Victor Pfaff

 

»Wirt eine Maus darauss«

 

Das Zuwanderungsgesetz

 

Dass unter dem Druck eines von Innenminister Schily selbst immer wieder verkündeten Konsenszwanges mit der Opposition die einmal vorgesehenen Fortschritte für die Regelung der Zuwanderung verloren gehen würden, ahnte man schon länger. Die Einzelheiten des Gesetzes, so unser Autor, sind nun in Sachen Erwerbstätigkeit, Familienzusammenführung und Integration zum Teil abstrus, auf anderen Feldern konnte vor allem von der CSU schlimmer Gedachtes abgewendet werden. Schönreden aber dürften die Grünen dieses Gesetz nun nicht.

 

Wird jetzt eingewandert? Werden wir zugewandert? Oder ändert sich fast nichts? Bei Luther heißt es: »Die Berge gehen schwanger, und wirt eine Maus darauss.« So ist es. Das sieht natürlich nur, wer die Ratte kennt, die 1990 geboren wurde: das geltende Ausländerrecht. Nicht, dass Bündnis 90/Die Grünen dem Ding am Ende zugestimmt haben, muss man ihnen übel nehmen. Sie haben sich gewaltig abgestrampelt, um dies und das durchzubringen und das Schlimmste zu verhüten. Sie haben sich dabei solidarisch auf Kräfte außerhalb des Parlaments gestützt. Das jetzt verabschiedete Gesetz wäre nicht wert gewesen, die Koalitionsdisziplin zu brechen. Übel nehmen muss man aber, wenn Maus als Löwenbaby verkauft wird, das, ordentlich gefüttert, sich als der große Wurf erweisen werde. So geschehen zum Beispiel in der Rede Claudia Roths beim UNHCR-Symposion in Berlin im Juni und Volker Becks im Bundestag am 1. Juli (BT-Protokoll 15/118).

Der Reihe nach. Am Anfang war das Wort bei der Süssmuth-Kommission. Mit großem Fleiß und thematischer Hingabe hatte diese Kommission vom September 2000 an in neunmonatiger Arbeit Vorschläge entwickelt und solide begründet, die tatsächlich »einen Paradigmenwechsel« (so heißt es im Bericht) in der deutschen Ausländerpolitik bedeutet hätten. Warum waren wir hoffnungsfroh? Weil in der Kommission nicht nur Sachverstand, sondern alle maßgeblichen gesellschaftlichen Kräfte und politischen und religiösen Strömungen versammelt waren.

Was aber war passiert? In der von Schily eingesetzten Kommission saßen auch seine Lauscher, ausgefuchste Ministerialbeamte, und noch vor Abschluss der Arbeit verkündete der Minister: »Wir werden das Ergebnis nicht eins zu eins umsetzen.« Es kündigte sich die Fortsetzung dessen an, was die Ausländerpolitik seit Beginn der Republik kennzeichnet: Was Recht und Gesetz wird, bestimmt die Ministerialbürokratie von Bund und Ländern, und sonst niemand: Deutschland ist kein Einwanderungsland – und dabei bleibt es.

 

Erwerbstätigkeit

Aber worauf bezieht Schily sich, wenn er von »historischer Zäsur« und vom »Abschied der Illusion« spricht, »Deutschland sei kein Einwanderungsland« (FAZ, 10.7.04)? Das Einzige, was dieses Urteil gerechtfertigt hätte, nämlich die Einwanderung im Auswahlverfahren nach Punktesystem, wurde auf Druck der Opposition gestrichen. Und sonst? Hochqualifizierte können sich, aber nur »in besonderen Fällen« (!), um einen Aufenthaltstitel bemühen. Erhalten sie ihn, wird er von Anfang an unbefristet erteilt. Historische Zäsur? Man kann dem Minister nicht vorwerfen, dass er das geltende Recht nicht kennt. Denn nach § 10 AuslG/§ 5 Nr. 1 und 2 Arbeitsaufenthalteverordnung konnten auch bisher hochqualifizierte Arbeitskräfte eine Aufenthaltserlaubnis erhalten – tausendfach praktiziert! Der einzige Unterschied: Es wurde nicht von Beginn an ein unbefristeter Titel erteilt. Dafür aber, dessen bin ich mir sicher, wird in Zukunft die Auswahl strenger sein. Darauf deutet die neue Einschränkung »in besonderen Fällen« hin.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt im Übrigen? Wie gehabt, keinen Deut anders: Anwerbestopp mit eng begrenzten Ausnahmemöglichkeiten. Von einer »Öffnung des Arbeitsmarktes« (V. Beck) zu sprechen, ist Rosstäuscherei.

Aber wie sieht es mit der Einwanderung selbstständig Erwerbstätiger aus? Bisher konnte eine Erlaubnis erteilt werden, wenn an der Tätigkeit »ein übergeordnetes wirtschaftliches Interesse oder ein besonderes örtliches Bedürfnis« bestand (§§ 7, 15 AuslG mit Verwaltungsvorschrift 10.3). Zur Beurteilung wurden die Anträge einer IHK oder Handwerkskammer oder sonstigen Fach-Institution vorgelegt. Wenn diese eine befürwortende Stellungnahme abgab, wurde in aller Regel dem Antrag zugestimmt. Dabei bleibt es, allerdings hat der Gesetzgeber als Richtschnur hinzugefügt: Die Tätigkeit müsse positive Auswirkungen auf die Wirtschaft erwarten lassen; das sei in der Regel gegeben, »wenn mindestens (!) eine Million Euro investiert und zehn Arbeitsplätze geschaffen werden«. Auf Betreiben der Wirtschaft war diese Kandare aus dem Entwurf entfernt worden. In letzter Minute hat die Opposition sie wieder hineingedrückt. Sie wird eine Beschränkung des Zuzugs (junger) Unternehmer bedeuten. Ausländische Kaufleute bekommen einen galligen Lachkrampf: »Welcher Idiot wird, wenn er mindestens eine Million Euro zu investieren hat, damit nach Deutschland kommen? Er geht nach Dubai oder sonst wohin.« Tatsächlich beruht unsere Exportwirtschaft in nicht unerheblichem Umfang auf der Handelstätigkeit von Ausländern, die mit fast nichts, aber mit guten Beziehungen zu ihrer Herkunftsregion angefangen haben. Die IHKs wissen das. Der Gesetzgeber hat also eine für die wirtschaftliche Entwicklung nützliche Einwanderungsmöglichkeit abgewürgt. Auch hier muss gegen Geschichtsklitterung festgehalten werden: Die Behauptung, die »Zuwanderung von Selbstständigen (sei) erleichtert« worden (Volker Beck im Bundestag), ist falsch.

Aber da ist doch die Öffnung des Arbeitsmarktes für ausländische Studenten! Nochmals Volker Beck im Bundestag: »... Studenten, die aus dem Ausland zu uns kommen und die hier ausgebildet werden, können in Deutschland bleiben, wenn sie eine Stelle in ihrem Beruf finden.« So? Welches Gesetz hat Beck gelesen? Im Zuwanderungsgesetz heißt es: »... sofern er nach den Bestimmungen der §§ 18 bis 21 von Ausländern besetzt werden darf«. Das bedeutet, dass Studienabsolventen sich dann um einen Arbeitsplatz bemühen dürfen, wenn an der Beschäftigung (auch) ein öffentliches Interesse besteht. In diesem Umfang war auch bisher schon der Wechsel vom Studium in das Berufsleben möglich (§ 28 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz AuslG).

 

Familienzusammenführung

Es gibt im geltenden Recht eine Vorschrift zur Regelung des »erweiterten Familiennachzugs«, also jenseits dessen, was Kernfamilie (Ehegatte und minderjährige Kinder) genannt wird. Praktisch häufig geht es um Folgendes, am Beispiel erläutert: In Teheran lebt eine 65-jährige Frau, jetzt Witwe geworden. Ihre vier Kinder leben lange schon in Deutschland, zwei als Flüchtlinge anerkannt, eine deutsch verheiratet, einer selbstständig erwerbstätig. Alle haben Familie, alle sind gut situiert. Sie wollen die Mutter zu sich nehmen, da absehbar ist, dass sie eines Tages nicht mehr allein zurechtkommen wird. Möglich ist das nach dem geltenden Recht nur, wenn die Verweigerung des Zuzugs eine »außergewöhnliche Härte« bedeuten würde (§ 22 AuslG), also nur dann, wenn die Mutter jetzt schon auf umfassenden Beistand angewiesen wäre (wird geprüft vom Vertrauensarzt der Deutschen Botschaft). Das aber ist sie (noch) nicht. Also wird der Visumantrag abgelehnt. Eines Tages wird es vermutlich anders sein. Dann aber wird der Nachzug ebenfalls nicht erlaubt, weil keine Krankenversicherung eine alte kranke Frau aufnimmt, und ohne umfassende Krankenversicherung inklusive Pflegeversicherung wird kein erweiterter Familiennachzug zugelassen (Verwaltungsvorschrift 7.2.2.1.1). Übrigens spielt keine Rolle, ob die Kinder inzwischen deutsche Staatsangehörige sind: Das Ergebnis bleibt gleich. Ich kenne nicht wenige Familien, in denen sich die Kinder ablösen, die Mutter im Ausland zu betreuen. An dieser familien- und einwanderungsfeindseligen, durch und durch fremdenfeindlichen Regelung hat sich mit dem Zuwanderungsgesetz nichts geändert. Die Süssmuth-Kommission hatte insoweit »flexibles Gestalten« angemahnt (Bericht, S. 195).

Das EU-Recht hat derlei Rechtsbarbarei schon 1968 ein Ende gesetzt. Der freizügigkeitsberechtigte EU-Staatsangehörige kann nicht nur die minderjährigen Kinder, sondern auch die volljährigen und überhaupt die Verwandten ersten Grades (auch seines Ehegatten), denen er Unterhalt gewährt, ungeachtet der Staatsangehörigkeit nachziehen lassen. Diese Regelung sollte nach Meinung der EU-Kommission auch für Drittstaatsangehörige gelten, die sich im EU-Gebiet niedergelassen haben (Entwurf einer EU-Richtlinie vom 1.12.1999, KOM [1999] 638). Auf jahrelangen Druck vor allem der Bundesregierung ist dieser Entwurf auf das teutonische Fremdenverständnis abgesenkt worden. Jetzt klagt das Europäische Parlament vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Europäische Kommission, weil die inzwischen verabschiedete Richtlinie erstens unter Umgehung des Parlamentes verabschiedet worden sei, zweitens eine Reihe restriktiver Vorschriften gegen das in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Recht auf Familienleben verstoße: »Ein Europa, das tatsächlich an der Integration von Migranten interessiert ist, sollte gerade deshalb eine möglichst offene Interpretation dessen, was Familie bedeutet, wählen und auf diese Weise den Migranten helfen, sich von überholten Gesetzen und Normen zu befreien ...« (Rechtssache C-540/03; Amtsblatt der EU vom 21.2.04, C 47 21 ff.).

Wohl vor diesem Hintergrund hat die Verhandlungskommission Schily/Beckstein/Müller in letzter Sekunde eine auch von den Grünen geforderte wirkliche Verbesserung in den Abschnitt über die Familienzusammenführung aufgenommen: Ein gesetzlicher Anspruch auf Nachzug besteht für Kinder bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres künftig auch dann, wenn nur ein Elternteil in der BRD lebt, dieser aber allein sorgeberechtigt ist. Bisher war den Behörden Ermessen eingeräumt, welches meist gegen die Kinder ausgeübt wurde. Im Übrigen haben Bund und Länder aber den Standpunkt des Europäischen Parlamentes zum Thema Integration und Familienbegriff verworfen. Womit wir bei Integration wären.

 

Integration

Die Behauptung der BT-Fraktion der Grünen, die Ablehnung von Integrationsangeboten führe nicht zu Sanktionen, ist falsch. Wer gegen seine Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs verstößt, und dazu gehört ein »erfolgreich abgelegter Abschlusstest«, dem kann die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verweigert werden, wenn er hierauf nicht ohnehin einen gesetzlichen Anspruch hat. Die Sanktion kann auch in der Verweigerung der Niederlassungserlaubnis oder der Einbürgerung bestehen.

Was gehört eigentlich zum Integrationskurs? Der Ausländer wird »an die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur, die Geschichte herangeführt«. Also wird Ayşe aus Kiziltepe, 56 Jahre alt, lernen, was Plusquamperfekt ist und welchen Gesetzen der Bundesrat zustimmen muss. Und Abdelhamed aus Benisidel, 42 Jahre alt, wird lernen, wer Barbarossa war und wo Neuschwanstein liegt. Gelernt wird natürlich auf deutsch. Ungeheure Summen werden mit der Gießkanne über die ausgetrockneten Migrationsebenen gegossen werden – und spurlos versickern. Nicht ganz: Die Wohlfahrtsverbände können ihr Sozialpersonal wieder aufstocken.

Aus zwei Gründen ist dieser ganze Gesetzesteil über die Förderung der Integration für die Katz. Erstens kann aus völkerrechtlichen Gründen die Masse »unserer« Ausländer nicht verpflichtet werden, auch nur ein einziges Wort Deutsch zu lernen, geschweige denn zu lernen, wie der zweite Bundespräsident hieß: Das Aufenthaltsrecht aller EU-Staatsangehörigen beruht nicht auf deutschem, sondern unmittelbar auf EU-Recht. Die Staatsangehörigen der 24 (anderen), demnächst 26 anderen EU-Länder haben mit dem deutschen Ausländerrecht nichts zu tun. Aber auch das Aufenthaltsrecht des türkischen Staatsangehörigen, der ordnungsgemäß dem Arbeitsmarkt angehört, einschließlich seiner mit ihm lebenden Ehegattin und der Kinder (ohne Altersbeschränkung), hat ein unmittelbar aus Gemeinschaftsrecht hervorgehendes Aufenthaltsrecht. Es geht weiter: Auch einem Bulgaren etwa, der aufgrund des Europaabkommens zur Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeit in Deutschland lebt, hat einen völkerrechtlich gesicherten Anspruch auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in weiser Voraussicht und zur Vermeidung endloser Rechtsstreitigkeiten ganze Kategorien von Ausländern von der Teilnahmepflicht befreit, zum Beispiel bei »erkennbar geringem Integrationsbedarf« (beim Manager von Mitsubishi).

Der andere Gesichtspunkt ist wichtiger: Es ist zu befürchten, dass Hunderte von Millionen Euro verblasen werden, statt sie dort zu investieren, wo allein sinnvoll investiert werden kann: In die besondere schulische Förderung der Kinder mit Schwerpunkt Ausländerkinder. Anfang der 80er-Jahre war ein solcher Anlauf mit großem Erfolg in Hessen genommen worden: Der eigentlichen Einschulung war vorgeschaltet eine »Eingangsstufe«: Kleine Klassen, jede bestückt mit drei Lehrkräften, darunter eine mit Fachrichtung Sozialpädagogik. Das Projekt wurde abgebrochen, weil man es für zu teuer hielt. Das Steuer wurde um 180 Grad herumgerissen. Man glaubte, die Ausländer fortlocken zu können (Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern vom 28.11.1983). Ein paar wurden fortgelockt, für deren Kinder aber musste eine »Wiederkehroption« geschaffen werden, weil sie »zu Hause« verzweifelten. Die Folgen dieser Hü-Hott-Politik: Desintegration, Jugendarbeitslosigkeit, Kriminalität wurden geradezu gefördert. Niemand hat das besser dargestellt als Fatih Akin in seinem Film Gegen die Wand. Die Gesellschaft hat keinen Beitrag geleistet, der zweiten Ausländergeneration dabei zu helfen, eine neue kulturelle Identität zu finden, ohne die der »fremde Blick« bleibt (Herta Müller im Interview mit Ulrike Ackermann, Die Welt, 23.6.04): »Wir brauchen aber diese Selbstverständlichkeit, um Halt zu haben, um nicht auf uns zurückzufallen ...« Jetzt werden die Erfahrungen in anderer Form wieder aufgegriffen, mit beträchtlichem Anfangserfolg (»Der entscheidende Schritt – Vom frühen Deutschlernen erhofft sich das hessische Kultusministerium eine bessere Integration von Ausländerkindern«, FAZ, 8.7.04). Auf diesem Weg sollte unter Einsatz aller verfügbaren Mittel fortgeschritten werden. Mit breit gefächerten »Integrationshilfen« werden horrende Mittel verschleudert.

 

Die Kettenduldung

Allseits gerühmt wird die Einschränkung der Kettenduldung im neuen Gesetz. Künftig soll denen, die staatlich gebilligt nicht abgeschoben werden können, spätestens nach 18 Monaten ein Aufenthaltstitel erteilt werden. Die Änderung gegenüber dem geltenden Recht ist minimal; allerdings war den Behörden ein größerer Spielraum gelassen, der regelmäßig gegen die Ausländer genutzt wurde. Schärfer noch als bisher hat der Gesetzgeber jetzt die Grundhaltung zum Ausdruck gebracht, die die Ausländergesetze auch von 1965 und 1990 bestimmte: Wer ohne Billigung staatlicher Organe ins Land gekommen ist, soll keine Chance auf Legalisierung haben. Um die Grundstruktur des deutschen Ausländerrechtes zu verstehen, muss man das Trauma der deutschen Ausländerpolitik kennen. Es rührt aus der Anwerbung, die 1955 einsetzte und nach dem Mauerbau 1961 vollends planlos betrieben wurde, bis 1973 der Stopp verhängt wurde. Der Staat war davon ausgegangen, die Fremdarbeiter könnten nach drei Jahren wieder fortgeschickt werden. Aber die Rechnung war ohne den Wirt gemacht: Die Industrie sah keine Veranlassung, den Ali, der nach drei Jahren Meister und Maschine gut verstand, durch einen frisch importierten Yusuf zu ersetzen. Schon damals war klar: Die Anwerbung hatte zu einer Einwanderung mit weit reichenden Folgen geführt: Eine ungewollte nationale Schwangerschaft ohne Chance zur Abtreibung. So etwas durfte es nicht mehr geben: Weder im Einzelfall noch en masse: Die Vertreibung auch der gut integrierten Bosnier noch im Jahre 10 nach der Flucht hierher spricht diese Sprache.

So kommt es, dass künftig ausreisepflichtige Ausländer, die sich dem Staat zur Wehr setzen, mit einer Vielzahl von rechtlichen Maßnahmen bis hin zur Unterbringung in »Ausreisezentren« weich gekocht werden sollen. So kommt es, dass künftig diejenigen, die nach Ablehnung eines Asylantrages aufgrund exilpolitischer Aktivitäten der Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind, keinen Flüchtlingsstatus mehr erhalten sollen. So kommt es auch, dass der Gesetzgeber mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes keine irgendwie geartete »Altfallregelung« verbunden hat, obwohl es sinnvoll gewesen wäre, in den Amtsstuben Tabula rasa zu machen.

Aber was ist mit den Härtefallkommissionen? Man muss genau hinschauen: Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung eine Härtefallkommission einzurichten. Sie müssen nicht. Wenn sie es aber tun, dann müssen in der Verordnung das Verfahren und die »Ausschlussgründe« (!) geregelt werden. Eines muss, sagt der Gesetzgeber, sowieso drinstehen: Es gibt weder einen Anspruch des Ausländers auf Befassung noch kann er sich im Falle negativer Empfehlung an die Justiz wenden. Und noch etwas steht im Gesetz: Wenn die Kommission eine positive Empfehlung ausgesprochen hat, dann ist die oberste Landesbehörde, die letztlich zu entscheiden hat, daran nicht gebunden. Auch gegen deren Entscheidung gibt es kein Klagerecht. Ich weiß nicht, ob Atomkraftwerke so viele Sicherungsmäntel haben. Nebenbei, eines jedenfalls ist erreicht worden: Die bislang gut und erfolgreich arbeitenden Härtefallkommissionen in Schleswig-Holstein und NRW wird es in bisheriger Form nicht mehr geben. Ihnen hat der Gesetzgeber bei dieser Gelegenheit das Genick gebrochen.

 

Ausweisung und Sicherheit

Kein Mensch konnte eine Antwort auf die Frage geben: Warum nach den zwei Gesetzespaketen zur Bekämpfung des Terrorismus, mit denen nach dem 11.9.2001 auch das Ausländerrecht gründlich geändert wurde, noch weitere Sicherheitsgesetze? Um es am Beispiel klar zu machen: Kaplan kann unter Geltung eines Zuwanderungsgesetzes genauso wenig ruck zuck ausgewiesen und abgeschoben werden wie nach dem geltenden Recht. Denn er war als Flüchtling anerkannt, da ihm die Folter drohen konnte: Die Forderungen der Union erwiesen sich als letztlich sehr erfolgreiches Manöver zur Durchsetzung eigener Ziele. Der Sicherheitsminister ist darauf eingegangen, weil er das Zuwanderungsgesetz um schier jeden Preis durchbringen wollte: Der Lauschangriff war am Bundesverfassungsgesetz gescheitert, das Zuwanderungsgesetz ebenso (Urteil vom 18.12.02). Dass Schily mit dem Staatsangehörigkeitsgesetz tatsächlich eine Jahrhundertreform auf den Weg gebracht hatte (Einführung des ius soli), war vergessen und konnte in der zweiten schröderschen Periode nicht mehr als Erfolg verkauft werden.

Nur unter größtem Kraftaufwand konnte die Opposition daran gehindert werden, in den Ausweisungsvorschriften zu verankern, dass künftig ausgewiesen werden muss, wer zu mehr als einem Jahr Haft (ohne Bewährung) verurteilt wurde (jetzt: drei). Das hätte denen, die darunter leiden, dass unsere Gesellschaft »vermischt und verrasst« ist, die Gelegenheit zu Säuberungsmaßnahmen unter der zweiten und dritten Ausländergeneration gegeben. Die Grünen haben bei dieser Abwehrschlacht eine rühmliche Rolle gespielt, hätten den Karren aber ohne außerparlamentarische Unterstützung nicht aufhalten können.

 

Flüchtlinge und aus humanitären Gründen Aufgenommene

Richtig, es gibt auch uneingeschränktes Lob: Das Zuwanderungsgesetz regelt in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention und der allgemeinen Staatenpraxis, dass als Flüchtling auch diejenigen anerkannt werden müssen, die nichtstaatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung ausgesetzt sind, wenn ein durch die Konvention geschütztes Rechtsgut betroffen ist. Mit dem üblen Trick, politische Verfolgung sei nur staatliche Verfolgung, war jahrzehntelang Flüchtlingen aus Afghanistan, Sri Lanka, Bosnien, Somalia et cetera – Länder, in denen angeblich oder tatsächlich keine Staatsgewalt vorhanden war – ein Flüchtlingsstatus vorenthalten worden. Zwar sind aus Deutschland im Allgemeinen auch diese Personen nicht abgeschoben worden, solange sie schutzbedürftig waren. Aber sie lebten hier als »schiebereife« Masse, nur geduldet, ohne Rechte »im Asyl«.

Jetzt aber stand der Gesetzgeber unter Druck: Inzwischen ist die EU-Richtlinie verabschiedet, in der festgelegt ist, wer Flüchtling und wer »subsidiär schutzbedürftig« ist. Die Bundesrepublik stand mit ihrem Widerstand gegen die Anerkennung der nichtstaatlichen Verfolgung auf verlorenem Posten.

Erfreulich ist auch, dass die unterschiedliche Status-Behandlung der nach Art. 16 a GG als asylberechtigt Anerkannten und den nach der Genfer Konvention Anerkannten beseitigt ist. Auch die Ehegatten und die Kinder der Konventionsflüchtlinge erhalten künftig »Familienasyl«. Als Verbesserung muss schließlich angesehen werden, dass diejenigen, bei denen die Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung nicht vorliegen, die aber subsidiären Schutz erhalten, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Das war bisher nicht ausgeschlossen, die Behörden ließen diese Personen aber meist auf der Duldung sitzen.

 

Quintessenz

Derzeit werden die Rechtsverordnungen und die neuen Verwaltungsvorschriften ausgeheckt. Solange diese nicht vorliegen, ist eine Detailbeurteilung nicht möglich. Fest steht aber: Diejenigen, die es schaffen, nach Deutschland zu flüchten und hier Schutz erhalten, sie stehen besser da als bislang. Es bleibt beim Anwerbestopp, die Einwanderung für Hochqualifizierte ist nicht leichter geworden, auch für Studienabsolventen ist sie nicht erleichtert, für selbstständig Erwerbstätige ist sie erschwert worden. Die Familienzusammenführung ist geringfügig verbessert worden, soweit EU-Recht voraussichtlich ohnehin hierzu gezwungen hätte. Der gesetzliche Anspruch bleibt aber auf Angehörige der »Kernfamilie« (Kinder nur bis 16) beschränkt, was eine Kulturschande ist. Der EuGH wird hierzu ein Urteil fällen. Als unerträglich ist auch zu beurteilen, dass straffällig gewordene Ausländer der zweiten und dritten Einwanderergeneration ausgewiesen werden könnten. Die Süssmuth-Kommission hatte immerhin für Jugendliche und Heranwachsende einen völligen Ausweisungsschutz gefordert (Bericht S. 250 f.), vergeblich.

Beckstein hat Recht: Brüssel hat zu Verbesserungen gezwungen. Davon abgesehen: Kein Paradigmenwechsel. Luther hat Recht: »Die Berge gehen schwanger, und wirt eine Maus darauss«.