Joscha
Schmierer
Die Krise des Islam
Während
es der radikale Islamismus einfach hat, im Westen seinen Feind auszumachen, für
seinen Hass in den USA das zentrale Ziel zu finden und noch jede terroristische
Aktion als angemessene Reaktion auf Angriffe und Besetzung der Länder des Islam
zu rechtfertigen, tut sich der Westen schwer damit, die Basis der islamistischen Ideologie zu erkennen und herauszufinden,
warum noch die blutigsten terroristischen Verbrechen ein großes und oft positives
Echo finden. Bernard Lewis hat ein ganzes Forscherleben darauf verwandt, dem
Okzident den Orient zu erklären. Mit seinen über 85 Jahren fühlt er sich nach
dem 11. September 2001 mehr denn je herausgefordert, danach zu fragen »What went wrong?« und »The Crisis
of Islam« verständlich zu machen. So lauten die schlichten englischsprachigen
Titel seiner beiden jüngsten Bücher, die auf Deutsch zu Der Untergang des
Morgenlandes. Warum die islamische Welt die Vormacht verlor und zu Die
Wut der arabischen Welt. Warum der jahrhundertelange
Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen weiter eskaliert aufgebläht
wurden. Offensichtlich scheint sich unterhalb des Versprechens auf Enthüllung
einer Verschwörung in Deutschland kein Buch mehr verkaufen zu lassen.
Bernard
Lewis liest die jüngere islamische und speziell arabische Geschichte als eine
Geschichte der Demütigungen aus Sicht der Muslime und insbesondere der Araber,
in deren Augen »der Islam der Inbegriff der Kultur« war. Der ungarische
Historiker István Bibó hat während des Zweiten Weltkrieges
ein wichtiges Buch über Die deutsche Hysterie. Ursachen und Geschichte
geschrieben. In einer Zeit der Ausbildung von (wesentlich sprachlich geprägten)
Nationalstaaten hätten die Deutschen nie Nation und Staat zur Deckung bringen
können, und eben das habe sie ausrasten lassen. Ein Teil der arabischen und
islamischen Hysterie hat seine Ursache in der kolonial vermittelten
Nationalstaatlichkeit, die mit Arabismus und Islamismus
in extremem Spannungsverhältnis stehen.
Im letzten
Viertel des 20. Jahrhunderts galten im Westen panarabische Ideologien und eine islamistische Restauration des Kalifats, teilweise entgegengesetzte, teilweise kumulative Vorstellungen, als
gänzlich überholt. Das sind sie im subjektiven Verständnis von Millionen
Menschen nicht. Zugleich ist der Nationalstaat die einzige international
anerkannte und wirksame Form, in der Muslime und Araber sich in der Staatenwelt
artikulieren können. Solchen Widersprüchen entspringen politische Gestalten wie
Ghaddafi und Saddam Hussein, Nasser und Arafat.
Das Gefühl
der Demütigung ist zum geringsten Maß national – was waren diese heutigen
Staaten schon historisch? –, sondern arabisch und islamisch geprägt. Geherrscht
wurde in dieser Region auf arabisch und islamisch und so artikuliert sich auch
das Gefühl der Demütigung panarabisch und islamistisch.
Das ist nicht das Gleiche. Gegenüber den Bemühungen, einem arabischen
Islamismus mit saudischem Geld in der Welt des Islam Hegemonie zu verschaffen,
kann vor allem dort auf die staatsbildenden Kräfte
gesetzt werden, wo es eine eigene staatsähnliche Tradition gibt. Iran und
Ägypten fallen einem ein, die Türkei sowieso.
Bernard
Lewis hat Sinn für diese politischen Probleme. Staatsbildung in der arabischen
und, darüber hinaus, in der islamischen Welt ist eine Grundfrage der Überlebensfähigkeit
der UNO in ihrer postkolonialen Gestalt. Das Gegenmodell bietet die panarabisch-islamistische Ideologie eines Osama bin Laden. »So gesehen ist der amerikanische
Präsident der Nachfolger einer langen Reihe von Herrschern: des byzantinischen
Kaisers von Konstantinopel, des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches, des
Herrschers in Wien, der Königin Victoria und ihrer imperialen Mitstreiter und
Nachfolger in Europa.« Der radikale Islamismus mag
sich in der Vorstellung gefallen, der »Welt der christlichen Ungläubigen«
gegenüberzustehen, »die mit der göttlich verordneten Ausbreitung des Islam
wetteifert und ihr im Wege steht«, tatsächlich richtet er sich gegen die
säkulare Form, die die internationale Gemeinschaft in der UNO gefunden hat.
Bernard Lewis: Der Untergang des
Morgenlandes. Warum die islamische Welt die Vormacht verlor, Bergisch Gladbach
(Gustav Lübbe Verlag) 2002 (254 S., 19,90 €)
ders.,
Die Wut der arabischen Welt. Warum der jahrhundertelange
Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen weiter eskaliert, Frankfurt am Main
(Campus Verlag) 2003 (192 S., 19,90 €)