Joscha Schmierer

Empire Amerika?

Das schillernde Wörtchen macht Schlagzeilen und Buchtitel: Die Sorge um die Weltordnung scheint sich zur Frage nach Charakter und Rolle der USA zu verdichten. Dabei überschneidet sich das empirische Interesse, was für eine Macht die USA denn nun heute bilden, mit der normativen Frage, ob sie ein Empire sein sollen oder nicht und ob das eine oder das andere segensreicher oder schädlicher für die USA und die Welt wäre. Das macht die Debatte gerade auch in den USA facettenreich.

Das universalhistorisch ambitionierteste der hier besprochenen Bücher stammt von Peter Bender. Weltmacht Amerika – Das Neue Rom nimmt den feuilletonistischen Vergleich ganz ernst und zieht Parallelen zwischen der römischen und der US-amerikanischen Geschichte. Doch die USA schließen an die europäischen Kolonialimperien an, die sie überwinden, ohne ihr Erbe ausschlagen zu können. Aus einer Lostrennung vom britischen Empire entstanden, haben sich die USA weltweit in die kolonial geprägte Weltgeschichte verwickelt. Mag ihre Denktradition sich auch manchmal in die Toga kleiden, ihre Rolle knüpft nicht an Rom, sondern an London, Moskau, Paris, Berlin und Tokio an.

Benders Analogien müssen sich unvermeidlich auf so hoher Abstraktionsebene bewegen, dass sie zwar intellektuell bezaubern, aber nicht mehr viel erklären können. Am Ende zeigt sich ein grundlegender Unterschied, der alle vorher skizzierten Analogien entwertet. Rom hat mit der Expansion von Herrschaft seine Welt geschaffen. Die USA können sich im Unterschied zu Rom zwar rund um den Globus bewegen, müssen sich aber überall mit anderen arrangieren:

»Amerika hat nur die erste Stufe der Weltmacht erreicht«, resümiert Bender. »Es kann gegen den Protest der halben Welt so ziemlich alles tun, was es will; auch Großstaaten sind außer Stande, es zu hindern. Die zweite Stufe der Weltmacht, auf der Rom stand, bleibt für Amerika unerreichbar: Es kann nicht alle zwingen zu tun, was es will Selbst wenn die USA an sich Rom glichen, was nicht der Fall ist, könnten sie es Rom nicht gleichtun, weil sie sich in einer völlig veränderten Welt bewegen. Insofern kann der Vergleich einem Mythos des vierten Roms die Quellen stopfen.

 

Michael Manns Die ohnmächtige Supermacht. Warum die USA die Welt nicht regieren können lässt sich auf ausgreifende Analogien nicht ein, obwohl der Autor einer mehrbändigen Geschichte der Macht über hinreichend Spielmaterial verfügt. The Incoherent Empire, wie das Buch in der englischen Originalausgabe heißt, versteht sich als wissenschaftlich aufgeklärte Polemik gegen die vollmundigen Propagandisten eines US-Empires und richtet sich »gegen den vorgeblich ›realistischen‹ Kern des neuen Imperialismus«. Er lässt die Möglichkeiten der USA in vier Dimensionen der Macht Revue passieren und erkennt einen »militärischen Riesen«, einen »ökonomischen Trittbrettfahrer«, einen »politisch Schizophrenen« und ein »ideologisches Phantom«. Fazit dieses Durchgangs ist, dass die USA mit dem Ziel ein Empire zu errichten, allenfalls in einem gefährlichen Militarismus landen werden. Dieser »unerschütterlich selbstsichere und hyperaktive Militarismus« reiche aber für ein Empire nicht aus und untergrabe die vorhandenen Fähigkeiten der USA weltpolitischen Einfluss und eine Führungsrolle wahrzunehmen. Auf diese Bilanz folgen kurze, aber differenzierte Analysen der Kriege gegen Afghanistan, gegen den islamischen Terrorismus, gegen Schurkenstaaten und Nordkorea, sowie des Angriffs auf den Irak als Fallbeispiele. Als Ergebnis zeichnet sich für Michael Mann eher eine Kumulation von kritischen, vorwiegend militärisch-repressiven Engagements ab denn eine schrittweise Entschärfung von Bedrohungen. Das Fazit:

»Die USA schwimmen gegen den Strom der Geschichte. Am Beginn des 21. Jahrhunderts lassen sich souveräne Nationalstaaten nicht durch fremden Militarismus regieren und unterwerfen. Kein Staat der Welt ist dazu in der Lage ...«

 

Wenn die USA sich aus dieser Sicht darauf einstellen sollten, als mächtigstes Mitglied der Staatenwelt, aber doch als Staat unter Staaten zu wirken, bleibt das Problem, dass viele »souveräne Nationalstaaten« in ihrem Staatsbildungsprozess stecken geblieben sind, zu scheitern drohen oder bereits gescheitert sind. Eine internationale Ordnung der Staatenwelt setzt aber voraus, dass all ihre Mitglieder eine zunehmende Zahl von Mindeststandards der Staatlichkeit erfüllen. Seit dem Wegfall des Blockgegensatzes, der gerade auch in der blockfreien Welt als – freilich repressiver – Ordnungsmechanismus wirkte, wird die ganze Brüchigkeit der postkolonialen Staatenwelt sichtbar. Und damit erhebt sich dann doch die Frage nach einer Ordnungsmacht, die sich nicht schon mit dem Verweis auf den UNO-Rahmen beantworten lässt. Mit dieser Problematik schlägt sich Michael Ignatieff in dem schmalen Essayband Empire lite. Die amerikanische Mission und die Grenzen der Macht herum. Dabei stößt er auf Paradoxe und Dilemmata. So scheint ihm die Entwicklung des Nah-Ost-Konfliktes eine »beunruhigende Tatsache über die Moderne« zu enthüllen: »Niemand mag Imperien, aber es gibt einige Probleme, für die nur eine Weltmacht Lösungen bereithält Wenn die Weltmacht eingreift, macht sie sich als Imperium verhasst, wenn sie nicht eingreift, wird ihr mangelndes Verantwortungsgefühl als Weltmacht vorgeworfen. Aus diesem Dilemma ließe sich allenfalls herausfinden, wenn sich im UNO-Rahmen eine handlungsfähige Weltmacht von alliierten Demokratien bildete, die zu einem attraktiven Integrationspol der Staatenwelt würde. So ließe sich das »zentrale Paradox des Imperialismus« auflösen: »Er ist zur Vorbedingung für Demokratie geworden Umgekehrt gilt nämlich auch, dass Demokratie in den großen und mittleren Mächten die Voraussetzung zur Überwindung des Imperialismus ist, der in der postkolonialen Welt als Falle lauert.

 

Michael Ignatieff ist auch in Empire Amerika. Perspektiven einer neuen Weltordnung mit einem Beitrag vertreten, der hinter den Haupttitel ein Fragezeichen setzt und zugleich an die globale Verantwortung der USA appelliert. Ulrich Speck und Natan Sznaider haben den Sammelband herausgegeben. Mit Beiträgen unterschiedlicher Orientierung liefert er einen guten Überblick auf die angelsächsische Diskussion und setzt zugleich mit den Beiträgen deutscher Autoren originelle Akzente. Herfried Münkler betont das fiktive Moment in der Vorstellung einer Welt aus »handlungsfähigen und dementsprechend verantwortlichen Territorialstaaten«, die der UNO zu Grunde liegen. Man könne diese Fiktion, »die nur in der Generalversammlung der UNO für kurze Zeit als Realität zelebriert wird«, mit Jürgen Habermas als »Vorgriff auf eine zukünftige Weltordnung« verstehen. Für die USA freilich hätte sie zuletzt jede Bindekraft verloren. Münkler arbeitet die antistaatliche Tendenz des »Prinzips Empire« heraus. An diesem Gegensatz von horizontaler Ordnung der Staatenwelt nach europäischem Völkerrecht und einer vertikalen Ordnung internationalen Rechts, die von über den Staaten stehenden Universalien ausgehend in die Staaten hineinwirkt, destilliert Dan Diner ein »Prinzip Amerika«, das gestützt auf die Entfaltung des Weltmarktes die Staatenwelt durchdringt. Vergesellschaftung der Welt und Empire sind in dieser Vorstellung ein dynamischer Widerspruch, der die Neue Welt global hervorbringt.

An dieser schönen Aussicht lässt Eric Laurents Die neue Welt des George W. Bush. Die Machtergreifung der Ultrakonservativen im Weißen Haus starke Zweifel aufkommen. Der Versuch, universelle Werte in der partikularen Form des Staates global zu verwirklichen, wird selbst mit den besten Absichten in die napoleonische Falle führen. Laurent zieht die guten Absichten selbst in Zweifel.

 

Peter Bender: Weltmacht Amerika. Das Neue Rom, Stuttgart (Verlag Klett-Cotta) 2003 (295 S., 19,50 €)
Michael Mann: Die ohnmächtige Supermacht. Warum die USA die Welt nicht regieren können. Aus dem Englischen von Thomas Atzert, Frankfurt am Main (Campus Verlag) 2003 (357 S., 24,90 €)
Michael Ignatieff: Empire lite. Die amerikanische Mission und die Grenzen der Macht, Hamburg (Europäische Verlagsanstalt) 2003 (114 S., 14,00 €)
Empire Amerika. Perspektiven einer neuen Weltordnung. Hrsg. von Ulrich Speck und Nathan Sznaider, München (Deutsche Verlagsanstalt) 2003 (278 S., 16,90 €)
Eric Laurent: Die neue Welt des George Bush. Die Machtergreifung der Ultrakonservativen im Weißen Haus. Aus dem Französischen von Karin Balzer, Karola Bartsch, Ulrike Bischoff u. Udo Rennert, Frankfurt am Main (S. Fischer Verlag) 2003 (224 S., 16,90 €)

 

 

Aus: »Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur« – Ausgabe Oktober/November 2003.