Tine Stein

Konservatismus in Deutschland heute

Politische und intellektuelle Erneuerungsversuche

Auch der Konservatismus hat schon verschiedene Phasen der Welt- und Selbstdeutung hinter sich. Angesichts der unbestreitbaren gesellschaftlichen Veränderungen versucht auch er sich neu zu orientieren. Unsere Autorin wirft das Problem von mehreren Seiten auf: Welchen Wandel hat der Begriff durchlaufen und welche Kriterien können dabei noch angelegt werden? Wie lassen sich die politischen Kräfte heute politisch sortieren und welche inhaltlichen Überlegungen lassen sich bei den Konservativen ausmachen? Was steht im Zentrum ihres Gedankengutes? Sichtbar werden veränderte Bilder von Familie, Frauen, Staat, Gerechtigkeit, Teilhabe, Freiheitsverständnis und Wachstumsbegriff – und finden ihren Niederschlag auch in der Programmdebatte der CDU.

Der Konservatismus als konkrete geschichtliche Erscheinung, die von einer fest umrissenen Ideologie begleitet wurde, ist längst tot und begraben. Es ist einfach unsinnig, zeitgenössische Programme, Parteien oder Regierungen als konservativ zu bezeichnen, die sich dem technologischen Fortschritt, der sozialen Mobilität und somit dem neuzeitlichen Grundsatz von der Machbarkeit der Welt verschrieben haben ...«.(1) Diese Auffassung hat vor Jahren der Historiker Panajotis Kondylis vorgetragen, für den der Begriff des Konservatismus auf das Engste an eine bestimmte, im Deutschland von heute vom Aussterben bedrohte Trägerschicht gebunden gewesen ist, den Adel nämlich. Der standesbewusste Adel bezog sein Koordinatensystem aus der Struktur der vormodernen Gesellschaft und bekämpfte alles, was seine Privilegien angriff und seinen Untergang einleitete: die Idee des freien und gleichen Individuums als Grundlage der neuen Sozialvertragstheorie; den durch Souveränität definierten neuzeitlichen Staat; die Begründung des Rechts allein aus dem Willen des dafür autorisierten Gesetzgebers; die Trennung von Politik und Religion; die Ausrichtung auf Fortschritt und Veränderung. Mit dem Siegeszug all dieser Punkte in der europäischen Moderne habe der Konservatismus seine Basis verloren – und seit der Etablierung des demokratischen Verfassungsstaats auf dem Boden einer bürgerlichen Gesellschaft sei der Konservatismus als politisches Programm erledigt.

Der Vorschlag Kondylis’, heutige Konservative zutreffender als Altliberale zu bezeichnen, hat sich offensichtlich in der politischen Praxis nicht durchgesetzt. Im Gegenteil werden konservative Politiker wie auch konservative Denker von der konkurrierenden Seite des politischen Spektrums mit dem Etikett »neoliberal« belegt, eine im heutigen politischen Diskurs nahezu unüberbietbare Schmähkritik. Neoliberal gilt als Sammelbezeichnung für eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik mit Deregulierung im Arbeitsrecht und niedrigerer Unternehmensbesteuerung, steht für eine Privatisierung der vormals staatlich verantworteten Daseinsvorsorge, den Abbau staatlicher Transferleistungen und für die Befürwortung einer dem freien Spiel der Kräfte überlassenen ökonomischen Globalisierung. Da ist es nur mehr eine historische Reminiszenz, darauf hinzuweisen, dass »neoliberal« in der Mitte des 20. Jahrhunderts als Eigenbezeichnung von Liberalen wie Alexander Rüstow aufkam, die gerade die kapitalistische Markwirtschaft in den ordnungspolitischen Rahmen einer – wie es dann der christdemokratische Politiker Alfred Müller-Armack auf den Begriff gebracht hat – sozialen Marktwirtschaft gestellt sehen wollten. Heute kann der Vorsitzende der sozialdemokratischen Volkspartei der Vorsitzenden der christdemokratischen Volkspartei Neoliberalismus als Untergang des wohlfahrtsstaatlichen Abendlandes vorwerfen.(2) Kann Neoliberalismus heute zu Recht als ein Kennzeichen konservativer Politik und konservativen politischen Denkens gelten? Auf dem Leipziger Parteitag 2003 legte die Union ein Reformprogramm vor, das mit Merz’ Bierdeckel-Steuerreform, der Umstellung von Beitrag auf Kopfpauschale in der Krankenversicherung und dem Versprechen einen harten Sparkurs zu fahren, als Sieg der Reformer gegen die Traditionalisten des Arbeitnehmerflügels, repräsentiert durch Norbert Blüm, verstanden wurde und damit zugleich eine Koalition mit der FDP als geborenem Koalitionspartner nahe legte. Doch bekanntlich hat die Aussicht auf eine bürgerlich-liberale Koalition die Wählerschaft nicht so überzeugt, als dass sie dieser Koalition eine rechnerische Mehrheit verschafft hätte. Während die FDP zulegte, musste die Union erklären, wie der sicher geglaubte Wahlsieg dann so mager ausfiel, dass sie die Kanzlerin dann mit Hilfe der zweitstärksten Kraft im Bundestag im Rahmen einer großen Koalition wählte. Offensichtlich verlangt es von einer Volkspartei ganz andere Anstrengungen, als die bisher unternommenen, um mit einem solchen Programm Wahlen zu gewinnen. Seitdem versucht die CDU, dem Vorwurf sozialer Kälte und mangelndem Gerechtigkeitssinn mit einer peu à peu erfolgten Relativierung des Signals von Leipzig zu begegnen – in der praktischen Regierungspolitik, was angesichts der aktuellen Konjunkturdaten leichter fällt, wie auch in der programmatischen Fortentwicklung. Einen vorläufigen Höhepunkt finden diese Bemühungen in der Debatte um ein neues Grundsatzprogramm, das derzeit in einer Reihe von Kongressen öffentlichkeitswirksam diskutiert wird und im Dezember in Hannover verabschiedet werden soll. Es löst dann das Hamburger Grundsatzprogramm »Freiheit in Verantwortung« von 1994 ab, das immerhin schon den Epochenumbruch von 1989 verarbeitet hatte und auch auf innergesellschaftliche Veränderungen etwa im Hinblick auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern einige Veränderungen gegenüber den bis dato geltenden Düsseldorfer Leitsätzen von 1949 bot.

Mit der Programmdebatte steht die Union nicht allein.(3) Bereits 2002 haben Bündnis 90/Die Grünen das Berliner Programm »Die Zukunft ist grün« vorgelegt. Angesichts der gravierend geänderten gesellschaftlichen, ökonomischen und globalen Rahmenbedingungen gegenüber 1980, als das Saarbrücker Programm der Grünen verabschiedet wurde, ist hierin der deutliche Versuch zu erkennen, auf Augenhöhe der zeitgenössischen Probleme die grünen Grundwerte zu reformulieren beziehungsweise auch zu korrigieren. Auch die SPD will von ihrem den Zeitgeist der Prä-Mauerfall-Epoche atmenden »Berliner Programm« Abschied nehmen, das im Moment seiner Verabschiedung im Herbst 1989 schon überholt war, da seine Autoren den Verlauf der deutschen Geschichte anders eingeschätzt hatten. Mit dem jetzigen »Bremer Entwurf« für ein neues Programm, der durch die Diskursmühlen der innerparteilichen Auseinandersetzung in Form eines Bücherstreits gedreht wird,(4) müssen die Sozialdemokraten das leisten, was die Grünen in Bezug auf den Grundwert der Gewaltfreiheit geleistet haben: Sie müssen die in der praktischen Politik durch die rot-grüne Regierung mit der Agenda 2010 vorgegebene Richtung nun auf ein programmatisches Fundament stellen, das heißt die Frage nach sozialer Gerechtigkeit im Lichte der strukturellen Veränderungen des westlichen Wohlfahrtsstaats und unter den Bedingungen der Globalisierung beantworten. Was haben demgegenüber die Christdemokraten in ihrer Programmdebatte zu klären?

Als bürgerliche Volkspartei ringt die CDU mit dem Begriff des Konservatismus, und dies in einer Zeit, in der viele bis dato als Kernelemente konservativer Politik angesehene gesellschaftspolitische Vorstellungen sich in weiten Teilen der Bevölkerung wie der politischen Elite im Umbruch befinden. Keine Partei trifft die Veränderungen in der Lebenswelt der bundesrepublikanischen Gesellschaft so sehr wie die CDU: die Erosion der klassischen »Ein-Ernährer-Familie«, abnehmende konfessionelle Bindungen, Werteverschiebungen im früher so genannten Kleinbürgertum und der Verlust einer ganzen Generation sehr gut ausgebildeter und engagierter Bürgerkinder an die Grünen – das macht dem sozialen, kulturellen und politischen Fundament der Union zu schaffen. Ist die CDU vornehmlich eine konservative Partei, oder genauer gesagt: Soll sie es noch sein, wie nun eine Gruppe jüngerer Christdemokraten, bestehend aus Stefan Mappus, Markus Söder, Philipp Mißfelder und Henrik Wüst mit ihrem Papier »Moderner bürgerlicher Konservatismus« der Union als Profil empfehlen? Oder sollte sie sich stattdessen darauf konzentrieren, sich von der Anmutung des Neoliberalen abzugrenzen, wie es Jürgen Rüttgers vertritt, und ihre christlich begründete soziale Wurzel herausstellen?(5) Dabei scheinen alle Debattanten eine klare Zuordnung der Union zum rechten politischen Lager zu vermeiden, denn »rechts« will heute nur noch eine Minderheit sein,(6) und angesichts der sinkenden Stammwähleranteile und wachsenden Wechselwähler ist die Verortung in der Mitte, die im Entwurf für das neue Grundsatzprogramm vorgenommen wird, wahlstrategisch allemal rational. Der schwindenden Popularität des rechten politischen Standorts und der wachsenden Sympathie für Positionen, die gemeinhin dem linken Lager zugerechnet werden, wie die mehrheitliche Zustimmung zur Einführung von Mindestlöhnen, für die Rente mit 65, aber auch für den staatlich geförderten Ausbau der frühkindlichen Betreuungsangebotes außerhalb der Familie,(7) entsprechen allerdings die Regierungsverhältnisse in Bund und Ländern bekanntlich nicht, da die Union ja nicht nur die Kanzlerin stellt, sondern in 13 von 16 Bundesländern in Regierungsverantwortung steht.

Vor dem Hintergrund dieser politischen Lage sind die Versuche zu sehen, den politischen Konservatismus neu zu begründen. Diese Versuche erfolgen nicht allein auf der parteipolitischen Ebene, sondern auch und vor allem im zeitgenössischen politischen Denken, was an drei Schriften festgemacht werden kann: Es handelt sich um das Buch des amtierenden Verfassungsrichters Udo Di Fabio Die Kultur der Freiheit, das Buch des ehemaligen Verfassungsrichters und »Beinahe-Finanzministers« Paul Kirchhof Der Staat – eine Erneuerungsaufgabe und schließlich das Buch des wissenschaftlichen Politikberaters Meinhard Miegel Epochenwende. Kann der Westen die Zukunft gewinnen?(8) Alle drei Autoren stehen in verschiedenen Beziehungen der Union nahe: Di Fabio ist auf Vorschlag der Union zum Verfassungsrichter gewählt worden, Kirchhof gehörte eine Zeit lang zum Schattenkabinett von Angela Merkel im Wahlkampf 2005 und Meinhard Miegel ist von der Union wiederholt als politischer Berater bemüht worden. Unisono klingt in den Stellungnahmen über diese Bücher an, dass sich hier ein neues konservatives Denken in Deutschland artikuliere. Wenn gegenüber der CDU die Kritik geübt werden konnte, dass deren Reformvorschläge von Leipzig »unterphilosophiert« seien, indem sie nur die nackten ökonomischen Notwendigkeiten dargelegt, aber darauf verzichtet habe, dies in einen gesellschaftspolitischen Kontext zu stellen, so kann dies nicht Di Fabio, Kirchhof und Miegel treffen. Auch sie gehen vor dem Hintergrund der Diagnose einer tiefgreifend veränderten ökonomischen Lage davon aus, dass das wohlfahrtsstaatliche Modell auf dem Prüfstand steht. Aber dies wird weiterführend mit der Kritik an einer politischen Kultur verbunden, die gesellschaftliche Verantwortung vor individueller Verantwortung betont. Stattdessen wird ein neues Leistungsbewusstsein und gleichzeitig Bescheidenheit in Bezug auf staatlich gewährte Versorgungsansprüche angemahnt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob in diesem Denken nicht auch bislang als gegensätzlich Wahrgenommenes zusammengezogen wird, nämlich wirtschaftsliberale Forderungen und die Wertschätzung der Freiheit des Individuums – als genuin liberale Positionen – mit genuin konservativen Sichtweisen. Denn diese Autoren betonen weiterhin die soziomoralischen Grundlagen, die aus vorstaatlichen Gemeinschaften erwachsen sollen, aus Familie, Religionsgemeinschaften sowie Nation, und für die Wertbildung des verantwortungsvollen Staatsbürgers als wichtig angenommen werden. Sie halten auch an der normativen Ordnungskraft des Staates als Nationalstaat fest. Wie setzt sich hier die als konservativ bezeichnete intellektuelle Grundströmung fort, die aus den Konflikten des 19. Jahrhunderts mit dem liberalen Bürgertum und der aufkommenden Arbeiterschaft entstand, dabei aber auch auf die noch älteren Wurzeln der Kritik an Aufklärung und Moderne verweisen kann?

Konservatives politisches Denken im Lauf der Zeit

Bei der politischen Idee des Konservatismus gibt der lateinische Wortstamm erste Hinweise auf den begrifflichen Inhalt: Denn ihm geht es um das Aufbewahren und Instandhalten und nötigenfalls auch das Retten von dem, was erhaltenswert ist. Durch aktuelle Entwicklungen kann das zu Bewahrende bedroht sein – so wurde es vom Adel mit dem Aufkommen des neuzeitlichen Staats gesehen, der die Privilegien der altständischen Ordnung angriff, so von den Kritikern der französischen Revolution, die mit dieser die gute und rechte Ordnung schwinden sahen, zugunsten eines die Menschen überfordernden Staatsvertrages.(9) Bei Edmund Burke, dem Ahnherrn des konservativen politischen Denkens, lassen sich in seiner Kritik an der französischen Revolution die Grundelemente konservativen Denkens finden: die Bevorzugung des praktischen Abwägens aus Erfahrung vor dem prinzipienorientierten theoretischen Denken; die Annahme einer ewigen und unwandelbaren und gottgegebenen Ordnung; die Anforderung, Generationen übergreifend zu handeln; die Notwendigkeit der Bindung der Freiheit; die Aufforderung, den Staat nicht als bloßes Vertragswerk des Verstandes, sondern als Gemeinschaft der Herzen anzuerkennen und schließlich die Bedeutung der Religion als Grundlage der politischen Ordnung.

Die konkurrierenden politischen Ideen, die das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat, gehen von vornherein von den modernen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit des autonomen Individuums aus: Während der Liberalismus dieses aus vorgängigen Bindungen emanzipieren möchte und auch die freiwillig eingegangenen Bindungen möglichst überschaubar halten möchte, versteht der Sozialismus darüber hinaus Gleichheit auch als zu verwirklichendes Postulat in einer materiellen Dimension und strebt gesellschaftliche Verhältnisse an, die wesentlich durch soziale Gerechtigkeit gekennzeichnet sind. Vor dem Hintergrund der drängenden sozialen Probleme im aufkommenden Industriekapitalismus haben auch einzelne Vertreter des konservativen Denkens des 19. Jahrhunderts wie Lorenz von Stein eine soziale Verantwortung des Staates bejaht und begründet, dass der Staat als pouvoir neutre das Allgemeininteresse gegen die pluralistischen ökonomischen Interessen zu verteidigen habe, und die – wie wir heute sagen würden – negativen Externalitäten des Marktes durch sozial- und bildungspolitische Maßnahmen kompensieren müsse. Aber das konservative politische Denken in Deutschland hat sich erst spät vorbehaltlos zu den Prinzipien der Freiheit und Gleichheit durchgerungen: erst nach dem deutschen Zivilisationsbruch zwischen 1933 und 1945, als in der deutschen Verfassung die Unantastbarkeit der menschlichen Würde als das Fundament der menschlichen Ordnung in Staat und Gesellschaft statuiert worden ist. Der Nationalsozialismus hat zudem dem Konservatismus eine unkritische Bezugnahme auf die Nation verstellt. Jedenfalls ist nach 1945 die Anerkennung einer freiheitlichen demokratischen und pluralistischen Ordnung zur conditio sine qua non für das politische Denken insgesamt geworden – weswegen einige Autoren, die noch in der Bundesrepublik mit der so genannten Konservativen Revolution der Weimarer Republik sympathisierten, gar nicht zum demokratischen Spektrum gezählt werden können und aus der Betrachtung ausscheiden.

Die Schübe des demokratischen konservativen politischen Denkens in der Bundesrepublik feilen dann im Grunde bereits vorhandene Elemente weiter aus: etwa das soziale Element im Ordoliberalismus bei den bereits erwähnten Röpcke und Müller-Armack; oder das etatistische Element bei den Autoren der Regierbarkeitsdiskussion der Siebzigerjahre, in der die Frage aufgeworfen wird, wie denn der zeitgenössische Staat seiner Aufgabe, Hüter des Gemeinwohls sein zu können, gerecht werden kann, angesichts der vielfältigen Ansprüche, die ihm von den Interessenten von Kapital und Arbeit erwachsen, aber auch aus den gestiegenen politischen Partizipationsansprüchen. Ein neuer Gehalt erwächst dem konservativen Denken schließlich aus einer neuen politischen Grundströmung zu – die hier in Ermangelung eines besseren Wortes – als grüne Grundströmung bezeichnet sei. Erhard Eppler hatte hierfür den Begriff des Wertkonservatismus eingeführt, im Unterschied zum Strukturkonservatismus. Damit wollte er die Paradoxie auf den Begriff bringen, dass so genannte bürgerliche Konservative einen ungebrochenen Wachstums- und Fortschrittskurs vertreten, der gerade nicht die Bewahrung und Instandhaltung, sondern die Gefahr der Zerstörung des Gegebenen mit sich bringt und sowohl die natürlichen Lebensgrundlagen als auch kulturelle Formen des menschlichen Zusammenlebens bedroht. Die wachstumskritische Gegenseite zu diesen Strukturkonservativen bilden entsprechend die Wertkonservativen, die erkennen, dass man die gegenwärtigen Strukturen verändern muss, um das, was es zu bewahren gilt, zu retten.

Gewandelt hat sich im Lauf der Zeit also das Verhältnis zu den Prinzipien von Würde, Freiheit und Gleichheit aller Individuen, welche als die ethischen Prämissen der politischen Ordnung heute im konservativen politischen Denken weithin Anerkennung finden. Wenn allen der Anspruch auf Respektierung ihrer gleichen Würde zukommt, dann sind soziale Missstände auch das Problem des Konservatismus, was für den sich explizit christlich verstehenden Konservatismus, der dem Gebot der Nächstenliebe verpflichtet ist, ohnehin gilt. Daher erkennt das konservative politische Denken dem Staat eine – zumeist mit paternalistischer Einfärbung versehene – Fürsorgepflicht zu. Was sich aber für alle Phasen des konservativen Denkens, wenn auch mit je unterschiedlichem Gewicht, zeigt, ist eine bestimmte Denkhaltung: erstens das rückversichernde und Generationen übergreifende Denken aus der Vergangenheit und der Tradition heraus, nicht aber konstruierend aus theoretischen Entwürfen; zweitens die Hochschätzung von vorpolitischen Gemeinschaften und von Institutionen als »haltende Mächte«, die dem Individuum eine unverzichtbare Hilfestellung geben, in der Welt zurechtzukommen und die für Ordnung sorgen: Familie, Religion, Staat, Nation; damit zusammenhängend drittens die Annahme, dass der Mensch immer schon in Bindungen lebt und diese durch die Politik zu schützen und nicht einzureißen sind; weiterhin viertens die besondere Bedeutung der Religion und der Kultur sowohl als Quelle der Sittlichkeit als auch als einigendes Band für die den Staat tragende Gemeinschaft; und fünftens die Einforderung eines besonderen Ethos’ des Bürgers. Ambivalent schließlich bleibt die Bewertung des Fortschrittsprinzips, der Technik und der industriellen Produktionsweise hinsichtlich der damit verbundenen ökologischen und anderen Risiken. Wie verhält sich das zeitgenössische konservative politische Denken von Di Fabio, Kirchhof und Miegel zu diesem Substrat?

Die Renaissance des konservativen politischen Denkens bei Di Fabio, Kirchhof und Miegel

Udo Di Fabio ist amtierender Bundesverfassungsrichter und hat neben der rechtswissenschaftlichen auch eine sozialwissenschaftliche akademische Ausbildung genossen (einer der Gutachter der sozialwissenschaftlichen Doktorarbeit: Luhmann). Di Fabio ist immun gegen den romantischen Virus, der dazu verführt, sich nach der verloren gegangenen Einheit der Gesellschaft zurückzusehnen und diese mit allen Mitteln wiederherstellen zu wollen. Andererseits erkennt Di Fabio den blinden Fleck in der durch und durch funktionalen Perspektive der Systemtheorie auf die Welt. Übernähme man deren Perspektive, so sieht man nicht das durch die Rationalität ausgeschlossene Andere und wäre blind für den, wie es bei Di Fabio heißt, »Eros der Gesellschaft«.(10) Damit scheint dasjenige gemeint zu sein, was jenseits der vertragstheoretischen Kalküle die Einzelnen dazu bringt, sich überhaupt als Mitglieder einer Gesellschaft zu empfinden. Denn tatsächlich – und in Spannung zu der systemtheoretischen Position – ist Di Fabio durchaus der Auffassung, dass auch moderne Gesellschaften integrationsfähig sind und der Staat auch einer ihn tragenden politischen Gemeinschaft bedürfe, gekennzeichnet durch geteilte, identitätssichernde Grundwerte. Aber die Integrationsmethode kann nur eine »weiche« kulturelle sein und keinesfalls eine politische, vor allem nicht die von ihm so vehement kritisierte sozialtechnologische Methode.

Doch die Kultur der zeitgenössischen Gesellschaft ist von Zerfall bedroht. Di Fabio sieht einen radikalen Individualismus walten, der den Wert von Bindungen, die Menschen eingehen, negiere und Freiheit von der Richtung her dann als verwirklicht ansehe, wenn Menschen selbstbestimmt leben könnten, was bedeute: Je weniger das Individuum mit beschränkenden Konventionen, Normen und Anforderungen konfrontiert ist, umso freier. Als ein weiterer falscher Leitwert habe das Lustprinzip das Leistungsbewusstsein verdrängt. Fleißig zu sein, Freude am Können, stolz zu sein auf das Erreichte, mit Pragmatismus auch größere Vorhaben anzugehen – diese Hinwendung zur vita activa vermisst Di Fabio in der heutigen Gesellschaft.(11) Das ist ein charakteristischer Zug, welcher von den Wurzeln her nicht genuin konservativ ist: Die Betonung von Leistung anstelle von Pflicht ist liberalen Ursprungs. Der Konservative ist von einem Pflichtenethos erfüllt, der Liberale vom Leistungswillen. Di Fabio findet denn auch die Lebenswelt der Arbeiter und ihr Verhalten in den Fünfzigerjahren zu Unrecht als kleinbürgerlich und spießig verachtet, denn diese hätten doch die Werte hochgehalten, die das liberale Bürgertum im Jahrhundert zuvor formuliert hatte: Fleiß, Aufstiegswille, Bildungsbeflissenheit und Familiensinn.(12) Und damit ist Di Fabio bei seinem wichtigsten Kritikpunkt: dem Niedergang der Familie.

Die so genannte bürgerliche Kleinfamilie sei in der Nachfolge von 1968 als Zwangsanstalt angesehen worden, von Gewaltverhältnissen und Unterdrückung bestimmt, von der es sich zu emanzipieren gelte. Dass aber die feste, auf Dauer angelegte menschliche Zweierbeziehung, aus der Kinder hervorgehen, tatsächlich der Quell von Lebensglück und Lebensfülle ist, das sei eine Auffassung, die kein Leitbild für die Gesellschaft mehr sei. Es ist wichtig sich vor Augen zu führen, dass Di Fabio für ein Leben mit Kindern wirbt, nicht nur in Kenntnis und aufgrund der demografischen Situation. Der drastische Geburtenrückgang seit Mitte der Sechzigerjahre ist seiner Auffassung nach »die eigentliche Quelle für die inzwischen deutlich spürbaren Vitalitätsverluste der deutschen Gesellschaft«.(13) Nun könnte man Di Fabio vorhalten, dass die Kinderlosigkeit nicht bloß eine bewusste Life-Style-Entscheidung zugunsten des Konsums ist, sondern (abgesehen von leidvollen körperlichen Gründen), seine Gründe gerade in den Funktionsimperativen des wirtschaftlichen Teilsystems findet, das höchste Anforderungen an zeitliche Flexibilität und räumliche Mobilität des/r ArbeitnehmerIn stellt, was im Übrigen durch eine deregulierende Wirtschaftspolitik oftmals noch unterstützt wird. Aber einfach macht es dieser Autor seinen Kritikern nicht, denn dieser Punkt wird von Di Fabio gar nicht verschwiegen, sondern ebenfalls gelegentlich kritisch angesprochen.(14) Allerdings weist er die Hauptverantwortung doch dem falschen kulturellen Leitbild zu.

Nicht nur die Familie sieht Di Fabio in der radikal individualisierten Lebenswelt angegriffen, auch andere Institutionen und Gemeinschaften, ja, auch Traditionen litten unter einer spezifischen Anti-Haltung, die ihnen gegenüber an den Tag gelegt werde. Das sei deswegen besonders problematisch, weil die Traditionen und Institutionen die Speicherplätze der Kultur seien. Dazu gehören in den Augen Di Fabios im Übrigen auch die »guten Sitten«, jene Normen in der Gesellschaft, die auch ohne positiv-rechtliche Absicherung Verhalten wirksam regulieren.(15) Je mehr die »bürgerliche Gesittung« nun erodiere, desto mehr müsse der Staat mit seinen Instrumenten in die Bresche springen, und das erwünschte Verhalten mittels positivrechtlicher Regulierung erzwingen, dann aber fiele die Bilanz für die Freiheit immer negativer aus. Hieran knüpft sich ein sehr grundlegender Gedanke an. Die Freiheit wachse gerade nicht in dem Maße, wie Traditionen abgestreift, Bindungen gelöst und Institutionen wie etwa die Religionsgemeinschaften an regulativer Kraft gegenüber ihren Mitgliedern verlören. Im Gegenteil erfüllt sich in den Augen Di Fabios die Freiheit erst in Bindungen.(16) Das ist nicht so konservativ, wie es auf den ersten Blick aussieht. Gewiss ist das Freiheitsverständnis, das solchermaßen materiell gefüllt wird, kein negativ-formales: Es handelt sich bei Di Fabio also um die »Freiheit zu«, nämlich zur Bindung und nicht die »Freiheit von etwas«, was klassischerweise Kern des liberalen Freiheitsverständnis ist. Aber auf einer höheren Ebene zeigt sich Di Fabios Verständnis durchaus auch als liberal: Denn der »wahrhaft« Konservative würde auch die Bindungen bejahen, in die er hineingestellt ist, die er vorfindet. Bei Di Fabio sind es aber die selbst gewählten Bindungen: »Frei sein heißt, über seine Bindung selbst zu bestimmen, Gemeinschaften zu suchen, zu gründen und zu verteidigen.«(17) Nicht nur die Ehe, auch die politischen Gemeinschaften sieht er auf freiwilligen Zusammenschluss und Urverträge gegründet. Das lässt den Leser aber einigermaßen ratlos zurück: Denn in ganz grundlegende Gemeinschaften, die für die Erfahrung der Bindung so wichtig sind, wird man hineingeboren und findet sich darin vor. Dies gilt für die Sprachgemeinschaft ebenso wie für die Vermittlung der Religion: aufzuwachsen im Glauben ist eine Bindung, die zunächst nicht selbstbestimmt ist und erst recht gilt dies für die Familie, in die man hineingeboren wird. Ähnliches gilt auch für die Nation. Dieser Versuch, Selbstbestimmung und Bindung zu vermitteln, ist im Übrigen auch nicht kohärent zu den Passagen, in welchen Di Fabio Nation und Religion gerade als Gemeinschaften beschreibt, die nicht auf Willen und Entscheidung beruhen, sondern gewachsen sind und tradiert werden. So betont er speziell die aus der jüdischen und christlichen Religion erwachsenen Werte der Freiheit, Gleichheit und Würde.(18) Wenn man diese Tradition abschnitte, sieht er in Frage gestellt, ob der Geltungsanspruch der Unantastbarkeit der Menschenwürde sozusagen »von alleine« fortbestehen kann.

Diese Sichtweise auf die Bedeutung der Religion für die politische Gemeinschaft in funktionaler und auch in historisch-genetischer Hinsicht ist wiederum ein genuin konservatives Argument, was bei Paul Kirchhof noch stärker gemacht wird. So versteht er die in der Präambel des Grundgesetzes aufgenommene Formel der Verantwortung vor Gott – bei aller Anerkennung der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates –als einen Geltungsgrund und ein Auslegungsprinzip für die gesamte Verfassung.(19) Und wenn er selbstverständlich auch nicht-religiösen Menschen die Fähigkeit zu verantwortlicher Freiheit zuerkennt, die diese aus Familie, Bildung und anderem zögen, so zweifelt er aber doch an einem rein diesseitig orientierten Nützlichkeitskalkül als Basis einer freiheitlichen und sozialen Gesellschaft.(20) Kirchhof wie Di Fabio setzen sich durchaus mit der sozialen Frage auseinander.

Analysiert man Di Fabios Ansichten über die Notwendigkeit der Reform des Sozialstaats, gewinnt bei ihm das Bild eines spannungsvollen Gefüges von konservativen und liberalen Elementen noch mehr Tiefenschärfe. Da wird deutlich: Hier argumentiert ein liberaler Autor, der die Grundprinzipien der bürgerlichen Leistungsgesellschaft reformuliert. Nur ist er der Auffassung, dass diese Verantwortung sich allein auf die Absicherung von Grundbedürfnissen richten kann, wenn diese der Einzelne nicht selbst zu erwirtschaften in der Lage ist. Die gegenwärtige Absicherung aller Lebensrisiken auf relativ hohem Niveau ist in den Augen Di Fabios nicht mehr nur nicht finanzierbar, sondern schlicht sozial ungerecht. Denn es bestraft in seinen Augen die Leistungsträger. Eine Reform des Sozialstaats verbessert in dieser Sichtweise dann auch die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft unter den Anforderungen einer globalisierten Weltwirtschaft. Dazu müssten allerdings auch weitere Deregulierungen treten, die die Unternehmer wettbewerbsfähiger machten. Und an dieser Stelle nun lässt sich die Verbindung der Elemente des liberalen und des konservativen politischen Denkens nicht mehr als fruchtbares Spannungsverhältnis sehen, sondern hier trifft man auf einen Widerspruch.

Denn Di Fabio, der für die Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme im Interesse zukünftiger Generationen plädiert, hat keinerlei Problembewusstsein für die Krise der gesellschaftlichen Naturbeziehungen. Dass auch die Natur etwas ist, das es zu bewahren gilt, ist ihm in seinem Buch keinen einzigen Abschnitt wert. Im Gegenteil: An den wenigen Stellen, die kursorisch auch den Umweltschutz behandeln, kommt ein Unverständnis für dessen Notwendigkeit zum Tragen, wie auch eine Kritik an seinen Protagonisten. Und einigermaßen fassungslos lässt einen die einzige Bemerkung zurück, die er über die natürlichen Lebensgrundlagen macht. Denn die von ihm zitierte Behauptung, dass der Westen die natürlichen Lebensgrundlagen zerstöre, die Schöpfung vernichte, kann für ihn als Beispiel einer bösartigen und destruktiven Kritik am Westen gedeutet werden – analog jener Kritik, die da meinte, dass die kapitalistische Gesellschaft ein einziger Verblendungszusammenhang sei und Auschwitz im System angelegt.(21) Dass eine solche Kritik überhaupt gar nicht ideologisch gemeint sein könnte, sondern als ein Fazit einer empirischen Beobachtung, kommt ihm nicht in den Sinn. Damit zeigt der Autor aber nur seinerseits eine gewisse ideologische Borniertheit. Wer Verantwortung für die zukünftigen Generationen sich nur in ökonomischer und kultureller, nicht aber in ökologischer Hinsicht denken kann, ist nicht auf Augenhöhe der Probleme, die sich in der Gegenwart stellen.

Nicht nur in dieser Hinsicht völlig anders argumentiert Meinhard Miegel.(22) Miegel ist Ökonom und gilt als einer der Ersten in der Bundesrepublik, der die soziale und politische Bedeutung der demografischen Entwicklung erkannt hat. Seine diagnostische Hauptthese in diesem Buch ist die, dass das Immer-Mehr an wirtschaftlichem Wachstum und materiellem Wohlstand an ein Ende gekommen sei. Unter den Bedingungen der Weltwirtschaft würden die westlichen frühindustrialisierten Länder gegenüber den aufstrebenden Ländern bald zurückbleiben, da sich auch der Preis für Arbeit globalisiert habe und das Lohnniveau in anderen Teilen der Welt erheblich niedriger sei, was die nationalen Volkswirtschaften des Westens unter großen Druck setze.(23) Die Nachfrage nach Gütern werde zurückgehen, denn das bisherige Konsumniveau sei aus finanziellen, ökologischen und auch aus sittlichen Gründen nicht länger zu halten: nicht nur, dass den aufstrebenden Ländern mit zunehmend höherer Wertschöpfung nicht länger das vorenthalten werden könne, was sich bislang allein der Westen im Übermaß zugestanden habe, wodurch die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde wohl sehr bald überschritten würden. Sondern der materielle Wohlstand im Westen habe eine kulturelle Sättigungsgrenze erreicht: Immer mehr Menschen im Westen stellten fest, dass noch mehr Güter und die dafür notwendigerweise zu erbringende Arbeitsleistung sie auch nicht glücklicher machten. In dieser Situation plädiert Miegel dafür, die sicher zu erwartenden weiteren Einkommenseinbußen anders zu verteilen – es müsste für diejenigen, die lange ohne Arbeit gewesen seien, die Chance auf ein Zurück in den Arbeitsmarkt durch einen Niedriglohnsektor geschaffen werden, welcher durch staatliche lohnergänzende Transferleistungen ein wirtschaftliches Auskommen ermögliche.(24) Der zweite und entscheidende Punkt ist für Miegel, dass die europäischen Länder sich auf ihre Kreativitätsreserven, ihren kulturellen und geistigen Reichtum besinnen sollten und eine kulturelle Kehrtwende zum Weniger einzuleiten hätten, zum Maßhalten.

Scharf fällt bei Miegel die Kritik gegenüber einer Gesellschaft aus, die von einem leeren, gesundheitsschädlichen und unsozialen Konsumismus bestimmt sei.(25) Auch Miegel schätzt die Bedeutung von Familien als diejenige Primärinstitution, in der die ältere Generation der jüngeren elementare Kulturtechniken und grundlegende soziale Normen vermittele. Die Hauptschwäche der Gesellschaft sieht er wie Di Fabio darin, dass ihr ein Leitbild fehle, in dem – im umfassenden Sinne – Platz für Kinder sei.(26) Noch deutlicher als Kirchhof kritisiert Miegel die »Vermögenden« in der Gesellschaft, deren überwiegender Teil ihrer Elitenfunktion nicht nachkäme und nur Solidarität nach Vorschrift leiste.(27) Aber was bei Miegel eine ganz andere Tonart erhält im Vergleich zu Di Fabio, das ist der Stellenwert und die Bedeutung des »Mehr-arbeiten-müssens-und-weniger-Verdienens«. Di Fabio redet einer Renaissance der bürgerlichen Leistungsgesellschaft das Wort, von der noch einmal die Rettung vor dem wirtschaftlichen Abstieg erhofft wird. Bei Miegel hingegen soll die Arbeit, die Bildung, und die Orientierung auf Familien eingesetzt werden: um eine grundlegende Epochenwende zum Weniger einzuleiten, hin zu einem Wohlstandsniveau, das nicht an Überfluss ausgerichtet, sondern das sozial und ökologisch verallgemeinerbar ist. Darin sieht Miegel die Chance, dass der Westen wieder ein Vorbild für die Welt sein kann. Den Schlüssel zur Problemlösung haben die westlichen Gesellschaften noch in der Hand: Er liegt in der Bildung und Kultur und der Einsicht jedes Einzelnen und der Gesellschaft, wie es bei Miegel heißt: »... jeweils nur Glied in einer Kette zu sein, die es schon lange vor dem heute gab und hoffentlich noch lange nach dem heute geben wird.«(28) Konservativer kann man im Grunde nicht denken.

Konservatives Denken mit Zusatzstoffen

Als das Charakteristische des gegenwärtigen konservativen politischen Denkens hat sich bei Di Fabio, Miegel und Kirchhof – in je unterschiedlicher Gewichtung – gezeigt: dass die Bewahrung einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, in der zudem ein bestimmtes Niveau an materiellem Wohlstand gehalten werden soll, auf Voraussetzungen angewiesen ist, die zu guten Teilen nicht vom Staat produziert werden können. Für diese Erhaltungsbedingungen müssen vor allem soziale und kulturelle Anstrengungen unternommen werden, es kommt nicht allein auf politische Reformen an, sondern es geht um die Werte und Leitbilder in der Gesellschaft. Alle betonen auch die positiven Funktionen kultureller Traditionen und zeigen sich darin nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in methodischer Hinsicht konservativ, da ihr Denken solchermaßen rückversichernd und Generationen übergreifend ist. Als ein gesellschaftskritisches erweist sich dieses konservative Denken, wenn es aufzeigt, dass die gegenwärtigen Verhältnisse von gar keinen oder den falschen Leitbildern bestimmt sind, insbesondere einem radikalen Individualismus, was zu der Erosion bürgerlicher Normen geführt habe, zu Traditionsvergessenheit, dem Verlust der Bindungsfähigkeit und auch zu mangelndem Leistungswillen. Alle drei sind sich einig, dass für das Wohlfunktionieren der Gesamtgesellschaft den vorpolitischen Gemeinschaften eine zentrale Rolle zukommt: in unterschiedlicher Gewichtung der Religion und der Nation, aber vor allem und das unisono: der Familie, die gegenwärtig als besonders gefährdet erkannt wird. Hier befindet sich dieses konservative Denken auf der Höhe der Zeit, denn unbestreitbar ist die Tatsache, dass in vielen Familien Eltern den Pflichten, die sie gegenüber ihren Kindern haben, nicht mehr gerecht werden – dies aufzufangen, droht die staatlichen Institutionen zu überfordern.(29)

Für die negativen externen Effekte des Marktprinzips zeigt sich insbesondere Di Fabio nicht sonderlich sensibel, sein Denken ist in dieser Hinsicht überhaupt nicht konservativ, sondern nur liberal, wenn man so will: neoliberal. Zwar kommt seinen, in ähnlicher Form auch bei den anderen beiden Autoren vorhandenen Vorschlägen zur Erneuerung des Sozialstaats eine gewisse Plausibilität zu, insofern sie allesamt auf stärkere Eigenverantwortung und die Besserstellung von Familien zielen und ansonsten die Begünstigten staatlicher Transferleistungen unter neuen Rechtfertigungszwang setzen, ohne der Abschaffung einer staatlich zu gewährenden sozialen Existenzsicherung das Wort zu reden. Das bürgerlich-liberale Leistungsprinzip wird als kulturelle Basis der Wertschöpfung angesehen, ohne die ein Sozialstaat nicht funktionstüchtig ist. Aber dass das bürgerliche Leistungsprinzip und die kapitalistische Wertschöpfung dazu neigen, nicht nur schöpferisch, sondern auch zerstörerisch zu sein: indem deren Dynamik gerade gewachsene soziale Strukturen zerreißt und die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört – das sollte allerdings das Thema des konservativen Denkens sein, dem es doch um das Bewahren des Unverfügbaren geht. Der einzige der hier behandelten politischen Denker, der dies erkennt, ist Miegel. Indem er auf Veränderung drängt, nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus kulturellen und moralischen Gründen, erweist er sich im umfassenden Sinne als ein »wertkonservativer« politischer Denker – in diesem Sinne ein Kompliment, das den anderen beiden Autoren nicht gemacht werden kann.

»Konservative, liberale und christlich-soziale Wurzeln«

In der aktuellen Programmdebatte der Union findet sich das Spannungsverhältnis von konservativen und liberalen Elementen, wie es hier als ein Charakteristikum für das zeitgenössische politische Denken konservativer Provenienz deutlich gemacht wurde, wieder. Die weitreichende Reformankündigung von Leipzig wird nicht im Grundsatz zurückgenommen. Noch immer findet sich ein Plädoyer für die Flexibilisierung des Arbeitsrechts, für ein wettbewerbsfähigeres Steuerrecht, für den Abbau von Bürokratie und auch ein Lob des Leistungsprinzips und der Eigenverantwortung. Auch wird dargelegt, dass die Bewahrung der sozialen Sicherungssysteme ihre Veränderung voraussetze. Aber zugleich lassen sich sowohl Detailforderungen finden, die für einen stärkeren sozialen Ausgleich stehen (etwa das Verbot sittenwidrig niedriger Löhne), als auch prinzipielle Aussagen zu Solidarität und Gerechtigkeit. Was bei den Grünen mit dem etwas akademisch anmutenden Wort der »erweiterten Gerechtigkeit« auf den Begriff gebracht werden soll, findet sich auch bei der CDU, nämlich wenn es heißt, dass es nicht nur ein Recht auf, sondern auch eine Pflicht zur Solidarität gibt, und zwar nicht nur innerhalb der Gemeinschaft der Bürger, sondern auch gegenüber zukünftigen Generationen und den Mitmenschen in anderen Teilen der Welt.

Überhaupt lassen sich einige interessante Annäherungen des Unionsentwurfs an das grüne Programm bemerken – was man notieren kann, ohne dass deswegen die bestehenden programmatischen Differenzen, insbesondere (aber nicht nur dort) in den Aussagen zur Außen- und Sicherheitspolitik, zu übersehen wären. Eine Ähnlichkeit zeigt sich bereits in der methodischen Herangehensweise. Anders nämlich als der Programmentwurf der SPD, der mit einer im sozialwissenschaftlichen Duktus gehaltenen kritischen Analyse der globalen Lage eröffnet wird, beginnen der CDU-Entwurf und das grüne Programm mit einer Vorstellung der eigenen Identität und der eigenen Werte, um danach erst die Herausforderungen zu bestimmen und darauf aufbauend die programmatischen Forderungen zu präsentieren. Die Grünen stellen sich als Partei der Ökologie vor, in die linke, wertkonservative und Traditionen des rechtsstaatlichen Liberalismus eingegangen seien. Die Trinität der Wurzeln findet sich auch bei der Union: christlich-soziale, liberale und wertkonservative Strömungen seien in ihr lebendig. Bemerkenswert ist, dass die Union sodann die Auflistung der Herausforderungen der Gegenwart mit der ökologischen Krise beginnt, was in der christdemokratischen Sprache als »bedrohte Schöpfung« ausgedrückt wird. Auf der programmatischen Ebene ist die CDU durchaus ergrünt: sei es, dass für die Prozesse der Globalisierung nicht nur soziale, sondern auch ökologische Standards eingefordert werden, sei es, dass im Sicherheitsbegriff auch eine ökologische Dimension erkannt wird, sei es, dass der Klimawandel als eine der zentralen politischen Aufgaben angesehen wird.(30) Für wie glaubwürdig die Überwindung der bisherigen Blindheit auf dem ökologischen Auge zu halten ist, steht auf einem anderen Blatt. Ob die verhältnismäßig ehrgeizigen Reduktionsziele von Treibhausgasemissionen tatsächlich vornehmlich mit marktwirtschaftlichen Anreizen und mit Emissionshandel und weniger mit Ordnungspolitik erreichbar sind, sei hier bezweifelt. Das unbedingte Ja zur Atomenergie vermag ohnehin nicht zu überraschen.

Aber dennoch: Es ändert sich etwas in der Programmatik der Union. Dies zeigt sich gerade bei dem Thema, das für die bürgerlich-konservative Identität besonders relevant ist, nämlich bei der Bewertung der »richtigen« Formen menschlichen Zusammenlebens. Das unbedingte Ja zur Familie(31) wird jetzt mit einer Stärkung der Familiengerechtigkeit verbunden, sprich: mit der Forderung nach finanzieller und rechtlicher Unterstützung für Familien mit Kindern. So soll ein Familiensplitting eingeführt werden, das das Ehegattensplitting zwar nicht völlig ablösen soll, aber Paare mit Kindern steuerlich besser stellen soll als kinderlose Paare. Dem schon eingeführten Elterngeld soll auch eine Unterstützung für die Phase folgen, in der Kinder ihre Eltern pflegen. Und besonders wichtig für den gegenwärtigen Kulturkampf innerhalb der Union: Eltern sollen Wahlfreiheit haben, ob und wie sie ihr berufliches mit dem familiären Leben verbinden. Konsequent redet der Programmentwurf nicht davon, wie es den Müttern erleichtert werden kann, Familie und Beruf zu vereinbaren, sondern davon, dass Frauen und Männer gleichermaßen verpflichtet seien.(32) Es ist so viel von dem wechselseitigen Respekt vor den gleichen Entfaltungsrechten der Geschlechter die Rede und den berechtigten beruflichen Ambitionen der Eltern, dass die Erwähnung der Entfaltungswünsche der Kinder, die ein zu starkes berufliches Engagement der Eltern in aller Regel nicht begrüßen (wie die lebensweltliche Erfahrung zeigt), dagegen etwas knapp ausfällt. Die Ankerpunkte des traditionellen Familienbildes können demgegenüber in der fortdauernden Hochschätzung der Ehe gefunden werden, in der, auch wenn keine Kinder da seien, Männer und Frauen dauerhaft füreinander Verantwortung übernähmen. Wieso dies allerdings steuerlich gefördert werden soll, ist nicht ersichtlich. Dass Lebensgemeinschaften steuerlich gefördert werden, in denen ein Ehepaar, Alleinerziehende oder Alleinpflegende für Schwächere – Kinder, Kranke, Alte – sorgen, ist sozial begründbar. Aber wieso auch Lebensgemeinschaften erwachsener Erwerbstätiger, seien diese aus Mann und Frau oder gleichgeschlechtlich zusammengesetzt?(33) Gleichgeschlechtliche Partnerschaften, in denen Erwachsene füreinander Verantwortung übernehmen, sollen laut Programmentwurf jedenfalls das Eheprivileg weiterhin nicht erhalten können und auch das Adoptionsrecht nicht. So weit, so traditionell. Aber andererseits erkennt die CDU nun überhaupt an, dass auch in anderen Lebensgemeinschaften als den ehelichen Werte gelebt werden können, die für die Gesellschaft grundlegend sind – explizit auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Dieser Respekt ist neu.

Das Bekenntnis zur Familie als Bejahung einer lebenslangen Bindung und Verantwortung zwischen den Generationen ist zeitgemäß ausgefallen und wird verbunden mit der liberalen Anerkennung auch anderer Lebensformen. Der als neoliberal wahrgenommenen sozialen Härte aktueller Reformprogramme wird im Programmentwurf die starke Betonung der christlich-sozialen Pflicht zur Solidarität entgegengestellt. Was bleibt für das traditionell-konservative Lager in der CDU? Nicht viel. Neben der Betonung einer fortdauernden und zu schärfenden Notwendigkeit von Sicherheitspolitik(34) lässt sich am ehesten die Pflege des eigenen Traditionsbestandes noch in dem Vorrang des Christlichen erkennen. Aber auch das ist wieder pluralistisch eingefasst: denn in der Union sollen auch Anders- und Nichtgläubige Platz haben, sofern sie von der Unantastbarkeit der Menschenwürde als Leitwert ausgehen. Auch die nichtchristlichen religiösen Bekenntnisse sollen von dem knappen Gut des öffentlichen Raumes ihren Teil beanspruchen können, auch wird ihr positiver Anteil an der Wertbildung anerkannt. Allerdings: An der grundlegenden Prägekraft des Christentums für die Gesellschaft, die Kultur und auch die Werte des Grundgesetzes lässt der Entwurf keinen Zweifel, weswegen christliche Symbole in der Öffentlichkeit wie auch der christliche Sonntag und die christlichen Feiertage zu schützen seien.(35) Das sieht freilich Bischof Wolfgang Huber, der einst für die SPD zum Bundestag kandidierte, nicht anders.

Schließlich bleibt der Begriff der Leitkultur als Projektionsfläche traditionell-konservativer Vorstellungen. Der lässt sich gerade mal an zwei Stellen in dem 78-Seiten umfassenden Entwurf finden. Einmal dient er als zusammenfassender Begriff für die christdemokratische Beschreibung der politischen Kultur Deutschlands: mit besonderer Betonung des bürgerschaftlichen Pflichtenethos, der Menschenwürde und Menschenrechte, der Verantwortung aus der Geschichte, der Einordnung in die europäische Völkergemeinschaft und dem Bekenntnis zur Integration als Aufgabe der ganzen Gesellschaft. Dabei wird die Grundlage des Zusammenhalts in der Gesellschaft in der Nation gesehen, das patriotische Zusammengehörigkeitsgefühl sei begründet in der gemeinsamen Sprache, Geschichte und dem gegenwärtigen Leben im Nationalstaat. Aber: Diese Nation wird nicht ethnisch-kulturell verstanden. Denn jeder, der in das Land komme und dauerhaft bleiben wolle, wird aufgefordert, sich mit dem Land und der Geschichte »vertraut zu machen und dadurch seinen Platz in unserem Land zu finden«.(36) Die gesellschaftliche Integration von Zuwanderern soll denn auch auf der Basis einer so verstandenen Leitkultur – das zweite Mal, dass der Begriff fällt – geschehen.(37) Eindeutig wird in dem Abschnitt »Integrationsland Deutschland« gegen Parallelgesellschaften Stellung bezogen und noch klarer wird das Recht auf kulturelle Differenz mit der Pflicht verbunden, die menschenrechtlichen Werte und Normen, insbesondere die Gleichberechtigung der Geschlechter anzuerkennen. Es findet sich dann allerdings auch die Drohung, dass Integrationsverweigerung nicht folgenlos bleiben solle.(38)

Die CDU präsentiert sich damit programmatisch als eine Partei, die dem bürgerlichen Konservatismus eine leicht andere Färbung gibt: Sie öffnet sich zur Mitte. Diese Öffnung mag wahlstrategisch begründet sein oder in einer inhaltlichen Notwendigkeit. Betrachtet man nur die Programmatik, hat sich die Konstellation im Parteiensystem für die Union verbessert: Sie kann wahlweise die liberalen, sozialen und ökologischen Elemente herausstellen, um ihre diversen Koalitionsoptionen zu begründen. Das wäre vor nicht allzu langer Zeit nicht vorstellbar gewesen. Aber auch das Regieren ist heute pluralistischer geworden.

1 Panajotis Kondylis: Konservatismus. Geschichtlicher Gehalt und Untergang, Stuttgart: Klett-Cotta 1986, S. 507.

2 Kurt Beck: »Das soziale Deutschland«, in: FAZ, 11.6.07.

3 Die FDP hat kein neues Grundsatzprogramm vorgelegt und begnügt sich mit der Beibehaltung der »Wiesbadener Grundsätze« von 1987 und zahlreichen einzelnen »Grundsatzpapieren« – eine Mischung aus Wahlprogrammen und Wahlanalysen. Die Linke hat bisher »Programmatische Eckpunkte« verabschiedet, die die Ausformulierung eines umfassenden Programms lenken sollen. Zentrale Perspektive ist hier die »Auseinandersetzung mit« und »das Bündnis gegen den Neoliberalismus« als vermeintlich vorherrschender Ideologie.

4 Matthias Platzeck, Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier (Hrsg.): Auf der Höhe der Zeit. Soziale Demokratie und Fortschritt im 21. Jahrhundert, Berlin: Vorwärts 2007; Andrea Nahles, Detlef Albers (Hg.): Linke Programmbausteine. Denkanstöße zum Hamburger Programm der SPD, Berlin: Vorwärts 2007; Kurt Beck, Hubertus Heil (Hrsg.): Soziale Demokratie im 21. Jahrhundert. Lesebuch zur Programmdebatte der SPD, Berlin: Vorwärts 2007.

5 »Moderner bürgerlicher Konservatismus: Warum die Union wieder mehr an ihre Wurzeln denken muss«, dok. in: Jürgen Rüttgers: Die Marktwirtschaft muss sozial bleiben. Eine Streitschrift, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2007.

6 Nach einer im Auftrag der Zeit (siehe Zeit, 9.8.07) von dem Meinungsforschungsinstitut Emnid durchgeführten repräsentativen Umfrage hat die Einordnung als rechts deutlich an Attraktivität verloren: Während noch 1981 38 % aller Befragten sich selbst als rechts einordneten, um den politischen Standort zu kennzeichnen, 41 % als Mitte und 17 % als links, verkehrte sich dies 2007: heute ordnen sich 11 % als rechts ein, 52 % als Mitte und 34 % als links.

7 Vgl. Zeit, 9.8.07.

8 Paul Kirchhof: Der Staat – eine Erneuerungsaufgabe, Freiburg i. Br.: Herder 2005; Meinhard Miegel: Epochenwende. Kann der Westen die Zukunft gewinnen?, Berlin: Propyläen 2005; Udo Di Fabio: Die Kultur der Freiheit, München: C. H. Beck 2005.

9 Gerhard Göhler, Ansgar Klein: »Politische Theorien des 19. Jahrhunderts«, in: Hans-Joachim Lieber (Hrsg.): Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart, Bonn (Schriftenreihe Bd. 299 der Bundeszentrale für politische Bildung, 2. Aufl.), S. 259–656, hier S. 259 ff.

10 Di Fabio, 2005, S. 16 f.

11 Ebd., S. 273.

12 Ebd., S. 212.

13 Ebd., S. 144.

14 Siehe ebd., S. 58, 143 f., 149, 161.

15 Ebd., S. 76 f.

16 Ebd., S. 71 ff.

17 Ebd., S. 85. Dieses Plädoyer für einen liberalen Konservatismus hat Di Fabio jüngst in einem FAZ-Essay verstärkt: »Politische Grundströmungen. Was ist konservativ?«, in: FAZ, 26.7.07.

18 Ebd., S. 172 ff.

19 Kirchhof 2005, S. 55.

20 Ebd., S. 52 f.

21 Di Fabio 2005, S. 251.

22 Miegel 2005.

23 Ebd., S. 30 ff., 95 ff.

24 Ebd., S. 249 ff.

25 Ebd., S. 142 ff.

26 Ebd., S. 275 ff.

27 Ebd., S. 269 f.

28 Ebd., S. 283

29 Welchen Schuldanteil nun dafür der Individualismus in kultureller Nachfolge von 1968 zu übernehmen hat und welchen die sozioökonomischen Bedingungen, die Bindungslosigkeit belohnen und die zudem dazu geführt haben, dass viele Menschen nicht mehr über den Arbeitsmarkt in die Gesellschaft integriert werden – darüber kann man lange streiten.

30 In Abwandlung findet sich sogar einer jener Sätze wieder, die zum Gründungsfundus der Grünen gehören, wonach die Erde von den Kindern nur geborgt sei: »Wir wollen unseren Kindern und Enkeln eine Welt bewahren und hinterlassen, die auch morgen lebenswert ist.« (Entwurf Grundsatzprogramm, Zeile 2259) In einem Zeitungsinterview auf die Ähnlichkeit hin angesprochen, gibt Ronald Pofalla zu, dass die CDU in den Siebzigerjahren einen Fehler gemacht habe, als sie Herbert Gruhl vergrault habe. (Vgl. FAS, 9.11.07)

31 »Familie ist überall dort, wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern dauerhaft Verantwortung tragen.« Entwurf Grundsatzprogramm, Zeile 745 ff.

32 Entwurf Grundsatzprogramm, Zeile 824 ff.

33 Diese Frage zu beantworten, fällt freilich nicht nur der Union schwer, sondern auch den Schwulenverbänden, die den Splittingvorteil auch für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften einfordern.

34 Inwieweit aber die programmatische Aussage, innere und äußere Sicherheit heute in einem Zusammenhang zu betrachten (Entwurf Grundsatzprogramm, Zeile 637<|>f. und 3087 ff.), nun nur Pflege des konservativen Traditionsbestands mit seinem typischen Bekenntnis zum starken Staat dienen soll, oder nicht vornehmlich der Analyse einer veränderten Bedrohungslage geschuldet ist, soll hier nicht diskutiert werden.

35 Entwurf Grundsatzprogramm, Zeile 2584 ff.

36 Ebd., Zeile 359 ff.

37 Ebd., Zeile 631 f.

38 Ebd., Zeile 2814.

© Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 5/2007