Balduin Winter

Editorial

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Ausnahmezustand gegen den Terror? Einige von Schäubles Maßnahmen weisen de facto darauf hin. Als »glühender Anhänger der freiheitlichen rechtsstaatlichen Verfassung« will er ihre tragenden Pfeiler erneuern: »Wir leben nicht mehr in der Welt des Jahres 1949.« Damals musste man die Deutschen, viele von ihnen Mitwirkende des Nazi-Terrors, daran erinnern, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Heute wird mit verbaler Nonchalance die Rakete auf den in einer Höhle vermuteten Bin Laden hingeworfen. Bleiben da für den »Präventivstaat« Werte des christlichen Abendlandes auf der Strecke, die Schäuble oft schon eloquent zu vertreten wusste? Jenseits jeder Debatte über die Ethik dieses Treibens: Von den »gezielten Tötungen« weiß man, dass in der Regel nur ganz selten das zu erlegende Objekt (»Mensch«) getroffen wird. Inzwischen gibt es unzählige Fälle in Gaza, Westjordanland, Afghanistan, Irak. Wie viele »Kollateralschäden«, Zivile, Frauen, Kinder?

Hochmilitarisiert kommt hier politisches Denken daher, entsprechend unterkomplex seine Argumentation. Aufhänger sind die jüngsten misslungenen Anschläge in Glasgow und London, dazu orakelt der Innenminister nach innigen Kontakten mit Michael Chertoff, Bushs Überwachungsminister lapidar: »Die Wahrscheinlichkeit von Anschlägen ist so hoch wie nie zuvor.« Und sagt selbst, das wäre keine Panikmache. Immer die andern. Nebenbei: Man möchte alle potenziellen Attentäter kennen. Alle – wie viele? Und dazu alle Maßnahmen setzen. Bis in die Verfassung hinein. Bundespolizeiwehr in Heiligendamm war schon ein Vorspiel. Allerdings nicht gegen Terroristen, sondern gegen ihre Bündnispartner, die Globalisierungsgegner. Die kennt man ja alle. 1949...? Schäuble möchte die Verfassung für etwas ganz Neues verhandelbar machen, heute ist außen innen und innen außen und die altmodische Gewaltenteilung ganz unhandlich geworden.

Im Englischen gibt es den Begriff der incapacitation, der »Unschädlichmachung« des Terrorismus. Dieses Programm betont den pragmatischen Erfolg, die Mittel werden nach dem Zweck ausgewählt, der erreicht werden soll: ob der gefährliche Akteur bekehrt, therapiert, integriert, inhaftiert oder exekutiert werden soll. Es wäre naiv, im Kampf gegen terroristische Gruppen auf militärische Mittel zu verzichten; ihn jedoch nur oder im Wesentlichen mit solchen zu führen, birgt zwar nicht die Unmöglichkeit eines Sieges, aber die hohe Wahrscheinlichkeit seines Scheiterns. Auf neue sozialwissenschaftliche Erkenntnisse beruft sich das Buch des Kriminologieprofessors Sebastian Scheerer, der in seinem schon 2002, also vor Irak, erschienenen Essay Die Zukunft des Terrorismus mehrere Szenarien durchspielt. Eines versucht, unter Verzicht auf metaphysische Verabsolutierungen (Gute gegen Böse), sich an die politischen Kerne heranzuarbeiten: Um zu vermeiden, »dass Sicherheit und Terror ein einziges tödliches System bilden, in dem sie ihre Handlungen wechselseitig rechtfertigen und legitimieren« (Giorgio Agamben), muss eine Strategie entwickelt werden, »welche die ›Herzen und Köpfe‹ zu gewinnen sucht; der Politik des Ausschlusses gilt es eine der Einbeziehung entgegenzusetzen« (Mary Kaldor). Die Formulierung hat zwar ins Handbuch der US-Soldaten Eingang gefunden, in die Politik der USA oder anderer westlicher Mächte jedoch eher nicht.

Erfolgsgarantie gibt es für keine Strategie. Ein Erfolg wäre, wenn sich Herr Schäuble wirklich etwas Neues ausdächte, etwas selbst Nachgedachtes, das nicht gleich die Verfassungsrichter auf den Plan ruft. Zu sehr sind seine Vorschläge entlang Mr. Bushs war on terror und homeland security nach gedacht, deshalb bekommt er die Kritik der Guantanamoisierung zu hören. Doch etwas mehr Originalität als das Erfinden solchen Sprachquatsches ist auch von den Kritikern zu erwarten. Insbesondere von den Mitregenten. Aber die Sicherheitsbroschüre von Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD, geht zum Teil noch über Schäuble hinaus. Wiefelspütz sieht bei einem Terrorangriff den Verteidigungsfall gegeben und folgert den Ausnahmezustand aus dem Grundgesetz.

Ganz andere strategische Gedanken äußerte der frühere Radikalislamist Hassan Butt, der in London für ein Ende des Terrors appellierte. Noch im Sommer 2005 nach den Attentaten bekannte sich Hassan Butt bedingungslos zum Jihad, zählte zum harten Kern des extremistischen Netzwerkes in Großbritannien und kannte den führenden Kopf, Mohammed Siddique Kahn. Sein Manifest nun nennt die islamistische Theologie als Triebfeder des Handelns. Die meisten islamischen Institutionen wollen jedoch, so Butt, nicht über Theologie reden, was den Radikalen des religiösen Denkens freies Spiel lasse. Ihre rückwärts gewandte Radikalität baue auf mittelalterlichen Dualismus. »Doch diese Entmystifizierung könne nicht geleistet werden, solange die einzigen Brücken der Interaktion diejenigen zwischen den radikalen Islamisten und den Sicherheitsdiensten sind.« Es sollten daher Muslime und Nichtmuslime offen über die den Terror alimentierenden Ideen diskutieren. Das fehlte schon im Otto-Katalog, das fehlt in Schäubles Katalog. Das ist natürlich eine etwas andere Auseinandersetzung als der Islam-Dialog des Papstes. Dabei fand dieser schon viel Beachtung bei den Muslimen.

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 4/2007