Elisabeth Kiderlen

Das große Bündnis

Kampf für Frauenrechte in Iran – der Reformislam setzt Widersprüche in Bewegung

»Eine Million Unterschriften für die Gleichheit« ist eine Aufklärungskampagne iranischer Aktivistinnen, eine Bewegung für einen Bewusstseinswandel. Ihre Dynamik, so unsere Autorin, lässt sich auf dem Hintergrund der iranischen Geschichte und der Herausbildung einer spezifischen Frauenbewegung besser verstehen. Einst aus kleinsten elitären Zirkeln entstanden, kämpfen Iranerinnen, ob säkular oder religiös, um gemeinsame Frauenrechte. Und die zivilgesellschaftlichen Bewegungen hängen mit dem Reformislam zusammen. Wird die Frauenfrage zur Systemfrage?

Wie eng Frauenrechte, Bildung und Demokratie zusammenhängen, lässt sich modellhaft an der Entwicklung des Iran studieren. Da waren zuerst winzige Zirkel gebildeter Frauen aus der ohnehin schmalen Oberschicht, die, ähnlich wie ihre europäischen Schwestern, um die letzte Jahrhundertwende das Recht auf Bildung, Teilhabe an der politischen Entscheidungsfindung und mehr persönliche Freiheit verlangten. Es waren dies größtenteils Ehefrauen und Töchter von Großgrundbesitzern, die in der Hauptstadt residierten und von ihren Ländereien den Reichtum bezogen, den eine tief religiöse, traditionsverhaftete, des Schreibens und Lesens unkundige Bauernschaft erarbeitete. Die Forderungen dieser Frauen widersprachen den damals geltenden Gesetzen, aber auch dem Bewusstsein der Bevölkerung.

Befugt für die Regelung rechtlicher Fragen, insbesondere solcher, die sich auf das Ehe- und Familienrecht beziehen, waren die Geistlichen. Sie entschieden nach Vorgabe der Scharia, des islamischen Sittengesetzes, das sich auf Koran und Hadithe (Berichte von Taten und Aussprüchen des Propheten) als Quelle bezieht. Diese Gesetze gelten auch heute: Töchter erben die Hälfte dessen, was die Söhne bekommen. Das Zeugnis einer Frau hat vor Gericht nur die Hälfte des Gewichts wie das eines Mannes. Das Blutgeld (dieh) für eine Frau, die durch die Schuld eines anderen Menschen zu Tode gekommen ist, beträgt nur die Hälfte dessen, was für einen Mann gezahlt werden muss. Mädchen sind mit neun strafmündig, Jungen mit 15. Ein Mann kann sich von seiner Frau problemlos scheiden lassen, umgekehrt müssen schon Gründe wie Zeugungsunfähigkeit, Aids, Drogenabhängigkeit et cetera im Spiel sein. Ein Mann darf mehrere Frauen haben, er kann seiner Frau verbieten zu studieren, außerhalb des Hauses zu arbeiten, zu reisen ...

Aber die Söhne reisten. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts studierte die künftige Elite in Europa. Die Studenten brachten westliche Ideen zurück, die auch bei den Frauen auf Resonanz stießen. Schon damals entwickelte sich eine Zwiespältigkeit im Verhältnis zum Westen, wie sie die Geschichte Irans im letzten Jahrhundert bis heute prägt: Bewunderung für den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt wie für den philosophischen, sozialen und kulturellen Diskurs, Ablehnung seines imperialen Selbstverständnisses und seiner Herablassung der iranischen Zivilisation gegenüber.

Die Förderkonzessionen auf den iranischen Erdölfeldern, welche die Anglo-Persian-Oil-Company dem Schah 1901 für eine lächerliche Gewinnbeteiligung von 16 Prozent abhandelte, wobei die Engländer den Iranern auch noch den Einblick in die Rechnungsführung verweigerten, schürten das Misstrauen gegen die Herrschaft des Schahs. Dieser Argwohn wird zu einem Motor der Verfassungsrevolution von 1905. Die Aufteilung des Landes in eine englische und eine russische Einflusszone 1907, der 1919 die Semi-Kolonialisierung durch das Anglo-Persian-Agreement folgt, lassen die Iraner das ganze Ausmaß ihrer Rückständigkeit und Wehrlosigkeit gegenüber den westlichen Mächten gewahr werden. Von nun an sollte die Diskussion über Moderne und Tradition in Iran, und das heißt immer auch über die Rechte der Frauen, nicht mehr abreißen, es kam nur darauf an, wie man Moderne und wie Tradition definierte.

Irans starker Mann, Reza Khan, ab 1925 der neue Schah, definierte die Moderne im Iran als ein nationales Projekt des Aufholens zum Westen, das rigide von oben nach unten durchgesetzt werden sollte. Symbol dafür ist der Umgang mit den Frauen – wie in der Türkei von Kemal Atatürk wird auch im Iran ihre »Entschleierung« gewaltsam durchgesetzt. Die Gleichstellung der Geschlechter wird Staatsziel, Justiz- und Schulwesen werden den Händen der Mullahs entwendet. Reza Schah gründet die erste Universität und ermöglicht auf diese Weise auch Frauen das Studium, denn bislang gab es ausschließlich theologische Hochschulen. Doch mit einem hat er nicht gerechnet: mit der Macht der Tradition. Die Väter untersagen ihren Töchtern das Studium aus Angst, dass diese – unbekümmert, modisch und selbstbewusst – nicht mehr zu verheiraten sein würden. So bleibt der Ansturm der Frauen auf die Universität vorerst aus. Doch durch den Ausbau der Staatsverwaltung entsteht in den großen Städten eine neue, säkular orientierte Mittelschicht, die demokratische Reformen anmahnt.

So wie Reza Shah die Moderne in Iran als ein nationales Projekt des Aufholens zum Westen definierte, um eben diesem Paroli zu bieten, so definierte die islamische Geistlichkeit das Festhalten an der Tradition als Selbstbehauptung des Islam gegenüber der kulturellen Verwestlichung und als antikolonialen Kampf gegen den Ausverkauf iranischen Öls und die Einmischung Englands, Russlands, später der USA in die inneren Angelegenheiten des Landes.

Die Konfrontation zwischen Regierung und Geistlichkeit entwickelte sich in aller Schärfe unter Mohammad Reza, der 1941, nach der erzwungenen Abdankung seines Vaters, mit Zustimmung der Alliierten den Thron übernommen hatte. 1964 griff Ayatollah Khomeini den Schah als amerikanische Marionette an, weil dieser ein Gesetz durchsetzen wollte, das US-Bürgern in Iran Immunität gegenüber persischer Strafverfolgung gewährte. Aber auch vorher war es schon zu Konflikten gekommen, unter anderem über die Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts für Frauen (1962) und das Gesetz zum Schutz der Familie (1967), das den Geltungsbereich der Scharia, also den traditionellen Wirkungskreis der Mullahs, direkt berührt. Mit diesem Gesetz wird auch die Scheidung den Männern erschwert, den Frauen aber erleichtert. Auch dürfen diese nach einer Scheidung nun – und das ist für Mütter besonders wichtig – das Sorgerecht für die Kinder ausüben. Die Geistlichen wetterten gegen die Einführung unislamischer Institutionen und gegen die Zurückdrängung des religiösen Rechts, mithin gegen die Beschneidung ihres Einflusses.

Ob es sich aber um Freunde oder Feinde der westlichen Moderne handelt – die meisten Bewohner der großen Städte sind sich einig in ihrer Gegnerschaft zum immer despotischer werdenden Regierungsstil des Schahs, gegen seine allgegenwärtige Geheimpolizei, die Korruption, die Pressezensur, das Verbot der politischen Opposition und das protzige Zur-Schau-Stellen eines ungeheuren Reichtums, während die Lebensumstände der meisten Iraner eher miserabel sind. Dass der Schah den Frauen wichtige Rechte eingeräumt und das Land insgesamt modernisiert hat, fällt bei dieser aufgeheizten Stimmung nicht ins Gewicht. Im Gegenteil: Für die islamische Opposition ist rechtliche Gleichstellung von Frau und Mann sowieso westliches Importgut und deshalb böse. Für die linke Opposition ist sie hingegen nur ein Nebenwiderspruch, der irgendwann später zur Behandlung ansteht. Und für nicht wenige liberale Frauen symbolisiert die weibliche Verhüllung, die Ayatollah Khomeini schon am 7. März 1979, nur zwei Monate nach seiner Rückkehr aus dem Exil, dekretiert, zuerst einmal nichts weiter als die Sichtbarmachung der Ablehnung des Schah-Regimes.

Doch schon am 8. März 1979, dem Internationalen Frauentag, wird von einigen Frauen gegen die Zwangsverschleierung aufbegehrt, das ganze Jahr über geht der Protest weiter. Am Internationalen Frauentag 1980 wird zum letzten Mal demonstriert, die Gewalt der Revolutionären Garden gegen die Frauen beendet ihren Widerstand. Das aus der Schah-Zeit stammende »Gesetz zum Schutz der Familie« wird als unislamisch aufgehoben, die Rechte der Frauen weitgehend auf den Stand von 1905 zurückversetzt. Allerdings tastet das neue Regime das aktive und passive Frauenwahlrecht nicht an.

Doch nun passiert etwas Entscheidendes: Die Universitäten werden geschlossen, »gesäubert« und als »islamische Hochschulen« wiedereröffnet. Und jetzt haben auch religiöse und konservative Väter kein Argument mehr, ihren Töchtern das Studium zu verbieten – und so stürmen die jungen Frauen, sittsam in den schwarzen Tschador gewickelt, den Campus. Der Run hält bis heute an. Inzwischen sind rund 60 Prozent aller Universitätsabsolventen weiblich – die Zahlen beziehen sich auch auf die naturwissenschaftlichen Fächer. In jüngster Zeit sind konservative Stimmen laut geworden, die Studienzulassung zugunsten der Männer zu quotieren.

Es ist wie eine List der Geschichte, dass ausgerechnet die islamische Revolution, die das Rad der Geschichte zurückdrehen wollte, den Frauen den Weg zur höheren Bildung frei räumte. Und werden gebildete Frauen mit Universitätsabschluss sich auf Dauer vom Vater oder Ehemann bevormunden lassen? Die weibliche Bildungswut setzte eine höchst widersprüchliche gesellschaftliche Entwicklung in Gang, der der von 1997 bis 2005 amtierende liberale Präsident Khatami versuchte, Rechnung zu tragen. In seiner Amtszeit kommt es zu Reformen zugunsten der Frauen: Anpassung des Werts der Brautabgabe an die Inflation, Änderung des Scheidungsrechts zugunsten der Ehefrau, Erhöhung des Heiratsalters für Mädchen ...

Wir rekapitulieren: Beide Pahlevi-Schahs hatten eine progressive Frauenpolitik als Voraussetzung der Modernisierung einer rückständigen Gesellschaft betrachtet. Gleichzeitig gingen die Rechte auf mehr weibliche Selbstbestimmung nicht einher mit einer Demokratisierung der Gesellschaft – sondern mit einer sich verschärfenden Unterdrückung von Kritik und Opposition. Also konzentrieren sich die gesellschaftlichen Akteure und mit ihnen die Frauen auf den Kampf gegen die Despotie.

Nach der Revolution aber, als ihnen die Islamisten ihre Rechte wieder wegnahmen, befinden sich die Frauenrechtlerinnen wieder dort, wo die Bewegung einst entstanden war – in kleinen privaten Debattierzirkeln. Und wieder geht der Blick Richtung Europa und Amerika: Die Frauen lesen feministische Texte, treffen sich in Selbsterfahrungsgruppen, analysieren ihre Erfahrungen und diskutieren ihre Möglichkeiten. Doch dann kommt es erneut zu einer paradoxen Intervention des Weltgeists: Auf der 4. Internationalen Frauenkonferenz der UNO in Peking 1995 sind diesmal auch Iranerinnen anwesend. Frauen aus dem Umkreis der regierenden Geistlichen wie etwa die Tochter des damaligen Präsidenten Rafsandjani vertreten die islamische Republik Iran.

Zentrales Thema der Konferenz war die Verortung der Frauenpolitik im Menschenrechtsdiskurs. Daraus folgt, dass Körperverletzung und Erniedrigung in jedem Land und jeder Kultur als menschen(rechts)verachtend zu bekämpfen sei. »Grundlage der Frauenrechtsdiskurse war daher sowohl Solidarität, basierend auf verbindenden Unrechtserfahrungen, als auch Akzeptanz von Differenz. Und das bedeutet, dass frauenemanzipatorische Rechtsansätze nicht zwangsläufig westlichen Mustern und Zielvorgaben folgen müssen.«(1)

Die Musliminnen aus Teheran brachten also ein Bündel langfristig brisanter Ideen nach Hause, wie etwa das Konzept der Zivilgesellschaft. Die Frauen der government family, wie sie im Iran bezeichnet werden, gründen NGOs, die offiziell anerkannt und staatlich registriert werden. Das ist einerseits eine Form staatlicher Kontrolle, andererseits können die NGOs auf diese Weise als »Rechtspersonen« Räume mieten und Veranstaltungen abhalten. Die Aktivitäten, mit denen sich diese Frauen als islamische Feministinnen einen Namen machen, geben den säkularen Frauen den Anstoß, ebenfalls an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie gründen das Frauenkulturzentrum, das in der Ära Khatami ebenfalls offiziell anerkannt wird, der Nukleus, aus dem die »Kampagne eine Million Unterschriften für die Gleichheit von Frauen und Männern vor dem Gesetz« hervorgeht.

Die Agenda der säkularen und der islamischen Frauen unterscheidet sich wesentlich, und doch ist ihre Zusammenarbeit essentiell für den Erfolg der Kampagne. Für die islamischen Frauen ist die Religion der zentrale Bezugspunkt, doch sie verlangen eine Neuinterpretation der tausend Jahre alten islamischen Gesetzgebung im Licht der heutigen Zeit. So wenden sie sich nicht dem westlichen Feminismus als Referenzrahmen zu, sondern argumentieren innerhalb des Rahmens von Koran, Scharia und Prophetensprüche, um ihren Anspruch auf Gleichstellung mit islamischen Begründungen zu untermauern. Mit diesem Vorgehen sind die muslimischen Frauenrechtlerinnen dem Reformislam zuzurechnen, den muslimischen Intellektuellen, die innerhalb des traditionellen islamischen Bezugsrahmens argumentieren, dabei aber eine Anpassung an die Moderne nach dem Muster fordern: »Der Koran ist heilig, seine Interpretation ist es nicht« (so der Reformer Abdolkarim Sorush). Wie stark im Iran das Bedürfnis nach einer neuen Lesart der heiligen Schriften ist, zeigen unter anderem die steigenden Studentinnenzahlen an den theologischen Hochschulen für Frauen. Eingeklemmt zwischen häuslichen Patriarchen und dem orthodoxen religiösen Establishment suchen die frommen Vertreterinnen eines Reformislam nach überzeugenden Argumenten für eine Verbesserung ihrer Lage, die gleichzeitig nicht den Rahmen der familiären Tradition und der eigenen seelischen Gewissheiten sprengen.

Solange die Forderung nach Gleichberechtigung nur von einer dünnen, westlich orientierten Ober- und Mittelschicht erhoben wurde, war die Frauenbewegung eher bedeutungslos. Doch je weiter der weibliche Analphabetismus in den Jahren nach der Revolution zurückgedrängt wurde (heute können 80 Prozent lesen und schreiben) und je mehr Töchter aus vormals bildungsfernen Kreisen Gymnasium und Universität besuchen, desto dringender wird ihr Bedürfnis, sich nicht der eigenen Ursprünge zu entfremden und trotzdem Anerkennung für das von ihnen Erreichte zu bekommen. Je konservativer also die Herkunftsfamilien der neuen weiblichen Bildungsschichten, desto wichtiger für die jungen Frauen, in einem ersten Schritt die eigene familiäre Tradition und die neuen Möglichkeiten, die Beruf und Karriere bieten, miteinander in Einklang zu bringen. Auf dieses Bedürfnis antwortet die Kampagne: Sie ist unideologisch, auf eine sehr einsichtige Weise auf die weibliche Diskriminierung konzentriert und sie bewegt sich strikt innerhalb der Verfassung der islamischen Republik. »Alles ist legal, alles ist transparent, nichts ist geheim«, erklärt eine Vertreterin der Bewegung. Wenn die eine Million Unterschriften zusammen sind, werden sie dem Parlament übergeben. »Die islamische Verfassung kennt durchaus Formen eines Referendums«, erklärte die Nobelpreisträgerin und Rechtsanwältin Shirin Ebadi.

Die »Eine Million Unterschriften für die Gleichheit ...« ist aber auch eine Aufklärungskampagne, die einen Bewusstseinswandel einleiten soll. Da die Medien die Kampagne totschweigen, müssen die Aktivistinnen die Unterschriften einzeln sammeln – Graswurzelengagement nennen das die Frauen. Langsam und beharrlich arbeiten sie sich vor, sie sprechen Frauen, aber auch Männer in Bussen, in Parks, in der Moschee, in der U-Bahn, auf den Straßen und bei Hochzeiten an. Jede Unterschrift beruht auf der persönlichen Überzeugungskraft, dem persönlichen Gespräch. Und die Kampagne breitet sich aus – von Teheran in die Universitätsstädte Isfahan, Täbris, Shiraz und von da in die Provinz. Es gibt Trainingsprogramme zur Technik der Kontaktaufnahme – wie man Leute anspricht, wie man die Kampagne begründet, wie man einer Gefahr ausweicht et cetera. Die Trainerinnen reisen auf Anforderung in alle Städte, um zu informieren, aufzuklären und Beistand zu leisten. Und auf der Website(2) haben alle die Gelegenheit, über ihre Erfahrungen zu schreiben und ihre Thesen zu diskutieren.

Diese Einzelgespräche, die sich bei der Unterschriftensammlung stets in ähnlicher Form wiederholen, werden das Fundament für eine partizipatorische Kultur legen, die notwendig ist für den Prozess der Demokratisierung – das hoffen die Aktivistinnen. Und sie wünschen sich einen Schneeballeffekt. Doch genau diesen wollte die Allianz der National-Fundamentalisten an der Regierung und der Ultra-Orthodoxen unter den Geistlichen verhindern. Sie fürchten eine »orange« oder »samtene Revolution« wie 2006 in der Ukraine oder 1989 in der Tschechoslowakei, wo Zivilgesellschaften den Sturz der jeweiligen Regierung erzwungen hatten. Und ganz Unrecht haben sie in ihren Befürchtungen nicht.

Der 75-Millionen-Dollar-Fund, den die US-Regierung 2006 zur Förderung von Demokratie in Iran mit lautem Mediengetöse aufgelegt hatte, hat sich zum Nachteil der iranischen Zivilgesellschaft entwickelt. Alle NGOs und zivile Aktivitäten, wie auch die »1-Million-Unterschriften-Kampagne« der Frauen, werden heute pauschal verdächtigt, von den USA finanziert zu werden mit dem Ziel, einen Regimewechsel einzuleiten. So erklärt der Journalist Emadeddin Baghi in Iran Emrooz: »Das (Demokratie-)Geld ist ein Dolch. Unsere Regierung beschuldigt uns, Geld von den Amerikanern zu bekommen. Plötzlich wird meine Menschenrechtsarbeit politisiert. Und da habe ich eine Frage: Warum müssen ich und meine Arbeit darunter leiden, wenn dieses Geld in Washington irgendjemandes Gehalt zahlt?«(3) Emadeddin Baghi leitete zu der Zeit das Teheraner Zentrum zur Verteidigung der Rechte von Gefangenen.

Im gleichen Artikel wird Suzanne Maloney, ehemalige Leiterin des Planungsteams des State Departments, die vor kurzem ihre Arbeit dort niedergelegt hat, zitiert: »Ich machte mir Sorgen über die Sicherheit derjenigen, die auf der Empfängerseite dieses Fonds waren. Aber ich wunderte mich auch über die Machbarkeit. Ich sehe nicht, wie eine US-Regierung, die seit dreißig Jahren nicht mehr in Teheran präsent ist, fähig sein sollte, ein Programm zu formulieren, das einen positiven Effekt hat.«(4)

Und Sussan Tahmasebi, Aktivistin der »1-Million-Unterschriften-Kampagne«, erklärt im gleichen Magazin: »Wir sind auf Reformen eingestellt, nicht auf Regimewechsel. Wir richten uns mit der Kampagne ans Parlament und an die iranische Öffentlichkeit.«(5) Doch das Misstrauen gegenüber Einflussnahme aus dem Ausland ist groß. Allein im März wurden 34 Frauenaktivistinnen festgenommen und verhört, insbesondere über mögliche Kontakte mit Ausländern.

Doch inzwischen erklären nicht wenige Ayatollahs, Großayatollahs und muslimische Experten, dass die gegenwärtigen iranischen Gesetze zur Zeit des Propheten für die arabische Halbinsel adäquat waren, aber dass sie nicht mehr für die heutige Gesellschaft passen. So sagte jüngst auch Ex-Präsident Rafsandjani, heute Vorsitzender des Expertenrats,(6) »einige Gesetze entsprechen nicht mehr den heutigen Bedürfnissen«. Inzwischen gibt es eine Gesetzesvorlage im Parlament, mit der das Blutgeld (dieh) für Frauen und Männer angeglichen werden soll.

Wird die Frauenfrage zur Systemfrage? Die bekannte iranische Frauen- und Menschenrechtsaktivistin Mehrangiz Kar stellt die Regierenden vor die Alternative: »Sie müssen entweder den Gutachten muslimischer Rechtsexperten entsprechend handeln, die überzeugt sind, dass eine Anpassung der Gesetze an die gegenwärtigen Bedürfnisse zulässig ist, oder aber dem Wunsch des Volkes entsprechen und Staat und Religion trennen.«(7) Ob Letzteres wirklich dem Wunsch des Volkes entspricht? Vom wohlhabenden, westlich orientierten Nordteheran aus zeigt sich das Land sehr anders als von Meshad und auch Isfahan, den nächstgrößten Städten, aus oder von der Provinz. Richtig ist aber mit Sicherheit, dass der Wunsch nach Gleichheit von Frauen und Männern vor dem Gesetz heute nicht mehr das Anliegen einer kleinen elitären Minderheit ist, sondern eine breite, wenn nicht sogar mehrheitsfähige Akzeptanz gefunden hat bei den Töchtern, den Müttern der Töchter, ihren Vätern. Und schließlich haben, im Gegensatz zu den katholischen Priestern, auch Ayatollahs Töchter. Man könnte, in Abwandlung eines berühmten Zitats sagen, dass die Produktivkräfte, nämlich die Bildung der Frauen, im Begriff sind, die Produktionsverhältnisse, also die durch Gesetze festgelegte Herrschaft der Männer, zu sprengen. Andererseits, und dies darf nicht unterbewertet werden, charakterisiert Kosellecks Wort von der »Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeiten« wenige Gesellschaften so präzise wie Iran.

Immerhin hat es ein Jahrhundert gedauert, und viele Erschütterungen mussten bis heute verkraftet werden, bis die Spaltung des Landes in modern (= westlich/säkular/liberal) und traditionell (= beharrend/religiös/konservativ) nicht mehr unüberwindbar erscheint. Ausgerechnet bei den Frauen, die immer für symbolische Politik herhalten müssen, stehen die Lager einander nicht mehr unversöhnlich gegenüber. Das Verbindende sind die gemeinsamen Interessen, der Reformislam ist die Brücke, die die Widersprüche in Bewegung bringt. Und so scheint »die Unvereinbarkeit des Islam mit den Rechten der Frauen«, wie es die so genannten islamischen Dissidentinnen aus dem Westen wie etwa Ayaan Hirsi Ali und Necla Kelek apodiktisch postulieren, eine Frage der Wahrnehmung und der Wahrnehmungsbereitschaft zu sein. Die Wirklichkeit geht eigene Wege – in der Türkei, wo die islamische AKP in den letzten Jahren überraschende Schritte Richtung Europa gemacht hat; in Marokko, wo seit 2004 ein sehr modernes Personenstandsrecht den Frauen gleiche Rechte wie den Männern einräumt; in Bahrain, wo seit 2005 Frauen im Kabinett vertreten sind ... und in Iran, wo eine bedeutende Zivilgesellschaft Schritt für Schritt eigene Wege sucht und den Regierungen Veränderungen abtrotzt.

Wurden zu Beginn der Kampagne viele Frauen verhaftet und verurteilt, sieht es nach einem Jahr so aus, als wolle die Regierung Ahmadinejad einen Konfrontationskurs vermeiden. Die »Participation Front«, die größte Reformerpartei, unterstützt die Kampagne, hat sie sich aber nicht zu eigen gemacht: Die Frauen wollten ihre parteipolitische Unabhängigkeit bewahren. Nicht wenige Konservative haben nicht nur unterschrieben, sondern auch zugesagt, die Unterschriftenkampagne in ihren eigenen politischen Kreisen zu fördern. Sogar der oberste geistige Führer hat bei einem Treffen mit islamischen Frauenrechtlerinnen zu Ehren des Geburtstags von Fatimeh, der Tochter des Propheten, erklärt, dass die gegenwärtige Interpretation der Scharia, wie sie sich in den iranischen Gesetzen manifestiert, nicht das letzte Wort über die Rechte der Frauen in Iran sein kann.(8) Themen, deren Zeit gekommen ist, lassen sich weder unterdrücken noch beiseite wischen – vielleicht ist diese Wahrheit gerade dabei, sich in den Teheraner Führungskreisen durchzusetzen. Aber schon der letzte Schah musste erfahren, dass Bildung, Frauenrechte und Demokratie sich nicht einfach auseinander dividieren lassen. Und heute wird dieses Trio wieder einmal angespielt.

1  Christa Wichterich: »Strategische Verschwisterung, multiple Feminismen und die Glokalisierung von Frauenbewegungen«; in: Michiko Mae, Ilse Lenz, Karin Klose: Frauenbewegungen weltweit Aufbrüche – Kontinuität – Veränderungen, Opladen 2000, S. 257–280.

2  Der Zugang zu www.we-change.de wurde immer wieder geblockt. Doch die Organisatorinnen haben durch neue Proxis den Zugang immer erneut offen gehalten. – Die Website liefert anschauliche Beispiele für die Lebendigkeit und Vielfältigkeit der Bewegung (auch auf Englisch).

3  »The (democracy) money is a blade. Our government accuses us of receiving money from the Americans. All of a sudden, my normal human rights work becomes political. I have one question: Why do I have to suffer when this money is going to pay for someone else’s salary in Washington?« Zitiert nach: Negar Azimi: »Hard Realities of Soft Powers«, in: Iran Emrooz (iranian political online magazine), 24.6.07.

4  »I was worried about the safety of those on the receiving end of the funds«, erklärt Suzanne Maloney. »But I also just wondered if this was feasible. I don’t see how a US government that was absent from Teheran for 30 years ist capable of formulating a program that will have a positive effect.« In: Iran Emrooz, 24.6.07.

5  Iran Emrooz, 24.6.07.

6  Der 86-köpfige Expertenrat wählt den geistlichen Führer Irans, »was bei der angeschlagenen Gesundheit des konservativen Ali-Khamenei zur Weichenstellung über die Zukunft des Landes werden kann« (Rudolph Chimelli, SZ, 7.9.07). Bei den Wahlen zum Expertenrat Herbst 2006 gewann Haschemi Rafsandjani. Sein Widersacher, der erzkonservative Ayatollah Mohammed Mesbah-Jasdi, der Mentor von Staatspräsident Ahmadinedjad, konnte weit weniger Stimmen auf sich vereinen.

7  »Two solutions are available to Iran’s rulers. They must either act on the opinion of jurists who believe that reforming current laws is possible and necessary, or accept the people’s demand to seperate religion from politics.« Mehrangiz Kar: »Anniversity of One Million Signatures Campaign«, in: Roozonline, 30.8.07.

8  Aus einem Artikel von Sussan Tahmasebi »Empowering Iranian Women through the One Million Signatures Campaign« auf www.we-change.org, 1.9.07.

©: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 5/2007