Marko Martin

Nach dem Krieg. Vor dem Krieg. Dazwischen

Wovon wir reden, wenn wir von Israel reden

 

 

Es sind vor allem Gespräche mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die in der Reportage unseres Autors einen Einblick in die rege innerisraelische Diskussion um Krieg und Frieden gewähren. In dieser multikulturellen Gesellschaft unter existenziellem Druck existiert keine Einheitsstimmung. Der »Feind« ist kein Monster, sondern ein vielschichtiges Problem, zu dem sich das Handeln der eigenen Regierung als ein umstrittenes gesellt. Illusionen aber über Israels »Umgebung« macht sich hier wohl niemand.

Für Nadav Kersh

Seit Camp David 2000 bin ich kein Linker mehr, seither werde ich auch nicht mehr nach Deutschland eingeladen.« Yoram Kaniuk, inzwischen 76 Jahre alt, sitzt an der verspiegelten Wandseite eines Coffee-Shops im Norden Tel Avivs und scheint die Überraschung des Besuchers durchaus zu genießen. »Unterschätzen Sie nicht den Verlust: Nie wieder wunderbare Podiumsdiskussionen mit einem nichtsahnenden deutschen Moderator, einem sich ergreifend beklagenden Palästinenser und dazu einem linken Israeli, der die Alleinschuld natürlich bei der eigenen Regierung sieht. Nie wieder Einladungen in Hotels und Seminarzentren rund um die Welt, in denen der Romancier seine selbstkritische Haltung zum Besten geben kann, nachdem zuvor ein neues Projekt über, sagen wir, Umweltschutz im Gazastreifen diskutiert wurde.« Yoram Kaniuk zündet sich seine Pfeife an, die halblustig zugekniffenen Äuglein fixieren sein Gegenüber.

»Sie waren einer der Mitbegründer der israelischen Friedensbewegung ...«

»Exakt. Bereits in den Sechzigerjahren habe ich damit begonnen, später dann mehrfach illegal hohe PLO-Mitglieder getroffen. Ich habe geredet und zugehört, habe meine Landsleute zu überzeugen versucht, dass ein Friede möglich ist und wir Vorleistungen zu erbringen hätten.«

»Und nun haben Sie kapituliert?«

»Ich habe lediglich erkannt, dass der Ur-Konflikt weder politische noch ökonomische Ursachen hat, dass er stattdessen kulturell-religiös ist und folglich keine Lösung kennt.«

»Trotz Hamas gibt es kein arabisches Volk im Nahen Osten, das so säkular wäre wie die Palästinenser.«

Yoram Kaniuk seufzt. Hat er sich womöglich an diesem Vormittag einen weiteren Schwärmer aufgeladen? »Es geht nicht nur um Gebete, es geht um so etwas wie Rationalismus. Wir haben uns aus Gaza zurückgezogen – gut so. Warum zum Teufel nutzen es dann die Palästinenser nicht als Laboratorium und Beweis, dass sie durchaus zu einer Zweistaatlichkeit fähig sind? Weshalb profitieren sie nicht von ihren schönen Stränden und ziehen nicht in Windeseile Hotels hoch, um mit einem Niedrigpreis-Tourismus uns arroganten Israelis endlich mal eine lange Nase zu drehen, weshalb erklären sie wohlhabenden US-Arabern den Gaza-Urlaub nicht zur patriotischen Pflicht, damit Geld in die Kassen kommt? Und so weiter und so fort. Ich könnte endlos weiterfragen und bekäme doch nur eine Antwort, weshalb sie stattdessen Raketen auf uns schießen und Tunnel bauen, um auf unserem Gebiet Soldaten zu entführen. Weil sie sich bis heute mit der Existenz Israels nicht abgefunden haben, in Gaza ebenso wenig wie im Südlibanon. Weil sie in größeren Zeiträumen denken. Weil es sinnlos ist, sie auf vermeintliche ›Fehler‹ hinzuweisen. Weil ohnehin kurzfristig nichts Bedeutung hat, solange Israel nicht vernichtet ist.«

Kaniuks Blick ist auf einmal überhaupt nicht mehr provozierend, nur unendlich müde. »Ich frage ohne Triumph, aber ich frage: Dreihundert Millionen Araber – und wo bleiben die Nobelpreise? Wo bleiben technologische Entwicklungen, ja sogar ein simples menschenwürdiges Leben im riesigen Land der Ägypter? Warum werden laut Statistik pro Jahr in der gesamten arabischen Welt genauso viele Bücher übersetzt wie in Israel in einer Woche – und weshalb machen dabei Die Protokolle der Weisen von Zion den Löwenanteil aus? Denken Sie nicht, ich hätte mich wie ein üblicher Konvertit oder Renegat mit diesen Zahlen freudig vollgesaugt. Ich wünschte, sie wären anders – darauf können Sie wetten. Ich spreche ja nicht etwa von ›dummen Arabern‹, sondern von einer Religion, die jede positive Neugier abtötet. Ehe sich da etwas ändert, kann es Jahrhunderte dauern, und das ist noch die positivste Deutung, denn wahrscheinlich werden wir uns ihnen anpassen müssen – Israel vermutlich nach einer militärischen Niederlage und Europa, wo schon heute Millionen nicht integrierter Muslime leben, im üblichen vorauseilenden Dialog-Gehorsam.«

Gibt es jedoch nicht auch eine Geisteshaltung, die es sich in Erwartung kommender Schrecken allzu gemütlich macht? Yoram Kaniuk, einer der berühmtesten Romanciers Israels, 1930 als Sohn eines deutschen Vaters und einer russischen Mutter geboren, mit 18 Jahren bereits Kämpfer im Unabhängigkeitskrieg, danach Maler in der Pariser Boheme, in New York Jazz- und Frauenliebhaber, die Welt von Billie Holiday und Charlie Parker ...

»Worauf wollen Sie hinaus?« Keinerlei Aggressivität in seiner Frage, eher schon Neugier.

»Auf diesen Satz von Albert Camus«, sage ich, »dass man den Menschen Gründe gegen ihr Schicksal in die Hand geben muss.«

»Dann fahren Sie nach Gaza oder in den Südlibanon, und geben Sie ihnen diese Gründe. Ich bin dafür schon zu alt.«

Wie kann man mit solcher Gestimmtheit noch Bücher schreiben? Immerhin, I did it my way, der lebenspralle New-York-Hymnus, erschien 2003, drei Jahre nach dem von Arafat verschuldeten Desaster von Camp David.

»Besser, als Sie denken. Die Lage der Juden war immer fragil, in Europa von hier nach da vertrieben, und trotzdem gab es immer wieder Bücher, Dispute, Gedanken. Außerdem – ich sitze zumindest in Tel Aviv, in meiner Stadt. Wenn mir und meinen Mitbewohnern auch vom Präsidenten Irans ein eher unfreundliches Schicksal vorausgesagt wird.«

»Apropos. Ich erinnere mich an Anfang 91 während des Golfkriegs, als Sie in Deutschland bei einer Podiumsdiskussion von Grass mit der Bemerkung angeblafft wurden, alle Kriege seien unmoralisch. Wundern Sie sich über die jetzige Debatte um seine Waffen-SS-Vergangenheit?«

»Debatte? Die Deutschen halten ihn doch weiter für einen ›politischen Intellektuellen‹. Aber ich wundere mich nicht. Er hat damals den judenvernichtenden Charakter des NS-Systems nicht verstanden und versteht heute den Antisemitismus des Islam-Faschismus ebenso wenig. Besserwisserei, aber keinerlei Empathie ... Schauen Sie sich mal seine hochgelobten Romane an, die sind sozusagen judenfrei. Bis auf die Ausnahme vom Im Krebsgang über die letzte Fahrt der ›Wilhelm Gustloff‹. Da kommt als ›Mörder‹ des Nazis Gustloff ein David Frankfurter vor, der dann nach 1948 angeblich ein hohes Tier in der israelischen Armee gewesen sei. Erst Deutsche umbringen, dann Araber abschlachten – ich glaube, die Botschaft ist eindeutig. Die Sache ist nur, dass David Frankfurter nie in der Armee war, sondern stattdessen im Rahmen der Jewish Agency Neueinwanderern bei der Integration half. Schon seltsam, was Grass sich da alles zusammenfabuliert, finden Sie nicht?«

Kaniuk ist nicht wirklich verbittert, dafür liebt er die Frauen zu sehr. Aber er simplifiziert.« »Tut er das?« »Ja, zum Beispiel, was unsere Gegner betrifft. Da tappt er in die gleiche gefährliche Falle wie Bush. Bin Laden, Nasrallah, Assad, Ahmadinedschad ... Als gäbe es da keinerlei Unterschiede. Die Schia, das heißt die Schiiten, mögen Bin Laden nicht – im Irak werden sie immer wieder Opfer von al-Qaida. Diese wiederum sieht in Nasrallah einen Konkurrenten, das war während des Krieges deutlich zu spüren. Assad schließlich ist ein Alawit, der mit dem Iran nur zur Notgemeinschaft angedockt hat, weil ihm der Westen bislang keine attraktiven Angebote gemacht hatte. Vergiss nicht, dass der alte Bush 91 den alten Assad sogar zur Unterstützung des Golfkrieges gewinnen konnte. Ahmadinedschad dagegen ist ein Fanatiker, aber er kontrolliert nicht vollständig das Militär, vergiss auch das nicht.«

Vor allem vergisst du eines nicht: Nir Baram, 26-jähriger Shooting-Star der israelischen Literatur, Kolumnist und Autor dreier hochgelobter Romane (der jüngste, futuristische, The Remaker of dreams, stand monatelang auf den Bestsellerlisten), Sohn eines ehemaligen sozialdemokratischen Ministers und prominenter Verfasser einer vor allem von der jüngsten Intellektuellen-Generation getragenen Anti-Kriegs-Petition vom Juli 2006, Nir Baram ist Jude. Ist – Differenzierung hin oder her, rechts oder links, Westbank-Rückzug ja oder nein – mitsamt seinem Land das Ziel von tödlich präzisen Vernichtungsdrohungen. Ihr sitzt im Café Shine in der Nähe Frischman- und Dizengoff-Street, und es ist wie vor vier Jahren in Leipzig, als ihr nach einer gemeinsamen Podiumsdiskussion in einem der neu eröffneten In-Läden noch ein Bier zusammen getrunken habt: Nir Baram im Heavy-Metal-Shirt, die schwarze Ponyfrisur etwas ausgefranst, Silberringe an den Händen, Zigaretten und lebhafte Gesten, ausufernde Gespräche über Literatur und Politik. Studenten-Euphorie?

»Du hältst mich für einen von euren linken Phantasten, gibs zu. Peace and love und die ganze naive Selbstgerechtigkeit, das witterst du, oder?« Nir Baram schüttelt den Kopf. »Es geht doch gar nicht darum, für diese Typen den guten Juden spielen zu wollen. Wir, das heißt unsere Regierung, aber auch die Amerikaner, müssen nur smarter werden. Da drohen und dort Angebote machen, klassische Diplomatie und Undercover-Aktionen. Alles, nur nicht einfach losbomben wie im Libanon und hinterher Scheich Nasrallah mit Victory-Zeichen wieder auftauchen zu sehen. Immer schon gab es diese zwei Optionen: Golda Meir, die sich 1971 weigerte, mit Sadat zu sprechen und Begin, der mit ihm 1979 den Friedensvertrag schloss. Und dabei hieß unser Hauptfeind jahrzehntelang Ägypten! Inzwischen sind sie berechenbare Nachbarn.«

»Bis jetzt. Und auch erst, nachdem sie den Yom-Kippur-Krieg verloren hatten ...«

»Einverstanden. Aber man muss nicht jeden Krieg führen, um abzuschrecken. Im Libanon hätte auch eine Drohung in sehr nachdrücklichem Ton oder wegen mir auch eine strategische Bombardierung gereicht und wir hätten unzählige Menschenleben dies- und jenseits der Grenze retten können. Unsere Politiker haben ebenso versagt wie das Militär.«

»Glaubst Du, Bibi Netanya feiert bald sein Comeback?«

»Behüte uns Gott davor. Was man den anderen vorwirft, trifft am meisten auf ihn selbst zu: Null Kohärenz. Als Finanzminister hat er mit seiner Fiskalpolitik den israelischen Sozialstaat zerschlagen, ohne gleichzeitig Weichen für mehr persönliche Aufstiegsmöglichkeiten zu stellen. Was wir jetzt haben, ist also die niederschmetternde Tatsache, dass der Staat kein Geld hat, um die von der Hisbollah zerstörten Gebäude und Privathäuser in Nord-Israel wieder schnell aufzubauen. Was also tun die Leute da? Schreiben Briefe an unsere russischstämmigen Oligarchen mit der Bitte um Hilfe! Das heißt, wenn sie Juden sind. Die israelischen Araber haben nicht einmal diese Möglichkeit ...«

Die hiesigen Zeitungen sind noch immer voll mit Meldungen über Schlamperei und Verzögerung, die vor allem den Wiederaufbau in den Dörfern der israelischen Araber betrifft; die Empörung der Journalisten ist enorm. Das ist die Chance, denkst du, das Einmalige dieses winzigen Landes, während du von deinem kleinen Hotel die Allenby Street hochläufst, laut, die alten Kolonialhäuser und Bauhausungetüme längst am Zerbröseln, bunte Plakate an Bretterzäunen, dazwischen die kleinen Läden: Armee-T-Shirt neben Kippot neben einer arabischen Kaffiyah. Auf dem Carmel Market, in jüngster Vergangenheit Tatort mehrerer blutiger Selbstmord-Attentate, verschleierte Frauen, die hier einkaufen und sich lautstark auf Arabisch unterhalten. Und der Einzige, der nervös den Kopf wendet, bist du. (Hätte es in Deutschland vergleichbare Attentate gegeben, denkst du, der Mob hätte garantiert in Kreuzberg und Neukölln Jagd auf Türken gemacht. In Europa: NPD und DVU, Ausländerhatz in Brandenburg, Le Pen, Haider, Vlaams Block, rassistische Übergriffe. Und in Israel, dessen arabische Minorität, vorsichtig formuliert, durchaus einen Loyalitätskonflikt hat? Nichts dergleichen. Stattdessen harsche Belehrungen aus eben jenem Europa.)

Jerusalem

»Du kennst die Vorgeschichte des Ganzen?«

»Die Entführung der israelischen Soldaten durch die Hisbollah?«

»Nein, die Vorgeschichte. Also, hör zu. Justizminister Ramon wird von einer Mitarbeiterin beschuldigt, sie sexuell belästigt zu haben. Die Frau meldet sich allerdings aus Nicaragua, wo sie gerade Urlaub macht. Bizarr, oder? Gleichzeitig wird sogar Präsident Katzav mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung konfrontiert.«

»Und?«

»Und Iran schaut zu. Eine israelische Regierung, die mit ihren Rückzugsplänen in der Region für Stabilität und Akzeptanz sorgen könnte, wäre für die trouble-maker in Teheran eine reale Gefahr. Also guckten sie, was sich so im Inland tat: Sie sahen da diese Zivilisten in der Regierung, und sie hörten die Frau aus Nicaragua, die plötzlich alle Schlagzeilen beherrschte. Zu allem Überfluss kam dann auch noch Asi Dayan von unsrer berühmten Dayan-Family wegen einer Überdosis Koks ins Krankenhaus; er hatte zusammen mit seinem Sohn geschnupft, und die Fernsehreporterin, die ihn danach interviewte, war ausgerechnet Ilana Dayan, seine Cousine. Kennst du noch diesen alten Antisemiten-Satz? ›Da geht’s zu wie in der Judenschule ...‹ Nur kurz darauf verhöhnte der Hisbollah-Chef unsere Gesellschaft als dekadent und verweichlicht, wenige Tage später wurden die israelischen Soldaten gekidnappt. Es war ein Versuchsballon aus Teheran, aber natürlich haben sie sich wieder verschätzt und die vitale Skepsis der Gesellschaft gegenüber unserer Regierung falsch gedeutet. Trotzdem waren wir nicht ausreichend vorbereitet. Weißt du, was in den Kriegstagen in den Zeitungen stand? ›Sharon, wach’ auf, Olmert ist im Koma!‹ Und Peretz, der Verteidigungsminister, war früher Gewerkschaftschef.«

Für einen Moment stellst du dir dies vor: Deutschland geschrumpft auf Israels Größe von der Fläche des Bundeslandes Hessen, von einem ungleich größeren, nahe gelegenen und nach der Atombombe strebenden Land mit Auslöschung bedroht, dazu täglich von der Nordgrenze aus beschossen – und alle Hoffnungen liegen auf der Klugheit des neuen Verteidigungsministers, Frank Bsirske sein Name.

»Weshalb lachst du?«, fragt N., in T-Shirt und Bermudas mit gekreuzten Beinen dir gegenübersitzend. (Sind tatsächlich bereits sechs Jahre vergangen, als ihr euch das letzte Mal gesehen habt – in Frankfurt, vor der Zweiten Intifada, vor dem Elften September, als unter Premierminister Barak noch alles möglich schien und die El-Al-Flüge, auf denen N. damals als Steward arbeitete, voll frohgemuter Touristen waren?) Du beschreibst ihm deine beunruhigende Ein-Minuten-Vision, anschließend trinkt ihr noch zwei Guinness im Club »Dublin« hinter dem Zion’s Square: Klimaanlage, holzgetäfelte Wände, Wandspiegel, Sitzecken, gefiedelte Songs aus Eire. Als ihr wieder hinaustretet in den Jerusalemer Abend, ist die Schlange vor dem Absperrgitter bereits lang, der äthiopischstämmige Security-Mann mit dem Detektorstab gerät ins Schwitzen.

»Warum sind eigentlich fast alle diese Leute Schwarze?«

»Weil sie in ihrer sozialen Lage für niedrige Löhne ein immenses Risiko eingehen, es ist ein weiteres Problem.«

Ihr kauft im Supermarkt etwas ein – passiert zuvor mit anderen die Sicherheitsschleuse – esst bei N. zu Abend, denn noch vor Mitternacht muss er wieder los. »Es ist eine Möglichkeit, mir das Studium zu finanzieren. Jüdische Philosophie und Sinologie, you know. Also sitz’ ich bis früh um sechs in diesem Call-Center und klingele reiche amerikanische Juden an, damit sie uns etwas Geld schicken gegen die Kriegsschäden. Ich nehm’ dich mit dem Auto zum Hotel mit, obwohl ... Nein, ich lass dich in Nahla’ot raus, wetten, dass du die Gassen dort noch nicht kennst?«

Nie zuvor, nicht in all den Jahren, in denen du hier gewesen bist, warst du durch diese Gassen gelaufen. Dunkle Steinwände, von den Lichtquadraten der Fenster mit Schatten und Konturen beschenkt, gedämpfte Klänge von Gesprächen, Radiostimmen, in kleinen Höfen letztes Ballspielen der Kinder vor dem Nachtschlaf, darüber Linien diffus besternten, schwarzblauen Himmels. Wärest du zuvor hier gewesen, denkst du, in diesem winzigen, aber dich im Unterschied zu Me’a She Arim nicht beengenden Viertel unterhalb der Yafo Street, du würdest jetzt das Gleiche empfinden wie schon bei deinem Streifen durch Tel Aviv und die anderen Orte in Jerusalem: Fünf Jahre seit deinem letzten Hiersein? Ach was, fünf Minuten nur waren es ... Deine Schritte finden den Weg, die Augen sehen – in der arabischen und jüdischen Altstadt ebenso wie im Westteil – wieder das, was als Erinnerung ohnehin auf der Netzhaut gelegen hatte: Schade nur, dass du kein Gedicht daraus machen kannst, keine Zeilen, die im Symbol etwas bannen, festhalten, Transparenz ergeben. Und doch, als du am nächsten Tag gegen Mittag in dein kleines Hotel in den Sträßchen unterhalb des Ticho House zurückkehrst und die dreiköpfige, rötliche Tonfigur in den Händen hältst, die in einen Körper zusammenläuft, hast du genau das: Materie gewordene Metapher für die Wunder der Existenz.

»Da ist auch Erotik dabei«, sagt der sechsundachtzigjährige Manfred Winkler, Deutsch und Hebräisch schreibender Lyriker, Celan-Übersetzer, Maler und Bildhauer. Wie er weißbärtig und doch mit noch immer leuchtenden blauen Augen in seinem winzigen Atelierzimmer hinter der King-George-Straße gerade am Telefon mit seiner Frau gesprochen hat, liebevoll jedes seiner Worte aussendend, in einem konzentrierten, fast schon unvertraut gewordenen Deutsch. Wie ihr gar nicht über den Krieg sprecht, sondern über das Ältere, Tieferliegende: Die Fragilität des Körpers, seine Einmaligkeit und die Überwindungskraft des Geistes, der Kunst. Rings um das poröse einstöckige Häuschen, in dessen Erdgeschoss Plastikmüll und Bauschutt liegen, während oben die Wände noch mit Bildern behängt, die Regale voller Bücher und Skulpturen sind, warten bereits wie bösartige Tiere die Bulldozer und Bagger. Es ist, als wäre hier, in diesem teppichbelegten Zimmer, dessen Fenster auf die Südseite gehen und zur Mittagszeit mit Jalousien gegen das harte Sonnenlicht geschützt werden müssen, eine letzte Insel deutsch-jüdischer Gelehrsamkeit. (Aber studiert nicht auch N. die Bücher von Martin Buber, ja selbst Shalom Ben-Chorin, hat er dir nicht im »Dublin«-Pub begeistert davon erzählt?) Die müden Kinder von Jerusalem/ ich male sie mit Abend im Gesicht/ und dem Rauschen der Westwinde, behindert von Gottes Gewicht.

Doch nimmst du dann nicht nur eine Skulptur mit nach Hause, sondern auch die Erinnerung: Manfred Winkler, aufgewachsen in Czernowitz, der eine Teil der Familie in Stalins Gulag verschwunden, der andere Teil in der Shoa untergegangen – dir an einem Jerusalemer Spätvormittag davon erzählend, das Gedächtnis, die Mahnung haltbarer als eine Tonfigur und doch außerhalb Israels von Entschwinden und Vergesslichkeit bedroht: Fünf Jahrzehnte jüngerer Gast, gib Acht.

Abends im Independence-Park hinter der Yoel-Solomon-Street Begegnung mit A., einem Philosophiestudenten, der sich sein Studium auf denkbar riskante Weise als Sicherheitsbegleiter in den öffentlichen Nahverkehrsbussen finanziert. Aufgewachsen in Dagestan, kaukasische Gesichtszüge und ein unerwartet reichhaltiges Deutsch. »Meine Großmutter flüchtete als junge Kommunistin Ende der Dreißigerjahre nach Russland und wurde dann von den Stalinisten in den Kaukasus deportiert.« Die müden Kinder von Jerusalem? Eher jene, die dir danach, beim Eisessen auf der noch mitternächtlich belebten (zu beiden Seiten von Polizei-Jeeps geschützten) Ben-Jehuda-Straße – und im völligen Gegensatz zu ihren somnambul-amorphen westlichen Generationsgenossen – diese Fragen stellen: »Wie geht eigentlich Europa mit seinen Millionen Muslimen um? Habt ihr überhaupt ein Bewusstsein davon, dass es Millionen sind? Oder stellt ihr schon diese Frage unter Generalverdacht – widersprich mir nicht, ich habe ein Jahr in Hamburg gelebt, unter den so genannten guten Deutschen, für die sich Geschichte allein auf den Namen Hitler reduziert. Außerdem, ich frag ja nur. Was will Europa, welches Projekt hat es, wie stellt es sich Zukunft vor?«

Du denkst: Noch immer ein schönes Mädchen. Das grazil aus der Stirn gestrichene schulterlange, schwarze Haar, das ernsthafte Zögern vor jeder Antwort, dieses Lächeln. Dabei ist Mira Magén, eine der prominentesten Schriftstellerinnen Israels, bereits Anfang fünfzig und spottet über das mindestens drei Jahrzehnte alte Autorinnenfoto ihres deutschen Verlages. Ihr sitzt euch gegenüber im Café Masaryk in Emek Refa’im, der so genannten German Colony. In einem der einstöckigen, von grün wuchernden Gärten umgebenen Häuser lebte bis letztes Jahr Batya Gur, weltweit bekannt gewordene Schöpferin der Inspektor-Ochajon-Romane. Eines natürlichen Todes gestorben, wie man beschönigend sagen würde: Mit 59 Jahren an Krebs.

»Nicht genug damit, dass es unsere Endlichkeit gibt. Dann zetteln andere auch noch Kriege an.«

»Sie waren aktiv in der Friedensbewegung Shalom Achshav, Peace Now ...«

»Und bin es noch!«, sagt Mira Magén.

Ich frage: »Und der Name? Ihr Kollege Joshua Sobol, der Dramatiker, sagte während des Krieges, als UN und EU auf eine sofortige Feuerpause drangen: ›Nichts ist im Moment sinnloser als eine Parole wie Frieden jetzt‹.«

»Das kommt daher, dass wir linke Israelis schon immer einen anderen, ich möchte sagen ernsthafteren, Friedensbegriff als die europäischen Pazifisten hatten. Frieden als etwas, das die eigene und die Zukunft der anderen nachhaltig sichert, die Abwesenheit von Vernichtungsdrohungen. Kein metaphysisch überhöhtes Paradies. Ich war bei konkreten Details gegen die Art der Kriegsführung, aber Tatsache ist, dass das bisherige Programm der Hisbollah auf die Vernichtung Israels zielt. Dauerhafter Frieden muss die nachdrückliche Schwächung dieses Vernichtungswunsches als Basis haben, sonst ist er nur die Atempause für einen neuen Krieg.«

»Fast genau in jenem Moment, als die Rechte den Gedanken eines Rückzugs auf Kern-Israel zu akzeptieren begann, musste die Linke erfahren, dass ihr Konzept ›Land gegen Frieden‹ nicht funktioniert. Weder in Gaza noch in Libanon.«

»Ja, und die einen sagen nun, es wird nie funktionieren und die anderen: Warten wir ab. Sie treffen mich in einem Moment, wo ich keinerlei Antwort weiß. Obwohl ich natürlich hoffe, dass wir uns trotz allem auch aus dem Westjordanland zurückziehen und mit dem Aufbau normaler Nachbarschaft beginnen können. Allerdings brauchen wir dafür Partner auf der anderen Seite.«

»Ihr jüngster Roman, Als ihre Engel schliefen erzählt dagegen eine quasi rein private Geschichte. Eine glücklich verheirate Frau trifft in Jerusalem auf einen russischen Straßenmusiker und verliebt sich derart, dass die Basis ihres bisherigen Lebens wegzubrechen droht.«

Wieder dieses Lächeln, der schmale Grat zwischen Zaghaftigkeit und Selbstbewusstsein. »Ja, und doch hat selbst das mit der Gesellschaft zu tun. In einem Land, wo keiner weiß, was die Morgennachrichten bringen werden, wo jede Busfahrt ein gewisses Risiko darstellt, da wächst die Sucht, nichts zu verpassen. Auch um den Preis, das wirklich Entscheidende zu verlieren, das allerdings jeder für sich ganz anders buchstabiert.«

Tel Aviv

Seit ihr euch das letzte Mal gesehen habt, scheinen seine Koteletten eine leicht Graufärbung bekommen zu haben, hat er ein wenig zugenommen, ist mit seiner Frau in eine andere Wohnung gezogen – ist Vater geworden. Alle drei bewundert ihr den acht Monate alten Sohn und geht danach zu zweit in ein Terrassen-Café nahe der Frischman-Street, wo Etgar Keret auf einen Freund trifft: »He, wie geht’s dem Kleinen?« Später wird er sagen: »Ich habe die Petition von Nir Baram für das Kriegsende nicht unterzeichnet, obwohl mir das eine Menge Kritik eingetragen hat.« Ist der Autor von Israels schrägsten Kurzgeschichten, der Verfasser solch absurd-realistischer Storys wie »Der Sohn vom Chef vom Mossad« oder »Der Busfahrer, der Gott sein wollte«, plötzlich konservativ geworden – mit 39 Jahren?

»Nein«, sagt Etgar Keret mit freundlichem Hamsterblick. »Ich glaube nur nicht, dass ein Krieg die beste Gelegenheit ist, einer jüngeren Autorengeneration – was immer das sein mag – eine Art Abgrenzungs-Identität gegenüber den angeblich zu schlaff gewordenen Alten von Amos Oz bis Yoram Kaniuk oder David Grossman zu verschaffen. Ich habe übrigens nie Petitionen unterzeichnet, weil die Dinge, die ich sagen will, ohnehin zu kompliziert sind, um in eine Zeitungsspalte zu passen.«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel die Frage, weshalb dieser zweite Libanon-Krieg noch keinen richtigen Namen hat wie etwa der Unabhängigkeitskrieg oder der Yom-Kippur-Krieg.«

»Das hältst du im Ernst für entscheidend?«

»Tu ich. Wenn wir einen Namen dafür haben, werden wir auch die Fehler und Schwächen besser analysieren können.«

»Es gibt diesen Satz in Jesaja 56, Vers 5: ›Einen Namen auf unabsehbare Zeit werde ich ihnen geben ...‹«

»Dieser Gedanke des Namen-Gebens und Verantwortung-Umkreisens ist ganz wichtig! Was ich meine, ist: Wir brauchen, wie schon nach Yom Kippur, eine schonungslose Debatte jenseits der alten Rechts-links-Muster. Wir müssen den Krieg denken, etwa die im Grunde genommen ethisch völlig unakzeptierbare Tatsache, dass es die toten Zivilisten waren, die Hisbollahs Rückhalt in der libanesischen Bevölkerung schließlich brüchig werden ließen, und nicht die Zahl der getöteten Gotteskrieger, die wahrscheinlich ganz froh waren, zu Märtyrern geworden zu sein. Außerdem sollten wir über die Rolle der Medien nachdenken, die mit ihrer auf Sensation geeichten Optik die optimale Aufmerksamkeitsbasis für jeden durchgeknallten Zeloten bieten.«

»Gilt das auch für Europa?«

Etgar Keret sagt: »Ja, aber noch viel umfassender. Du bist öfter hier, du weißt, dass dieses kleine Land ein Laboratorium ist. Für die Erinnerung an die Vergangenheit, dabei nicht nur an Hitler. Für die Multikulturalität zwischen den Einwanderern aus allen Ländern der Welt und nicht zuletzt für den Konflikt zwischen dem Westen und der islamischen Welt.«

»Bist du pessimistisch wie Yoram Kaniuk?«

»Noch nicht, noch bin ich mit dem Beobachten und Analysieren längst nicht zu Ende gekommen.«

»Das heißt?«

»Das heißt, was ich bis jetzt sehe, ist Folgendes: Israel hat ebenso wie Europa – und das ist der Unterschied zur Agonie des Römischen Reiches – keine Sklaven, sondern Gastarbeiter, die es so lala behandelt und die jene Arbeiten verrichten, welche die Einheimischen selbst in Krisenzeiten sich nicht mehr zumuten wollen: Bei euch die Türken, bei uns Filipinos, Thais, Nigerianer, Rumänen. Im Grunde interessieren wir uns nicht für sie, denn sie sind ganz okay und stören uns nicht. Leider interessieren wir uns, nun ganz ähnlich den Römern, aber auch nicht für die Mentalität unserer Feinde. Ein paar Scharmützel an der Peripherie des Imperiums, vereinzelte Islamisten-Verhaftungen in Europa, Israels Luftwaffenangriffe im Süd-Libanon, und das wars. Wir nennen die anderen ›Barbaren‹, nehmen sie aber nicht wirklich ernst. In Europa waren bislang alle Konflikte inner-europäisch, also ist man gar nicht in der Lage, sich andere Szenarien vorzustellen.«

»Und was wäre zu tun?«

»Diese Tatsache endlich einmal zu thematisieren! Das wäre sinnvoller, als weltweit NGOs herauszuschicken, die anderen Leuten das bringen, was wir gern bei uns haben. Aber wollen die das auch bei sich? Ich muss da nicht einmal weit weg gehen, denn meine Schwester ist ultra-orthodox und keineswegs unglücklich. Nur dass sie eben keine Demokratie will, sondern ihre Freiheit darin zu finden glaubt, auf die Ratschläge ihres Rabbi zu hören. Was soll ich sagen, ihr ›falsches Bewusstsein‹ attestieren?«

»Immerhin«, sage ich, »hat sie keine Absicht, dich zu bekehren oder in die Luft zu sprengen.«

»Wohl wahr. Sogar ein entscheidender Unterschied. Trotzdem. Wir sollten uns immer wieder an Ehud Barak erinnern. Was sagte er damals im Jahre 2000 in Richtung Libanon, Syrien und Palästina? ›Okay, ich weiß, was ihr wollt. Hier ist es, aber nun lasst uns auch in Ruhe.‹ Es hat nicht funktioniert, ja es war so falsch, dass nicht einmal die Gegenposition von dem richtig gewesen wäre. Ich meine ... Sagst du ›Stopp‹, wenn ich mich wie ein kryptisches Orakel anhöre?«

»Noch ist es nicht so weit«, antworte ich.

Die donnerstägliche »Towel off«-Party im Paradise. Junge Soldaten, die dir von ihren Einsätzen in Gaza und im Libanon erzählen, während Trance-Techno durch die Räume hallt und sich das Wasser im Whirlpool kräuselt. Ihre Ernsthaftigkeit bei allem Hedonismus, die skrupulöse Detail-Kritik an der Arroganz und der Araber-Verachtung so mancher Vorgesetzter, ihr waches Bewusstsein ihrer selbst und ihres Landes. Hirnlose Party-People?

Kabdehu Ve’Jashdehu.« »Was heißt das?« »Auf englisch so etwa wie ›respect and suspect‹.« »So bezeichnet ihr eure Beziehungen mit den Arabern in Jerusalem?« »Tun wir«, sagt N. »Und die Chi-Chi-people aus Tel Aviv halten uns deswegen für Rassisten. Die Sache ist nur die, dass diese Leute überhaupt keinen Kontakt mit Arabern haben. Nichts! Also idealisieren sie und halten uns Paternalismus vor, wenn wir sagen, dass wir unseren arabischen Nachbarn selbstverständlich bei Kleidersammlungen Sachen geben und ihnen Jobs anbieten.«

»Hör zu, es klingt aber auch ...«

N. gibt den Joint an S. weiter, drückt die Rückseite seines Korbsessels gegen die Balkonwand. Über euch der Nachthimmel von Tel Aviv, darunter die schlafende, jetzt so stille Stadt. »Es klingt strange, aber es ist ein Modus Vivendi. Okay? Zwei Völker, denen man immer wieder gesagt hat, sie sollten sich hassen, begegnen sich mit Distanz – sag mir mal, was daran falsch ist. Jedenfalls ist es tausend Mal besser als dieses Geschwafel von Brüderlichkeit, das nur besitzergreifend ist und im schlimmsten Fall mörderisch: Denk an Kain und Abel. Außerdem, glaubst du wirklich, die Araber würden sich wohlfühlen, hier mit uns herumzusitzen und unsere Art der Debatten zu führen? Einige vielleicht, und die säßen dann auch hier, garantiert. Was ich aber den Oberschicht- und Mittelklasse-Linken in Tel Aviv vorwerfe, ist ihre politische Korrektheit, während sie doch unter sich bleiben, weder Palästinenser noch Orthodoxe kennen, höchstens noch ihre so schick antizionistischen Verwandten im New Yorker Village. Am schlimmsten aber ist, dass ich mich über diese Leute zu ereifern beginne, als wäre ich ein Rechter – das ist am meisten daneben. Du weißt, wie im Sommer meine letzte Beziehung zu Ende gegangen ist, ja? Gemeinsames Aufwachen, die Frühnachrichten im Radio hören und danach diesen Satz vom anderen Kopfkissen her: ›Tja, jetzt erobern sie also Beirut. Danach wird es wohl Damaskus sein.‹ Erobern? Ich glaub, ich hör nicht richtig. Das gleiche anmaßende Geschwätz, halb ironisch herausgemurmelt, wie ich es aus Europa kenne und hasse! Dieses uninformierte Gequassel, das sich selbst für super moralisch hält ...«

Ihr lacht, redet weiter, findet ein neues Thema, umkreist es, stimmt einander zu oder widersprecht euch. Bei allem, was du tust, ist es doch erst das dritte Mal, dass du Gras rauchst. Skepsis vor unausgegorenem, pseudo-spirituell aufgeladenem Gerede, vermutlich ist es dies.

»Ich hab nicht den Eindruck, wir erzählen Unsinn.«

»Vielleicht sollte ein Unbeteiligter mitstenografieren«, sagst du. »Wenn es der Schabak nicht ohnehin tut.«

N. sieht dich einen Moment verwundert an. »Wenn der Inlandsgeheimdienst dies machen würde, hätten seine Bosse ein Problem.«

»Mach Tel Aviv nicht so schlecht«, sagst du irgendwann.

S., dem die Wohnung mit dem Balkon gehört, fragt: »Wen von den Autoren hast du hier getroffen?«

»Nir Baram und ...«

»Mit Nir war ich in der Schule, der ist Klasse.«

»... und Etgar Keret.«

»Hast Du Etgars Frau gesehen? Das ist die Tochter von Yehonatan Geffen und die Schwester von Aviv, dem Rockstar.«

Du fragst: »Und ihre Großmutter war Aviva, die Schwester von Moshe Dayan?«

»Bingo«, sagt N., während er aufsteht und im CD-Player im Wohnzimmer den neuesten Song von Aviv Geffen spielen lässt, Boker Tow, Iran. Guten Morgen, Iran. Das Lied erzählt vom so fremd und archaisch anmutenden Hass auf das winzige Land am östlichen Mittelmeer, stellt Fragen, stellt Fragen. Findet keine Antworten, endet eher beunruhigend.

Gegen halb sieben beginnen die ersten Vögel in den Bäumen zu zwitschern, färbt sich der Himmel von hellgrau zu zartem Rosa. Und auch wenn du nichts geraucht hättest, das ist sicher, würdest du N. jetzt lächelnd zunicken, würdest tief durchatmen, dich in einer Art Zuhause fühlen, in fragiler Balance. Israel scheli.