Wieder ins Gespräch gekommen ist die Arbeit, ihre Organisation, ihr Charakter angesichts der einschneidenden gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen. War der Mensch einst im »stählernen Gehäuse der Hörigkeit« der großen Maschinerie des Fordismus eingespannt, die ihm immerhin eine Lebensgeschichte gab, löst sie sich heute in aufeinander folgende Projekte auf, in unzusammenhängende Jobs. Unser Autor diskutiert die Auswirkungen auf den Menschen und die Aspekte einer anderen Sozialpolitik.
Von 1991 bis heute ist in
Deutschland die Zahl der Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe von 14,0 auf
10,3 Millionen zurückgegangen. Die Gesamtzahl der amtlich registrierten
Menschen ohne Arbeit ist im gleichen Zeitraum von 2,6 auf 4,9 Millionen
gestiegen. Seit 1970 hat sich der Anteil des klassischen produzierenden
Gewerbes an der nationalen Wertschöpfung halbiert, während der Arbeitsmarkt
sich von einer Vollbeschäftigungssituation in Richtung Massenarbeitslosigkeit
entwickelt hat. Dagegen auf Wachstum zu hoffen dokumentiert politische
Hilflosigkeit. Realistisch gesehen werden auch bei industriellem Wachstum
weiter Industriearbeitsplätze verloren gehen, werden diese auch nicht durch
Dienstleistungsverheißungen ersetzt werden können, sodass also ein relativ
hoher und stabiler Anteil Erwerbsloser der Gesellschaft erhalten bleiben wird.
Daher sind Strategien gegen die Entwertung von Arbeit, deren extremste Form
Arbeitslosigkeit bedeutet, und zur Anpassung der Sozialsysteme gefordert.
Die sich wandelnde
fordistisch/tayloristische Phase kapitalistischer Produktion hat ihre
Grundlage, die akkumulative Erhöhung der Produktivität der Arbeit, in einem
Maße beschleunigt, dass sie sich selbst in den Metropolen des
Industriekapitalismus überwunden hat und gleichzeitig in anderen Regionen der
Welt zunehmend etablieren konnte. Der Begriff Postfordismus soll die
Verhältnisse bei uns, den ehemaligen Kernen des industriellen Kapitalismus,
plakatieren; er soll ausdrücken, dass Massenproduktion und -konsum sich
differenzieren, andersartige Produktionseinheiten konstituieren, durch die auch
gesellschaftliche Arbeit neu geordnet wird. Nimmt man dies als Realität ernst,
gilt es überall in der Welt auf ihre daraus folgenden gesellschaftlichen
Bruchlinien zu reagieren. Ganz germanozentrisch handeln die folgenden
Überlegungen dennoch überwiegend von Deutschland. Dabei bleiben sie beschränkt
auf bestimmte Aspekte der Änderungen der Arbeitsorganisation, selektive
Wahrnehmungen zur Erscheinungsform von Arbeit – oder des Charakters von Arbeit
selbst –, von Belang deshalb, weil Arbeit das bestimmende Element der
Produktion und des Menschseins seit der industriellen Revolution geworden ist
und als solches weiter Bestand haben wird.
Mit Max Weber konnte man
angesichts fordscher Fabrikfließband-Ungetüme und taylorscher Sezierung des
Menschen in mechanische Teilfunktionen vom »stählernen Gehäuse der Hörigkeit«
sprechen, in die Menschen zwecks Verkauf ihrer Arbeitskraft gesogen wurden.
Visionen aus den Anfängen der Arbeiterbewegung, dass der Arbeiter zum Anhängsel
der Maschine degradiert wird, waren um die vorletzte Jahrhundertwende
allgemeine Fabrikarbeitswirklichkeit geworden. Das Bild des vom »Arbeiter zum
Proletarier herabgedrückten«(1) Menschen prägte die Lebenswirklichkeit vieler
und verlangte nach der Befreiung von der Arbeitsqual. Und dennoch: Auch wenn
die Bilder von Chaplin in Modern Times oder Upton Sinclairs
Beschreibungen in Dschungel authentisch sind und Erfahrungen von Günter
Anders, den Wolfgang Engler zum wahrhaftigen Zeugen der Fabriködnis erklärt,
weil er als Intellektueller auch mal körperlich gearbeitet habe, grausig
gewesen sein mögen, sie bezeugen keinen »Verfall der Arbeit«, sie sind nicht
Zeuge der angeblichen Tatsache, dass »der Arbeiter als perfektes
perfektioniertes Teil des ihm aufgezwungenen Fabriksystems dem Kapital als stummer
Repetitor eines vorgegebenen Takts auch sachlich einverleibt« worden sei.(2)
Entgegen diesem Eindruck
gilt es festzuhalten, dass die Vorstellung der Würde der Arbeit, die
Überzeugung, dass »die Arbeit die wichtigste Quelle für gegenseitigen Respekt
und Selbstachtung«(3) sei, einen absoluten Wert habe, auch wenn weitgehend
seines religiösen Hintergrunds – des »puritanischen Berufsmenschen« (Weber) –
entkleidet, weiter virulent ist. Ohne die im ersten Programm der
Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, Gotha 1875(4), formulierte
Überzeugung »Die Arbeit ist die Quelle allen Reichtums und aller Kultur…« und
die damit bei manchen verbundene Utopie, dass die Arbeit von ihren Fesseln
kapitalistischer Lohnarbeit befreit werden solle, wäre nie ein seetüchtiger
Ozeandampfer vom Stapel gelaufen. Die Würde der Arbeit äußert sich auch in
ihrem Produkt als nützlichem Ding, ihrer Vollendung. Die schlimmsten
Arbeitsbedingungen lassen einem Arbeitenden diese Würde nicht nehmen.
Man sollte Zusammengehöriges
analytisch trennen, zwischen Formen und Inhalten von Arbeit unterscheiden:
Beide prägen die Tätigen und ihr soziales Umfeld, doch in unterschiedlicher
Weise. Ein Blick auf die Institutionen der Arbeit:
Richard Sennett
charakterisiert unter Berufung auf Max Weber das historische Modell des
bismarckschen Sozialstaats und der Ford/Rockefeller-Fabrikorganisation als
militärische Organisationseinheit in Form einer Pyramide mit entsprechenden
vertikalen Kommandostrukturen: Man tue, was erwartet werde, tanze nicht aus der
Reihe, dann ist ruhiger Zugang zu gelindem Wohlstand organisiert.
Effizienzsteigerung sollte durch die taylorsche Zerlegung menschlicher
Arbeitsbewegungen in kleinste Einheiten erreicht werden. Doch bewirkte sie auch
eine soziale Integration, gebunden an »verzögerte Belohnung, Aufschub als
Lebensform«, garantierte Disziplin und Kontinuität im System. Leben konnte als
Arbeitsgeschichte begriffen werden, Bildung zu kontinuierlicher Lebensführung
befähigen. »Man steigt auf der Leiter hinauf oder hinab oder bleibt auf einer
Stufe stehen, aber es gibt stets eine Sprosse, auf die man treten kann.«(5)
Weber konnte von der später
organisierten Konstruktion eines sozialstaatlichen Systems der Arbeit, das
Arbeit organisierte und dabei das »stählerne Gehäuse« ausdehnte, noch nichts
wissen. Ich wähle diesen Begriff in Abgrenzung zum bismarckschen Sozialsystem,
denn mit den von Keynes inspirierten Methoden staatlicher Arbeitsmarkt-
und Sozialpolitik wurde aus begleitenden Eingriffen des Staates in den
Reproduktionsprozess von Arbeit aktiv gestaltende Politik,(6) ein grundlegender
Wandel, der in Debatten um Sozialpolitik in bismarckscher Tradition allzu gern
unterschlagen wird. Die neuen Strategien trugen nicht nur zu einer relativ
langen Periode der Vollbeschäftigung bei, sondern erlaubten den Arbeitern auch
den befristeten Ausbruch aus ihrem stählernen Gehäuse – in Freizeit, Erholung,
Zukunftssicherung und Bildung, die Themen des keynesianischen Fordismus, denn
Lohnarbeit gab es, die Nachfrage nach ihr war hoch.(7) Als eigentlich für
jedermann offenkundig wurde, dass auch das hoch propagierte »Modell
Deutschland«, diese sozialdemokratische Variante des als europäisches Vorbild
gemeinte Fortsetzung des rheinischen Kapitalismus als Gegenbild gegen die »amerikanische
Herausforderung«, scheiterte, wurde Arbeit im gesellschaftspolitischen Diskurs
wieder zum Thema erhoben.
Just zu einer Zeit, als
dauerhafte Massenarbeitslosigkeit zum festen Bestandteil der Gesellschaft
geworden ist, als menschliche Arbeit zum Job mutiert, der Mensch im Produktionsprozess
zunehmend austauschbar wie ein Maschinenteil oder Chip wahrgenommen wird, er
sich selbst seine Identität und verlorene Bedeutsamkeit aus allerlei oft
skurril anmutenden Freizeit- und Konsumangeboten bastelt, erklärt die SPD 1989:
»Arbeit und Natur sind Quellen des Reichtums … Arbeit ist nicht nur
Existenzbedingung, sondern entscheidende Dimension menschlichen Dasein.«
Deshalb »Arbeit schaffen« – zur Not auch im kohlschen Freizeitpark von Natur
und Zwischenmenschlichem – lautete die hinter einer modernisierten Version
protestantischer Arbeitsethik versteckte Selbstmobilisierung für staatlich
organisierte Arbeitsprogramme ähnlich Roosevelts New Deal-Projekten. Hohes
Wort, an der politischen Realität vorbei.
Die fordistisch organisierte
Arbeit war 1989 schon mit Riesenschritten dabei, sich zu verabschieden. Damit
waren auch die sich an ihr orientierenden Sozialsysteme für einen radikalen
Umbau fällig.(8) Die Kultur des Kapitalismus hatte sich grundlegend verändert:
Mit der Freigabe der Wechselkurse nach dem Zusammenbruch des Systems von
Bretton Woods suchte sich weltweit streunendes Kapital, zumeist aus
Pensionsfonds und Petrodollars gespeist, neue rentable Anlagemöglichkeiten und
nahm, wenn fündig geworden, Einfluss auf die Unternehmungsführungen. Gerade im
korporatistisch durchorganisierten Land der sozialen Marktwirtschaft sorgte
dieser fortschreitende Machtwechsel für Irritationen. Organisatorische
Stabilität als Garant langfristiger Profitsicherung galt jetzt als Hemmschuh im
Streben nach rascher Gewinnmaximierung, Destabilisierung als innovative
Strategie, weil sie Bewegung erzeugte. Revolutionäre technologische
Erneuerungen in der Fertigungs- und Kommunikationstechnik beschleunigten
Produktions- und Entscheidungsprozesse in den Unternehmen. Das »stahlharte
Gehäuse« der fordistischen Produktion mutierte in ein neues Modell
institutionellen Wandels: Globalität, kurzfristige Gewinnrealisation, flexible
Produktgestaltung und -veränderung, Automatisierung menschlicher Arbeit und
neue Anforderung an Flexibilität und Mobilität menschlicher Arbeitskraft, mit
diesen Stichworten sei die Veränderung skizziert.
Auslöser für seine
endgültige Durchsetzung war die reale Schaffung eines weltweiten Arbeits-,
Kapital- und Warenmarktes nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums und der
Öffnung Chinas. Das nationale Institutionengefüge von Produktion, Markt und
staatlichen Interventionsmechanismen löste sich auf. Und damit veränderte sich
auch das System der Arbeitsorganisation. Bislang an die »organisierte Zeit«
(Sennett) gebundene kollektive Lebensarbeitsgeschichten, die von
generationenübergreifenden Aufstiegserwartungen und Sicherheiten in der
»fettleibigen« Pyramide durchdrungen waren, wurden gekappt. Die neuen
Institutionen des »flexiblen Kapitalismus« (Sennett) erfordern zunehmend die
Verwandlung von Arbeitsgeschichte in eine Summe von aufeinander folgenden
Projekten, von Modulen unterschiedlicher Arbeit. Dabei seien zwei Aspekte
hervorzuheben: Zwar begannen die neuen technologischen Möglichkeiten zuerst mit
der Automatisierung einfacher Arbeiten, doch schnitt die Maschinisierung von
Arbeit beschleunigt in die Qualifikationsstandards der vorhandenen und
nachwachsenden Arbeitskraft. Sie wurden nicht mehr nachgefragt. Gleichzeitig
wurde die Kommunikationseinheit Fabrik in Informationseinheiten gegliedert,
Ebenen der Auftragsbearbeitung und -interpretation aufgelöst oder/und erheblich
gestrafft.(9)
Damit beschleunigte sich die
Erosion des inneren Werts von Arbeit, der traditionell »wichtigsten Quelle für
gegenseitigen Respekt und Selbstachtung«.(10) Die Sprache ist ihr schnell,
eindeutig, Konventionen und Traditionen hinwegfegend auf der Spur: Aus Arbeit,
aus Beruf wird einfach Job! In seiner jüngsten Untersuchung zum Thema Arbeit
fasst Wolfgang Engler »Beruf (als) soziale Gerinnungsform der Arbeit, Ausdruck
ihres ›ernsthaften‹ Charakters und zugleich Leitmedium der gesellschaftlichen
Anerkennung« auf.(11) Die Ersetzung des Wortes Arbeit durch den Begriff Job
beschreibt die Flüchtigkeit von durch Ausbildung und Berufsausübung gewachsenen
Erfahrungen und Einstellungen des Menschen zur Arbeit. Er formuliert einen
soziokulturellen Einschnitt, den es zu begreifen gilt, will man angesichts der
»Diskrepanz zwischen Produktivität, Wachstum und Beschäftigung … nach neuen
Modellen der Lebensführung und des sozialen Zusammenhalt suchen«.(12)
Mit Wolfgang Engler muss
diskutiert werden, ob »Erwerbsarbeit (zum) Anachronismus« zu erklären ist.(13)
Seine widersprüchlich wirkende Argumentation, den keynesianischen Sozialstaat
gegen Olaf Henkel, Hans-Werner Sinn und andere vehement zu verteidigen, ihm
andererseits als Supplement der Lohnarbeitsgesellschaft aber gesellschaftlichen
Fortschritt hemmenden Charakter zu verleihen, läuft in der Konsequenz darauf
hinaus, die soziale Frage für nicht lösbar zu halten, ohne sie aus dem Bereich
des Sozialen ins Politische zu erheben. Hört sich kompliziert an, ist es auch:
Wolfgang Engler läuft Sturm gegen eine sich permanent erweiternde »Ideologie
der Lohnarbeitsgesellschaft« und sieht als Zukunft am Horizont: »Die
kapitalistische Industriegesellschaft benötigte mehr als ein Säkulum, um den
Arbeiter ZUM Bürger zu emanzipieren; wie viel Zeit muss vergehen, um den
nächsten Schritt zu wagen, die Emanzipation des Bürgers VOM Arbeiter? Der
Bürger in seiner zeitgenössischen Verfassung genießt fundamentale individuelle
und politische Rechte, und er genießt sie unbedingt. In seinen sozialen Rechten
stößt er jedoch auf eine Bedingung – auf sich als Arbeiter, auf Arbeit als
Nadelöhr existenzieller Forderungen ans Gemeinwesen. Erst wenn dieses letzte
Bedingungsverhältnis aufgelöst ist, soziale Rechte BEDINGUNGSLOS gewährt
werden, ist der Bürger endgültig als universelles Rechtssubjekt konstituiert.
Das Bürgergeld formuliert diesen utopischen Anspruch. SEIN Bürger ist weder Bourgeois
noch Citoyen, weder das Verträge abschließende noch das politisch engagierte
Subjekt, vielmehr das ihnen Zugrundeliegende, SUBJECTUM, der Mensch mit seinen
vitalen Bedürfnissen, in seinem Angewiesensein und Bezogensein auf seinesgleichen.«(14)
So löst er die reale Verfasstheit der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft
in Begrifflichkeit auf.
Engler umgeht in seiner
»nominalistischen« Argumentation das Problem menschlicher Arbeit wie ein
Slalomfahrer, der vor lauter Lust an Parallelschwüngen nicht ans Ziel gelangt:
Einerseits verteidigt er gegen Hannah Arendt, die mit Leidenschaft »die Arbeit,
das Arbeiten ein für allemal zu diskreditieren« gesucht habe, die Annahme, dass
die »Identifizierung des Menschen mit ›seiner‹ Arbeit … in den
fortgeschrittenen Industriegesellschaften im Verlauf der zurückliegenden zwei,
drei Jahrzehnte trotz gegenläufiger Tendenzen im Ganzen eher zu- als abgenommen
habe(n)«, führt auch noch Beweise in Form des in seiner »guten Arbeit« völlig
aufgehenden Angestellten der Gegenwart vor, um dann andererseits dennoch zu
behaupten, Erwerbsarbeitsgesellschaft sei Ideologie, die den Menschen an die
Arbeit fessele, obwohl sie in der Realität ihre historisch prägende Kraft für
das gegenwärtige Gesellschaftssystem verloren habe.
Mit seiner Forderung nach
einem Bürgergeld, das unabhängig von Lohnarbeit jedem zustehen sollte,
konstruiert er eine politische Utopie, die ihn auf unverwandte Art der von ihm
heftig kritisierten Hannah Arendt nahe bringt. Politische Utopie
deshalb, weil nur durch politisch einsichtiges Handeln die den
gesellschaftlichen Zusammenhalt sprengenden Zentrifugalkräfte des auf
Lohnarbeit gegründeten Marktes eingedämmt werden könnten, um die Subsistenzsicherung
der Menschen ohne Lohnarbeit bei freiem gesellschaftlichem Willen zu
ermöglichen.(15) Doch: »In der Moderne wird die Arbeitskraft zu einer Ware, über
die die neu entstehende Arbeiterklasse insofern frei verfügt, als sie in die
allgemeinen Kauf- und Verkaufsprozesse dieser Gesellschaft einbezogen wird. Die
Tätigkeit der Arbeit selbst und der Kauf und Verkauf der Arbeitskraft stehen
wiederum im Gegensatz zum politischen Handeln … Für ihr Denken ist indes von
entscheidender Bedeutung, dass nur der Bruch mit diesem Lebensgesetz der
Gesellschaft und das Heraustreten aus dem Kreislauf von Arbeit, Herstellen und
Konsumtion eine Chance biete, die Erfahrung der politischen Freiheit wieder zu
entdecken.«(16) Genau bei diesem Gedanken kommt Engler an! Explizit: »Der
Umsturz der vom Staat sanktionierten Wirtschaftsgesellschaft beginnt im Kopf,
mit der Wiederentdeckung der eigenen Urteilskraft als Keimzelle des
Politischen.« Das hat zugegeben etwas Verführerisches, welcher Besitzlose
wünscht nicht »die politische Vereidigung der Wirtschaft auf die Bedürfnisse
des Lebens«?(17) Wolfgang Engler unterschätzt die historisch gewachsene
Definitionsmacht von Arbeit, wie er Sanktionsfähigkeiten des Staates gegenüber
der Wirtschaft überschätzt.
Noch leben wir in einer
Erwerbsarbeitsgesellschaft, wenn auch in ihrer tiefen Krise. Nicht ganz so
rasch zum »Bürger, ohne Arbeit« voranschreiten, möchte man ihm entgegenhalten.
Denn wir haben ein Problem als Bürger ohne Arbeit. Nämlich keine zu haben. Und
damit fehlt dem Bürger außer dem nötigen Kleingeld zum Leben etwas »für die
Subjektausstattung, für die Würde, für Anerkennung und Selbstachtung der
Menschen. (Denn) Arbeit ist so etwas wie eine historisch-fundamentale
Kategorie, nach wie vor, historisch-kulturell geprägt …«,(18) möchte man ihm
mit Oskar Negts Worten begegnen. Robert Castel teilt diese Auffassung und
schlägt eine politische Strategie vor: Weil »Erwerbsarbeit also immer noch von
ganz zentraler Bedeutung für das soziale Schicksal der großen Mehrheit der
Bevölkerung (sei)«, werfe der Wegfall von stabilen dauerhaften Arbeitsplätzen
und Berufswegen, also einem statischen Beschäftigungsstatus, hin zur Fragmentierung
der Beschäftigungsverhältnisse die Frage auf, »die Rechte vom Beschäftigungsstatus
zu entkoppeln und auf die Person des Arbeitnehmers zu übertragen«.(19)
Es geht also um die Frage
der Möglichkeit einer Neubestimmung und Neuorganisation der schöpferischen,
kulturellen und sozialen Elemente in der Dimension menschliche Arbeit in
allen Lebensphasen des Menschen durch die Politik, konkret Sozialpolitik. Das
bedeutet in erster Linie: Abschiednahme von staatlicher Arbeitsmarktpolitik,
die unter heutigen Bedingungen wie in ihrer Anfangszeit Zwang als Kernkompetenz
hätte. Arbeitsmarktpolitik könnte nur noch neoliberal pur funktionieren, eine
keynesianische Alternative stellt sich nicht mehr, weil durch das
Globalisierungsdiktat des Kapitals dem Nationalstaat die Handlungsinstrumente
entglitten sind.
Man muss postfordistische
Individualisierungsprozesse als gegeben akzeptieren und dennoch Strategien
finden, der zunehmenden sozialen Unsicherheit zu begegnen. Weder per Dekret
noch durch Einsicht wird sich der Arbeit besitzende Teil der Erwerbsfähigen zum
Quell altruistischer Nächstenliebe entwickeln. Und selbst wenn das gelänge,
würde das kein soziales Problem lösen können, weil Nichtarbeit als Schisma der
Arbeitsgesellschaft stigmatisiert ist und gleichzeitig der Mensch ohne Arbeit
nicht nur nichts gilt, sondern sich selbst auch als Nichts empfindet, was nur
zerstörerisch wirken kann.
Man kann aber heute
anknüpfen an Erfahrungen und Traditionen von individuellen und kollektiven
Strategien der Selbstdefinition, die als Überlebensstrategien im »stählernen
Gehäuse« praktiziert wurden. Sich den Friktionen der Fabriködnis zu entziehen,
war schon immer Bestreben bildungswilliger Teile der Arbeiterschaft. Durch
Qualifikation erworbener Aufstieg in der Hierarchie der Fabrikpyramide konnte
Mühsal der Arbeit erträglicher machen. Es ist schon ein Unterschied, ob man
eine Maschine einrichtet oder nur mit zwei Handgriffen bedient. Individuellen
Strategien gegen die Sinnentleerung von Arbeit waren innerhalb der
Institutionen enge Grenzen gesetzt, dennoch wurden sie erprobt. Aufstieg setzt
Mobilität voraus – oft als Element von Unsicherheit empfunden. Heute muss
horizontale Mobilität als Selbstverständlichkeit erlebt werden, sie kann auch
besser akzeptiert werden, denn: Unsicherheit ist sowieso allgegenwärtig. Ein
zunehmendes Problem ist allerdings die Forderung und Durchsetzung vertikaler
Mobilität nach unten, in der sich Massenarbeitslosigkeit, Entwertung von
Arbeit, Versagen sozialstaatlicher Institutionen und gewerkschaftlicher
Organisation treffen. Geht man davon aus, dass es mit Ausnahmen, etwa im
öffentlichen Dienst, dessen Titangehäuse uneinnehmbar scheint, in Zukunft kaum
noch ungebrochene stetige Erwerbsbiografien geben wird, muss das Individuum in
der Gesellschaft seine eigene soziale Sicherung organisieren – nicht über die
finanzielle Absicherung in Dutzenden Privatversicherungen, sondern über die
Fähigkeit, sich außerhalb fester institutioneller Gehäuse in Arbeitsbeziehungen
zu bewegen. Robert Castel sieht die Situation wohl ganz richtig: »Weite Teile
der Beschäftigungssektoren sind unbestreitbar bereits von stabilen zu einem transitorischen
System, wie man es wohl nennen könnte, übergegangen, das berufliche
Umorientierungen, Arbeitsplatzwechsel, Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit und
manchmal auch radikale Brüche beinhaltet.«(20)
An der geforderten
Flexibilität, die die Auflösung der fordistischen Organisationen verlangt, wird
nicht zu rütteln sein. Dabei sind Hemmschuhe und Blockaden eher in den
Institutionen als bei den Individuen vorhanden. Bürokratische Systeme haben die
Eigenschaft, sich in erster Linie auf ihre Selbsterhaltung und Stabilität zu
konzentrieren. In wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen führt das dazu, dass sich
die Klientel diesen Regeln in Bevormundung unterzuordnen hat und dafür in Form
von Geldzahlungen belohnt wird, egal, ob diese Taktik eigener Lebensplanung
oder Perspektive entspricht.
Es hört sich nach ganz
kleinen Veränderungen an, würde für unser tradiertes Sozialordnungssystem aber
schier umstürzlerisch wirken, was zum Beispiel Castel zur Umgestaltung des
Sozialversicherungssystems vorschlägt. Angesichts der Tatsache, »dass das
moderne Individuum durch die staatlichen Regulierungen nachhaltig geprägt wurde
… sollte es vielmehr darum gehen, wie sie sich in der gegenwärtigen Situation
neu ausrichten lassen.«(21) Seine Stichworte lauten »Flexibilität, größere
Vielfalt, Vertrag und Projekt« – Ersteres anbieten, Zweites aushandeln.
»Bei all diesen neuen Verfahren geht es darum, den passiven Konsum
automatischer und an keine Bedingungen geknüpfter Sozialleistungen durch eine
Mobilisierung der Leistungsempfänger zu ersetzen.«(22) Passende Schlagworte für
dieses System der »Individualisierung der Sozialleistungen« sind aus der
relativ erfolgreichen Praxis Dänemarks auch schon zu uns rübergeschwappt: flexcurity
und learnfare stehen für ein Ringen um Arbeit in aktiver Ausbildung
seiner Selbst. Ecce, homo – mal ganz weltlich.
1
So lautete das Leitmotiv in den Programmen der SPD seit
Erfurt 1891,vgl. Heinrich Potthoff, Susanne Miller (2002): Kleine Geschichte
der SPD 1848-2002, Bonn, S. 461ff.
2
Wolfgang Engler (2005): Bürger, ohne Arbeit. Für eine
radikale Neugestaltung der Gesellschaft, Berlin, S. 42-43; natürlich ist
diese Ansicht beim Emigranten G. Anders mit Respekt aufzunehmen. Er wird m. E.
auch nur von Engler instrumentalisiert, um durch die Diskreditierung von Arbeit
seine Hauptthese vom Ende der Arbeitsgesellschaft, und dass das auch gut so
sei, vorzubereiten. Diese Formulierungen erinnern stark an die junge Linke vor
vielen, vielen Jahre, die als Intellektuelle ihre Semesterferien in der Fabrik
verbrachten, um dem Proletariat seine Ausbeutung zu erklären und dabei nicht
imstande waren, die Arbeitswirklichkeit auszuhalten.
3
Richard Sennett (2004): Respekt im Zeitalter der
Ungleichheit, Berlin, S. 136.
4
Vgl. FN 1.
5
Richard Sennett (2005): Die Kultur des neuen Kapitalismus,
Berlin, S. 24f.
6
Markante Beispiele bleiben das Staudammprojekt von Hoover,
die Politik des New Deal seines Amtsnachfolgers Roosevelt, die
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Hitlers.
7
Die offiziellen Statistiken des Bundesamtes weisen eine
Erhöhung des Anteils der »Angestellten und Beamten« an den Erwerbstätigen aus
(von 20,0 %, 1950 auf 54,4 % 2000), bei gleichzeitigem Rückgang des Anteils der
»Arbeiter« (von 50,8 % auf 34,6 %). Das sagt etwas über den Status, nicht viel
über »bessere oder schlechtere« Arbeit aus. Der Begriff Lohnarbeit hat nichts
mit dem Unterschied zwischen manueller oder nichtmanueller Arbeit, nichts mit
der Einkommensbezeichnung Gehalt oder Lohn zu tun, er bezeichnet nur als
Pendant zum Kapital ein gesellschaftliches Abhängigkeitsverhältnis, nämlich nur
Besitzer der eigenen Arbeitskraft zu sein. So definiert ist der Begriff
Erwerbsarbeit eigentlich tautologisch. Vernünftig wäre die Reduzierung des
Begriffs Erwerb auf den Einkommenserhalt ohne eigene Arbeit.
8
Die Tatsache, dass sie durch die Gestaltung der Politik der
Wiedervereinigung auch finanziell völlig überlastet wurden, machte die
Angelegenheit nur brisanter. Fällig wäre sie sowieso gewesen.
9
Die negativen Eigenschaften dieses Systems werden nur selten
beachtet. Denn durch die Ausschaltung von kommunizierenden Zwischenebenen, in
denen Erfahrung und Organisationssensibilität zur Grundausstattung gehörten,
entstehen Löcher, die mit Informationsflut gestopft werden sollen,
obwohl Sprechen notwendig wäre. Reibungsloser funktionieren die neuen Systeme
jedenfalls nicht.
10
Sennett: Respekt, S. 136.
11
Engler, S. 16.
12
Engler, Klappentext.
13
So die Interpretation von Englers Buch in einer
Kurzrezension der SZ, 16.4.05.
14
Engler, S. 141.
15
Nicht von ungefähr erkennt Jens Bisky in einer Rezension
(»Nach der Arbeit«) in Englers Vorstellungen »ein Unterfangen im Geist des
deutschen Idealismus«, SZ 62/2005.
16
Gert Schäfer (1993): »Hannah Arendt und die politische
Freiheit«, in: ders.: Macht und öffentliche Freiheit. Studien zu
Hannah Arendt, Hannover/Frankfurt am Main (Diskussionsbeiträge des
Instituts für politische Wissenschaft der Universität Hannover Nr. 18), S.
17–18.
17
Engler, S. 361.
18
Oskar Negt (2002): »Armut als unterschlagene Wirklichkeit«,
in: Kritische Interventionen 7 (Thema: »Armut als Bedrohung. Der soziale
Zusammenhalt zerbricht. Ein Memorandum«), Hannover (Offizin), S. 18–19.
19
Robert Castel (2005): Die Stärkung des Sozialen. Leben im
neuen Wohlsfahrtsstaat, Hamburg, S. 117, 119.
20
Ebd., S. 122.
21
Ebd., S. 95.
22
Ebd., S. 101.
»Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur«, Ausgabe
4/05.