Till
Westermayer
Differenzierte Hochschulen, ganz andere Universitäten
Rahmenbedingungen für eine Reform von Lehre und Forschung
Über den Reformbedarf der Hochschulen
wird allerorten nachgedacht. Die Vorstellungen bleiben meist auf der
Finanzierungsebene hängen oder kreisen, nach dem Scheitern der Chancengleichheit,
um eine Eliteanstalt nach dem Modell einiger US-Renommierunis. Unser Autor
kritisiert diese Debatte und versucht sich, ausgehend von den Widersprüchen des
Hochschulwesens, an einem praxisnahen Modell mit zwei Grundtypen, Hochschulen
wissenschaftlich orientierten Typs und Hochschulen berufsorientierten Typs.
Welche Probleme soll das
Zauberwort »Reform« lösen?
Allerseits wird der Reformbedarf des Hochschulwesens
beklagt. Mit Lösungen sind viele schnell bei der Hand. Insbesondere wird gerne
gefordert, Studiengebühren und/oder eine Kontingentierung des Bildungsangebots
mit Hilfe von Gutscheinen oder ähnlichen Instrumenten einzuführen. Ganz
unabhängig davon, ob es sich um SPD, CDU oder Grüne handelt, ob die wirtschaftsnahe
Bertelsmann-Stiftung oder die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung mit einem
Expertenpapier versucht, sich Gehör zu verschaffen, liegen Lösungsansätze
vordergründig meist auf der Ebene einer Reform der Hochschulfinanzierung.
Was sind die Hauptprobleme, die von dieser breiten
»Reformfraktion« identifiziert werden? Hier lässt sich leicht polemisch
zuspitzen: An den Hochschulen studieren (für die öffentlichen Kassen) zu viele
Studierende, diese studieren zu lange – und dann oftmals noch nicht einmal die
»richtigen« Fächer. Inhaltlich geht es um die wirtschaftliche Verwertbarkeit
der AbsolventInnen. Durch die Hintertür soll mit der Einführung von Gebühren
und/oder Kontingentierungen – kurz gesagt: durch nachfrageorientierte
Steuerungsinstrumente – vor allem erreicht werden, dass marktgerecht, also
schneller und wirtschaftskompatibel studiert wird. Bejubelt wird, was den Anschein
erweckt, hierbei zu helfen: sei es die Einführung einer neuen Zwischenprüfung
namens Bachelor, seien es öffentlich finanzierte und im Kern doch marode »Privatuniversitäten«.
Nicht jeder ist dabei so offenherzig wie der baden-württembergische Wissenschaftsminister
Peter Frankenberg, wenn er im neuen Landeshochschulgesetz aus RektorInnen
Vorstandsvorsitzende, aus Hochschulräten Aufsichtsräte und aus Hochschulen
Unternehmen machen möchte. Meinen tun dies allerdings viele, politisch ganz
unterschiedlich eingefärbt.
Das verborgene Leitbild könnte die
Schnelldurchlaufhochschule sein: Hineinkommen soll nur, wer den Großteil des
dort zu Lernenden schon beherrscht, heraus kommen standardisierte und mit
akkreditierten Gütesiegeln versehene AbsolventInnen zur Abnahme durch
weiterverarbeitende Betriebe. Um die Produktqualität zu sichern, wird etwa alle
zwei Semester eine Prüfung durchgeführt (Zentralabitur, Eingangstest,
Orientierungsprüfung, Vordiplom bzw. Bachelor, Diplom bzw. Master). Wie sich
die so Geprüften die abgefragten Inhalte aneignen sollen, bleibt diesen weitgehend
selbst überlassen, auch das private Repetitorium ist gern gesehen. Wichtig ist
nur das sinnentleerte Bestehen der Prüfungen, das den Anschein von geprüfter
Qualität erweckt. Durch einen Prozess diskursiver Auslese und Anpassung
entspricht dieses Bild auch den Erwartungen der »Kundschaft«(1): Das teuer bezahlte
Studium muss möglichst schnell wieder vorbei sein, soll »Standardwissen«
eintrichtern und zielt darauf, Zugang zu einem Teilarbeitsmarkt zu eröffnen. Es
spricht nichts dagegen, dass dieses aufeinander abgestimmte System aus
Hochschul-Unternehmen und Studier-KundInnen funktionieren würde. Wer nicht
damit klarkommt, fällt irgendwann aus dem Raster. Alle anderen werden passend
geformt und zur weiteren Verwendung eingestuft. Im Gegenzug wird eine
fachspezifische durchschnittliche Rendite für die jeweilige Bildungsinvestition
garantiert.
Diskutiert wird darüber, wie sich die Effizienz dieses
Systems weiter optimieren lässt. Über Effektivität, über inhaltliche
Auswirkungen redet keiner. Und Zeit, darüber nachzudenken, ob ein derartiges
Bildungssystem das Ziel von Hochschulreformen sein kann, nimmt sich kaum
jemand. Ob eine Übertragung von Modellen aus dem New Public Management und aus
der Unternehmens-BWL auf das Wissenschaftssystem (jedenfalls auf das
Kernsegment »Hochschule«) gesellschaftlich und wissenschaftlich einen Sinn
ergibt, wird nicht in Frage gestellt. Die Rhetorik »Wissensgesellschaft« wird
aufgenommen; ob die industrielle Massenproduktion von AkademikerInnen tatsächlich
den Ansprüchen einer post-industriellen Wissensgesellschaft entspricht, wird jedoch
nicht hinterfragt.
Chancengleichheit
und Elite
Zwei weitere in der aktuellen Hochschuldebatte immer wieder
genannte Topoi verdienen es, näher beleuchtet zu werden. Dies ist erstens die
Frage der Chancengleichheit: Als kurzsichtige Rechtfertigungsstrategie für
Studiengebühren, aber auch als ehrliche Besorgnis darüber, dass die
Bildungsreformen der 1960er-Jahre kaum etwas dazu beigetragen haben, die
vertikale Mobilität zu erhöhen. Bildungskarrieren der Eltern sind heute noch
immer die besten Prädiktoren dafür, ob eine Universität besucht wird oder
nicht; daran ändert auch die Zunahme der Abitur- und der Studierquote nichts.
Dieses Problem lässt sich als Finanzierungsproblem thematisieren: Es sei
ungerecht, wenn die, deren Kinder nicht direkt von der Hochschule profitieren,
auch noch den Hochschulbesuch derjenigen finanzieren, die es sich eh leisten
könnten. So richtig es ist, auf diese gesellschaftliche Ungerechtigkeit
hinzuweisen, so kleinmütig ist die vorgeschlagene Lösung. Letztlich scheint
mir, dass viele ProtagonistInnen der aktuellen Bildungsdebatte aus Enttäuschung
darüber, dass die Öffnung der Hochschule missglückt ist, nun vom Anspruch
abrücken, Hochschulen allen Schichten zu öffnen. Wenn eh fast nur reiche
BildungsbürgerInnen ihre Kinder auf Hochschulen schicken, könnten diese ja auch
dafür zahlen. Als Reaktion auf eine ungerechte Chancenverteilung wird diese
Ungerechtigkeit durch Studiengebühren und ähnliche Vorschläge festgeschrieben,
die Hochschulen schichtspezifisch wieder geschlossen und das idealistische Ziel
aufgegeben. Spätestens seit PISA ganz offensichtlich näher liegende Fragen wie
die, warum unsere Schulen so wunderbar als Schicht- und Bildungssortiersystem
funktionieren, und was dagegen getan werden könnte, werden nicht gestellt. Doch
das ist eine andere Geschichte.
Der zweite Topos ist mit dem Stichwort Elite verbunden. Zu
Anfang des Jahres war die Elitehochschule in aller Munde, inzwischen ist sie zu
Elitenetzwerken metastasiert. Unabhängig von der Frage nach der Sinnhaftigkeit
einer Elitenförderung: Der Begriff der Elitehochschule führt leicht in die
Irre, denn auch hier ist das leuchtende Vorbild nicht wissenschaftliche Größe
(und deren Vermittlung), sondern die große amerikanische Privatuniversität, die
vor allem als wirtschaftliche Einrichtung überzeugt. Es wird von einer ganz
einfachen Gleichung ausgegangen, dass nämlich viel Geld, in wenige Hochschulen
oder Fachbereiche gepumpt, ganz automatisch dazu führt, dass drei Dinge
produziert werden: Innovation (d. h. wirtschaftlich verwertbare Entdeckungen),
hochwertig einsetzbare Elite-AbsolventInnen und letztlich sogar
Wirtschaftswachstum und Zukunftsfähigkeit. Jetzt, da deutlich wird, dass
Investitionen in die Zukunft erst einmal Geld kosten, und dass die erwünschten
Effekte weder schnell noch sicher sind, kommen erste Zweifel auf. In einem
Punkt scheint mir die Elitedebatte jedoch auf etwas hinzuweisen, was viele
HochschulreformerInnen gerne übersehen: Nicht jede Hochschule ist gleich. Damit
ist nicht die gerne geäußerte Forderung nach Profilbildung gemeint. Vielmehr
wird bei einem näheren Blick auf die individuellen und gesellschaftlichen
Ansprüche an das Wissenschaftssystem deutlich, dass erst eine ausdifferenzierte
und pluralistische Hochschullandschaft diesen gerecht werden kann.
Widersprüchlichkeiten des
Hochschulwesens
Wenn einmal grundsätzlicher über das Hochschulwesen
nachgedacht wird, werden einige zentrale Widersprüche in den Ansprüchen an das
Wissenschaftssystem deutlich:
– Der Widerspruch zwischen dem Wunsch einer – vage mit dem
Schlagwort Wissensgesellschaft und breite Bildung begründeten – möglichst hohen
Studierquote, also einer Ausweitung des Zugangs zu den Hochschulen, und der nur
relativ geringen Aufnahmefähigkeit des Wissenschaftssystems (oder sogar des
gesamten öffentlichen Sektors) für UniversitätsabsolventInnen.
– Der Widerspruch zwischen dem Idealbild weitgehend autonom
im Wettbewerb stehender, profilierter Hochschulen und dem letztlich doch wieder
staatlichen Zugriff auf deren Profilbildung, Ausrichtung und Orientierung.
– Der Widerspruch zwischen einer auf internationale
Kompatibilität und europäische Harmonisierung zielenden Einführung
vergleichbarer Angebote in allen Ländern Europas und den unterschiedlichen
Traditionen und Anforderungen, die in den einzelnen Ländern mit Hochschulen verbunden
sind.
– Der Widerspruch zwischen einer Orientierung am Bild der
ganztags mit dem Studium beschäftigten Studierenden mit Abschluss in
Regelstudienzeit, der tatsächlichen Lebenssituation der Studierenden und den
Anforderungen, die an Modularisierung und lebenslanges Lernen gestellt werden.
Hinzu kommt ein Schwanken zwischen Vorstellungen mündiger, erwachsener Menschen
einerseits und Klagen über mangelnde Studierfähigkeit und fehlende Reife andererseits.
– Der Widerspruch zwischen der Forderung nach Fähigkeiten
wie Kreativität, Entscheidungsbereitschaft, Teamgeist einerseits und der
weiteren Verschulung, Standardisierung und Einschränkung von Optionen
andererseits, der letztlich dazu führt, dass Kreativität als Zusatzangebot im
Rahmen einer »berufsfeldorientierten Qualifizierung« angeboten wird, statt grundlegender
Teil des Studiums zu sein.
Deutlich wird also: Von den Hochschulen zu reden ist
sehr ungenau, politische Programme nehmen meist nur eine Seite wahr.
Hochschulen umfassen jedoch ein sehr heterogenes Feld an Angeboten und auch an
Studierendeninteressen.
Damit stellt sich die Frage, warum Studierende überhaupt
eine Hochschule besuchen. Über den Daumen gepeilt schreiben sich – je nach
herrschendem Zeitgeist – vielleicht zwei Drittel der Studierenden an einer
Hochschule ein, um eine Berufsausbildung zu absolvieren. In bestimmten Fächern
– Jura, Medizin, BWL, Ingenieurwissenschaften, im ganzen Bereich Lehramt oder
auch in der sozialen Arbeit – und an den Fachhochschulen dürfte diese Quote
noch deutlich höher sein. In anderen Fächern sind die Anteile vermutlich
deutlich niedriger, etwa in Romanistik, Ethnologie, Geographie oder Physik. Die
Motivation des restlichen Drittels dürfte von wenigen Verlegenheitsausnahmen
abgesehen vor allem im Wunsch bestehen, etwas zu lernen: Diese Studierenden
wählen Fächer aus einer ganz spezifischen inhaltlichen Interessenlage heraus.
Wenn wir der Einfachheit halber davon ausgehen, dass die Fälle dazwischen nicht
interessieren, können wir im Folgenden zwischen der »Gruppe Berufsausbildung«
und der »Gruppe Wissenschaft« unterscheiden. Egal, wie strittig die
gesellschaftliche Wünschbarkeit der beiden Motivlagen ist: Wir können ihre Existenz
als gegeben hinnehmen.
Heute versuchen Hochschulen und HochschulpolitikerInnen, es
mehr oder weniger beiden Gruppen recht zu machen, mit einer Tendenz hin zur
Mehrheitsentscheidung, also zur Orientierung an der »Gruppe Berufsausbildung«.
Die Ziele beider Gruppen unterscheiden sich allerdings recht deutlich, sodass
die unterlegene Gruppe meist unter der Ausgestaltung des Studiums zu leiden
hat. Wer eine Berufsausbildung anstrebt, möchte möglichst schnell fertig
werden; wer aus wissenschaftlicher Neugierde heraus studiert, möchte möglichst
viel lernen. Berufsfelder sind klar definiert; die Grenzen zwischen Disziplinen
und Forschungsgebieten verwischen. Für angestrebte Berufsziele sind neben
gewissen Fähigkeiten vor allem große Mengen an Faktenwissen wichtig; eine
Orientierung an Wissenschaft legt Wert auf andere Methoden, eine andere
Grundausbildung. Diese Liste ließe sich problemlos fortführen.
Im Übrigen dürften ähnliche Differenzen auch auf der Seite
der Lehrenden auszumachen sein: Forschungsinteressen einerseits und
Vermittlungsinteressen andererseits, mit vermutlich deutlichen
Schwerpunktbildungen bei den jeweils einzelnen Lehrenden und Forschenden.
Ein
ausdifferenziertes Hochschulsystem
Wie müsste nun ein Hochschulsystem aussehen, das es
tatsächlich beiden Gruppen von Studierenden recht machen kann? Die Ansprüche
sind in beiden Fällen ganz unterschiedlich. Auch wenn beide Formen von
Hochschule weiterhin an einem Ort stattfinden (und nicht etwa beispielsweise
die JuristInnen-Ausbildung an Fachhochschulen verlagert wird), müssten unterschiedlich
strukturierte und mit unterschiedlichen Inhalten gefüllte Angebote für die
beiden Gruppen gemacht werden. So eignet sich das Modell Bachelor-Studiengang –
für die Grundqualifikation, mit einem darauf aufbauenden Master für die
Spezialisierung oder Weiterbildung – gut, um beruflich orientierte Kompetenzen
zu vermitteln. Der Bachelor alleine reicht im Übrigen auch hier nicht aus; die
entsprechenden Berufsbilder sind in Deutschland bereits durch Fachschulausbildungen
und Ähnliches abgedeckt. In berufsorientierten Fächern ist es demnach durchaus
sinnvoll, auf das BA/MA-System umzusteigen. Wer in diesen Feldern
wissenschaftlich etwas werden möchte, müsste dann entweder bereits einen
wissenschaftlich orientierten Master »machen« oder eben promovieren. Eine
zweite Gruppe von Fächern orientiert sich immer noch primär am Berufsfeld
Wissenschaft. Der Einstieg in andere Felder ergibt sich eher zufällig. In
diesen Fächern kommt es sowohl auf die Breite der Bildung an – was etwa im
bisherigen Magistersystem durch die Wahl mehrerer gleich gewichteter Fächer
gelöst ist – als auch auf die Tiefe, was letztlich für ein längeres,
vertiefendes Studium spricht. Die tatsächlichen Studienzeiten in so unterschiedlichen
Fächern wie Soziologie oder Chemie weisen auf diesen Aspekt hin. Hier hat das
BA/MA-System deutlich Nachteile schon im Vergleich zum Status quo. Dann gibt es
noch eine dritte Gruppe von Fächern, wo tatsächlich die oben angedeutete
Verteilung von etwa einem Drittel wissenschaftlich orientierter und zwei
Dritteln beruflich orientierter Studierender vorzufinden ist. In diesen Fächern
muss früher oder später eine Spezialisierung erfolgen – entweder in Richtung eindeutiges
Berufsbild oder in Richtung Wissenschaft. Diese Spezialisierung kann auf ganze
Studiengänge oder Studienorte bezogen sein – wer an der Universität in A.
Psychologie studiert, lässt sich auf ein »wissenschaftliches« Studium ein, wer
in B. studiert, will vor allem einen Berufsabschluss und findet dort auch
passende Bedingungen vor. Alternativ dazu kann diese Spezialisierung auch innerhalb
eines Studienganges erfolgen: ein allgemeiner, dann vermutlich eher die
fachlichen Grundlagen vermittelnder Bachelor und dann entweder ein auf einen
spezifischen Beruf hin orientierter Master oder ein wissenschaftlicher Abschluss.
Gehen wir einmal von einer radikalen Trennung(2) aus:
eigenständige Institutionen für den einen wie den anderen Typus von Hochschule.
In Hochschulen des beruflich orientierten Typs würde im Vergleich zu heute der
Anteil der praktischen Berufsfeldorientierung sicher noch zunehmen. Mit dazu
beitragen würden Pflichtpraktika und eine enge Beziehung zum jeweiligen
beruflichen Zielfeld. In vielen Fällen wäre hier die Umsetzung von
Effizienzsteigerungsvorschlägen wie die Einführung von Trimestern oder Konten
tatsächlich mit Gewinn für alle Beteiligten verbunden.
Hochschulen des wissenschaftlich orientierten Typs könnten
hingegen deutlich anders aussehen als heute. Selbstverständlich sollten
Quereinstiege weiterhin möglich sein und wären in einer auf Einzelne stärker
als heute eingehenden Hochschule auch einfacher umsetzbar. Lassen wir diese
jedoch einmal außer Acht, dann könnte ein Studium dort etwa so ablaufen: Wer
sich für die wissenschaftlich ausgerichtete Hochschule entscheidet, bekommt
dort einen Studienplatz.(3) Eine Zuordnung zu einem konkreten Fach erfolgt erst
nach den ersten zwei Semestern; diese bestehen aus einem
sozialwissenschaftlichen, geisteswissenschaftlichen oder naturwissenschaftlichen
Propädeutikum, in dem jeweils Grundlagen des gebietsspezifischen wissenschaftlichen
Arbeitens vermittelt werden. Außerdem wäre es möglich, in ganz unterschiedliche
Fächer innerhalb (und vielleicht auch außerhalb) des großen Gebietes
hineinzuschnuppern. Nach den ersten beiden Semestern gibt es eine intensive Beratung
(keine Prüfung!), die dazu dient, die Zuordnung zu einem spezifischen Fach zu
klären. In einigen Fällen wird das Ergebnis dieser Beratung sein, dass die
Eignung oder das Interesse für das wissenschaftliche Studium nicht vorhanden
ist; dann kann in berufsfeldorientierte Studiengänge oder Hochschulen
gewechselt werden. Bei der verbleibenden Mehrzahl der Studierenden erfolgt in
Orientierung an den individuellen Interessen und Fähigkeiten eine fachliche
Zuordnung, die Auswahl des eigentlichen Studiengebiets. Die folgenden zwei bis vier
Semester werden in diesem Studiengebiet beziehungsweise in der ausgewählten
Kombination an Fächern dazu genutzt, fachspezifische Grundlagen zu vermitteln:
in einem strukturierten Rahmen, ohne jedoch verschult zu sein. Ab dem fünften
oder sechsten Semester löst sich die starre Struktur dann wieder auf:
Studierende ordnen sich Forschungsschwerpunkten oder Projekten zu und arbeiten
dort intensiv mit: gleichzeitig lernend und auch schon forschend, in einem
fließenden Übergang. Den Abschluss des Studiums bildet eine längere
eigenständige wissenschaftliche Arbeit, die je nach Umfang als wissenschaftliche
Masterarbeit (»Magister«) oder bereits als Promotion gewertet wird (»Doktor«).
Das Studium muss dabei nicht auf eine Hochschule begrenzt sein, sondern kann auch
an mehreren Hochschulen stattfinden, was möglicherweise schon Türen öffnet, um
nach dem Studium weiterzuforschen. In allen Fällen ist ein großer Betreuungsgrad
und eine hohe Verbindlichkeit gesichert. Lehrende verstehen ihre Aufgabe hier
darin, Studierende dazu zu bringen, ihre Interessen und Fähigkeiten optimal zu
entwickeln; die Hochschule verliert »ihre« Studierenden nicht aus den Augen.
Es versteht sich von selbst, dass eine Hochschule, in der
Studierende ab dem fünften oder sechsten Semester intensiv mitarbeiten, eine
forschende Hochschule ist, an der wissenschaftliche Handwerkskunst nicht nur
gelehrt wird, sondern auch angewendet wird. Dementsprechend wird es hier
Forschungsprojekte aus Drittmitteln genauso wie aus öffentlichen Mitteln geben.
Und die Tatsache, dass hier Studierende als Mitglieder der Hochschule – und
nicht als deren vermeintliche KundInnen! – ernst genommen werden, dürfte sich
nicht zuletzt in internen Debatten um die Qualität der Lehre, der Forschung und
der Hochschulstruktur niederschlagen.
Angesichts der heutigen Hochschullandschaft darf der
Vorschlag einer Ausdifferenzierung in stärker beruflich und stärker forschend
orientierte Hochschulen nicht als Ruf nach der Einrichtung von gleißenden
Elitehochschulen oder als Reduzierung der Förderung auf Exzellenzen verstanden
werden. Vielmehr würde etwa ein Drittel der heutigen Hochschulen sich ganz oder
in einer internen Aufspaltung in diese Richtung entwickeln. Nicht jede dieser
Hochschulen wird dabei in jedem Fach exzellent sein; Forschung benötigt nicht
nur Genies, sondern auch Menschen, die neugierig und kreativ an der Lösung ganz
normaler Probleme arbeiten. Das hieße dann im nächsten Schritt aber auch,
forschende Hochschulen nicht auf Professuren zu reduzieren, sondern wieder in
Richtung eines breiten und zu einem großen Teil auch eigenständigen Mittelbaus
hinzuarbeiten; gedacht nicht als Durchgangsstation, sondern als eine
eigenständige Form, in der wissenschaftliche Arbeit erbracht werden kann.
Zu den
Rahmenbedingungen ausdifferenzierter Hochschulen
Es scheint mir relativ offensichtlich zu sein, dass eine
forschende Hochschule wie oben beschrieben durchaus in der Lage sein sollte,
den intensiv mitarbeitenden Studierenden spätestens ab dem sechsten Semester
eine Art Studierendengehalt zu zahlen.(4) Offen bleibt jedoch die generelle
Frage nach den Rahmenbedingungen, die notwendig wären, um eine derartige
Ausdifferenzierung zu ermöglichen. Natürlich ist damit auch das Feld der
Hochschulfinanzierung angesprochen. Letztlich muss die Gesellschaft sich
entscheiden, ob sie sich als Wissensgesellschaft verstehen möchte: nicht im
Sinne einer Gesellschaft, die auf Wissen als einem abgepackten Produktivfaktor
aufbaut, sondern als eine Gesellschaft, die sich in ihrem Wesenskern auf die
Produktion und Verbreitung freien Wissens bezieht. Eine solche Gesellschaft
müsste dann auch dazu bereit sein, Hochschulfinanzierung als ihre Aufgabe
anzusehen. Möglich wären hier Modelle wie ein allgemein zu zahlender
Bildungscent. Möglich wäre auch die Koexistenz einer eher marktförmigen Organisation
zumindest eines Teilsektors der Ausbildungshochschulen mit
klassisch-gesellschaftlich finanzierten forschenden Hochschulen. Diese
Differenzierung könnte sich im Übrigen auch in der ProfessorInnen-Besoldung
niederschlagen: weitgehend über einen Markt bestimmte Gehälter für Lehrende an
den berufsfeldorientierten Hochschulen und gute, aber im Vergleich zu heute
möglicherweise niedrigere Gehälter an öffentlich finanzierten Forschungshochschulen.
Als Ausgleich dafür bieten diese eine gute Ausstattung – und tatsächlich die
grundgesetzlich garantierte Forschungsfreiheit, die andere sich haben abkaufen
lassen.
Sollen wir als Gesellschaft es wagen, unser Hochschulsystem
diesen Gedanken entsprechend umzustrukturieren? Ich bin überzeugt davon, dass
eine derartige Umorganisation des Wissenschaftssystems prinzipiell möglich
wäre. Zwei Gefahren müssten allerdings mitbedacht werden. Erstens muss das
Problem der Ungleichheit der Zugangschancen auch hier angegangen werden. Wer
bei den Hochschulen ansetzt, kommt allerdings zu spät. Vielmehr scheint mir
eine Lösung dieses Problems nur möglich, wenn im gesamten Bildungssystem von
der Grundschule an andere Leitwerte verankert werden, wenn weniger auf
Aussortierung und mehr auf Persönlichkeitsentwicklung gesetzt wird. Zweitens
darf eine Ausdifferenzierung in berufsqualifizierende Hochschulen und
Forschungshochschulen nicht zu einem neuen Elfenbeinturm führen, zu einer Abschottung
der Forschungshochschulen. Auch forschende Hochschulen müssen sich so weit wie
möglich der Gesellschaft – nicht verkürzt gedacht: dem Markt! – öffnen. Sie
müssen ein ureigenes Interesse daran haben, der Gesellschaft Rechenschaft
darüber abzulegen, was dort mit öffentlichen Geldern inhaltlich passiert. Hier
ist Fingerspitzengefühl gefragt, um das Abrutschen in eine bildungshomogene, in
sich geschlossene Parallelgesellschaft »Wissenschaft« zu verhindern, aber
trotzdem dem heutigen Druck ständiger Verwertbarkeitswünsche zu entkommen. Wenn
diese beiden Gefahren bedacht werden und ihnen sinnvoll begegnet wird, kann
eine Ausdifferenzierung des Hochschulsystems dazu beitragen, einen heute
unbefriedigenden Zustand zu verändern: nicht zu Lasten einer Seite, sondern in
Anerkennung gesellschaftlich und individuell unterschiedlicher Ansprüche.
(1) Wobei die StudentIn als KundIn zwar eine gerne
gebrauchte Metapher ist und auch in öffentlichen Diskursen durchgesetzt wird,
der politische Hintergrund jedoch häufig eher eine Denkweise ist, bei der die
Kundin – im Sinn von Abnehmerin – der Hochschulen »die Wirtschaft« ist.
(2) In der Praxis würden vermutlich die wenigsten
Hochschulen sich radikal dem einen oder dem anderen Modell zuordnen; vielmehr
ist davon auszugehen, dass sich unterschiedliche Schwerpunktsetzungen innerhalb
einer Hochschule parallel entwickeln, dann aber unterschiedliche Strukturen und
Verfahrensweisen finden.
(3) Hier müsste die Praxis zeigen, ob die für die intensive
Arbeit einer derartigen Hochschule notwendige, im Vergleich zu heute geringere
Studierendenzahl analog zu den hier diskutierten Studierendeninteressen »von
alleine« zu Stande kommt oder ob Eingangsgespräche oder -tests notwendig sind.
(4) Vielleicht auch in Form eines in Abhängigkeit vom
späteren Einkommen zurückzahlbaren Kredits?