Michael Werz

»Amerika, dies ist unser Augenblick«

Barack Obama schreibt Geschichte

 Nichts ist im Kampf um den Einzug in das Weiße Haus in Washington entschieden. Und doch haben jetzt schon entscheidende Änderungen in den USA stattgefunden. Denn mit der Person des Kandidaten der Demokraten für die Präsidentschaft, so unser Autor, haben sich schon jetzt Veränderungen in der politischen Langzeitdimension ergeben. Und eine große Herausforderung.

Am 3. Juni 2008 lief amerikanische Geschichte im Zeitraffer ab. Es war der Tag, an dem der ebenso unerwartete wie kometenhafte Aufstieg von Barack Obama einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Vor über 17.000 begeisterten Anhängern in St. Paul, Minnesota, erklärte er sich zum demokratischen Kandidaten für das Weiße Haus. Nach einer nicht enden wollenden Serie von Vorwahlen hatten die Abstimmungen in Süd-Dakota und Montana an einem langen Dienstagabend endlich die Entscheidung gebracht. Der Kandidat sprach über den unwahrscheinlichen Moment, der nach anderthalb Jahren politischer Kampagne gekommen war: »Amerika, dies ist unser Augenblick.«

Und in der Tat schloss sich mit der ersten Nominierung eines schwarzen Präsidentschaftskandidaten scheinbar ein historischer Kreis, der 389 Jahre zurückreicht. Damals begann die Sklaverei auf nordamerikanischem Boden durch einen Zufall. Das holländische Schiff »Weißer Löwe« hatte zwanzig Afrikaner nach der Kaperung einer spanischen Galeone erbeutet, die in Richtung Mexiko in See gestochen war. Die Gefangenen wurden in Virginia gegen Lebensmittel getauscht, Amerika hatte seine ersten Sklaven importiert. Auch nach Unabhängigkeitskrieg und verfassungsgebender Versammlung blieb die düsterste aller amerikanischen Institutionen weitgehend intakt. Zwei Jahrhunderte nach dem »Weißen Löwen« erreichte der französische Historiker Alexis De Tocqueville die Vereinigten Staaten und schrieb in seinem legendären Bericht über Die Demokratie in Amerika im Jahr 1853, dass selbst die Abschaffung der Leibeigenschaft das Rassenvorurteil nicht beseitigen würde, denn es sei »unveränderlich«.

Sowohl die Erbsünde der Sklaverei als auch Tocquevilles düstere Prophezeiung stehen nach dem 3. Juni auf dem Prüfstand, und die Tragweite dieses amerikanischen Augenblicks ist allenthalben zu spüren. Pessimisten behaupten, der Senator aus Illinois habe sich auf eine aussichtslose Mission begeben, Optimisten sehen die sensationelle Wählermobilisierung als Vorzeichen einer dramatischen Erfolgsgeschichte. Bei den Wahlen im November dieses Jahres werden die AmerikanerInnen entscheiden, ob sie Geschichte schreiben, indem sie mit ihr brechen.

Barack Obama hat eine uneindeutige Herkunft. Er ist in Kansas, Indonesien und Hawaii aufgewachsen; als Sohn einer weißen Mutter und eines Vaters aus Kenia gehört er zu einer neuen Gruppe von Amerikanern. Er ist nicht allein; der Zensus des Jahres 2000 war an die Realitäten des Landes angepasst und die Befragten konnten erstmals mehr als eine Rassezugehörigkeit ankreuzen. Sechs Millionen machten davon Gebrauch. Von der New York Times auf seine Undefinierbarkeit hin angesprochen sagt Obama: »Ich bin ein Rorschach-Test; selbst wenn die Leute mich enttäuschend finden, haben sie vielleicht doch etwas davon.« Er wäre nicht nur der erste schwarze Präsident der USA, sondern auch der 44. weiße Präsident.

Natürlich gilt noch die alte Gleichung »schwarz plus weiß gleich schwarz«, aber Obamas Biografie weist über diese traditionelle Farbkonstellation hinaus. Einen »Wendepunkt in der amerikanischen Geschichte« nennt der ehemalige Kongressabgeordnete Walter F. Fauntroy die Kandidatur, an deren Ende ein neuer Gesellschaftsvertrag stehen könnte, in dem Rasse, Glaube und Hautfarbe nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Für die jungen Unterstützer Obamas an High Schools und Universitäten sind solche Formulierungen weder überraschend noch von großer Wirkungskraft. Die Generation der Zwanzigjährigen ist in einer heterogenen Gesellschaft aufgewachsen, mit dem Bewusstsein, ein Teil davon zu sein. Der Harvard-Soziologe Orlando Patterson hat für diese neue Altersgruppe den klugen Begriff der »ökumenischen« Kultur geprägt, eine Kultur, die unbewusst heterogen ist.

Doch wer sich an die Bürgerrechtsbewegung und die nur ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Auseinandersetzungen erinnert, kann ermessen, dass Barack Obama dabei ist, die Karten in den USA neu zu verteilen. Die in seiner Person sinnbildliche Erkenntnis, dass die Mischung von Schwarz und Weiß sich nicht ausschließt, übersetzt sich umgehend in Politisches. Außenministerin Condoleezza Rice sagte unter dem Eindruck seiner Nominierung, dass »die USA ein außergewöhnliches Land sind, das zwei Jahrhunderte gebraucht hat, um seine Prinzipien zu verwirklichen«. Im gleichen Atemzug fügte sie mit Blick auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 hinzu, dass die Formulierung »Wir das Volk endlich beginnt, uns alle einzuschließen«.

Doch so einfach ist die Sache nicht, denn Barack Obamas Person produziert beständig Dissonanzen zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit. Da ist zum einen die großartige Rhetorik, die nicht mit der Realität verwechselt werden darf. Er kann zu einer großen Enttäuschung werden, weil seine Worte ein überschießendes Moment haben, das von der Wirklichkeit zurechtgerückt werden wird. Irak wird das erste Riff sein, das solche realitätstüchtigen Manöver erfordern wird. Bisher hat er nur Versprechen abgegeben.

Die Dissonanzen zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit betreffen auch seine Person. Barack Obama ist schwarz, aber sein Wahlkampf ist unendlich weit entfernt von traditioneller afroamerikanischer Rhetorik. Doch wenn er einen Raum betritt, dann sieht kaum jemand einen post-ethnischen Kandidaten. Das entspricht auch seinen Lebenserfahrungen in den südlichen Stadtteilen Chicagos; gefragt, ob er dort als Schwarzer wahrgenommen wurde, antwortet er ironisch: »Soweit ich das beurteilen kann, ja.«

Andererseits repräsentieren seine Erbschaften auf beiden Seiten der Farbgrenze die amerikanische Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Der Journalist James Burnett hat auf einen interessanten Punkt aufmerksam gemacht: Wenn Barack Obama nicht als gemischt wahrgenommen wird, »mindern wir die historische Bedeutung dessen, was er erreicht hat«, denn »es gab eine Zeit in unserem Land, da konnte man sich nicht als multi-ethnisch (biracial) identifizieren, ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen.« Barack Obama kommt aus einem biografischen Niemandsland, und seine ethnische Heimatlosigkeit stellt herkömmliche Wahrnehmungsmuster auf den Kopf – vielleicht für Schwarze noch mehr als für Weiße. Darum sind seine Erfolgschancen nicht leicht einzuschätzen, auch wenn alles auf einen demokratischen Kantersieg im November hindeutet. Wie auch immer die politische Situation sich entwickelt, kommentierte Frank Sesno bei CNN zu bester Sendezeit, »wir sind an diesem Ort noch nie gewesen.«

Der Ort, an dem noch nie jemand war, ist bevölkert von Emphatikern und Verunsicherten. Zu Ersteren zählt der Milliardär Bob Johnson, Besitzer des Fernsehkanals Black Entertainment Television. Er erklärte die Kandidatur zum wichtigsten Ereignis seit der berühmten Emanzipationsrede von Präsident Abraham Lincoln im Jahr 1863. David Gergen, früher Berater von Bill Clinton, erinnerte daran, dass die blutigen Auseinandersetzungen um integrierte Schulklassen in Little Rock, Arkansas, nur fünf Jahrzehnte zurückliegen und gestand in einem emotionalen Kommentar auf CNN zu, dass »Geschichte geschrieben« würde. Damals verwehrte in Arkansas ein weißer Mob neun schwarzen Schulkindern den Zutritt zur öffentlichen Schule, unterstützt von Gouverneur Orval Fabus, der sich sogar der Nationalgarde des Staates bediente, um die Rassentrennung aufrechtzuerhalten. Wenig später mobilisierte Präsident Eisenhower zum Schutz der schwarzen Schüler Einheiten der 101. Luftlandedivision nach Arkansas, die noch dreizehn Jahre zuvor in der Nacht vor der Normandie-Invasion bei Sainte-Mère-Église gegen die Wehrmacht gekämpft hatten.

Als die demokratische Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus Nancy Pelosi erklärte, Obama »eröffnet vollkommen neue Möglichkeiten für uns«, war allen Beteiligten klar, dass dieses »uns« weit über die demokratische Partei hinausreicht. Die Kandidatur verbindet nicht nur Amerikanerinnen und Amerikaner auf neue Weise miteinander, sie ruft auch historische Ereignisse mit einer Wucht in Erinnerung, die kaum zu beschreiben ist. Der junge Student Chad Mace beschrieb in einem Interview die sinnlichen und übersinnlichen Dimensionen des politischen Jahres 2008: »Es gibt nun ein neues Einfallstor für Träume schwarzer Männer. Die Sache ist intim geworden, sie ist persönlich geworden, und man fühlt sich aufgerufen, alles um einen herum zu mobilisieren – das ist der Magnetismus von Barack Obama.« Um solche Idealisierungen ist der Kandidat nicht zu beneiden, er trägt das Glücksversprechen der amerikanischen Verfassung auf seinen Schultern, und die Fallhöhe steigt mit jedem Tag.

Zwei Personen ermöglichten den atemlosen Augenblick der vergangenen Monate: Robert F. Kennedy und George W. Bush. Ohne die zerstörerischen acht Jahre des Bush-Cheney-Duos im Weißen Haus wäre die massive kulturelle und politische Gegenbewegung schlechterdings undenkbar. Solche »checks and balances«, gegenseitige Kontrolle und Gewaltenteilung, sind im politischen System der USA vorgesehen, um notwendige Kurskorrekturen zu ermöglichen. So hat es die Republikanische Partei im Jahr 2008 mit einem Umschwung zu tun, der die Partei zu zerreißen droht — Vergangenheit steht gegen Zukunft. Eine Fotomontage in der Washington Post brachte kürzlich die Diskrepanz zwischen Vietnam-Opa John McCain und Chicago-Newcomer Barack Obama auf den Punkt. Die Gesichtshälften der beiden Kandidaten wurden mit ihren cineastischen Gegenparts kombiniert: John McCain mit John Wayne und Barack Obama mit Will Smith. Gewinnt Obama im November, wird George Bush nicht als Kriegspräsident in die Geschichte eingehen, sondern als ebenso unwillentlicher wie unverzichtbarer Wegbereiter dieses amerikanischen Moments.

Doch es gibt auch eine politische Langzeitdimension, die nicht unterschätzt werden darf. Sie reicht zurück in die Ära der Bürgerrechtsbewegung und das Schicksalsjahr 1968, in dem Martin Luther King und Robert F. Kennedy ermordet wurden. Kennedy symbolisierte die Hoffnung auf politischen Fortschritt in einem zerrissenen Land. Seine Präsidentschaftskampagne war kurz und endete nach nur 82 Tagen zu dem Zeitpunkt, als in Vietnam die Tet-Offensive begann. Über zwei Millionen Menschen säumten die Gleise, als sein Sarg mit dem Zug von New York nach Washington überführt wurde.

Kennedys Ermordung am 6. Juni 1968 ist die erste politische Erinnerung für viele Journalisten, Politiker und Intellektuelle, die heute die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten prägen. Und zunehmend werden auch seine Reden wieder gelesen. Wie Barack Obama bewegte sich Robert Kennedy in unmittelbarer Nähe der schwarz-weißen Farbgrenze. Er bewies viel intellektuellen und politischen Mut, als er am Tag der Ermordung von Martin Luther King am 4. April gegen alle Empfehlungen des Secret Service eine Rede in einem schwarzen Getto in Indianapolis hielt. Von dem Dach eines Autos überbrachte er den Zuhörern die Nachricht vom Tod Kings und warnte vor weiterer Polarisierung. Gegen den Rassenhass tat er, was außer ihm kaum jemand in einer solchen Situation gewagt hätte, er zitierte Aischylos’ Agamemnon im Getto und vom Autodach: »Tropfen dringt im Schlaf ins Herz: der Gram eingedenk alten Leids; und es kommt weiser Sinn selbst wider Wunsch.« Amerika als griechische Tragödie, diese Verbindung brachte ihm Respekt und Beifall in einer schweren Stunde und an einem schwierigen Ort. Doch Kennedy setzte darauf, dass sich die Rassenkonflikte in den USA letztlich lösen lassen würden. Ein Satz, der damals utopisch klingen musste, wird in den vergangenen Monaten häufig zitiert: »Die Rassenbeziehungen ändern sich so schnell, dass ein Schwarzer in vierzig Jahren Präsident sein könnte.«

Genau vier Jahrzehnte später wurde der 3. Juni an vielen Orten der Welt gefeiert: in kenianischen Dörfern, in Südafrika mit dem Zeitungsaufmacher »This is our Moment«, auf den Straßen Japans und Indonesiens bis hin nach Hawaii. Der Weltbürger Barack Obama hält die Welt in Atem, es scheint, als sei er dabei, den Traum Martin Luther Kings zu realisieren. King hatte vor dem Lincoln Memorial im August 1963 eine Rede gehalten, die ihn zur Ikone der Bürgerrechtsbewegung werden ließ. Er sprach davon, »auf dem Berggipfel gewesen« zu sein. »Ich habe das Gelobte Land gesehen, ich werde nicht mit Euch dort hingelangen, aber wir als Volk werden es erreichen.« Der Spannungsbogen von den Sklaven auf dem holländischen Handelsschiff über Abraham Lincolns Emanzipationsrede und Martin Luther Kings Forderung des Glücksversprechens für Amerikaner aller Hautfarben bündelt sich in der Person Barack Obamas. Seine Kampagne hat alles dafür getan, ihn in diese amerikanischste aller Traditionen zu stellen, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Für die Gesellschaft spiegelt seine Kandidatur die ungeheuren Fortschritte seit der Zeit der Rassentrennung, politisch ist es ein Spiel mit hohem Einsatz und ebenso hohem Risiko.

Barack Obama hat es den Medien überlassen, seine Reise in polarisierenden Bildern zu interpretieren. Er beschränkte sich darauf, der Frau zu danken, die all ihre Energie in seine Erziehung investiert habe: seine weiße Großmutter. Der Bostoner Politikwissenschaftler Alan Wolfe hat Barack Obama treffend als den »idealen Mittelsmann« bezeichnet, der »genauso weiß wie schwarz ist«. In der Tat ist er an anderen Orten aufgewachsen als die traditionellen schwarzen Wortführer von Stokely Carmichael über Al Sharpton bis hin zu Jesse Jackson. Die Einwanderungsgeschichte seines Vaters ist ihm näher als die Rhetorik über die Wunden der Sklaverei, und seine Hautfarbe trat während des Wahlkampfes so sehr in den Hintergrund, dass Journalisten die Frage aufwarfen, ob er schwarz genug sei, afro-amerikanische Stimmen zu mobilisieren. Hinter dieser Frage verbirgt sich gesellschaftliche Differenz trotz identischer Hautfarbe: Obama verkörpert eine andere Mischung als jene, die aus den tabuisierten und oft gewalttätigen Beziehungen zwischen Sklavenhaltern und Sklaven hervorgingen. Condoleezza Rice brachte diesen Konflikt auf den Punkt, als sie in einem Interview mit den Herausgebern der konservativen Washington Times sagte, dass es zur schwarzen Erfahrung gehöre, dass »schwarze Amerikaner dieses Land zu einer Zeit liebten und Vertrauen in es setzten, als das Land sie nicht liebte und kein Vertrauen in sie setzte.«

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie hoch die Erwartungen im März dieses Jahres waren, als sich Barack Obama in der Kleinstadt Plainfield in Indiana erstmals ausführlich zur Rassenfrage äußerte. Mit seiner Rede erfüllte er die hohen Erwartungen. »Wir haben eine unterschiedliche Geschichte, aber einen gemeinsamen Traum«, lautete eine der vielen eingängigen Formulierungen, »ich habe viele kleine Stücke Amerikas in mir«, eine andere. Geboren im August 1961 ist er nicht Teil, sondern Produkt der Bürgerrechtsbewegung. Er gehört zu einer Altersgruppe, die als erste universelle amerikanische Generation gelten kann. Rasse und Hautfarbe trennen noch, aber die Hautfarbenlinien sind gebrochen und damit überschreitbar geworden. Darum treffen die traditionellen amerikanischen Narrative von Schwarz versus Weiß auf Obama nicht zu. Das ist verwirrend und eine Herausforderung an Sprache und Intellekt, denn das Neue lässt sich in den alten Begriffen nicht mehr erfassen. Barack Obama ist jemand, der, noch stockend und unsicher, diese neue Erfahrung zu formulieren versucht. Innerhalb von zwei Monaten wurde seine Indiana-Rede viereinhalb Millionen Mal bei YouTube abgerufen, mehr als 85 Prozent aller Amerikaner hatten einer Umfrage des Pew Centers zufolge von der Rede gehört.

Ausgangspunkt der Rede war die Biografie, die ihn »nicht zum konventionellsten aller Kandidaten gemacht hat. Aber es ist eine Geschichte, die in mein genetisches Make-up eingebrannt ist; die Vorstellung, dass diese Nation mehr ist als die Summe ihrer Bestandteile – dass wir wahrhaftig Einheit aus Vielheit schaffen.« In dieser Konstellation liegt das oft unheimlich anmutende Moment der Transzendenz von Barack Obama. Er ist in der Lage, seine persönlichen Erfahrungen mit denen von Weißen und Schwarzen zu verbinden und in politische Themen zu übersetzen.

Seine Dankesrede zur Nominierung wird am 28. August stattfinden, auf den Tag genau 35 Jahre nach der legendären Rede von Martin Luther King zu Füßen des Lincoln Memorial in Washington. Dass Barack Obama nicht in Washington, sondern im Football-Stadion der Denver Broncos vor 75.000 Zuhörern sprechen wird, hängt mit der Verwestlichung der Vereinigten Staaten zusammen. Kalifornien, Texas und Colorado sind die politischen Zukunftsmärkte, und das Ringen der meist mexikanischen Latinos um Anerkennung stellt viele Bürgerrechtsfragen aufs Neue. Doch die Grundfrage des Kampfes von Martin Luther King ist auch für Barack Obama maßgebend. Während der langen Auseinandersetzung um Gleichberechtigung in öffentlichen Verkehrsmitteln während der Sechzigerjahre, durch die sich Martin Luther King als landesweite Führungspersönlichkeit etablierte, beschwor er immer wieder die allseitigen Dimensionen des politischen Kampfes. Das Problem sei »nicht allein ein Rassenproblem, das Schwarze gegen Weiße setzt«, erklärte King, denn »letztlich ist es gar kein Kampf zwischen Menschen, sondern eine Spannung zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit.« Die große Herausforderung für Barack Obama liegt darin, diese Dimension seiner Kandidatur auszuformulieren. Gelingt ihm dies, wird er auf dem Weg in das Weiße Haus kaum aufzuhalten sein.

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 4/2008