Michael Ackermann

Editorial

Komplexitätsreduktion als Mittel zur Bewältigung vielfältiger gesellschaftlicher und politischer Situationen? Auf Vereinfachung, Sloganisierung und Aufrüttelung haben sich weite Teile der medialen Öffentlichkeit längst spezialisiert. Die widersprüchlichsten Szenarien werden in immer einfachere Bilder verwandelt. »Angriff aus Fern- Ost. Weltkrieg um Wohlstand«, titelt der Spiegel am 11.9. Zum Erscheinen seines gleichnamigen Buches schreibt Gabor Steingart eine Titelgeschichte als Horror-Szenario über den Aufstieg Asiens (speziell Chinas) und den Niedergang des Westens. Dass der »Mittelpunkt der Welt« sich »Richtung Asien« verschieben könnte, ist keine besonders originelle Erkenntnis. In seinem Aufriss aber verwendet Steingart durchgängig martialische Metaphern wie die von den »Angreiferstaaten« und den »Abschiedsgesellschaften«, um die rechte Bedrohungsstimmung aufkommen zu lassen. Folglich muss sich »der Westen« in seinem Szenario in eine »transatlantische Freihandelszone« verwandeln, die sich allen Angriffen von »außen« entgegenstellt. Diese Art des Manichäismus schrammt nicht nur an der Grenze zur Völkerhetze entlang, sie übersieht zudem völlig, wie schwierig sich nach dem Irak-Krieg schon eine »Rekonstruktion des Westens« gestalten dürfte (wie Joscha Schmierer in einem Essay in dieser Ausgabe ausführt).

Die Produktion von antagonistischen Weltbildern kommt auch den Manichäikern eines fundamentalistischen Islamismus leider nur entgegen. Deren totalitäres Identitätsmuster von »Die« oder »Wir« in eifernder Spiegelung zu bestätigen, ist beunruhigend beliebt. Wer allerdings davon überzeugt ist, dass zum Beispiel das »Wesen des Islam« ausschließlich in der Feindbildproduktion von den »Ungläubigen« besteht, den wird diese Feststellung natürlich nicht schrecken. Was aber bleibt denn anderes, als dem Sog zu Antagonismen argumentativ und politisch zu widerstehen?

Das Denken in apokalyptischen Szenarien und Mustern verfehlt gerade die »Arbeit der Zuspitzung«, die Auseinandersetzung mit sich überlagernden Krisenbögen nicht nur im Nahen Osten, sondern in einer Weltgesellschaft mit zunehmend konzentrischen Kreisen. Die Ausweitung der industriellen Produktion auf Basis einer kapitalistischen Produktionsweise produziert eben nicht nur Wohlstand, sondern auch eklatante Widersprüche. Sie beschleunigt den Klimawandel, sie stellt die Energie- und Ressourcenfrage als Gerechtigkeits- und ökologische Frage dringlicher. Daran hat der Kioto-Prozess nichts geändert, dieser hat mit seinen – längst verfehlten – Machbarkeitsszenarien sogar zur Verharmlosung und Verschärfung der Lage beigetragen. In einem Diskussionspapier für die grüne Strategiedebatte stellen das auch Reinhard Loske, Sascha Müller- Kraenner, Roland Schaeffer und andere fest. Unter dem Titel »Für einen neuen Realismus in der Ökologiepolitik« thematisieren sie auch die emphatischen Impulse der früheren Umweltbewegungen: »Seit die moderne Ökologiebewegung existiert, begleitet sie der Vorwurf, einen Hang zum Alarmismus und zur Überzeichnung von Umweltproblemen zu haben.« Längst ist dieser Alarmismus jedoch von einer weitaus beunruhigenderen Sachrealität überflügelt worden. Deswegen kritisieren die Autoren auch die zu pragmatische Ausrichtung der grünen Partei in der Ära der rot-grünen Regierung. Die »Tendenz zum politischen Marketing« hat demnach nicht gerade zur »Glaubwürdigkeit der Grünen und ihrer Umweltpolitik beigetragen«. Auch gegenwärtig würden umweltpolitische Maßnahmen von den Grünen noch »fast durchweg

als Beitrag zur Konjunkturbelebung, zur Exportförderung oder zur Schaffung von Arbeitsplätzen gepriesen, so als sei die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen nicht ein ganz und gar eigenständiges Ziel, ein Thema aus eigenem Recht«.

Mit diesem Gedanken wenden sich die Autoren auch gegen die Wahrnehmung, »Ökologie sei eine Art Wohlstandsthema, das man sich leisten kann, wenn die wirtschaftliche Situation es zulässt«. Der Klimaschutz ist jedoch gerade kein »weiches Thema«, er ist kein Wohlstandsproblem der Bevölkerungen der westlichen Länder, sondern eine weltweit drängende existenzielle Querschnittsaufgabe. Wenn es also darum geht, »ökologische Prinzipien konsequent in alle Politikfelder zu integrieren: von der Energie-, Verkehrs-, Agrar- und Forschungspolitik bis zur Haushalts- und Finanzpolitik«, dann ist damit auch ein international gültiges Problem beschrieben.

Im Problem- und Projektaufriss des Diskussionspapiers kommt die Umwelt- als Weltpolitik und Ressourcengerechtigkeit etwas zu kurz. Aber es wird eine Fülle von Fragen aufgeworfen, die den Kern einer ökologischen Weltpolitik thematisieren: »Sind permanentes Wirtschaftswachstum, Globalisierung und Klimaschutz überhaupt vereinbar? Brauchen wir nicht einen viel fundamentaleren Kultur- und Lebensstilwandel, als die wohlige Sprache der ›ökologischen Modernisierung‹ suggeriert?« Sich diesen Fragen zu stellen, könnte für die Grünen einen neuen Aufbruch bedeuten. »Es wäre für die Grünen gut, wenn sie sich in einem Forum systematisch und dauerhaft mit den Fragen des Klimaschutzes, des ökologischen Strukturwandels und der nachhaltigen Entwicklung befassen würden.« Das wäre nicht nur für die Grünen gut.