Balduin Winter

Editorial

 

 

Nordkoreas Raketenversuche haben kein großes Aufsehen erregt, auch nicht die Anwesenheit einer iranischen Delegation. Die UN-Verurteilung war ein routinemäßiger Akt, dem sich auch die VR China angeschlossen hat. Damit ist Nordkorea isoliert. Brasilien will US-gestützt ins Nukleare seiteinsteigen – auch das ist, nach den dunklen Schafen Israel, Pakistan und Indien, nichts Aufregendes mehr. Die Welt füllt sich jenseits des unzureichenden Atomsperrvertrags mit Nuklearmaterial und Krisen. Nicht selten wird, wer nuklear aufrüstet, selbst zu einem Teil der Krisen. Einige der Hauptkonfliktzonen der Welt sind heute überschattet von der Möglichkeit des Einsatzes nuklearer Waffen. Auch im Nahen und Mittleren Osten wächst diese Drohung noch mehr, wenn weitere Staaten nuklear aufrüsten.

Die Regionalmacht Iran will sich dem Atom-Diktat der USA und der EU nicht beugen. Und findet – wie beim G 8 Gipfel in St. Petersburg augenscheinlich wurde – in Russland eine Art Schutzmacht, die ein gewisses Verständnis für besondere Seiten der iranischen Politik zeigt. Verteidigungsminister Sergej Lavrov behauptete zum Beispiel, es gäbe keine Zusammenarbeit zwischen Iran und der Hizbullah. Da waren bereits Details über ihre Arsenale bekannt. Doch der wieder erstarkte Kreml verfolgt andere Interessen als die USA in Vorder- und Mittelasien, Putin will alten Einfluss zurückgewinnen. Die Gelegenheit ist günstig.

Entwickelt sich hier ein Dreieck Iran–Syrien–Russland? Assad und Ahmadinejad haben im Juni einen militärischen Beistandspakt abgeschlossen. Iran sichert Syrien militärische Unterstützung im Falle eines israelischen Angriffs zu und finanziert syrische Waffenkäufe aus China und Russland mit. Trotz des Fehlens gemeinsamer Grenzen betrachtet der Iran »Syriens Sicherheit als seine eigene«. Überhaupt kann man die iranische Außenpolitik als erfolgreich bezeichnen. Erst im Herbst hat ihr großsprecherischer Präsident eine »Wende« angekündigt, weg vom Westen, Ausbau der russischen und asiatischen Beziehungen und Festigung der Position als Regionalmacht. Iran hat mit Indien, China und Russland Großverträge geschlossen. Seine Position im islamischen Halbmond ist aufstrebend. Die unversöhnliche Rhetorik seiner Führer gegenüber Israel und den USA macht Eindruck auf die »arabische Straße«; erst recht die materielle Unterstützung der gegen Israel kämpfenden Organisationen über die Glaubensspaltung hinweg. Für die sunnitische Straße sind Hizbullah und Hamas keine Terrororganisationen, Ahmadinejad kein iranischer Fanatiker. Für sie ist heute der Schiit Hassan Nasrallah der neue Held, der in ihren Augen im Gegensatz zu den feigen arabischen Herrscher die palästinensische Schmach rächt.

Politisch kann aber der Iran in der arabischen Welt nicht so recht Fuß fassen, obwohl einige Umstände dafür sprächen. Mit ihrem Krieg im Irak haben die USA viele Sympathien verspielt. Der Irak – mit den USA als seit drei Jahren anwesende Regionalmacht – ist ein Krisenherd geblieben. Lediglich der von den Amerikanern forcierte Reformdiskurs hat einen gewissen Einfluss auf die meisten Länder genommen, und Libyen hat eine politische Wende vollzogen. In den arabischen Ländern selbst scheinen zwei Tendenzen vorzuherrschen: bei Ägypten und den Golfstaaten eine eher gemäßigte Haltung, sich nicht in eine Konfrontation zum Westen – konkret: zu Israel – hineintreiben zu lassen, gegenüber der radikalen Haltung Teherans es eher mit vorsichtigen Reformen zu versuchen; bei den peripheren Staaten des Halbmonds, zum Beispiel im Maghreb, ist eine gewisse Indifferenz in der Haltung gegenüber Israel zu bemerken. Schlagartig deutlich wurde dies auf dem kleinen OAS-Gipfel in Kairo anlässlich der israelischen Militäraktion im Libanon. Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien verurteilten die Hizbullah-Aktionen, Libanon und Syrien die israelische Aktion, einige Außenminister rangen nach einer »sanften« Deklaration, andere wirkten, so Al-Ahram, »desinteressiert«. Statt der früheren (zumindest demonstrierten) panarabischen Einheit also tiefe Verwerfungen.

Israel wird, und das verlangt jeder souveräne Staat von seinen Nachbarn, immer sein Existenzrecht einfordern. Auch Kuweit hat das eingefordert, als es 1990 von Saddam Hussein überfallen wurde. Der Unterschied ist nur, dass Kuweit als einem kleinen und schwachen Staat von der Staatengemeinschaft geholfen werden musste, seine Souveränität wiederherzustellen. Israel hingegen ist in der nahöstlichen Region ein starke Militärmacht. Es weiß sich selbst zu helfen. Die freiwillige Räumung des Gaza-Streifens hatte offensichtlich nichts mit Schwäche zu tun, wie die Radikalen der Gegenseite glaubten, die außerdem eine mögliche Anerkennung Israels durch ein palästinensisches Referendum abwehren mussten.

Aber die Stärke der einen stärkt das Misstrauen der anderen. Gewinnen kann in dieser unübersichtlichen und unberechenbaren Lage niemand. Es gibt die Auffassung, Krieg mache alles einfach, aber er vereinfacht nichts, im Gegenteil. Gespräche sind wieder in weite Ferne gerückt. Bestimmt werden aber die iranischen Radikalen die Krise nicht lösen, denn sie brauchen sie.

»Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur«, 4/2006