Larissa Lissjutkina

Gorkis radikale Erben

Die Umbrüche der russischen Gesellschaft und die Entwicklung ihrer Literaturen

Die einzigen Konsumschlangen in ganz Russland finden sich heute vor Buchhandlungen. Dass heißt nicht, dass die Bedeutung der Literatur im gesamten Land gewachsen wäre. Die tief greifenden Veränderungen seit dem Ende der sowjetischen Diktatur künden aber auch nicht einfach von einem Bedeutungsverlust der Literatur. Ein neuer, sich ausspreizender Buchmarkt spiegelt die russische Gesellschaft auf vielfältige Weise und bringt eine neue Generation von SchriftstellerInnen mit einem veränderten Rollenverständnis hervor. Dabei ist die Geschichte sehr gegenwärtig und sei es in heftigsten Parodien – selbst die russische Klassik wird auf ihre Verantwortung für Diktatur und Terror hin befragt. In dem Essay unserer Autorin entsteht das äußerst lebendige Bild eines im Umbruch befindlichen Landes.

 

Die Russen lassen sich gerne als »Leservolk« und »literaturzentriertes Land« bezeichnen. Es sollte auch richtig gewesen sein, solange das Land hinter dem Eisernen Vorhang ohne jede moderne Unterhaltungsindustrie auskommen musste. In der Sowjetunion funktionierte das Verlagswesen unter starker ideologischer Kontrolle als Teil einer Planwirtschaft. Für die Hauptmasse der Buchproduktion waren 70 Zentralverlage zuständig, die meisten von ihnen mit dem Sitz in Moskau und Leningrad. Im Jahr 1990 zählte das Verlagswesen der ganzen UdSSR etwa 280 Verlage – weniger als im zaristischen Russland.(1) Seit dem triumphalen Einzug der ersten mexikanischen Seifenopern auf die russischen Bildschirme Mitte der Neunzigerjahre ist dieser gute Ruf ins Wanken geraten. Aber ganz ruiniert ist er nicht. Seltene Erfolgsmeldungen aus Russland gelten beinahe ausschließlich der Kultur: Egal wie schlecht es dem Land wirtschaftlich und politisch geht, in den Buchhandlungen, Theatern und Galerien findet man blühende Landschaften vor.

Am besten gedeiht die Literatur. Im Sommer 1990 wurde ein Gesetz »Über die Presse und andere Massenmedien« verabschiedet. Dieses Gesetz bereitete der Zensur ein Ende, die in Russland seit ungefähr 200 Jahren ununterbrochen praktiziert wurde. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Der Reichtum an Namen, Themen, Stilrichtungen und Genres lässt sich kaum überbieten. Und an Lesern fehlt es nicht. Wo in Deutschland oder sonst im Westen bilden sich an den zahlreichen Kassen einer Buchhandlung imposante Warteschlangen, die in Moskau mit denen bei ALDI-Kassen vergleichbar sind? Hier sind heute die Buchhandlungen wohl die einzigen Orte, bei denen man immer noch, wie in guten alten Sowjetzeiten, anstehen muss.

Der Büchermarkt passt nicht in die Regale der zahlreichen Buchhandlungen, er wuchert darüber hinaus und erobert die ganze Stadt. Die Kioske und Verkaufsstände mit Büchern schmücken das Straßenbild im Zentrum von Moskau in einer Dichte, wie Gemüseläden und Bäckereien die Geschäftszeilen einer deutschen Innenstadt. Die zunehmende Häufung solcher kleinen Einrichtungen muss in der Moskauer Straßenlandschaft als eine Ankündigung von großen Buchhandlungen gesehen werden – so etwa wie im Ozean bestimmte kleine Fische sich um die Wale scharen. Auf den zentralen Moskauer Straßen Arbat und Kuznezkij Most, in unmittelbarer Nähe von riesigen Buchhandlungen, stehen die Stände mit Büchern und Kunstalben Spalier, ergänzt von auf dem Boden ausgebreiteten Tüchern, voll vom buntesten Zeug, das je gedruckt wurde, und verwaltet von gesprächigen jungen Männern, deren Vollmacht und soziale Funktion unklar sind: Verkaufen sie von privat? Im Auftrag? Oder gehören sie gar einer Drückerkolonne an?

Aber das ist noch nicht alles. An den Wochenenden verwandelt sich ein ehemaliges Moskauer Olympiastadion in eine echte Gutenberg-Galaxis, wird zum Reich der Druckpressen. Es präsentiert sich als eine Mischform von Antik und Trödel, Buchhandlungen, Verlagsverkaufsständen und zahlreichen Ich-AGs in Person von Buchdealern und Verkaufsagenten. Die Letzteren bieten ihre Dienstleistungen den Kunden an, die etwas Besonderes suchen – zum Beispiel Bücher aus dem Antiquariat oder solche Titel, die schon längst vergriffen sind. Neben Büchern werden EDV-Produkte, meistens Raubkopien, angeboten.

Jedes Mal, wenn ich beim Besuch in meiner Heimatstadt Moskau durch die Straßen spaziere, denke ich: »Großer Gott! Was wäre diese 12-Millionen-Metropole mit ihrer frischen Begeisterung für McDonalds und Kasinos ohne bunte Bücherstände und Buchhandlungen

 

Ein Gegenbild: scharfe Kanten des uferlosen Büchermarktes

Also, es steht fest, dass Russland, obwohl es durch die kommunistische Diktatur bis Ende der Achtzigerjahre vom Rest der Welt abgeschirmt wurde, in kürzester Zeit zu einer Informationsgesellschaft avancierte. Aber Vorsicht! Die blühenden Buchlandschaften haben wir bis jetzt auf den Straßen von Moskau beobachtet. Und Moskau, so sagt man, ist noch nicht Russland. Während der Perestroika- und Glasnostzeit der späten Achtziger hat ein Kabarettist das Land mit einem riesigen Topf verglichen, in dem die Suppe nur an einer Stelle kocht, und diese Stelle sei Moskau. Hier nun einige ernüchternde Zahlen:

Das Zentralinstitut für Meinungsforschung (WZIOM) berichtete im Jahr 2001, dass mehr als ein Drittel der russischen Bevölkerung (34,2 %) praktisch keine Bücher liest. Also von wegen Mythos »Leservolk«! In einer russischen Provinzstadt mit einer halben Million Einwohner sind in allen Buchhandlungen insgesamt etwa 5000 Buchtitel im Angebot – das ist nur ein Zehntel des Angebots in einer einzigen Moskauer Buchhandlung, der »Biblioglobus«. 2001 sind etwa 70 Prozent aller Buchtitel in Moskau und Sankt-Petersburg erschienen, mit einem Auflagenanteil von mehr als 90 Prozent der Gesamtauflage im ganzen Land. Mehr als 50 Prozent aller Titel und über 80 Prozent der Gesamtauflage sind von privaten Verlagen produziert.(2)

In den Achtzigerjahren sollen in der UdSSR insgesamt ungefähr 80000 Buchtitel pro Jahr erschienen sein, davon etwa 50000 in der Russischen Föderation. Die jährliche Gesamtauflage lag bei 1800 Millionen Exemplaren, was ungefähr sieben Bücher pro Person ergab.

Mitte der Neunzigerjahre ist die Produktion auf etwa 35000 Titel mit einer Gesamtauflage von 425 Millionen Exemplaren gesunken, was dann weniger als drei Bücher pro Einwohner ergibt. Und im Jahr 2000 sind 60000 Buchtitel mit einer Gesamtauflage von 470 Millionen Exemplaren erschienen, also 3,4 Bücher pro Person. In den westlichen Ländern sind es im Durchschnitt 15 Bücher pro Person. Im Vergleich zu Deutschland produziert Russland nur noch etwa ein Drittel Buchtitel pro Person. Ein russischer Bürger gibt für Bücher im Durchschnitt zehn Dollar pro Jahr aus.

Die Popularität verschiedener Buchgattungen fällt nach den Angaben des WZIOM folgendermaßen aus: Krimis, Blockbusters, Abenteuerromane (circa 30 %), Liebesromane, Frauenromane (23,9 %), Geschichtsbücher, historische Romane (24,1 %), Koch- und Haushaltsbücher (16,4 %), russische und ausländische Klassiker (14.1 %), Enzyklopädien, Lexika, Nachschlagewerke (11,5 %).

Die durchschnittlichen Auflagen pro Titel sanken im letzten Jahrzehnt unaufhaltsam: von Hunderttausenden Anfang der Neunzigerjahre bis auf wenige Tausende am Beginn des 21. Jahrhunderts. Dieses Symptom ist typisch nicht nur für Russland, sondern fürs Verlagswesen weltweit. Es signalisiert die Sättigung des Büchermarktes. Unter Fachleuten spricht man von einer Titelinflation.

In der Kulturperspektive sieht der Soziologe Boris Dubin die Inflation der Autoritäten, die Fragmentierung des Wertekonsenses und die Ausdifferenzierung der Konsummatrix: »Heute kann man über extreme Zersplitterung und Zermürbung der Bildungsschicht sprechen, insbesondere im Vergleich mit der Periode Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre. Weiter macht sich die Verringerung der Distanz zwischen den ehemaligen sozialen Schichten bemerkbar (vor allem geht es dabei um die Achse Bildung – Zivilisiertheit – Lebensstil) sowie der Verlust an Statussymbolen höherer sozialer Schichten gegenüber den unteren Schichten und die sinkende Attraktivität des »Zentrums« für die »Peripherie« der Gesellschaft.(3)

Den russischen Statistiken kann man leider nicht entnehmen, auf welchem Platz das Verlagswesen als Industriebranche steht. Auch der Umfang des Kapitals ist nicht bekannt, die Finanzkontrolle steckt hier noch in den Kinderschuhen, und die Verschleierung der realen Wirtschaftssituation durch Steuerhinterziehung ist gang und gäbe.

Wie auch immer, das Verlagswesen als Branche hat alle Wirtschaftskrisen der Übergangszeit erfolgreich überstanden (siehe dazu Tabelle 1). Die Skeptiker meinen, der Preis dafür sei die Kommerzialisierung der einst so anspruchsvollen russischen Literatur: eine steile Absenkung ihrer Qualität, Degradierung auf das Niveau des banalsten Massengeschmacks, Übernahme des schlimmsten Sex-and-Crime-Angebots aus dem Westen. Der erste Blick auf das Gedruckte mag diese Meinung bestätigen. In der Tat fallen als Erstes die poppigen Glanzcover mit Blut, Waffen und nacktem Fleisch ins Auge. Hemmungslos offen wird auf der eleganten Arbat-Straße ein dicker Band mit dem frisch übersetzten Mein Kampf ausgelegt, der nun so ganz »postmodern« zwischen Pornoheften und Sammelbänden mit Predigten der orthodoxen Kirchenväter seinen Platz gefunden hat.

 

Rückblick: Diktatur und Literatur

Der Übergang von der sowjetischen zur postsowjetischen Buchproduktion wurde zwar mit Erfolg gekrönt, aber dieser Prozess bedeutete zugleich einen riesigen Kulturschock für die Schriftsteller und die Gesellschaft. Denn das Land nimmt seine Literatur immer noch ernst: »Russland bleibt ein einmaliges Literaturland, wo der Korpus der gesellschaftlichen Werte im Wesentlichen von den schriftstellerischen Visionen bestimmt wird. Die innere Dynamik des Landes lässt sich am besten in den literarischen Texten nachvollziehen«(4), so Viktor Jerofejew, der Herausgeber des programmatischen Sammelbandes Zeit zu gebären. Die besten jungen Schriftsteller (2001).

Im Russland der Neunzigerjahre hat sich die gestandene Literaturszene drastisch verändert. Aus allen Richtungen sind auf diese Szene neue Akteure gesprungen. Vier verschiedene literarische Strömungen überfluteten die Landschaft, kollidierten frontal und sorgten für kraftvolle Turbulenzen: die alte sowjetische Literatur; einst verbotene illegale Literatur aus dem Untergrund; die russische Emigrantenliteratur aus dem Ausland, und last, but not least die Übersetzungen sowohl der Klassiker als auch der Neuerscheinungen der Weltliteratur, für die ein riesiger Nachholbedarf bestand.

Was die Übersetzungen anbetrifft, führt Andrej Ilnizkij für die Periode 1991–1993 folgende Aufstellung an: Unterhaltungsroman: 60 Prozent, Krimi/Thriller: 20 Prozent, Science-Fiction: 12 Prozent, angewandte Literatur: 5 Prozent, Kinderbücher: 3 Prozent (S. 5).

Ilnizkij betont die für den damaligen russischen Büchermarkt große Bedeutung einer literarischen Gattung, die er als »uneheliches Kind« von Film, Fernsehen und Literatur bezeichnet: Er meint damit die Surrogatgattung »Kinoroman«. Anfang der Neunziger konnten sich die meisten Menschen in Russland kein Video leisten. Also waren sie darauf angewiesen, westliche Filme durch freie Nachdichtungen kennen zu lernen. 1994 stehen acht Kinobücher ganz oben auf der Moskauer Bestsellerliste, darunter Jurassic Park von M. Crichton, Rückkehr nach Eden von R. Mails, und die Soaps Wilde Rose und Einfach Maria, wobei die beiden Letzteren die Spitzenpositionen der Bestsellerliste belegen. Seine führende Rolle konnte der Kinoroman drei Jahre lang behaupten, die Verleger haben sehr hohe Gewinne mit diesem Genre erzielt.(5)

Noch ein interessantes Detail: Zur gleichen Zeit war die Bibel einer der am meist verkauften Titel. Russischsprachige Bibelauflagen wurden als humanitäre Hilfe aus dem Westen ins Land gebracht und landeten dann durch dunkle Kanäle auf dem Bücherschwarzmarkt. Also nicht mit den Soaps allein, sondern auch mit dem Wort Gottes wurden die Grundsteine des freien russischen Büchermarktes gelegt.

Und als ob es nicht genug wäre, vollzog sich gleichzeitig ein Generationenwechsel in der zeitgenössischen russischen Literatur: Neue Namen und neue Personen standen plötzlich im Rampenlicht. Die erste postsowjetische Schriftstellergeneration hat sich blitzschnell behauptet und die alten sowjetischen Klassiker wie Aitmatow zu Makulatur gemacht. Wenn man heute auf den in den letzten zehn Jahren zurückgelegten Weg schaut, kann man nur »wow sagen.

 

An dieser Stelle ist ein kurzer Exkurs in die Vorgeschichte unverzichtbar. Warum eigentlich hat sich in Russland der besagte Literaturzentrismus behauptet und wieso wurde das Bauernvolk, das vor dem ersten Weltkrieg noch flächendeckend aus Analphabeten bestand, zum Inbegriff des »Leservolkes?

Bei dieser Frage wird oft genug über »das Rätsel Russland« und die »rätselhafte russische Seele« spekuliert. Der berühmte Spruch von Sir Winston Churchill: »Russia is a riddle, inside a mystery, wrapped in an enigma« und der nicht weniger bekannte Spruch: »Verstand wird Russland nie verstehen, an Russland kann man nichts als glauben« werden in den Diskurs über die historische Beschaffenheit der russischen Kultur eingeworfen, was die Verwirrung und Unwissenheit nur steigert, statt sie zu verringern. Die Russen selbst wollten schon immer ihr Land und sich selbst verstehen, und zwar mit Verstand, und nicht auf irgendeine mystische Art und Weise. Russische Besessenheit mit der Literatur lässt sich aus der Geschichte des Landes rational ergründen: als eine Abwehrreaktion auf Despotismus und religiöse oder ideologische Gehirnwäsche. Literatur hat in Russland – nolens volens – die Funktionen der mit der Obrigkeit kollaborierenden Religion, der unter den Kommunisten verbotenen Soziologie und der freien Presse auf sich genommen. Seit zweihundert Jahren ist die russische Literatur stark politisiert und mit einem missionarischen Bewusstsein ausgestattet. Ihre eigentlichen Ziele lagen oft weit entfernt vom Bereich des Ästhetischen und des Literarischen. Im 19. Jahrhundert wurde die Literatur zum Sprachrohr der Öffentlichkeit im Kampf gegen Leibeigenschaft, im 20. Jahrhundert wiederholte sich ihre Geschichte im Kontext der kommunistischen Diktatur: Sie wurde zum Kristallisationspunkt einer oppositionellen Gegenkultur, die im Endeffekt, neben anderen Faktoren, den Sturz des Systems bewirkt hat.

Literarische Texte der Klassiker, bestimmte Zitate und Verse funktionieren in Russland als Heilige Schrift: Sie sind kanonisiert, gehören zum allgemeinen Bildungsgut, werden oft zitiert. Die verfolgten und verbotenen Schriftsteller wurden in der Gesellschaft zu Märtyrern und alternativen Autoritäten stilisiert. Über den Dichter Alexander Puschkin (1799–1837) sagt man: »Puschkin – das ist unser Ein und Alles«, Alexander Solschenizyn (geb. 1918) lebt mit dem inoffiziellen Titel »Gewissen der Nation«. Nach dem Titel eines Romans von Ilja Ehrenburg (1891–1967), Tauwetter (1954), spricht man von den Anfängen der Entstalinisierung. Archipel Gulag (1974) von Alexander Solschenizyn ist zur Metapher für die stalinistischen Straflager geworden.

 

Umbruchszeit: SAMISDAT und die Wirren des Neuanfangs

Mitte der Fünzigerjahre des 20. Jahrhunderts entstand in der UdSSR der Begriff SAMISDAT – »Selbstverlag«. Es war die erste Form des zivilen Ungehorsams in einer Gesellschaft, die jahrzehntelang vom stalinistischen Terror lahm gelegt war. Gegen Druckpressen, die im Dienste der Diktatur fleißig Agitprop produzierten, wurden private Schreibmaschinen eingesetzt. Auf diesem Wege entstand, so der ungarische Schriftsteller György Dalos, ein alternatives Verlags- und Vertriebssystem, ein Keim der freien Marktwirtschaft und ein Kultursymbol, mit dem sich die kritische Öffentlichkeit identifizierte.(6) Die von der Zensur verbotenen Texte überschwemmten das Land in Tausenden von Kopien, die heimlich ausgetauscht und weitergereicht wurden. Schnell wurden sich ihre Hersteller auch ihres kommerziellen Wertes bewusst. Der schwarze Büchermarkt in der UdSSR war umfangreich und funktionierte zwar im Untergrund, aber nach kapitalistischen Spielregeln.

Sobald der Kalte Krieg zu Ende war, tauchte die Samisdat-Infrastruktur mit all ihrem Know-how aus dem Untergrund auf. Die Buchproduktion wurde (abgesehen von der Prostitution, die sich als erster kapitalistischer Dienstleistungssektor etabliert hat) zur ersten industriellen Nische der freien Marktwirtschaft. Eine riesige Nachfrage, stimuliert durch den Nachholbedarf, bescherte den Verlags-Pionieren der Glasnost-Zeit Auflagen in Millionenhöhe. Entsprechend schnell entstanden Riesenvermögen, und die Verfolgten von gestern avancierten über Nacht zu Haien des frisch gebackenen Dschungelkapitalismus, zu Axel Springers à la Russie.

Ungefähr bis Mitte der Neunzigerjahre haben die Verlage mehr oder weniger erfolgreich von den Ressourcen des Samisdats gezehrt. Als Erstes wurde er legalisiert, dann hat man ihn stilisiert, indem die Neuerscheinungen als simple Samisdatblätter gelayoutet und verkauft wurden (übrigens war es günstig, da billig). Nachdem der Charme des Illegalen erschöpft war, hat man die einst illegalen Blätter endgültig kommerzialisiert: Die alten Titel, die symbolisch für die Kontinuität des Underground standen, wurden aufgegeben; die bescheidene Gestaltung machte Platz für Glanzcover; die Unterhaltung und Sensationen verdrängten das politische und moralische Engagement; die ehemaligen Dissidenten wurden als Autoren fristlos entlassen und durch flinke junge Leute ersetzt, die ihre Texte sprachlich in einem Jugendjargon, genannt stjöb(7), verfassten.

Die postsowjetische Literaturszene entwickelte sich nicht viel anders als die politische, das bedeutet sensationssüchtig, egozentrisch, ungebremst. Sie wurde von spektakulären Skandalen erschüttert, die lange im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen. Ein Skandal an sich ist nicht nur amüsant, er funktioniert außerdem als ein Mechanismus für das Offenlegen des Verborgenen und als ein Spiegel, in dem sowohl die Eliten als auch die Gesellschaft insgesamt sich wieder erkennen können. Wie auch immer, die Helden der sowjetischen Gegenkultur und die Prominenz des ebenfalls sowjetischen Schriftstellerverbandes lagen sich bald nach dem Sieg ihrer Ideen in den Haaren. Es ging dabei nicht allein um die ästhetischen oder ideologischen Unstimmigkeiten, sondern um die heiß begehrten Räume im Haus der Literaten. Tagein, tagaus berichteten Medien über die Handgemenge an der vordersten Frontlinie der Literatur: Die Schlösser in den Arbeitszimmern und in den Büroräumen wurden immer wieder von den jeweiligen Siegern ausgetauscht und die Türen versiegelt. Die Zuschauer waren baff. Nicht nur weil ihre einst angebeteten Autoren plötzlich als Hooligans aufeinander schlugen, sondern auch wegen des Anblicks der schönen alten Holztüren: Die Schlosslöcher wurden wegen des ständigen Ein- und Ausbaus von Tag zu Tag sichtbar größer, und es war eine Sache von Tagen, dass die Türen endgültig kaputt waren. Und was dann?

Der Skandal hat seinen Beitrag zur Entzauberung der Literatur und der Literaten und zur Ernüchterung der literaturbesessenen sowjetischen Öffentlichkeit geleistet. Daraus ergaben sich wichtige Folgen für die Gestaltung des Literaturprozesses in den Neunzigerjahren.

 

Neue Vielfalt: Freie Literatur auf dem freien Markt

Die programmatische Differenzierung in der Literatur hat sich schon in der letzten Phase der Sowjetzeit angebahnt. Wer sollte sich dabei von wem distanzieren? Wie kann man überhaupt die spätsowjetische Literaturszene sortieren? Für die Leser und für die Kritiker waren einige Gruppierungen sichtbar, die sich auf der Literaturszene tummelten. Einige davon seien genannt:

– Die von dem Politbüro gesteuerten Autoren: Ihr Produkt war die »graue Sekretärliteratur«, die von keinem Menschen gelesen wurde, nicht mal vom Politbüro;

– die kritisch-liberalen, westlich orientierten Schriftsteller, die sich um die Zeitschrift Nowy mir scharten. Die prominentesten von ihnen sind A. Bitow, F. Iskander, B. Okudschawa, A. Rybakow, J. Jewtuschenko, T. Aitmatow. Ihre Leserschaft bestand aus der Intelligenzija und der sowjetischen Mittelschicht (hier verzichte ich auf weitere Definition dieses umstrittenen Begriffes);

– die so genannten »Dorfschriftsteller« um die Zeitschriften Nasch Sovremennik und Oktjabr, die sich gegen das Moderne schlechthin moralisierend auflehnten und dabei auch das Sowjetsystem mit ihrem primitiven Industrialisierungswahn und umweltfeindlichen Bauprojekten kritisierten. Führende Namen unter ihnen: V. Astafjev, F. Abramow, W. Below, V. Rasputin, J. Bondarev und einige andere. Wegen seiner Kritik befanden sich die russischen Fundamentalisten zusammen mit den Westlern in der regimekritischen Opposition;

– die »Frauenprosa« – eine Kohorte von sehr populären Schriftstellerinnen, die in den Sechziger- bis Neunzigerjahren ihre eigene unverwechselbare Sicht des sowjetischen Alltags und emotionalen und moralischen Dilemmas in den zwischenmenschlichen Beziehungen zum Thema gemacht haben. In diese literarische Nische passen Namen wie I. Grekowa, N. Iljina, V. Tokareva, N. Baranskaja, Z. Boguslawskaja, L. Petruschewskaja, T. Tolstaja;

– Lyriker und Liedermacher, die in der UdSSR, anders als im Westen, eine riesige Popularität genossen haben; ihre Sammelbände wurden in Millionenauflagen gedruckt und waren sofort vergriffen.(8)

In allen diesen Gruppierungen polemisierte man untereinander und gegeneinander, prominente Literaturkritiker wurden oft sogar mehr als Schriftsteller gefeiert, und für alles gab es einen festgelegten Rahmen. Nach dem Zusammenbruch der politischen Machtstrukturen, von denen die ganze Sowjetliteratur geprägt wurde, kam die Zeit des Neuanfangs.

Auf der breiteren Literaturszene explodierte in den späten Achtziger- bis Neunzigerjahren eine Supernova. Nur in einer Dekade veränderte sich der Büchermarkt so drastisch, dass er heute nicht wieder zu erkennen ist. Nur wenige prominente Autoren haben diese Explosion überlebt.(9) Nicht nur prestigeträchtige Räume des Schriftstellerverbandes wurden im Sturm genommen. In den alten und neu gegründeten Literaturzeitschriften, die in der UdSSR traditionsgemäß für die Neuerscheinungen zuständig waren, in der Presse und im Fernsehen entfaltete sich der Kampf um die Neudefinierung von literarischen Namen und Autoritäten. Aus dem Untergrund und von allen Seiten tauchte eine ganze Generation von Literaten auf, die der sowjetischen Gesellschaft völlig unbekannt war. Die Karten wurden neu gemischt.

 

Schon während der Wende und kurz danach stand eine künstlerische Stilrichtung im Rampenlicht, die sich als Konzeptart bezeichnete. Sie umfasste sowohl die Literatur als auch die bildenden Künste. Führende Namen unter den Literaten-Konzeptualisten sind Lew Rubinstein und Dmitrij Prigow. Der Erste von beiden arbeitet mit Katalogkarten, auf denen er Sprach- und Denkklischees aus dem sowjetischen Alltag speichert. Im Endeffekt bilden dann seine Aufzeichnungen ein Gesamtkunstwerk, das den Autor als Archivar in sich einschließt. Das Gleiche gilt für Dmitrij Prigow. Er bettet seine poetischen Texte immer in ein Happening ein, bei dem er selbst verkleidet als Milizionär erscheint. Die Figur des Milizionärs verkörpert für Prigow gleichzeitig ein universales Gewaltinstrument des Sowjetsystems und sein ebenfalls universales ästhetischen Prinzip. Bei Leseabenden mit Prigow erleben ihn die Zuschauer als einen Darsteller, der allein für die adäquate Deutung seiner eigenen Texte zuständig ist.

Konzeptualisten benutzten kein literarisches Narrativ, sie erzählten keine Geschichten, sie spielten bloß ihr »Glasperlenspiel« mit den Bruchstücken des zerstörten sowjetischen Kulturtextes. Das entspricht völlig der Methode der Postmoderne, mit der diese intellektuellen Künstler bestens vertraut sind, aber auch im heimischen Kulturkontext lag es auf der Hand, sich mit dem Eklektizismus des imperialen sowjetischen Erbes auf diese Art und Weise auseinander zu setzen.

Konzeptart in der Literatur konnte nie als populäre Kultur funktionieren. Sie war interessant für die Intellektuellen, die über die Vergangenheit und Gegenwart reflektierten. Aber dank der spektakulären Selbstinszenierung avancierten seine Schöpfer zu Medienstars.

Breitere Leserkreise hatten auch ohne Konzeptualismus alle Hände voll zu tun, weil:

– auf der Literaturszene eine dicke Sternschnuppe von neuen Namen und Titeln flimmerte;

– spektakuläre literarische Skandale mit Bücherverbrennungen, Reportagen aus dem Gerichtssaal und öffentlichen kollektiven Aktionen gegen die »sündigen« Autoren live im Fernsehen übertragen wurden;

– die Literatur nicht weiter als Ersatzreligion empfunden werden will und sich intensiv mit der Demontage ihrer eigenen Stellung in der russischen Kultur beschäftigt. Der Mythos »Klassik« wird einer grundlegender Dekonstruktion unterzogen;

– der Schriftsteller Alexander Solschenizyn von dem russischen Parlament (Staatsduma) vorgeladen wurde, um die Abgeordneten zu belehren, wie man Russland umgestalten muss;

– die beim Publikum beliebten Literaturzeitschriften den Bach runtergehen oder ein jämmerliches Dasein mit den Almosen des allgegenwärtigen George Soros fristen;

– neue soziale Akteure – die Neureichen – in den Mittelpunkt der Folklore und der Romane rücken und für Furore als neue Zielscheibe der bissigen Witze und saftigen absurden Darstellungen sorgen;

– die Gattung »russischer Krimi« geboren ist und ihren triumphalen Einzug in den Literaturprozess feiert; die Frauen profilieren sich als die beliebtesten Krimiautorinnen (siehe Hartmute Trepper: »Hartgesottene Abenteuerinnen. Die neuen russischen Frauenkrimis und der Alltag«, Kommune 1/02);

– eine Sprachrevolution: Die bisher tabuisierten Sprachschichten wie Fluchjargon Mat, Gefängnisjargon Fenja und Jugendjargon Stjöb mit starken englischsprachigen und computermäßigen »Verschmutzung« unter schweren Kämpfen in die Literatur integriert werden.

Schon diese kurze Liste, die sich nur auf das Wesentlichste und Spektakulärste konzentriert, spricht dafür, dass die Literatur in Russland immer noch als eine Art zivile Ersatzreligion funktioniert, sonst hätten die enttäuschten Leser nicht mit solcher Wucht auf die literarischen Skandale reagiert. Und das, obwohl die Schriftsteller selbst alles Mögliche getan hatten, um diese literaturzentristische Einstellung der russischen Gesellschaft zu zerstören.

 

Es liegt auf der Hand, dass die Gesellschaft nach dem Zusammenbruch ihres politischen Systems sich mit ihrer Vergangenheit auseinander setzen muss. Aber beim Volk hat es nicht lange gedauert, dass die Vergangenheitsbewältigung durch die Überlebenskünste der schwierigen Umbruchszeit verdrängt wurde. So genannte normale Menschen, mit anderen Worten die Mehrheit, nahmen die ökonomischen Wirren und die Misere gerne zum Anlass, sich von jeder Verantwortung gegenüber der Vergangenheit zu entlasten. Die Schriftsteller und Publizisten, die sich weiter mit den Problemen des stalinistischen Terrors und seinen Opfern beschäftigten, wurden als »Nekrophile« abgestempelt. Ihnen wurde vorgeworfen, sich nicht für die brennenden Probleme der leidenden Zeitgenossen zu interessieren. Die Intellektuellen ihrerseits beschuldigten die Mitbürger, über die Leichenberge hinwegzuschauen und mit den Füßen auf den Gräbern der eigenen Großväter zu trampeln. Überhaupt fühlten sich die russischen Intellektuellen aufs Tiefste davon enttäuscht, wie wenig das Volk die neu erworbene Freiheit zu schätzen wusste. Diese Enttäuschung nahmen sie gerne zum Anlass, um sich selbst aus der Verantwortung dem Volk gegenüber zu entlassen. Es ist in Russland salonfähig, über einfache Menschen mit Verachtung und sogar mit Hass zu reden. In den Achtziger- und Neunzigerjahren wurde das neu erfundene Wörtchen Sovok zum Renner. Es bedeutet wörtlich »Kehrschaufel«, mit einer akustischen Anspielung auf den Begriff »Sowjetmensch« und mit Referenz zum Müll. Man positioniert die so bezeichnete Person ganz unten am Boden. Im Unterschied zur Intelligenzija des 19. Jahrhunderts verbindet die postsowjetische Intelligenzija keine Illusionen mehr mit dem eigenen Volk. Es wird weder als Opfer der Vergangenheit noch als Hoffnungsträger für die Zukunft, sondern eher als »Müll der Geschichte« gesehen. Und diese Sicht legitimiert ihre Besinnung auf sich selbst.

Für die Literatur bedeutet die Vergangenheitsbewältigung vor allem die Auseinandersetzung mit ihrer eigener Rolle, ihrer eigenen Verantwortung und Schuld. Kein anderes Thema hat die Literatur so beschäftigt wie ihre Selbstreflexion von innen und die neue Definition des Kulturparadigmas, von dem ihre Funktion in der Geschichte und in der Gegenwart gesteuert werden soll. Russische Autoren wollten, dass die Literatur endlich zur privaten Sache zwischen Autor und Leser wird, wie es überall auf der Welt üblich ist. Aber die Leser waren dazu nicht bereit. Sie wollten auf ihre beliebte und erprobte Ikone »Literatur« nicht verzichten. Die neue Generation der Literaten, vor allem V. Sorokin, V. Pelevin, V. Jerofejew, D. Galkowskij, J. Popow, I. Scharapow und andere, haben ethische Gefühle und patriotische Vorstellungen leidenschaftlicher Anbeter der klassischen und sowjetischen Literatur aufs Tiefste beleidigt. Diesen Autoren wird immer wieder vorgeworfen, respektlos mit der Tradition und mit dem nationalen Kulturerbe umzugehen. Als Reaktion auf den Versuch, die Literatur endlich zu entzaubern, fangen solche Leser an, die Bücher der literarischen »Häretiker« zu verbrennen. Zur ersten Zielscheibe dieses »Literaturkampfes« wurde Vladimir Sorokin, der vor keinen Heiligtümern und Autoritäten Halt macht und von zornigen Kritikern als »Fäkalist« beschimpft wird, weil in seinen Romanen die Exkremente »breitgetreten« werden.

 

Eigentlich stand schon seit langem, etwa seit den Fünfzigerjahren, ein Vorwurf im Raum: Die russische klassische Literatur des 19. Jahrhunderts wäre an der Vorbereitung der bolschewistischen Revolution beteiligt, indem sie mit ihrer Sozialkritik die Bevölkerung radikalisierte und in der Bildungsschicht weltfremde, pathetische Ansichten verbreitete. Man nennt den Namen von Warlam Schalamow, eines Überlebenden des schrecklichen Straflagers von Kolyma, der als erster Schriftsteller diesen Vorwurf ausgesprochen haben soll. Aber erst ein halbes Jahrhundert später entfaltete sich um diese Beschuldigung herum eine leidenschaftliche Polemik. »Hier formierte sich in der Tat eine Rebellion gegen das Allerheiligste der russischen Geistestradition. Zum ersten Mal wurde die gewaltige gesellschaftliche Funktion der klassischen Literatur des 19. Jahrhunderts als problematisch betrachtet; zum ersten Mal stellte man das in der Sowjetära festgeschriebene, autoritative ideologische Verhältnis der russischen Intelligenzija zur großen russischen Literatur des 19. Jahrhunderts öffentlich in Frage« – so Karla Hielscher.(10) Im Endeffekt wurde der Mythos »russische Klassik« in den Neunzigerjahren einer grundlegenden Dekonstruktion unterzogen.

Vladimir Sorokin hat mit seinen Büchern den Diskurs über die Rolle der Klassik extrem radikalisiert. Einer von seinen Romanen heißt auch so: Roman. Der Titel steht gleichzeitig für die Bezeichnung des literarischen Genres und für den Namen des Protagonisten. Sorokin spielt mit allen typischen Charakteren und Symbolen der klassischen russischen Literatur, mit der Sprachstilistik ihrer bekanntesten Autoren, und lässt seinen allegorischen »Roman« auf dem Höhepunkt einer romantischen Liebesgeschichte in ein blutdurstiges Tier verwandeln. Romans Hochzeit mündet quasi ohne jeden Grund oder jedes Motiv in eine bestialische blutige Orgie. Dahinter steht eine klare Fragestellung: Wieso endete die idyllische russische Kultur des 19. Jahrhunderts mit ihren erhabenen Beschreibungen von adeligen Landgütern und romantischen jungen Frauen, mit dem ethischen Pathos und Aufruf zum Protest gegen Leibeigenschaft und Despotismus (»Ruft Russland an, das Beil zu schwenken«! – der Slogan der radikalen Intelligenzler) –, wieso endete diese Idylle mit einer blutigen Revolution und dem schrecklichen, lange anhaltenden Terror, der das Land entvölkerte und es in ein riesiges Straflager verwandelte?

Das Buch liest sich als eine Metapher für die Schuld der russischen Klassik (des Romans) an der bolschewistischen Revolution und allen daraus folgenden Verbrechen. Das gleiche Thema, aber jetzt in Bezug auf die sowjetische Kultur, stellt V. Sorokin in den Mittelpunkt seines Romans Der himmelblaue Speck« (1999), der das sehr beliebte Genre Science-Fiction parodiert. Die Handlung ist in die Zukunft und in die sowjetische Vergangenheit verlegt. In einem Geheimlabor in Sibirien werden die Klassiker der russischen Literatur geklont, die beim Schreiben eine geheimnisvolle Substanz ausscheiden – den himmelblauen Speck. Die sowjetischen und nazistischen Parteiführer kämpfen um diese Substanz, sie erscheinen dabei unter ihren eigenen Namen, praktizieren Kannibalismus, Sodomie und alle möglichen Formen von Gewalt. Die Kulturschaffenden stehen ihnen dabei zur Seite und freuen sich, wenn sie ihre Stiefel lecken können.

Konservative und prosowjetische Kreise im heutigen Russland empfinden Sorokins Texte als eine Blasphemie, als Schändung der nationalen Kultur und des Volkes. Im Sommer 2002 haben die Sorokin-Hasser einen Verein unter dem Namen »Die Zusammengehenden« gegründet, dessen Aufgabe als eine große Reinigungsaktion der zeitgenössischen Literatur gedacht wurde. Die Vereinsmitglieder haben die Bevölkerung aufgerufen, die schon gekauften Bücher von Sorokin an den Verein zurückzugeben und als Ersatz dafür die »richtigen«, »guten«, »patriotischen« Bücher zu bekommen. Viele Bürger haben diesem Angebot Folge geleistet. Aber damit wurde die Aktion nicht beendet. »Die Zusammengehenden« haben eine öffentliche Hinrichtung der »schädlichen« Bücher inszeniert. Auf dem Platz vor dem Bolschoitheater in Moskau wurde eine riesige Kloattrappe installiert, in der die verurteilten Bücher ihr Ende finden sollten. Die Medien haben dieses Happening groß und breit angekündigt, der Platz war voll mit Schaulustigen, die Konstruktion der Attrappe erwies sich jedoch als fehlerhaft, so dass die bösen Bücher im Klo nicht verschwanden. »Die Zusammengehenden« haben daraufhin versucht, die Bücher zu verbrennen; zwischen den beiden Parteien (pro und contra Sorokin) kam es verständlicherweise zu Handgreiflichkeiten, die von Dmitrij Prigow besungenen Milizionäre waren sofort zur Stelle und die weiteren Folgen dieser literarisch-patriotischen Soap spielten sich im Gerichtssaal ab, wo Sorokin der Pornographie angeklagt wurde. Zu einer Verurteilung ist es nicht gekommen, die Auflagen seiner Bücher schnellten steil in die Höhe, seine Zunftgenossen, insbesondere seine Gegner, waren wütend und neidisch, und selbst den nicht besonders cleveren »Zusammengehenden« wurde langsam klar, dass sie auf eigene Kosten eine beispiellose Werbekampagne für Sorokin veranstaltet hatten.

 

Vladimir Sorokin ist kein einsamer Stern auf dem russischen literarischen Himmel. Neben ihm muss unbedingt Viktor Pelevin erwähnt werden, der seine Bücher für ein breiteres Publikum als Sorokin schreibt. Sein Hauptthema ist ebenfalls die Vergangenheit und die Gegenwart, er spielt meisterhaft mit Esoterik und mit psychischen Phänomenen, er verwischt in seinen Geschichten die Grenze zwischen Realität und Virtualität, zwischen Traum und Wirklichkeit. Seine Protagonisten haben häufig Déjà-vu-Erlebnisse, die sich später zu den unglaublichsten Situationen entwickeln. Und er nimmt die Mythen der Sowjetzeit nicht weniger radikal als Sorokin aufs Korn. In seiner Novelle »Omon-Ra« dekonstruiert Pelevin den Mythos »Sowjetische Priorität in der Eroberung des Kosmos«. Er stellt die kosmischen Odysseen der Sowjetzeit als einen Betrug dar, der gemeinsam von KGB und Fernsehen in einem verlassenen U-Bahntunnel inszeniert wird. Das ganze Spiel wird auf Kosten von naiven jungen Leuten ausgetragen, die dabei ihr Leben opfern. Im Roman Buddhas kleiner Finger nimmt sich Pelevin der Folklore der späten Sowjetzeit über ihre Gründerzeit an: Die Witze über den legendären Kommandeur der Roten Armee, Wassilij Tschapaew, und seinen Adjudanten Peterchen werden zum Ausgangspunkt einer uferlosen Fantasie. In diesen Witzen, die in den Siebzigern und Achtzigern in Mengen in der Sowjetunion erzählt wurden, ist der von der Propaganda geschaffene heroische Mythos der sowjetischen Gründerzeit profaniert: Ein Held des Bürgerkrieges samt seiner ganzen »heldenhaften« Clique wird zur Lachfigur degradiert, und der Bürgerkrieg insgesamt als eine Art »silly movie« erzählt.

Auf dieser Grundlage wirft Pelevin einen grotesken Panoramablick auf verschiedene historische Bewusstseinsschichten mit typischen sowjetischen und postsowjetischen Neurosen, Klischees, Feindbildern. Die Auseinandersetzung mit der Klassik kommt dabei auch nicht zu kurz: Der ganze Roman kann als eine Abrechnung mit dem berühmten Spruch von F. Dostojewskij, »Die Schönheit soll die Welt retten« gelesen werden. Bei V. Pelevin, als Kontrast, ist es ausgerechnet eine schöne rätselhafte Frau, die mit Hilfe eines magischen Maschinengewehrs die Welt zugrunde richtet.

 

Die Rolle der Frau in der heutigen literarischen Situation erforderte einen eigenen Essay. Sowohl als Autorin als auch als literarische Gestalt erscheint heute die russische Frau in einer völlig neuen Rolle. Oder in einer neuen Hypostase. Oder sie erscheint gar nicht. Wie zum Beispiel bei Pelevin. Er hat es geschafft, zu einem der am meisten gelesenen Autoren zu avancieren, ohne dem Leser eine Liebesgeschichte zu servieren. Seine Protagonisten sind ausnahmslos Männer: Neureiche Russen, ein psychisch gestörter Intellektueller, ein Texter aus der Werbebranche, ein Computeringenieur einer staatlichen Planbehörde, ein Reisender in einem gelben Geisterzug, ein junger Astronaut – die Liste kann beliebig verlängert werden. Die Frauengestalten erscheinen ab und zu im Hintergrund, aber sie sind für die pelevinschen Narrative verzichtbar. Selbst die schöne Anna aus Buddhas kleiner Finger kommt nur ein einziges Mal richtig zur Geltung, in der Schlussszene des Romans. Ansonsten handelt sie nicht und sie provoziert nicht zum Handeln, sie ist einfach da und sie ist schön.

Bei V. Sorokin sind die Frauen zwar präsent, aber auch er verzichtet in seinen Romanen auf Masterplot mit Lovestory. Er baut die Handlung immer auf einer symbolischen Ebene, mit Verschiebungen in Zeit und Raum, mit historischen Figuren wie Stalin und Hitler (Der himmelblaue Speck); oder er baut eine schematische Lovestory in einen postmodernen Kontext ein, wo sie als eine Formel gelesen wird, die auf die anderen literarischen Kontexte hinweist (Roman) und aus diesem Grund emotionslos erscheint; im Roman Marinas dreißigste Liebe wird die Lovestory schon im Titel annonciert, aber das ist eine Täuschung, es handelt sich dabei nicht um die Liebe, sondern um den Tabubruch, um die darauf folgende Strafe und dann um die Sühne und die Rückkehr zur Normalität, wobei diese besagte Normalität in seinem Roman Norma als eine zum Verzehr obligatorisch vorgeschriebene Portion Scheiße thematisiert wird.

 

Ohne Lovestory schreibt seine Prosawerke der junge Schriftsteller Igor Scharapow, ein herausragendes Talent, der noch nicht im vollen Maße entdeckt ist. In seiner Novelle Das Sommerlager rechnet er mit dem sowjetischen Mythos der Straflager ab. Schon im Titel werden zwei Begriffe zusammengeführt: ein Straflager und ein Erholungsheim für Jugendliche, in dem ihnen der Pfadfinderkollektivismus und der Optimismus à la Sowjets beigebracht wurden. Scharapow beschreibt eine lagersüchtige Gesellschaft, in der Straflager als ein positiv besetzter Begriff auf das Tiefste verwurzelt sind. Das Lager steht in so einem Kulturkontext für menschliche Solidarität, für Mutprobe und Grenzerfahrung, für gerechte Strafe und gerechtes Leben. Eintritt ins Lager – das ist eine Art Initiation. Junge und Alte, Prominente und Privilegierte stehen vor den Toren des Straflagers Schlange. Jeder verbindet mit dieser Anstalt eigene Projektionen und Fantasien, jeder ist bereit, im Lager sein Leben zu lassen. Die Gesellschaft selbst ist bestrebt, sich nach dem Vorbild eines Straflagers zu gestalten. Alle ihre Einrichtungen, seien es Schule, Armee, Arbeitswelt oder die Zelle der Gesellschaft – die Familie –, weisen deutliche Merkmale eines Straflagers auf.

Im heutigen Russland wird das Thema Straflager immer öfter zum Gegenstand der Persiflage und der Parodie. Die Botschaft der Novelle Buchstabe A von Vladimir Makanin lautet: Einmal Sträfling, immer Sträfling; egal wie schrecklich die Opfer im Lager gelitten haben, dürfen sie aus diesem Grund nicht zu Helden und Märtyrern stilisiert werden. Ganz im Gegenteil, sie stellen eine Gefahr dar, weil sie die Gesellschaft mit ihrer Lagerkultur infizieren. Die Satire von Makanin endet damit, dass die Zäune des Straflagers abgetragen werden, eine zügellose Befreiungsorgie ausbricht und die Gefangene beginnen, ihre neu eroberten Freiheitsräume mit Exkrementen zu markieren. Die Kritikerin N. Ivanova schrieb über Makanin: »Die Freiheit, genauer ihr Surrogat Willkür, entpuppte sich in Russland als totale Scheiße. Die Abtragung von Stacheldraht (und des Eisernen Vorhangs) führte zur Entfesselung von Verbrechen. Kein Licht am Ende des Tunnels, nicht die geringste Perspektive, weder für das Volk (Sträflinge), noch für das Land (Straflager nach der Befreiung).«(11)

Aber zurück zu Scharapow. In seiner anderen Novelle Der unbeugsame Vater steht der Mythos »Fortpflanzung« im Mittelpunkt. Die russische Gesellschaft ist, ähnlich wie die deutsche, eine vaterlose Gesellschaft. Armut und No-Future-Perspektive führen zu sinkenden Geburtenraten. Die staatliche Propaganda schlägt Alarm und macht mobil mit der Kritik an einer fortpflanzungsmüden Bevölkerung. Als satirische Antwort auf dieses Stöhnen über den Bevölkerungsrückgang entwirft Scharapow ein Porträt eines von der Fortpflanzung besessenen Protagonisten. Dabei macht er sich schonungslos über die sentimentalen und volkstümlichen Wertvorstellungen lustig, die um den Mythos »Fortpflanzung« herum existieren. In seinem umfangreichen Roman Gebrauchsanleitung für frisch Verheiratete dekonstruiert er den Mythos Sexualität und die entsprechende Folklore. Scharapows Texte stellen eine Hybride zwischen Romanistik und Essayistik dar, mal parodiert er sowjetische pseudowissenschaftliche Texte, mal benutzt er ihren Stil, um eigene Inhalte zu überbringen. Im Gebrauchsanleitung für frisch Verheiratete bedient er sich einer Form des Männerklatsches: Der Ich-Erzähler zitiert die Gespräche und Aussagen, die so beim Klatsch vor sich hin gemacht werden, mit Wiederholungen und permanenter Rückkehr zum mehrmals Gesagten. Der Autor verfremdet in verschiedensten Kontexten Geschichten und Überlieferungen der männlichen russischen Sexfolklore, so dass der Eindruck entsteht, dass alle diese wohlbekannten Sujets eigentlich ins Irrenhaus gehören. Die Sprachspiele und intertextuellen Anspielungen machen Scharapows Texte zu einer Herausforderung für jeden Übersetzer.

 

Den weiblichen Sturm und Drang in der Literatur bewundert Viktor Jerofejew, der Herausgeber eines anspruchsvollen Sammelbandes Zeit zu gebären: »In der russischen Literatur bricht ein Weiberzeitalter aus. Der Himmel ist voll mit Luftballons und Lächeln. Das Einsatzkommando ist abgesprungen. Eine große Zahl von Frauen fliegt mit. Wir haben schon Einiges erlebt, aber das hier zum ersten Mal. Das Volk ist baff. Fallschirmjägerinnen. Die Autorinnen und ihre Heldinnen fliegen zusammen … Heute wollen alle über die Frauen schreiben. Und die Frauen selber wollen schreiben(12) Was schreiben sie denn?

In der Sowjetzeit bewohnten die Schriftstellerinnen ihre eigene Nische – die oben schon erwähnte Frauenprosa. Nach der Wende haben sie sich ganz schnell in allen Bereichen profiliert, zum Beispiel auf dem lukrativen Krimi-Terrain. Bei A. Marinina, P. Daschkova, T. Poljakova erscheinen als Detektivinnen starke Frauencharaktere, die gegen das Klischee einer kulturkonformen »Weiblichkeit« vorstoßen; eine erfolgreiche weibliche Krimi-Avantgarde publiziert ihre Romane in der Serie »Schwarze Katze«, die extra für sie gegründet wurde. Im Jahr 2001 erreichte die Gesamtauflage von Alexandra Marinina weltweit 26 Millionen Exemplare; 1999 wurde Polina Daschkova in Deutschland unter den drei besten Krimiautoren genannt.(13)

Die Namen von Ludmila Ulizkaja und von Tatjana Tolstaja stehen für die populärsten Novellistinnen, die die Tradition von großen Erzählern fortsetzen. Unter den männlichen Autoren gibt es keine, die vergleichbar erfolgreich sind.

Im renommierten Verlag »Vagrius« erscheint eine Bücherreihe »Frauenhandschrift«, in die die besten zeitgenössischen Autorinnen aufgenommen sind. Unter anderen Olga Slavnikova mit ihren meisterhaften Romanen Libelle in der Größe eines Hundes und Allein im Spiegel. In den Mittelpunkt setzt sie das Problem einer vater- und männerlosen Gesellschaft. In Russland liegt die Lebenserwartung eines Mannes im Durchschnitt bei etwa 58 Jahren, die Männer werden in den militärischen Konflikten, bei den großen Bauprojekten in Sibirien, als Opfer der Gewalt oder des Alkoholismus dezimiert, oder sie verschwinden in den unzähligen beruflichen Männerghettos bei der Armee, im Hohen Norden oder im Fernen Osten. Seit der Behauptung der kommunistischen Diktatur wurden mehrere Generationen von Frauen dazu gezwungen, ohne Männer ihr Leben zu gestalten, weil schon in den Zwanziger- und Dreißigerjahren die Männer als Erste zu Opfern des stalinistischen Terrors wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel das Geschlechterverhältnis zwischen Männern und Frauen statistisch eins zu zwei aus. Heute thematisieren die Autorinnen, vor allem Olga Slavnikova, die Folgen dieser tragischen demographischen Bilanz für die Gesellschaft. In ihren Büchern erkennen die Leser den ewigen verzweifelten Frauenkampf um die »Mangelware« Mann und die Spannungen zwischen den starken Müttern und den von ihnen manipulierten Kindern wieder. Im Mittelpunkt steht dabei die Gestalt einer monströsen Mutter, die mit ihrer Willkür und mit ihrem Despotismus die Persönlichkeit ihres Kindes (vor allem des Sohnes) zerstört.(14) Solche Beschuldigungen führen in ihrer logischen Konsequenz zur Behauptung, Frauen seien an allen historischen Niederlagen des Landes schuld, weil sie durch ihre »falsche« Erziehung »falsche Bürger« hervorbringen. Natürlich passt auch der flächendeckende männliche Alkoholismus nahtlos in dieses Erklärungsschema.

Die Schriftstellerinnen nehmen die Herausforderung an, sich mit den historischen, kulturellen und philosophischen Problemen des Landes auseinander zu setzen. Die jüngsten von ihnen, die unter 30 Jahre sind, versuchen im russischen Frauentypus die Dialektik der Hörigkeit und der Willkür nachzuvollziehen, wie die junge russischsprachige Autorin Ekaterina Vassilieva-Ostrovskaja aus Köln (Mutproben, Die Geschichte einer echten Frau, Teil 1 und 2). Für den ganzen russischsprachigen Raum war der Roman der Ukrainerin Oksana Zabuzhko Feldstudien über ukrainischen Sex eine Sensation. Die Beziehungsunfähigkeit eines ukrainischen Mannes, vor allem seine Ahnungslosigkeit bezüglich einer Grenze zwischen Sex und Gewalt, nimmt die Autorin zum Anlass, um die ganze Problematik der nationalen Unterdrückung und der Zerstörung der menschlichen Persönlichkeit unter der Herrschaft der kommunistischen Diktatur aufzurollen.

Die wichtigste Errungenschaft der russischen Autorinnen in den letzten zehn, fünfzehn Jahren ist die Tatsache, dass sie die geschlechtsdefinierte Nische der Frauenprosa mit ihren Aktivitäten gesprengt haben. Heute sind die Frauen ein integrer Bestandteil der russischen Literatur, ihre Texte werden immer seltener mit ihrem Geschlecht in Verbindung gebracht.

 

Zeitgenössische russische Literatur bräuchte tausendundeine Nacht (mit nur einer vollen Druckseite pro Nacht), um ganz minimalistisch, in kürzester Fassung wiedererzählt zu werden. Was soll der Leser aus der Lektüre dieses Essays »als einen Goldbarren (so Virginia Woolf – L. L.) extrahieren und mit nach Hause nehmen«? Versuchen wir es mit folgender Erkenntnis:

Der Tempel der russischen Literatur wurde nach der Wende nicht dem Boden gleich gemacht und danach neu gebaut. In diesem Tempel wurden Schlösser und Tapeten ausgewechselt, alte Türsteher und Hohe Priester in Rente geschickt, alte Altäre hinaus- und die neuen hineingetragen. Und wenn man genau hinsieht, merkt man, dass es kein Tempel mehr ist. Die neuen Altäre sind in der Tat Verkaufsstände. Und es ist gut so. Literaten sind nicht mehr so armselig, wie V. Sorokin sie in seinem skandalösen Der himmelblaue Speck dargestellt hat: Sie haben aus der Geschichte gelernt, ihr missionarisches Bewusstsein verabschiedet und bekannten sich zum kommerziellen Wert des Produktes »Buch«. Die Verleger verkaufen dieses Produkt mit Erfolg, nicht zuletzt dank geschickter Inszenierung und Benutzung von literarischen Skandalen.

»Und was ist die Pointe? Sind es nicht die banalsten Sachen, die keiner Rede wert sind Klar, so ist es. Nur für die russischen Verhältnisse bedeuten all diese banalen Sachen eine radikale Revolution, weil früher alles ganz anders war …

 

1

Pecat Rossijskoj Federazii: Statisticeskie sborniki, Moskau 1992–2001; Pecat SSSR: Statisticeskie sborniki, Moskau 1971–1991; B. V. Lenskij: Knigoizdatelskaja sistema sowremennoj Rossii, Moskau 2001. – Zitiert nach: A. Ilnizkij: Knigoizdanie w sowremennoi Rossii (Verlagswesen im heutigen Russland), 2002, S. 6. Zitiert nach: www.vagrius.rus.

2

Ebenda.

3

Boris Dubin: »Kulturnaja reprodukzija i kulturnaja dinamika w Rossii 1990ch godov« (»Kulturelle Reproduktion und kulturelle Dynamik im Russland der 1990er Jahre«), in: Novoe literaturnoe obozrenie.

4

V. Jerofejew: Vremja rozhat (Zeit zu gebären. Die besten jungen Schriftsteller), Moskau 2001. S. 6.

5

A. Ilnizkij: Knigoizdanie w sowremennoi Rossii (Verlagswesen im heutigen Russland), 2002, S. 6; zitiert nach: www.vagrius.ru.

6

Siehe dazu: György Dalos: »… verstehen wir unter ›Samisdat‹ … ein alternatives Verbreitungsnetz für Literatur, eine Art zweiter Ökonomie, einen geistigen Schwarzmarkt, in: Archipel Gulasch. Die Entstehung der demokratischen Opposition in Ungarn, Bremen 1986, S. 7.

7

Stjöb als Sprachrichtung wurde dadurch gekennzeichnet, dass er sich bewusst als höhnisch, zynisch und oberflächlich präsentierte. Neue soziale Akteure: der zu trinkfeste Präsident Jelzin und die neureichen Russen mit ihrer skurrilen äußeren Entourage waren wie dazu geschaffen, als Zielscheibe des Spottes und der Lachkultur zu dienen. Wie früher das Politbüro, inspirierten sie bissige Witze und Sprüche, die auf der gleichen Wellenlänge wie stjöb lagen.

8

Diese Aufstellung ist unvollständig, es gab in der sowjetischen Literatur viel mehr als die hier angeführten fünf Sparten, zum Beispiel Science-Fiction, Kinderliteratur, historische Romane, Dramatik, Reiseberichte und vieles Andere.

9

Namen wie Andreij Bitow oder Bulat Okudschawa gelten auch heute noch als Klassiker. Der Ruf von Alexander Solschenizyn dagegen ist nicht mehr für die ganze Gesellschaft unbestritten, seine religiösen und historischen (»feudalistischen«) Ansichten erwiesen sich als für breite Kreise der Öffentlichkeit inakzeptabel.

10

Karla Hielscher: »Zum Umgang mit der klassischen Literatur in der russischen Gegenwartsprosa«, in: Kultur und Krise. Russland 1987–1997, Berlin 1997, S. 217.

11

N. Ivanova: »Zhizn i smert simuljakra w Rossii«, in: Druzhba narodov, 2000, Nr. 8.

12

Siehe Fußnote 4, S. 5.

13

B. Tuch: Pervaja desjatka sovremennoj russkoj literatury (Die besten Zehn in der zeitgenössischen russischen Literatur), Moskau 2002, S. 154.

14

Sieh dazu: L. Lissjutkina: »Mütter-Monster? Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in Texten jüngerer russischen Autorinnen«, in: Feministische Studien, 1999, Nr. 1, S. 35–48.

 

 

© Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur – Ausgabe Oktober/November 2003 / 5/03.