dafür gesorgt, dass sich eine liberal-kapitalistische
Gesellschaft eine zeitgemäße politische Form gab, ohne ihre sozioökonomischen
Beziehungen zu verändern. Die Zäsuren von 1776 (Unabhängigkeitserklärung nach
der Befreiung von der englischen Tyrannei) sowie 1787 (Ratifizierung der
amerikanischen Verfassung) stehen deshalb für politische Veränderungen ohne
wirklich »revolutionären«, das heißt sozialen Inhalt.
Die bürgerliche Rechte
sah das naturgemäß genau umgekehrt. Sie stellte die »gute« amerikanische
Revolution der »schlechten« französischen gegenüber: Gerade weil der Staat sich
nicht in die Geschäfte der Gesellschaft einzumischen, sondern lediglich deren
Funktionieren zu garantieren habe, müsse das Regieren aufs Nötigste beschränkt
werden, wie in Amerika der Fall. Der Staat solle bloß (negativ) die schlimmsten
Übel von der Gesellschaft fern halten, anstatt (positiv) auf die Gesellschaft
einwirken und Wohltaten verbringen zu wollen wie in Frankreich –
Nachtwächterstaat gegenüber Sozialstaat.
Zurück zu Marx oder
über Marx hinaus? Aber wie die kommunistische Heilslehre habe auch die
Theologie der freien Marktwirtschaft einen totalitären Kern, befindet Dick
Howard im zweiten Buch, das hier nur vorzustellen, aber einer eigenen Besprechung
wert ist. In The Specter of Democracy (Columbia University Press, New York
2002) kritisiert er den Kapitalismus, weil diese Wirtschaftsweise potenziell
demokratiezerstörend wirkt. In einem raffinierten Wortspiel wandelt er das
»Gespenst des Kommunismus«, das Karl Marx im Kommunistischen Manifest
beschworen hat, in ein »Gespenst der Demokratie« um. Marx sei ein glänzender
Analytiker der Entwicklung des Kapitalismus gewesen, aber zu sehr Philosoph,
als dass er das Wesen von Politik wirklich habe verstehen können. An Wahrheit
und systematischer Darstellung seiner Theorie interessiert (wie Hegel an der
Ausgestaltung seines philosophischen Systems), habe er nicht begriffen, dass
Demokratie eine offene Angelegenheit ist, die sich aus der Reflexion gelebter
und begriffener Geschichte weiterentwickelt. Demokratie werde nicht als
politische Form geboren, sondern als sozial reflektierte Erfahrung. Die
Entwicklung des globalisierten Kapitalismus müsse deshalb unter dem
Demokratiekriterium untersucht werden. Aus der Perspektive einer demokratischen
Gesellschaft – und nicht aus der des Sozialismus – ließen sich dann auch die
ökonomischen und sozialen Ungerechtigkeiten erkennen und beseitigen, welche den
Zusammenhalt der Welt gefährden. In Anlehnung an Kant schlägt Dick Howard eine
Kritik der politischen Urteilskraft vor, die über Marx hinausgeht. »Political
judgment« würde zum Beispiel auch die totalitären Züge im moralischen
Absolutismus der Bush-Regierung erkennen, der sich so antitotalitär gebärdet.