Balduin Winter

editorial

Ölkrise. In der Debatte wird nun oft an die Siebziger erinnert. Der starke Retro-Bezug in Politik, Medien und Wirtschaft konterkariert die Hymnen auf Globalisierung, informationelle Revolution und innovative Wissensgesellschaft. Dabei verdeutlicht ein Blick auf unsere Städte gewaltige Umwälzungen in den letzten dreißig Jahren: keine rauchenden Schlote, begrünt die Abraumhalden, begraben der Fordismus. Eine Erbschaft des Industrialismus gilt es noch zu lösen: weg von den endlichen fossilen Energieträgern, Öl und Gas, Kohle und Uran.

Da mutet es schon seltsam an, wenn die Welt zur Rettung der Glühbirne aufruft, die Union im Schulterschluss mit den Energiekonzernen den Atomkampf führt und die FAZ per Titelfoto – nostalgiebraune Bohrtürme in der Lüneburger Heide aus dem Jahr 1917 – gar anregt, wieder selbst nach Öl zu schürfen. Klar, Übergangslösungen sind notwendig. Entscheidend ist der Blick nach vorne und über den Tellerrand, eine klare Grundausrichtung. In seinem Essay über die Parteien und ihre Zukunft moniert Helmut Wiesenthal gerade die Selbstbezogenheit so genannter mittelgroßer Länder im Modernisierungsdiskurs. Ohne Blick auf globale Zusammenhänge, ohne Orientierung und Pfad werden die Schlaglöcher des Alltags zu tiefen Kratern, in denen sich AKW-Wahlkämpfe nach altem Muster abspielen.

Das Manager-Magazin raunt immerhin schon zukunftsblickend von einem »starken Wandel«, einer »teilweise entstofflichten Ökonomie«. Aktuell sieht es durchaus die schwarzen Schafe in den eigenen Reihen, die Spekulationswelle auf den Rohstoffmärkten, in die Hegde-Fonds wie Regierungen der reichen Länder verstrickt sind. Der Schub der aufsteigenden Länder sei allerdings ein »Rückfall ins Industriezeitalter«. Die alten Reichen und die Aufsteiger kaufen, beide mehr, als sie verbrauchen, Ölfirmen und Regierungen auf Vorrat, Geldbesitzer auf Spekulation, bis zu fünfzig Prozent über Bedarf. Tendenziell eine Spekulationskrise. Viele Ölländer haben den Output nicht verknappt, sondern produzierten auf Obergrenze. Weiter so, Prinzip Hoffnung, werden doch neue Riesenvorkommen gefunden, Brasilien, Iran, Arktis, Turkmenistan, Gas »für 500 Jahre«? Bald kommt der Irak wieder groß heraus, die US-Konzerne sind sich mit der Regierung des Irak einig ...

Spätestens hier wird klar, dass für die Grundsatzentscheidung des Energiemix der Zukunft und zu den Übergangsstrategien immer auch die Politik der Staatenwelt die ganz wesentliche Rolle spielt. In den letzten Wochen hatten die israelische Atom- und die Blockadedrohung der USA eine zusätzliche Wirkung auf den Ölpreis. Fraglich ist, ob die Zermürbungstaktik der Bush-Administration im Mittleren Osten auf längere Sicht eine Erfolgschance hat. Denn in dieser Region vollzieht sich derzeit ein Perspektivenwechsel, dem nicht einfach mit der Dichotomie »freie Demokratie versus parasitäre Autokratien« beizukommen ist. Rechtsstaatlichkeit und Wachstum sind, entgegen den liberalen Schulbuchrezepten, sehr verschlungene Prozesse, analysiert der Volkswissenschaftler Hans-Bernd Schäfer (FAZ, 19.7.). Am Golf entsteht ökonomisch, finanzpolitisch und zum Teil auch schon technologisch eine moderne Welt, die in vieler Hinsicht mit den europäischen Zentren gleichgezogen hat.

Allerdings ist es eine ungemein heterogene Zone, die den Europäern einiges abfordert. In der Energiefrage braucht man sie als Partner noch für eine lange Übergangszeit. Das haben Indien und China längst erkannt, auch Japan. Sie alle tummeln sich auf den von harter Konkurrenz gekennzeichneten Energiemärkten des Golfs. Der Iran hat auf der Insel Kush im Persischen Golf eine Öl- und Gasbörse eingerichtet. Ihre Besonderheit ist, dass nicht der US-Dollar die Handelswährung ist, sondern genauso in Euro, Yen, Yuan und Rial bezahlt werden kann. Der Handelsumfang dieser Börse pickt die USA nicht einmal in die Zehe. Und doch signalisiert die leise Loslösung vom Marktdiktat des Dollars etwas. Ähnliche Pläne verfolgt inzwischen auch die norwegische Börse. Unbekannt ist, in welcher Währung Schweizer Firmen ihre Milliardengeschäfte mit dem Iran machen. Ein EU-Konsortium unter der Leitung der österreichischen OMV – mit von der Partie die E.on – bemüht sich derzeit, über Aserbaidschan iranisches Erdgas in die Nabucco-Pipeline einzuleiten, womöglich der Auftakt zu größeren Geschäften. Das ist bestimmt besser, als in Pakistan fundamentalistische Balutschen für den Guerilla-Krieg im Iran auszurüsten und auszubilden, wie es die Bush-Administration derzeit betreibt. Was einem nicht die politische Auseinandersetzung mit dem Iran erspart.

Darüber aber wölbt sich die Problematik der Weichensetzung zukünftiger staatlicher und europäischer Energiepolitik. Das Manager-Magazin meint, diese Krise könne die Welt »auf einen anderen Wachstumspfad katapultieren ... weniger physische Inputs«. Moderne Energieformen könnten im Rahmen der Mittelmeerunion mit Marokko, Algerien, Ägypten großflächig entwickelt und in große Regelkreise eingespeist werden zum Nutzen Europas und Teilen Afrikas. Ein globales Zukunftsprojekt weit über den deutschen Tellerrand, zu Gunsten des Klimas, zu Gunsten Europas und Afrikas. – Ändert sich nichts, meinen die Manager, werden einem »die heutigen Krisensymptome geradezu als Segen« erscheinen.

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 4/2008