Lothar Mayer

 

Der Syntropieverbraucher

 

Die zweite Natur – oder über die Notwendigkeit einer ressourcenbegrenzten Wirtschaft

 

 

 

Unser Autor betrachtet den Kapitalismus aus einer naturgeschichtlichen Perspektive, in der der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, also das Entropiegesetz, eine zentrale Rolle spielt. Die kapitalistische Marktwirtschaft vermochte es, die externen Energiequellen anzuzapfen und in scheinbar kostenlose Ressourcen zu verwandeln. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Kapitalismus in nicht allzu ferner Zukunft zu Tode siegt, weil er seine eigene Endlichkeit hervorproduziert, ist ziemlich hoch. Nur eine ökologische Ökonomie kann diesem Prozess Grenzen ziehen. Wäre die Einführung eines CO2-Budgets ein praktikabler Schritt?

 

Den Industriekapitalismus, der mit wachsendem Erfolg die Lebensgrundlagen auf der Erde aufzehrt, ist nur zu verstehen, wenn man ihn als Wiedergänger der Natur begreift, die in einer jahrmilliardenlangen Evolution auf der Erde entstanden ist. In dieser Perspektive wird schlagartig deutlich, dass die Industriezivilisation wie eine zweite, vom Menschen für den Menschen geschaffene Natur die erste Natur an den biosphärischen Rand drängt, sie aushungert, austrocknet, ausräuchert. Die haushohe Überlegenheit der zweiten Natur – des menschlichen Ökosystems – ist die des gedopten Wettläufers: Sie hat und nutzt eine kurzfristig unerschöpfliche Quelle billiger (d. h. mit minimalem Aufwand nutzbarer) Energie; ihr evolutionäres Veränderungstempo ist dank der Kultur, also eines immateriellen, symbolischen Vererbungs- und Selektionssystems, auf das Vieltausendfache gesteigert; die Mobilisierung der Energie oder allgemeiner gesagt der negativen Entropie ist so geschickt mit der symbolischen Spiegelwelt von Geld und Kapital verkoppelt, dass exponentielles Wachstum vorprogrammiert ist.

Im ersten Teil (Untersuchung) skizziere ich die hervorstechendsten Merkmale, die die kapitalistische Marktwirtschaft und die Natur verbinden; im zweiten Teil (Analyse/Diagnose) zeige ich die Konstruktionsfehler auf, durch die sich die zweite Natur von der ersten Natur unterscheidet und die sie zu einem rogue system, einem entarteten Zerrbild der ersten Natur machen; im dritten Teil (Therapievorschlag) stelle ich einige Überlegungen an, ob und wie diese zweite Natur – nicht weniger gefährlich und bedrohlich als die erste – gebändigt werden könnte (so wie die Menschen der Industrieländer die erste Natur weitgehend gebändigt und in ihren Dienst gestellt haben).

 

Untersuchung

Das ökonomische Prinzip

Das ökonomische Prinzip galt schon einige Milliarden Jahre, bevor ein Ökonom es formulieren konnte. Seine Forderung lautet: den größtmöglichen Effekt (z. B. Fortpflanzungserfolg) mit geringstmöglichem Aufwand erzielen. Ein Organismus kann nur überleben, wenn der Zugewinn an Energie oder Syntropie den Aufwand an Energie oder Syntropie längerfristig übersteigt. In der menschlichen Wirtschaft entspricht dem das Maximierungsverhalten des Kapitalisten, das Rationalkalkül, das Bestreben, mit geringstmöglichem Aufwand ein größtmögliches Ergebnis zu erzielen.

Das Wirken des ökonomischen Prinzips in der Natur lässt sich vor allem als Fehlanzeige beobachten: Eine Art, die bei ihrer Nahrungssuche mehr Energie verbraucht als sie einsammelt, hat keine Überlebenschance. Ihre Überlebenschancen steigen, wenn sie mit relativ (auf die Konkurrenz bezogen) geringem Aufwand einen großen Fortpflanzungserfolg erzielen kann (z. B. Bakterien oder Viren, die eine Population befallen, die keine Resistenz gegen sie hat).(1)

Die vielen ausgestorbenen oder aussterbenden Arten (rote Liste), die wir kennen, illustrieren die Tatsache, dass der moderne (industrielle) Mensch mit seiner gezinkten Kostenrechnung die evolutionär entstandenen Arten mit der Effizienz seiner Energie-(umfassender: Syntropie-)Aneignung um ein Vielfaches übertrifft.

 

Zugriff auf Energie

Der gemeinsame »Urgrund« von Wirtschaft und Natur, das fundamentale Gesetz, dem sie (ebenso wie alle Bewegungen und Veränderungen in der physischen Welt) unterliegen, ist der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Der zweite Hauptsatz, das Entropiegesetz, besagt, dass die Entropie (das heißt die Menge nicht mehr nutzbarer Energie in einem geschlossenen System) immer zunimmt. Das bedeutet, dass alle Bewegung und Veränderung, die durch freie Energie verursacht wird, zum Erliegen kommt. Entropie ist das unausweichliche Schicksal, dem alles, was existiert, unterworfen ist: Zerfall, Niedergang, Einebnung, Tod. Diese Tendenz der physischen Welt, von der Ordnung zur Unordnung, vom Konzentrierten zum Diffusen überzugehen, wird durch den zweiten Hauptsatz beschrieben. Das bekannteste und einleuchtendste Beispiel ist, dass aus jeder konzentrierten Energieform im Lauf der Zeit gleichmäßig im Raum verteilte und damit nutzlose Abwärme wird.

Die physische Welt insgesamt unterliegt dem zweiten Hauptsatz ohne Wenn und Aber; die Evolution und Selbsterhaltung des Lebens (einschließlich menschlicher Kulturen) verdankt sich der Selbstorganisation, die sich über das »Grundgesetz des Niedergangs« (Christian Schütze) hinwegzusetzen scheint.

Die nicht-lineare Thermodynamik, die von Ilya Prigogine in den Fünfziger- und Sechzigerjahren als das physikalische Erklärungsmodell für das Phänomen Selbstorganisation entwickelt wurde, ist die Antwort des letzten Jahrhunderts auf die ewige Frage »Was ist Leben?«. In einem kaum beachteten Büchlein dieses Titels hat Erwin Schrödinger 1944 die Frage prinzipiell beantwortet. Lebende Organismen unterscheiden sich von der unbelebten Natur dadurch, dass sie innerhalb ihrer Außengrenzen die Entropie verringern können. Gleichzeitig vermehrt sich die Entropie in ihrer Umgebung um den gleichen Betrag, womit dem universal gültigen Entropiegesetz Genüge getan ist.

Schrödinger bezeichnete die Entropieverringerung als negative Entropie; heute hat sich im englischen Sprachgebrauch low entropy eingebürgert, im deutschsprachigen Raum spricht man auch von Syntropie (siehe die Erläuterung im Kästchen).(2) Das in erster Linie physikalisch-chemische Theorem der Selbstorganisation, das sich aus diesem revolutionären Erklärungsmodell entfalten konnte, stellt die Erklärung von biologischen ebenso wie von gesellschaftlichen Prozessen auf eine neue Grundlage und erlaubt eine elegante Verknüpfung von wirtschaftlichen und physischen Vorgängen.

Die Selbstorganisation beruht auf dem Zustandekommen von positiv rückgekoppelten Prozessstrukturen; aus der Ursuppe dieser Prozessstrukturen mit ihrer (zuweilen fehlerhaften) Replikationsfähigkeit emergiert Evolution, also das Überleben der Überlebensfähigsten und die Entfaltung der Vielfalt des Lebens durch Anpassung an immer neue Umweltherausforderungen.

Die Selektion der Überlebensfähigen steht unter dem Gesetz, dass selbstorganisierende Systeme oder Organismen nur unter den Bedingungen des oben genannten ökonomischen Prinzips entstehen und fortdauern können. Die strenge Ökonomie der Natur gilt unerbittlich für alle Kreaturen; sie ist die fundamentale Randbedingung, durch die der Wettbewerb zwischen den Arten sowohl ermöglicht als auch eingegrenzt wird – eingegrenzt durch den vorgegebenen Energiefluss der Sonneneinstrahlung auf der Erdoberfläche (durchschnittlich 350 Watt pro Quadratmeter). Diese Begrenzung ist der Kern der strengen Ökonomie der Natur; die Arbeit, die notwendig ist, Energie von so geringer Dichte einzusammeln, verbraucht ihrerseits Energie und erhöht die Entropie. Leben kann also nur auf dem schmalen und prekären Grat entstehen und sich erhalten, in dem Energiegewinn und der dafür notwendige Energieverbrauch einen positiven Saldo ergeben.

Dagegen hat die Industriegesellschaft den Dreh gefunden, externe Energiequellen so elegant anzuzapfen, dass diese so gut wie kostenlos für sie fließen. Mit dem Einsatz exosomatischer (körperfremder) Energie – Kohle, Erdöl, Erdgas – verschafft sich der Mensch im Wettbewerb um Nahrung und Lebensraum Vorteile gegenüber anderen Lebewesen, die diese, wenn sie urteilen und sprechen könnten, wahrscheinlich als unlauteren Wettbewerb oder als Verstoß gegen die Regeln im Kampf ums Dasein bezeichnen würden. Tatsächlich wird sich im Verlauf der weiteren Geschichte zeigen, dass die Mitbewerber, nachdem der Mensch einseitig die Regeln geändert hat, einfach keine Chance mehr haben. Sie unterliegen nach wie vor dem ökonomischen Prinzip, das ihren Anstrengungen um Selbsterhaltung und Fortpflanzung enge Grenzen setzt, während der Mensch mit technischen Mitteln, durch Kolonisierung anderer Organismen und die Nutzung exosomatischer Energie, diesen Spielraum stetig erweitert und sich damit einen Energiezuschuss besorgt, der ihm eine Vermehrung und Ausdehnung seines Lebensraums auf Kosten anderer Arten ermöglicht.

Für die Entwicklung und Erhaltung (und den Niedergang) menschlicher Sozialverbände ist das ökonomische Prinzip ebenso grundlegend wie für die ganze übrige belebte Natur, auch wenn die Kostenrechnung des menschlichen Stoffwechsels mit der Natur durch die kulturelle Überformung so kompliziert, so kreativ, ja geradezu hermetisch geworden ist, dass man ihr nur auf Umwegen auf die Schliche kommt. Die kapitalistische Wirtschaftsweise ist nichts anderes als die Ausformung dieses Prinzips in ein kunstvolles Geflecht von Institutionen, Prozessen und Werten im Bereich der gesellschaftlichen Organisation.

 

Wettbewerb

Ebenso wie in der Natur wird der Zwang zur Maximierung/Optimierung in der Wirtschaft durch den Wettbewerb konstitutiert, der seinerseits als emergentes Phänomen jeder Situation erscheint, in der selbstorganisierende Systeme unter der Bedingung von Knappheit evolvieren.

 

Das Darwin-Prinzip

Das evolutionäre Prinzip, das durch Auslese zum Überleben der Fittesten führt, exekutiert die Ökonomie der Natur: Überleben wird der, der mit dem geringstmöglichen Aufwand den größtmöglichen Syntropiegewinn erzielt.

Der Wachstumszwang in der Wirtschaft funktioniert nach der darwinistischen Vorgabe: Nur die Unternehmen und nur die Länder, die am schnellsten wachsen, überleben. Technologische Veränderungen geben kein Pardon: Wer sich weigert, sich ihnen anzupassen, verschwindet von der Bildfläche.

 

Kostenrechnung

Das ökonomische Prinzip, die Energiebilanz, die zumindest ausgeglichen, längerfristig aber immer positiv sein muss, spiegelt sich in der Buchhaltung oder moderner gesagt: im betrieblichen Rechnungswesen wider, deren letztes Ziel darin besteht, Aufwand und Ertrag gegenüberzustellen und peinlich darauf zu achten, dass der Saldo längerfristig immer positiv bleibt.

In diesem Vergleich zwischen erster und zweiter Natur sollte man sich nicht davon beirren lassen, dass es in der ersten Natur keine explizite Kosten-»Rechnung« gibt. Was der Mensch als Hunger, Durst, Erschöpfung empfindet, könnte man vielleicht als das einem Organismus eigene Analogon zur Kostenrechnung eines Unternehmens oder einer Volkswirtschaft betrachten. Vermutlich gibt es auch bei höheren Tieren ein ihrem Bewusstseinsniveau entsprechendes »Sammelgefühl« für die verschiedenen physiologischen Signale, wie niedriger Blutzuckerspiegel und leerer Magen, die die entsprechenden Verhaltensweisen wie Nahrungssuche auslösen. Bei niedereren Lebewesen kann man wohl eine unmittelbare Verschaltung zwischen physiologischen Parametern und Verhaltensmustern annehmen. In sozialen Gebilden, denen diese physiologische Rückkopplung abgeht, muss eine eigenständige (symbolische) Kostenrechnung an ihre Stelle treten – und sie kann sich natürlich nur bei Einheiten entwickeln, die zur Symbolverarbeitung fähig sind.

Die Kostenrechnung ist das wichtigste, weil überlebenswichtige Steuerungsinstrument des Unternehmens. Die Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben zeigt an, ob das Unternehmen zumindest seine Kosten deckt. Ohne Kostenrechnung wäre ein Unternehmen blind und in jedem Augenblick, ohne es zu wissen, vom Sturz in den Abgrund der Pleite bedroht. Die Kostenrechnung ist das Organ, das überwacht, dass das ökonomische Prinzip beachtet wird, weil seine Vernachlässigung – ebenso wie in der Sphäre der Biologie – den Untergang bedeutet.

 

Investitionen

Investitionen, als allererstes die Schaffung von Produktionsanlagen, sind die Voraussetzung dafür, dass ein Unternehmen überhaupt produzieren kann. Viele weitere Investitionen, nämlich in Marktforschung, Produktentwicklung, Konstruktion, Management, Informationstechnologie, Finanzverwaltung, Vertrieb, um nur einige der wichtigsten zu nennen, sind notwendig, wenn das Unternehmen einen Platz auf dem Markt finden soll. Nach diesen Anfangsinvestitionen sind immer wiederkehrende Investitionen notwendig, um abgenutzte Teile oder veraltete Maschinen zu ersetzen (s. u. Punkt Abschreibung) und um durch Schulung und Weiterbildung des Personals, durch organisatorische Veränderungen, durch die Verbesserung vorhandener und die Entwicklung neuer Produkte die Marktposition zu erhalten.

Ein Maßstab für die Gesundheit eines Unternehmens ist, wie viel Geld es (idealerweise aus dem Cashflow, aber auch aus Krediten) für Investitionen bereitstellen kann. Investitionen sind die notwendige Voraussetzung für die Erträge der Zukunft.

Die Investitionen des Staates, für die wir mehr oder minder bereitwillig Steuern zahlen, dienen nicht nur (wie Verkehrsmittel, Parks, Theater, Sportanlagen) dem Komfort und der Lebensqualität, sondern sie sind auch (z. B. Infrastruktur, Bildungs- und Forschungseinrichtungen, medizinische Versorgung, effiziente Verwaltung) die Grundlage für die künftige Produktivität der Gesellschaft, also ihre Fähigkeit, Einkommen zu erzielen.

Gibt es so etwas wie Investitionen in der Natur? Auch wenn wir dafür ganz andere Namen verwenden, ist ganz offensichtlich, worum es sich handelt. Es ist zum Beispiel der Wasserkreislauf, der dafür sorgt, dass die Süßwasservorräte der Erde immer wieder mit frisch gereinigtem Wasser aufgefüllt werden; oder es ist der Mutterboden, von dem die sauerstoffspendende Vegetationsdecke der Erde lebt, und den sie ständig reproduziert. Ganz allgemein gesagt, es sind die Syntropiegeneratoren, die dafür sorgen, dass das Syntropieeinkommen auch in Zukunft fließt. Die Biosphäre als Ganzes ist die Investition, die Leben ermöglicht.

Nun gehen beispielsweise vom Kapital Mutterboden jedes Jahr 75 Milliarden Tonnen durch Erosion verloren. Wenn Bodenerosion und Entwaldung mit dem heutigen Tempo noch 40 Jahre weitergehen, wird es 2030 960 Milliarden Tonnen weniger Mutterboden geben (das ist die doppelte Menge des Ackerbodens der USA) und 440 Millionen Hektar weniger Wald (das entspricht der halben Landfläche der USA) (WWI 1990:184).

Wird es, wie in jedem ordentlich geführten Unternehmen, durch Investitionen ersetzt? Nein! Humusboden kann nicht erzeugt werden (außer durch die Kompostierung von Pflanzen). In der Natur bildet sich ein Zentimeter Mutterboden in etwa 1000 Jahren. Die 6 Milliarden Hektar, die jedes Jahr verloren gehen, könnte die Natur also unter geeigneten Bedingungen in etwa 20 bis 50 000 Jahren ersetzen.

Auch das Prinzip Abschreibung (Wertminderung für Abnutzung und zwecks Erhaltung des Sachkapitals) spiegelt das Nagen der Entropie wider – also die Tatsache, dass alles, was sich bewegt oder bewegt wird, sich abnutzt, an Wert verliert, an Entropie zunimmt.

 

Gradienten

Das entropische Gefälle, aus dem sich die Aneignung der Syntropie speist, erscheint in der physischen und chemischen Welt in Form von Temperaturunterschieden, Konzentrationsunterschieden, relativer Häufigkeit, hoher Abundanz. (Darin drückt sich vor allem der zweite Aspekt des Entropiegesetzes, die Tendenz zum Übergang von Ordnung zu Unordnung aus).

Die überragend wichtige Quelle negativer Entropie ist die Sonne, von der die Erde energiereiche Strahlung (»freie Energie«) von 6000o C empfängt. Auf der Nachtseite der Erde wird niederwertige Energie in Form von langwelliger Strahlung (im Bereich irdischer Umgebungstemperaturen von +30 oder +40o C bis -60o C) an den Weltraum abgegeben, der mit seiner Hintergrundstrahlung von -270o C eine geeignete Senke für die Aufnahme dieser irdischen Abwärme darstellt.

Eine andere Syntropiequelle sind hohe Konzentrationen von chemischen Verbindungen. Chemische Verbindungen können diffundieren, sich von ihrer Quelle her ausbreiten; je weiter man von der Quelle entfernt ist, desto schwächer ist die Konzentration der Substanz. Indem sie diesen Prozess umkehren, können Organismen (wie z. B. Schleimpilze) eine Nahrungsquelle finden, indem sie einem Konzentrationsgradienten nach oben folgen, also sich immer in die Richtung bewegen, in der die Konzentration zunimmt.

Genau diese Möglichkeit nutzt und institutionalisiert die Marktwirtschaft, indem sie die Gradienten zwischen Mangel und Überfluss im sozialen Prozess der Preisbildung abbildet und damit zu einem funktionierenden Informations- und Steuerungsmittel macht. Knappheit eines Gutes drückt sich in steigenden Preisen aus; diese lenken in einer Population, die die kommerziellen Regeln verinnerlicht hat, Ressourcen und Kapital in die Produktion der als knapp gemeldeten Güter.

Knappheit und Abundanz regeln die internationalen Handelsströme. Dort, wo sie nicht von der Natur in Form von Rohstoffen und Bodenschätzen vorgegeben sind (Exporte der Agrar- und Entwicklungsländer), werden sie durch den Know-how-Vorsprung der Industrieländer künstlich geschaffen und aufrechterhalten (Exporte hochwertiger Industriegüter aus den Industrieländern).

 

Bevölkerungsdynamik

Die zivilisierte Menschheit verhält sich genau wie jede beliebige andere Population (z. B. von Algen, Bakterien oder Hefepilzen), die sich bei Nahrungsmittelüberschuss explosiv vermehren, um dann ebenso implosiv zusammenzubrechen (crash).

Die Ironie der Geschichte: Im Gegensatz zu allen anderen Lebewesen hat der Mensch, nachdem er seit Anbeginn der Zivilisation von einer malthusianischen Falle in die andere taumelte, in der Neuzeit geniale Werkzeuge (Wissenschaft und Technologie) entwickelt, die alle bisher geltenden geographischen und ressourcenmäßigen Grenzen aufhoben – und sich damit eine Bevölkerungsexplosion von einer ganz pikanten Qualität eingehandelt. Die Formel, die die immer wiederkehrenden lokalen Zusammenbrüche durch den globalen Crash ersetzt, heißt IPAT:
Impact = Population x Affluence x Technology.

Das Ausmaß der Naturzerstörung wird nicht wie bei Malthus allein durch das Wachstum der Bevölkerung bestimmt, sondern durch das Produkt aus Bevölkerung und materiellem Wohlstand oder Konsum gleich Ressourcenverbrauch. Das Wachstum der Weltbevölkerung flacht sich zwar ab und wird möglicherweise bei 10 bis 12 Milliarden zum Stehen kommen; wenn jedoch diese Weltbevölkerung mit der Ausbreitung des westlichen Wirtschafts- und Konsummodells auch nur die Hälfte des Lebensstandards der Industrieländer erreicht, wird sich der Naturverbrauch gegenüber heute versechsfachen (es sei denn, der Faktor T, die Effizienz der Ressourcennutzung, wird auf das Sechsfache gesteigert).

 

Take-off to self-sustaining growth

Mit diesen Begriffen beschrieb der Klassiker der Wachstumstheorie Walt Rostow 1971 die Dynamik der Volkswirtschaften der modernen Industrieländer im Gegensatz zu den vor sich hin vegetierenden Ökonomien der vormodernen Entwicklungsländer. Weder Rostow noch seinen Fachkollegen scheint es auch nur gedämmert zu haben, dass er damit elementare Eigenschaften selbstorganisierender Systeme ansprach. Take-off (abheben) ist im Sinne eines Anspringens (wie bei einem Motor) zu verstehen, mit self-sustaining growth wird versucht, die ebenso rätselhafte wie heiß begehrte Eigenschaft eines sich selbst nährenden, selbst tragenden Wachstums begrifflich fassbar zu machen. Das sich selbst nährende Wachstum erklärt Rostow damit, dass jetzt die Investitionen das Bevölkerungswachstum übersteigen (»as a rise in the rate of investment to a level which regularly, substantially and perceptibly outstrips population growth ...«), und den take-off als den Augenblick, in dem ein exponentielles Wachstum beginnt (»when … compound interest gets built into society’s structure« (Rostow 1971: 21)). Die erste Erklärung verschiebt das Fragezeichen gerade mal um einen Satz, die zweite ist nicht mehr als eine Tautologie.

Mit dem take-off, sagt Rostow, beginnt die Wirtschaft exponentiell zu wachsen, weil sie jetzt nach dem Zinseszinsprinzip wächst. Aber wieso konnte die Wirtschaft auf einmal exponentiell wachsen, während sie vorher jahrtausendelang stagniert hatte oder bestenfalls unendlich langsam vorankam? (Nach David Landes hat sich das Pro-Kopf-Einkommen vom Jahr 1000 bis zum 18. Jahrhundert verdreifacht – d. h. die Wachstumsrate war in dieser vergleichsweise dynamischen Periode etwa ein Promille pro Jahr). Weil mit der industriellen Revolution das Kapital eine völlig neue Qualität annahm, nämlich die Fähigkeit, Energie/Syntropie in den Wirtschaftskreislauf hineinzusaugen.

Es wurde damit zu einem sehr besonderen Stoff, den man nicht mit dem Kapital eines Kaufmanns im Mittelalter verwechseln darf. Dieses Kapital schlägt gegenüber dem Kapital der vormodernen Ära ein neues Kapitel der Naturgeschichte auf: Es lebt, es hat die Fähigkeit erworben, der Entropie ein Schnippchen zu schlagen. Es versetzt eine Ökonomie in die Lage, aus sich heraus zu wachsen: Es verleiht ihr die Potenz, die lebende Organismen von toter Materie unterscheidet.

Es mag etwas frivol klingen, aber der passende Wappenspruch des Kapitals der industriellen Revolution stammt aus einem Kirchenlied: Tod, wo ist dein Stachel? Dieses Kapital besiegt die Entropie, in dem es sich mit der Syntropie und den Syntropiegeneratoren vermählt. Indem es, in einem Ölfeld investiert, niederentropische Energie zu Tage fördert, mit der man ein Vielfaches an Energie aus der Erde pumpen kann, die sofort das eingesetzte Kapital vermehrt, hat es die Eigenschaft eines Lebewesens entwickelt, das von selber wächst, das sich auch – mit Hilfe des kapitalistischen Marktes, in dem es lebt – selbst sein Futter sucht (so wie ein Fuchs mit Hilfe der Duftstoffe in der Luft und ihrem Konzentrationsgefälle seine Beute findet).

Wohlgemerkt: Auch das Kapital früherer Zeiten konnte einen Ertrag bringen. Das Geld, das ein Kaufmann in Antwerpen in ein Schiff investierte, das nach Indien segelte, um Pfeffer und andere Gewürze zurückzubringen, konnte einen hohen Ertrag bringen – es konnte sich verdoppeln und verdreifachen. Es konnte ebenso gut als Ganzes verloren gehen, wenn das Schiff nicht zurückkam. Jetzt musste es, sollte das Geschäft weitergehen, durch neues, über lange Zeit zusammengespartes Geld ersetzt werden.(3)

Der Vorgang der Kapitalbildung war mit der industriellen Revolution, beginnend in einigen Wirtschaftsbereichen wie in der Textilindustrie, zu einem Selbstläufer geworden. Was heute ganz selbstverständlich von einem gut gehenden Unternehmen als innerer Wertzuwachs, als Selbstfinanzierungskraft, als Eigenkapitalbildung erwartet wird, war angelaufen: »... when compound interest gets built into society’s structure« – der Vorgang also, dass ein Unternehmen so viel Gewinn erwirtschaftet, dass auch nach Abschreibungen, Zuführung zu den Rücklagen für Investitionen, Prämien an die Mitarbeiter und Ausschüttung an die Aktionäre noch so viel Überschuss bleibt, dass sich Jahr für Jahr das Eigenkapital, die verdeckten Reserven, der innere Wert des Unternehmens erhöht. Das Kapital hat die Fähigkeit zur Selbstvermehrung erworben – es »heckt«, wie Marx es etwas altväterlich ausdrückte, es kriegt Junge – es tut etwas, was nur Lebewesen können.

Die Fähigkeit des Kapitals, und damit der industriellen Ökonomie, fossile Energie zu mobilisieren, erklärt auch, weshalb jetzt die Nettoinvestitionen dauerhaft das Bevölkerungswachstum übersteigen können. Nicht nur konnten die Investitionen, dank der üppig sprudelnden Energiequellen, billiger – also mit immer weniger menschlichem Arbeitseinsatz – aufgebaut werden; gleichzeitig mit der Quantität wuchs die Qualität des eingesetzten Kapitals. Am Eisen, dem wichtigsten Material der beginnenden industriellen Revolution, lässt sich das besonders deutlich demonstrieren.

Als nach unendlich vielen mühsamen Versuchen endlich die Erschmelzung von Eisen mit Kohle möglich wurde, kam ein weiterer der vielen Verstärkungszyklen in Gang, aus denen der take-off hervorging: Von jetzt an konnten Dampfpumpen und Dampfmaschinen an den Kohleschächten eingesetzt werden und damit die Produktivität des Bergbaus um ein Vielfaches erhöhen, und die neuen, viel größeren Eisenwerke siedelten sich über den Kohleflözen an, wo ihnen der Brennstoff auf Jahrzehnte sicher war. Die knarzenden Holzteile von Wasserrädern und Hammerwerken wurden durch Eisen- und später Stahlteile ersetzt, die nicht nur viel haltbarer waren, sondern vor allem auch den Wirkungsgrad der Maschinen vervielfachten.

Damit – mit der üppig fließenden fossilen Energie und der durch sie ermöglichten stürmischen Entwicklung der industriellen Technik – entkam das neue Zivilisationsmuster dem ewigen Nagen der Entropie, das die alte Welt am Boden gehalten hatte, und die Verkopplung des sich selbst vermehrenden Kapitals mit diesen sich gegenseitig verstärkenden Rückkopplungsschleifen befeuerte die himmelwärts strebenden Wachstumskurven, die zum Sinnbild des industriellen Zeitalters wurden.

 

 

Diagnose

 

Die Biosphäre und ihre Subsysteme, die Ozeane, die Wälder, die Atmosphäre, der Wasserkreislauf, aber auch der Boden, jeder gesunde Bach, Fluss oder See, ein Moor, ein Watt, ein Mangrovenwald und ein Korallenriff sind Systeme, die negative Entropie oder Syntropie generieren und die man deshalb als Syntropiegeneratoren bezeichnen könnte.

Die menschliche Wirtschaft dagegen ist ein Syntropieverbraucher, und als moderner Industriekapitalismus verbraucht sie Syntropie (und nicht nur Energie) in gigantischen Mengen. Wie ein monströser Staubsauger, der seine Saugarme wie eine schier unendliche Zahl von Tentakeln über die ganze Welt ausstreckt, saugt er Syntropie aus den Tiefen der Erde (Öl und Gas und Grundwasser), von der Oberfläche (Mutterboden, Süßwasser, Regenwälder), aus dem Meer (100 Millionen Tonnen lebendes Protein pro Jahr).

Die Reichtumsmaschine, die auf der einen Seite die Autos, die Ferienhäuser und die Urlaubsreisen, die Windsurfer und die Netsurfer, die Fernsehprogramme und die Rockkonzerte, die Parfums und die Anzüge, die CDs und die Shrimpcocktails ausspuckt, saugt auf der anderen Seite in gigantischen Schlucken den Lebenssaft des Planeten ein: mit der Gewalt eines Tornados jeden Tag 4 000 Tonnen Fische aus dem Meer, jede Stunde verschlingt sie fünfzig bis hundert Pflanzenarten, in jeder Minute 50000 Tonnen fruchtbare Erde.

Damit sind die Syntropiegeneratoren um ein Vielfaches überfordert. Verschmutzte Seen und Flüsse, die kein Wasser mehr reinigen können, sinkende Grundwasserspiegel, zerstörte Moore und Mangrovenwälder, absterbende Korallenriffe, erodierte Berghänge, wachsende Wüsten, ölverschmutzte Küsten sind die Folge.

Es handelt sich um eine kulturell induzierte gesellschaftliche Bulimie; der Patient frisst sich voll mit kostbarer Energie/Syntropie, um sich anschließend in die Umwelt auszukotzen, damit die nächste Fress- und Sauftour beginnen kann. Nicht von ungefähr stützt sich die Metapher auf eine suchtbesetzte Verhaltensstörung. Sie weist damit darauf hin, dass sich die notwendigen Veränderungen nicht durch gutes Zureden, durch Drohungen oder Seelenmassage herbeiführen lassen, sondern nur durch einen selbst verordneten, schmerzhaften Entzug.

Arthur Koestler hat den Menschen als Irrläufer der Evolution beschrieben. In Analogie dazu könnte man den Industriekapitalismus als rogue system bezeichnen (Rogue: Einzelgängertier, das getrennt von der Herde lebt, das seine sozialen Instinkte verloren hat und das zum Beispiel im Gegensatz zu seinen Artgenossen Menschen anfällt). Das egoistische Gen, das er verkörpert und das überall, wo er hinkommt, verheerte Lebensgrundlagen und verwüstete Gesellschaften hinterlässt, ist das Verwertungsprinzip (Monetäre Wertschöpfung durch Umwandlung von Syntropie in Entropie). Er konkurriert mit der Natur um den begrenzten Lebensraum – die Lebewesen und Ökosysteme haben gegen den mit fossilen Brennstoffen gedopten Läufer keine Chance. Im Gegensatz zur Biosphäre, die als Netzwerk und in Kreisläufen organisiert ist, funktioniert er nach dem Durchlaufprinzip (Energie und Rohstoffe: in – Abraum, Abfälle, Abwärme: out). Das ist darauf zurückzuführen, dass er an der Lebenszeit des Planeten gemessen gerade erst vor einer Sekunde aufgetaucht und im Gegensatz zur Biosphäre nicht evolutionär ausgetestet ist. Der Test läuft – wir haben das zweifelhafte Privileg, dabei zu sein.

 

 

Therapie

 

Müssen wir also, um menschliches Leben unter menschenwürdigen Bedingungen zu retten, das kapitalistische Monster erschlagen? Hören wir die Fanfaren der Weltrevolution?

Zwei einfache Antworten:

– Es wird keine Weltrevolution geben, die überwältigende Mehrheit der Menschheit will den Kapitalismus; soweit sie nicht alle Hoffnung aufgegeben haben, träumen sie davon und von nichts anderem.

– Selbst wenn es möglich wäre, wäre es nicht wünschenswert: Es gibt kein anderes System, das so viel Wohlstand und Sicherheit für so viele Menschen schaffen kann; das so viel menschliche Dynamik, Erfindungsgabe, Innovationsfreude mobilisieren kann; das die Menschen so in ihrer Mehrheit von tierischer Plackerei, von Hunger, Unterernährung und verheerenden Krankheiten befreien kann; und das so viel Intelligenz in die Produktions- und Verteilungsprozesse saugen und damit eine unerhörte Produktivität und Effizienz schaffen kann.

– Wenn wir also den Tiger Kapitalismus nicht töten können und wollen, müssen wir auf andere Weise dafür sorgen, dass er uns nicht frisst, indem wir ihn zähmen und dressieren, das heißt lenken und begrenzen, damit er die und nur die Kunststücke macht, die für die Menschen und ihre Kultur nützlich und unschädlich sind. If you can’t beat it, tame and harness it.

 

Begrenzen und lenken

Die notwendige Therapie liegt auf der Hand: Drosselung der Zufuhr von Nahrung/Treibstoff/Kalorien/Syntropie. Im Fall der Ökonomie, die den gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur organisiert, heißt eingebaute Nachhaltigkeit eingebaute Syntropie-Drossel oder: ressourcenbegrenzte Wirtschaft. Weder gutes Zureden noch Ökosteuer können eine Wirtschaft drosseln, deren Stoffwechsel aus dem symbolischen Raum gesteuert wird.

Um diese These zu verstehen, muss man sich die Funktionsweise der kapitalistischen Wertschöpfungsmaschine in ihrer Verkoppelung mit der physischen Welt vor Augen führen. Der Wertschöpfungszyklus beginnt damit, dass Kapital in Produktionsanlagen, Rohstoffe und Löhne investiert wird. Produktion und Vermarktung laufen nur dank der Energie/Syntropie, die sie aus der Biosphäre absaugen. Diesen kostenlosen Input verwandeln sie in Wertschöpfung, die nun wieder in weitere Produktionsfaktoren zur Erzeugung weiterer Wertschöpfung investiert werden kann.

Während nun die Produktion und die Inputs in die Produktion zu einem wesentlichen Teil aus der realen Sphäre stammen (Energie, Arbeit, Rohstoffe, Infrastruktur), ist die Wertschöpfung, die aus ihr hervorgeht, symbolischer Natur. Handelt es sich doch um den monetären Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben. Das ist nun der Punkt, an dem die Wirtschaft zu einer Voodoo-Ökonomie wird. Die monetären Gewinne aus der modernen Konsumwirtschaft haben nur sehr wenig mit den realen Inputs zu tun – sie werden vom Markt und von den Präferenzen der Marktteilnehmer bestimmt. Jenseits der Grundbedürfnisse sind diese Präferenzen jedoch immaterieller – psychologischer, sozialer, sozialpsychologischer – Natur. Die Preise, die für Markenartikel, Videospiele, Fernreisen, für einen Werbeauftritt von Michael Schumacher oder Naomi Campbell bezahlt werden, werden nicht vom materiellen Input, sondern von immateriellen Faktoren wie Faszination, Identitätssuche, Bekanntheitsgrad, Markenimage, Neugier, Sehnsucht, Minderwertigkeitsgefühle, Kompensationsbedürfnisse und so weiter bestimmt. Dagegen kann das dafür eingenommene Geld wie jedes andere Geld für den Erwerb von realen Ressourcen eingesetzt werden. Wenn man diese Verwandlung von immateriellen, imaginären Bedürfnissen in hartes Geld – gleich Ansprüche an reale Ressourcen – mit dem unverstellten Blick eines Beobachters von einem anderen Stern betrachtet, erkennt man unmittelbar, dass es sich um einen faulen Zauber handelt. Es kann sich nur um Zauber handeln, weil zwei Sphären kausal miteinander verkoppelt werden, die in der realen Welt streng voneinander getrennt funktionieren; und der Schwindel muss binnen relativ kurzer Frist auffliegen, weil die beiden Sphären absolut inkommensurabel sind: Die physische Welt, an die sich die Ansprüche richten, ist begrenzt, die immateriellen, imaginären Bedürfnisse, aus denen die Ansprüche erwachsen, sind unbegrenzt vermehrbar.

Will man das die Lebensgrundlagen aufzehrende Wachstum stoppen, muss erst einmal dieser Motor ausgebaut werden, der sich ständig weiter selbst beschleunigt, weil er starr mit seiner Treibstoffpumpe verbunden ist. Das könnte zum Beispiel so aussehen, dass das Tauschmittel, mit dem man reale Ressourcen erwerben kann, strikt nach oben begrenzt wird (als Grundversorgungsbudget etwa in Form eines CO2-Kontingents); Geld im herkömmlichen Sinn (als unbegrenzt vermehrbares Tausch-, Wertspeicherungs- und Investitionsmittel) ist auf den Bereich der (unbegrenzt vermehrbaren) Luxusbedürfnisse beschränkt.4 Zwischen beiden Sphären gibt es keine Konvertibilität.

Auf diese Weise bleibt einerseits der Syntropieverbrauch des menschlichen Wirtschaftens auf das zulässige (nachhaltige) Budget beschränkt, und andererseits der Anreiz erhalten, Intelligenz in eine immer effizientere Nutzung des gegebenen Budgets zu investieren, ohne dabei (wie in einem monetären System unvermeidlich) gleichzeitig die Ansprüche an die realen Ressourcen zu erhöhen.

Das Geld/Kapital, das sich vorwiegend im »imaginären« Raum vermehrt und vervielfältigt, wird also in seinem Zugriff auf diesen imaginären Raum beschränkt. Für den Zugriff auf die begrenzten realen Ressourcen wird ein stabiles, d. h. nicht vermehrbares Tauschmittel geschaffen, durch das die Nutzung des Naturvermögens zuverlässig kontrolliert und gesteuert werden kann.

Für die praktische Verwirklichung dieses Konzepts bietet sich ein persönliches Budget von CO2-Emissionen an. Dafür spricht eine Reihe guter Gründe.

»Eine neue Ökonomie würde nicht blindlings jedem Wachstum um jeden Preis hinterherjagen. Sie würde erkennen, dass andauerndes Wachstum auf einem begrenzten Planeten unmöglich ist und dass sie, wenn sie langfristig angelegt sein will, das Konzept des Genug verinnerlichen muss.« (Donella Meadows) Aber wie soll der Wirtschaftsprozess die Lebenserhaltungssysteme schonen, wenn er von dort überhaupt keine Steuerungssignale bekommt?

Wenn wir unseren Naturverbrauch an ein begrenztes Budget von CO2-Emissionen anbinden, wird ein operationaler und verifizierbarer Begriff von Nachhaltigkeit als Steuerungsinstrument in die Wirtschaft eingebaut. Unsere Nutzung von Ressourcen und Lebenserhaltungssystemen wird dann nicht bestimmt durch das, was wir durch menschliche Anstrengung, Pfiffigkeit und Kapital maximal in Bewegung setzen können, sondern was, im Sinne eines Budgets, maximal an realen Mitteln (»Einkommen« aus Naturvermögen auf nachhaltiger Basis) zur Verfügung steht.

Da menschliches Wirtschaften sehr stark durch den Verbrauch von Energie charakterisiert ist (vorhandene Stoffe werden durch den Einsatz von Energie in nützliche Produkte umgewandelt), kann man in einer ersten groben Annäherung den Energieeinsatz als Orientierungshilfe für die Absteckung des »straflos« verfügbaren ökologischen Raums nehmen. Das Treibhausgas CO2 ist, da es bei allen Verbrennungsprozessen entsteht, stark repräsentativ für den Energieverbrauch und damit für das Volumen der industriellen Umwandlungsprozesse. Entsprechend spiegelt es auch in grober Annäherung die bei diesen Prozessen bewegten Materialströme und die freigesetzten Fremd- und Schadstoffe und damit die Belastung der natürlichen Systeme wider. Das bedeutet, dass diese Belastung ganz generell durch die Begrenzung des CO2-Ausstoßes wirksam verringert werden kann.

Was jedoch in ganz besonderem Maß für CO2 als Maßstab für ein nachhaltiges Wirtschaften spricht, ist die Tatsache, dass sich die globale CO2-Emission, die langfristig zulässig ist, ohne dass die Lebenserhaltungssysteme des Planeten geschädigt werden, ziemlich genau bestimmen lässt und dass darüber unter seriösen Wissenschaftlern ein hohes Maß an Übereinstimmung herrscht. Die zulässige globale CO2-Emission, die von der IPCC (Intergovernmental Panel for Climate Control) ebenso wie von der Enquête-Kommission des Bundestages ihren Berechnungen für die Verhütung einer globalen Erwärmung zugrunde gelegt werden, liegt bei circa 11 Milliarden Tonnen pro Jahr.

Wenn wir davon ausgehen, dass eine nachhaltige Wirtschaft auf Dauer nur auf der Grundlage einer gerechten Verteilung möglich ist, errechnet sich aus diesem Kontingent bei einer Weltbevölkerung von sechs Milliarden Menschen ein persönliches Budget von zwei Tonnen CO2 pro Kopf und pro Jahr.

Der »Verbrauch« (d. h. die Emission) von CO2 liegt heute in den Industrieländern bei 11 bis 13 Tonnen pro Einwohner, in den USA bei 23 Tonnen, in den meisten Ländern des Südens unter, zum Teil weit unter zwei Tonnen pro Jahr.

Wenn man das zulässige Budget menschlichen Wirtschaftens auf der Erde für das praktische tagtägliche Verhalten der Menschen wirksam machen will, liegt nichts näher, als dieses Budget wie ein zur Verfügung stehendes Jahreseinkommen zur Grundlage der Verbraucherausgaben zu machen, das heißt, es als ein zweites, an eine reale Ressource gebundenes Zahlungsmittel einzusetzen. Aus diesem Budget muss bei jedem Einkauf der CO2-»Verbrauch« bezahlt werden, der bei der Erzeugung der entsprechenden Güter und der Bereitstellung der entsprechenden Dienstleistung verursacht wurde.

Für die praktische Einführung eines CO2-Budgets sind alle technischen Voraussetzungen vorhanden. Das persönliche Guthaben, das selbstverständlich nicht über Nacht auf 2 Tonnen CO2 reduziert, sondern im Verlauf von 30 bis 40 Jahren von heute 12 Tonnen Schritt für Schritt auf 2 Tonnen schrumpfen würde, ist auf der persönlichen Magnetstreifen- oder Chipkarte gespeichert. Der Laser-Scanner im Supermarkt oder an der Tankstelle liest neben dem Strichcode für den Preis einen zweiten Strichcode für den CO2-Gehalt vom Etikett der Waren oder vom Kassenzettel ab, und das angeschlossene Kartenterminal belastet die eingelegte Karte entsprechend.

Selbstverständlich müsste in der Berechnung der CO2-Belastung, ebenso wie bei den Plänen für eine Energiesteuer, die Atomenergie mit einem entsprechenden (CO2-)Äquivalent berücksichtigt werden – schließlich geht es bei dem CO2-Budget vordringlich um die Begrenzung der Stoffströme und Stoffumwandlungen, die durch den Energieeinsatz zustande gebracht werden.

Der verständliche Einwand, dass ein solches CO2-Kontingent uns in eine Wirtschaft mit Lebensmittelkarten zurückwirft, trifft nicht zu. Mit einem CO2-Kontingent werden keine einzelnen Waren zugeteilt, sondern ein zwar begrenztes, aber völlig frei verfügbares Budget. Die aus Kriegs- und Nachkriegszeiten bekannten Bezugsscheine und Lebensmittelkarten sind dagegen eine Zuteilung bestimmter Dinge. Sie lauten auf ein halbes Pfund Butter, ein Paar Herrenschuhe, 10 Liter Benzin. Daher ihre Verwandtschaft mit einer Zentralverwaltungswirtschaft – mit ihrer Schwerfälligkeit, ihren Ungerechtigkeiten, ihren Absurditäten und der Folge, dass man nie oder selten das bekommt, was man wirklich braucht.

Ein CO2- oder Ressourcenbudget hat mit Bezugsscheinen nur ein Merkmal gemein: die Begrenzung der Ansprüche. Ansonsten sind sie ebenso frei verwendbar wie Geld, das heißt, dass sie nicht anders als Geld Angebot und Nachfrage auf dem Markt wirksam werden lassen und nicht anders als Geld die Allokation der Ressourcen steuern (und zwar zugunsten von Energie- und Rohstoffeinsparungen, Wiederverwendung, geschlossenen Kreisläufen, erneuerbaren Energien). Sie sind in der Tat ein reines Tauschmittel, erfüllen also die Funktion von Geld nach seiner ursprünglichen Bestimmung, d. h. ohne die Fähigkeit zur Vermehrung durch Wertschöpfung. Vor allem aber bedeuten sie eine Absage an die Aneignung dessen, was man selbst nicht braucht, was jedoch infolge dieser Aneignung den anderen, Ausgeschlossenen zum Leben fehlt.

In dieser elementaren Hinsicht ist die Ressourcenwährung die globale Landreform. Es geht darum, die Ansprüche der einen so weit zu beschränken, dass den anderen Raum bleibt oder frei gemacht wird zum Leben.

Ein CO2-Budget kann natürlich nicht von heute auf morgen eingeführt werden, sondern es wird im Verlauf von 40 Jahren von den heutigen 11 Tonnen pro Kopf auf 2 Tonnen schrumpfen, also pro Jahr um eine Vierteltonne oder um 2,5 Prozent. Schon heute ist abzusehen, dass das Budget einer Person zum Beispiel im Jahre 2020 noch 7 Tonnen betragen wird.

Damit ist der Einstieg geschaffen in die langfristigen Strukturänderungen, ohne die es dem Einzelnen sehr schwer und oft unmöglich ist, seinen persönlichen Lebensstil, seinen Energieverbrauch, seine Autonutzung, seine Ess- und Urlaubsgewohnheiten zu ändern.

Die Einführung der CO2-Wirtschaft ist erst einmal eine Notbremse, um die rasende, bewusstlose Fahrt in den Abgrund zu stoppen, oder der Hebel, den man ziehen muss, um vor dem Crash mit dem Schleudersitz auszusteigen. Sie schafft die materiellen Randbedingungen, die einen nachhaltigen Umgang mit den Lebensgrundlagen fördern – anstatt ihn, wie unter den Bedingungen einer entfesselten Marktwirtschaft, zu bestrafen.

 

 

Kasten:

 

Syntropie – das ist, qualitativ gesehen, der Abstand vom thermodynamischen Gleichgewicht. Wenn sie sich als potenzielle Energie darstellt, die in einem Wasserreservoir gespeichert ist, oder als chemische Energie, die in Kohle oder Erdöl steckt, kann man sie auch mit einem kommensurablen Maß (kWh, kcal, MJ) quantifizieren. Wenn es sich um ein Ökosystem handelt, kann man unter Umständen seine Biomasseproduktion pro Zeiteinheit in Zahlen angeben – aber damit hat man ja offensichtlich nur einen ganz begrenzten Aspekt der Gleichgewichtsferne des Systems erfasst. Was bei dieser eindimensionalen Maßzahl unter den Tisch fällt, ist die Fähigkeit des Systems, seine Position fern vom Gleichgewicht gegen Störungen zu verteidigen und aufrechtzuerhalten, ja diese Position erst einmal über die Zeit zu erreichen und gegebenenfalls (im gleichgewichtsfernen Raum, ohne ins Gleichgewicht zurückzustürzen) weiterzuentwickeln. Diese wesentliche Eigenschaft des Systems lässt sich prinzipiell nicht messen, ja nicht einmal erschöpfend beschreiben, weil selbstorganisierende Systeme fern vom thermodynamischen Gleichgewicht dadurch gekennzeichnet sind, dass ihr Verhalten nicht aus den Anfangsbedingungen abgeleitet werden kann. Für die Selbsterhaltungs- oder Regenerationsfähigkeit von Ökosystemen können wir also bestenfalls »defensive« Parameter angeben, das heißt Einflussgrößen, Immissionen, Entnahmen, die nicht überschritten werden dürfen, wenn das Funktionieren des Systems nicht gefährdet werden soll.

 

 

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Oder: Warum sind Pandas vom Aussterben bedroht? Weil sie nur von Bambus leben können, wegen der geringen Energieausbeute 14 Stunden am Tag fressen müssen und sterben, wenn man ihnen dafür keine Ruhe lässt.

2

Der Begriff Syntropie als Ersatz für Negentropie, negative Entropie, verringerte Entropie wurde von Hans Peter Dürr eingeführt. Auch wenn dies die korrekten naturwissenschaftlichen Termini sind, widerstrebt es dem gesunden Menschenverstand, Begriffe mit einem negativen Vorzeichen für etwas zu verwenden, was man auch als den Lebenssaft der Biosphäre bezeichnen könnte.

3

Man darf sich nicht davon beirren lassen, dass der Kaufherr möglicherweise noch einen weiteren Beutel Gold besaß, mit dem er sich an einer neuen Expedition beteiligen konnte. Dieses Geld stammte aus einer stagnierenden Wirtschaft, in der die Schuldner, die dem Kaufmann die Zinsen zahlten, die sich schließlich zu einem Beutel Gold summierten, die Bauern und kleinen Handwerker, sich jeden Heller vom Mund absparen mussten.

4

In diesem imaginären Bereich darf sich der Wettbewerb, darf sich die Schumpeter-Dynamik unbegrenzt austoben – als ein Spiel, das offenbar vielen Menschen Spaß macht, ihr Leben bereichert und würzt, aber dem man doch, wenn man bei Verstand ist, unter keinen Umständen den Zugriff auf die Sphäre des Lebensnotwendigen gestatten darf: Natürlich wird es Tote geben (Verhungerte, Verdurstete, Erfrorene), wenn ich mit dem Geld, das ich im Bereich des Imaginären verzehn-, verhundert-, vertausendfachen kann, mit demjenigen um das Lebensnotwendige (Land, Wasser, Nahrung) konkurrieren darf, der immer nur das Einfache verdienen kann, weil er mit seinen eigenen Händen im Subsistenzbereich arbeitet.

 

 

»Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur«, Ausgabe 4/05.