Ereignisse & Meinungen

Balduin Winter

Hegemonismus am Golf

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Am Golf zeichnet sich ein Ringen zwischen Iran und Saudi-Arabien ab. Seitdem das einst im Nahostkonflikt mächtige Ägypten ins zweite Glied zurückgetreten und der Irak zerschlagen worden ist, schwingt sich Saudi-Arabien mehr und mehr zum Sprecher der arabischen Staaten auf. Das hat sich deutlich in der jüngsten Palästina-Krise gezeigt. Wiederholt vermittelten dort die Saudis, brachten nach den Januar-Kämpfen die beiden Bürgerkriegsparteien Fatah und Hamas zur Unterzeichnung des Mekka-Abkommens.

Doch die mittlerweile maßgeblich vom Iran beeinflusste Hamas – so verschiedene Medien nahöstlicher Staaten wie die Kairoer Al-Ahram, die jordanische Al Rai, Kuwaits Al-Siyassa, die Beiruter Al-Safir, die Al-Ayyam der palästinensischen Autorität, Al-Quds in Jerusalem, die (von den Saudis gesponserte) Londoner Al-Sharq Al-Awsat und andere zwischen 15. und 18.6. Übereinstimmend – hat endgültig die palästinensische Sache des Friedensprozesses verlassen: »Sie versieht die Gesellschaft mit zerstörenden Ideen des Iran wie die Herrschaft der Rechtsgelehrten«, »Hamas ist wie Hizbullah im Libanon geworden. Beide ... haben nur blinde Verpflichtungen auf die jeweilige Linie in Syrien und Iran.« »Die Muslime müssen verstehen, dass das Emirat der Hamas in Gaza das Modell ist, das die Islamisten in allen Ländern einzupflanzen beabsichtigen.« Als Hamas die Fatah-Milizen aus dem Gaza-Streifen vertrieb, setzte sie sofort »gesellschaftspolitische« Maßnahmen gemäß der Scharia in Gang. An das Mekka-Abkommen fühlten sich die Hamas-Führer nicht länger gebunden, da er nach islamistischer Auffassung »ein Vertrag mit Ungläubigen« ist und daher keine Verbindlichkeit habe. Verträge werden von der Hamas nur als Mittel zum Zweck geschlossen, ihre Charta erklärt ausdrücklich: »Es gibt keine andere Lösung für die palästinensische Frage als den Jihad.« Hamas hat auch die saudischen Vermittler, die noch im Frühjahr mit der Friedensinitiative König Abdallahs aus dem Jahr 2002 (»Land gegen Frieden«) zu reüssieren versuchten, abblitzen lassen.

Dass sich im Nahen Osten islamische Stellvertreterkriege abspielen, wurde schon 2006 im libanesischen 33-Tage-Krieg deutlich. Hier hat Saudi-Arabien den sunitischen Präsidenten Fuad Siniora unterstützt. Für die iranische Führung ging es sozusagen um ein Heimspiel, war doch die Schiitenmiliz 1980 mit ihrer Mentorenschaft entstanden. Durch das Bündnis mit Syrien, systematische militärische Schulung der Hizbullah-Kämpfer sowie deutlich verbesserte Ausrüstungen und seitens der Israelis ein »extrem schlecht gemanagter Krieg« (so der ehemalige Verteidigungsminister Moshe Arens in Haaretz, 13.8.06) war Hizbullah – und somit im Hintergrund der Iran – der politische Sieger; die »arabische Straße« feierte dementsprechend Hassan Nasrallah. Auch auf religiöser Ebene sind das iranische Regime und Hizbullah eng verknüpft, schreibt Carsten Wieland vom Goethe-Institut Kairo in INAMO 47/2006: »Die Hizbullah und ihr Höherer Schiitischer Rat folgen den dogmatischen Vorgaben des iranischen Ayatollah Khamenei und erkennen ihn offiziell als geistlichen Führer an. Dieser hatte auch Nasrallah 1995 als einen seiner religiösen Stellvertreter im Libanon ernannt.«

Angesichts des iranischen Einflusses auf die Levante und den Palästina-Konflikt sprach der jordanische König Abdullah II. schon während des Libanon-Kriegs von der Gefahr eines »Shiite Crescent« (Guardian, 21.7.06). Auch Ägyptens Mubarak und saudische Führer haben davon gesprochen, dass der Iran die Schiiten anderer Länder zur Einflussnahme nutze. Allerdings muss man sehen, dass mit der islamischen Revolution Khomeinis 1979 erst einmal eine Aggressionswelle auch in die andere Richtung lief, als Saddam Hussein, unterstützt von der Sowjetunion, den USA, anderen westlichen Mächten und den meisten arabischen Staaten, den Iran mit einem »Blitzkrieg« 1980 überfiel, der dann bis 1988 dauerte. Saddam Hussein wollte die Gelegenheit nutzen, von den »persischen Hunden« »arabisches Land« »heimholen«. Tatsächlich gibt es ungeklärte Grenzfragen, ethnische Verwickeltheiten, arabische Minderheiten im Iran, religiöse Spaltungen in beiden Ländern. Zwei eigentlich alte Bruchstellen der islamischen Welt traten wieder verstärkt hervor: der ethnische Konflikt zwischen Arabern und Persern, der sich hier in unverhohlenem Rassismus äußerte; und der religiöse, der sich vordergründig in der Spaltung zwischen Sunni-Mehrheit und Schia-Minderheit ausdrückt, noch wesentlicher aber im Kampf zweier Linien, nämlich zwischen dem richtigen Weg des echten Glaubens und dem falschen der Ungläubigen (nach: André Miquel, Henry Laurens: Der Islam. Eine Kulturgeschichte. Religion, Gesellschaft und Politik, Heidelberg 2004). Denn im Kampf um den richtigen Weg können sich Sunniten und Schiiten zusammenfinden – darum ging übrigens auch der politische Streit bei al-Qaida zwischen bin Ladens Stellvertreter Ayman al-Zawahiri und dem »Emir von Irak«, Abu-Musab Al Zarqawi: Ersterer wollte sie einbeziehen, letzterer sie bekämpfen (siehe Jason Burke: Al-Qaida. Wurzeln, Geschichte, Organisation, Düsseldorf 2004, S. 323).

Erstmals seit dem Untergang des Kalifats mit der formalen Auflösung des Osmanischen Reiches und seines Sultan-Kalifats 1924 ist durch die islamische Revolution im Iran die Führungsfrage in der islamischen Welt wieder gestellt worden. Dass der Iran in diesem Krieg nicht besiegt werden konnte, dass sich in der Folge mit Afghanistan im Kampf gegen die Sowjetunion noch ein weiteres Land »revolutionierte« und (vorübergehend) das Emirat errichtete, war für viele ein Zeichen der Wiedererstarkung des Islams. Weltweit bedeutet das: Die entscheidende Blockade für die Globalisierung, der Sowjetblock, war überwunden. Diejenigen, die zur Überwindung der Blockade nicht unwesentlich beigetragen haben, die Radikalislamisten mit ihrer theokratischen Inkarnation in Gestalt des Iran – auch in der Strategie eines bin Laden spielt er eine wesentliche Rolle (siehe Fuad Husain, al-Quds al-’Arabi, 11.7.05) –, traten nun an die Stelle des Besiegten als Haupthindernis der Globalisierung. In der islamischen Welt setzte eine Entwicklung ein, die nicht nur den zumeist weltlichen und auf westliche Geschäfte orientierten arabischen Despoten entgegenlief. Sie musste auch jenem Herrscherhaus missfallen, dem man noch am ehesten eine fundamentalistische Ausrichtung nachsagen konnte.

Je massiver ein Regime sich auf die Religion beruft, desto weniger bedeutet ihm weltliche Staatlichkeit. Von Iran gingen in der Folge eine Reihe von Übergriffen auf die Golfregion aus, die die Golfstaaten erschreckten und die Saudis beunruhigten. 1981 wird auf der arabischen Halbinsel der Golfkooperationsrat als gegenseitiges Schutzbündnis gegründet. Tatsächlich versuchte 1981 die von Iran unterstützte islamische Befreiungsfront von Bahrain einen Staatsstreich. 1983 bombardierten vom Iran unterstützte schiitische Gruppen westliche Botschaften in Kuwait. 1985 misslang ein Anschlag auf den Emir von Kuwait. Ein Hauptstreitpunkt in den Achtzigern und Neunzigern wurde die islamische Wallfahrt, die Hajj, zum Brennpunkt des Konflikts. Als Hüter der heiligsten Stätten des Islam, Mekka und Medina, ist das Königshaus der Al-Saud für die Organisierung der Wallfahrt verantwortlich, zu der jährlich rund zwei Millionen Muslime pilgern. Die iranische Seite versuchte seit 1981 massiv Einfluss zu nehmen, was das saudische Königshaus mit Verordnungen und schließlich mit Gewalt unterbinden ließ. Als iranische Revolutionswärter 1987 eine Demonstration von 60000 teils bewaffneten Pilgern organisieren, schießt die saudische Nationalgarde in die Menge, es gibt 402 Tote. Iran boykottiert zwei Jahre die Wallfahrt. Danach kommt es bald wieder zu politischer Propaganda und untersagten schiitischen Geißelungsriten. Es gibt heftige ideologische Auseinandersetzungen, weil die Wahhabiten den religiösen Charakter der Hajj hochhalten, während die Schiiten den Islam als »Kampfreligion« verstehen. Die Mullahs greifen die wahhabitischen Geistlichen massiv als »Privatgelehrte eines von den Amerikanern beschützten Königshofes«, der keine Legitimation für die Umma habe, an: »Man muss die Verwaltung der Heiligen Orte den Nachkommen von Abdul-Aziz (Begründer der Saud-Dynastie, Anm. B. W.) entziehen und einem Rat anvertrauen, dem alle Nationen des Islams angehören«, fasst Richard Yann die iranischen Forderungen zusammen (Richard Yann: L’Islam chiite, Paris 1991, S. 259).

Der Islam ist auch die tragende Säule in Saudi-Arabien. Zwar herrscht in Saudi-Arabien ein äußerst diktatorisches Regime strenger wahhabitischer Fundamentalisten, dessen Vorfahren die haschemitischen Herrscher – heute das Königshaus in Jordanien, das angeblich auf Mohammed zurückgeht – aus Mekka und Medina vertrieben haben. Von den iranischen Führern wird das saudische Königshaus daher auch als »Thronräuber« beschimpft. Es ist ein vorwiegend von den USA militärisch enorm aufgerüstetes Rentnersystem, das etwa 12000 Familienmitglieder aus den Öleinnahmen alimentiert. »Für die iranischen Regierenden stellt das Wahhabitenregime des Al Saud das religiöse, politische und wirtschaftliche Haupthindernis für ihren Ehrgeiz dar, sich zu Führern des weltweiten Islams zu erheben und für ihren Willen, aus dem Iran das Modell des authentischen islamischen Staates zu machen. Sie zielen daher auf die Grundlagen der saudischen Herrschaft, indem sie auf verschiedene Art seinen illegitimen Charakter untergraben. Sie stellen die Dynastie in Frage mit dem Hinweis auf den Koran, dass es ›keinen König im Islam‹ gibt, dem die Macht auf erblichem Weg erhalten bleibe. Dagegen stellen sie den Grundsatz des ›velâyat-e faqîh‹, das Prinzip der islamischen Republik, demzufolge die Macht den Ulemas gehört, den religiösen Juristen als führenden Schriftgelehrten; innerhalb einer Familie – noch dazu in einer, ›die nie in der Wissenschaft und selten durch ihre Religiosität geglänzt habe‹ – könne nur weltlicher Besitz übertragen werden. Der Vergleich zwischen dem Schah-Regime und jenem, das von Abdul-Aziz Ibn Saud eingeführt wurde, leitet die religiöse Kritik der iranischen Führer am politischen Verhalten der königlichen Familie.« (Ignace Leverrier: »L’arabie saoudite, le pèlerinage et l’Iran«, in: Cemoti, Nr. 22, Arabes et Iraniens, März 2005, http://cemoti.revues.org/document137.html )

Es ist ein politisch-religiöser Konflikt, in dem die iranischen Führer versuchen, Saudi-Arabien ideologisch, über die Religion, zu delegitimieren und Positionsgewinne im politischen Machtkampf zu erringen. Bisher ist Hamas der einzige Terraingewinn beim Versuch, sunnitische Bastionen zu erobern. In den letzten Monaten ist auch in den arabischen Ländern das Misstrauen gegenüber den iranischen Bemühungen gestiegen, insbesondere durch den palästinensischen Bürgerkrieg. »Wir sehen die interne Zwietracht in Palästina, die zerstörende Zwietracht im Libanon und die lebensgefährliche Zwietracht im Irak«, sagte König Abdallah in einem Interview im Januar 2007 offen zu den iranischen Aktivitäten, und der liberale saudische Journalist Othman Al-Omeir meinte, ein Eingreifen des Iran im Irak ergäbe ein Blutbad (Al-Siyassa, 27.1.07 und elaph.com, abgedruckt in Al-Siyassa, 29.1.07). Der saudische Außenminister Al-Faisal drohte dem Iran mit der Ölwaffe: Saudi-Arabien könne seine Förderkapazitäten deutlich erhöhen und dadurch massiven Druck auf den Ölpreis machen; durch dessen Senkung würde die iranische Wirtschaft arg ins Schleudern kommen, denn seine Prognosen beruhen auf dem derzeit hohen Ölpreis (siehe dazu Nimrod Raphaeli: »Der Mittlere Osten auf Kollisionskurs (6): Die saudische Ölwaffe«, in: MEMRI Spezial Nr. 326 vom 14.2.07).

Die Saudis streben nun offensichtlich an, geegen den iranischen Hegemonismus die arabische Einheit herzustellen. Daher treten sie nun, anders als 2002, mit großem Nachdruck zu ihrem Friedensplan für den Kernkonflikt in Palästina auf. Sie gehen davon aus, dass die Araber ihre Angelegenheiten selbst mit den Israelis aushandeln müssen und dass es dabei keine taktischen Manöver mehr geben darf. Saudi-Arabien ist also nun das politische Gegengewicht zum Iran im Nahen und Mittleren Osten geworden. Der ägyptische Publizist Dina Ezzat bezeichnet diese Tatsache als »Riad-Faktor« (Al-Ahram, 5.4.07). Hat sich Saudi-Arabien in den Neunzigerjahren in Regionalforen oder in der Arabische Liga sehr passiv verhalten, so nimmt es heute geradezu eine Leaderposition ein: Kein Konflikt, zu dem Riad nicht eine Position ergreift, ob Palästina, Libanon, Sudan oder Somalia. »Saudi-Arabien scheint 2007 zum Jahr der saudischen Diplomatie im Nahen Osten zu machen.«

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 4/2007