Michael Ackermann

Leben in der Ungewissheit

Materialien zur Diskussion von Armut, Überflüssigkeit und Veränderungen in der Arbeitswelt

Die Rückkehr der Debatten um Armut und Ausschluss, Chancengleichheit und Gerechtigkeit wird von den ökonomischen Eliten gerne als eine typisch deutsche Angst vor notwendigen Veränderungen im Prozess der Globalisierung gedeutet. Doch gibt es viele Hinweise darauf, dass gravierende Änderungen in der Gesellschaft zu Ungunsten eines großen Teils der lohnabhängigen Bevölkerung stattgefunden haben. Dass sie auch mit den Segnungen einer »neoliberalen Wende« zu tun haben, dafür gibt es aus dem Bereich der sozialen und Arbeitswelt einige Hinweise.

Die enorme Beschleunigung der Produktivkraftentwicklung ging in der Bundesrepublik der späteren Nachkriegszeit bekanntlich mit dem Aufschwung einer reformerischen Arbeiterbewegung einher. Diese Entwicklung war jedoch nur möglich auf der Basis einer absolut erweiterten Produktionsbasis. Dieses »Wirtschaftswunder« und die erweiterten ökonomischen Märkte in der Rahmung durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bildeten die Grundlage für die Ausweitung der erwerbstätigen Bevölkerung inklusive einer Steigerung der Frauenerwerbstätigkeit. Einher ging diese Entwicklung mit der Ausbildung einer lohnabhängigen Mittelklasse, die den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit sozialreformerisch dämpfte, und der Durchsetzung eines weit gefächerten Sozialstaates. Ob »soziale Marktwirtschaft« oder »rheinischer Kapitalismus« genannt, die Etiketten dieses vielschichtigen Prozesses waren jedenfalls im Rahmen dieser europäischen Dynamik kein Schwindel. Sie bezeichnen allerdings eine Entwicklung, die in den 1970er-Jahren, spätestens aber in den 1980er-Jahren ihren Zenit überschritten hatte. Schon zu Kohls Zeiten war die Arbeitslosigkeit in zuvor lange unbekannte Höhen geschnellt. Auch die in entspannteren Zeiten geformten Sozialsysteme zeigten deutliche Krisenerscheinungen – sowohl im Sinne von Finanzierungs- als auch von Motivierungsproblemen. Die deutsche Einheit milderte mit einem Binnenaufschwung kurzfristig die Abwärtsbewegung, bevor diese bald und bis heute anhaltend die sozialen Widersprüche in der Gesellschaft erneut verschärfte.(1)

Armut als historischer Kern der sozialen Frage

Der französische Soziologe Serge Paugam macht in Die elementaren Formen der Armut darauf aufmerksam, dass wir nur selten wissen, was wir meinen, wenn wir über Armut sprechen. Es ist daher wichtig, wenn er auf die historische Entwicklung des Armutsbegriffs eingeht. Er zeigt, mit Rückgriff auf Alexis de Tocqueville, Karl Marx und Georg Simmel, dass Armut zuallererst ein Begriff ist, der in Relation zu den umgebenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu setzen ist. Schon Tocqueville stellte fest, dass Armut in einem bäuerlichen Land wie Portugal damals Normalzustand war. Die Armen dort nahmen ihre Armut anders wahr als die Armen ihre Armut im England der industriellen Revolution. Die bäuerliche Armut bestimmte in dem einen Fall die Lebensverhältnisse, in dem anderen war Armut die Folge einer ökonomischen Revolution und der Herausbildung einer »Reservearmee«. Nicht umsonst hat Marx dem »Pauperismus« eine besondere Rolle zugeschrieben. Des Weiteren bekommt Armut nach den Unterschieden und Abständen in der Gesellschaft und durch den gesellschaftlichen Umgang mit ihnen ihren spezifischen Charakter. In seiner historisch-soziologischen Studie zeigt Paugam, wie unterschiedlich Armenfürsorge oder soziale Absicherung und Sozialwesen auf die Wahrnehmung von Armut wirken. Mit Tocqueville betont er den entwürdigenden Charakter von Armut, wenn sie durch Paternalismus das Selbstvertrauen und die Selbstständigkeit untergräbt und die Armutsverhältnisse damit im Zweifel eher stabilisiert. Gegen Tocqueville zeigt Paugam, dass rechtsförmige und sichernde Verhältnisse im Zweifel einem Paternalismus zuwiderlaufen und potenziell den Ausstieg aus der Armut im Visier haben können (und sollten).

In der Folge unterscheidet Paugam zwischen integrierter, marginaler und disqualifizierender Armut in einer vergleichenden, ganz Europa erfassenden Untersuchung. Die integrierte Armut ist die Armut als ein permanenter und sich reproduzierender Zustand. Diese dauerhafte Armut trat und tritt am stärksten in den südlichen Ländern Europas auf und hält sich dort historisch am längsten, ja ist noch immer gegenwärtig. Begründet sieht er das in Familiarismus, informeller Ökonomie und Klientelismus, die auch das Sozialwesen dominieren.

Die marginale Armut ist vorherrschend in den nordischen Ländern und bezeichnet einen Zustand, in dem Armut sozial- und gesellschaftspolitisch als »Ausnahmezustand« definiert und gesehen wird. Die zeitweise fast »unsichtbare Armut« kann nach Paugam jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Betroffenen öffentlich zunehmend als mangelhaft sozial Angepasste und selbst verschuldet Arme erscheinen.(2)

Die diskriminierende Armut setzt nach Paugam mit den 1970er-Jahren und der extrem wachsenden Arbeitslosigkeit ein. Armut kehrt zurück als Absturz und Ausgrenzung. Besonders in England und Frankreich gehen diese Entwicklungen verstärkt mit »neuen Formen der räumlichen Disqualifizierung« (Gettos, Banlieues), der Ausbildung einer »negativen Identität« und der Häufung von Benachteiligungen einher. Insgesamt konstatiert er eine Schwächung der sozialen Netze und eine Zunahme der sozialen Polarisierung in den europäischen Gesellschaften. Auch Timothy Smeeding von der Syracuse Universität in New York hat festgestellt, dass die Ungleichheit seit Ende der Siebzigerjahre in allen Industriestaaten wächst.

Verdeckte Zustände – Koordinaten der Polarisierung

Zwar hat die in den 1980er-Jahren schon beschworene Herausbildung einer »Zwei-Drittel-Gesellschaft« in einem solch eng umrissenen Sinne nicht stattgefunden, überlagert wurden die realen Abstiegstendenzen in weiten Teilen der Gesellschaft jedoch durch den Aufstieg der »Neuen Ökonomie«. Die Beschwörung einer ökonomistischen Alternativlosigkeit und eine massive Privatisierungseuphorie, teilweise gar unter der Parole der »Bürgerfreundlichkeit«, waren die Folge. Der Mainstream wanderte zeitgleich in Richtung »Erlebnis-« und »Spaßgesellschaft«. Dabei dominierte unter den Stichworten Selbstverantwortung, Ich-AG, Arbeitskraftunternehmer und Leistungsträgerschaft einen Diskurs, der mit »Individualisierung« eher schlecht, mit Förderung von Egomanie wohl besser beschrieben ist. Erst mit dem Absturz der neuen Ökonomie, der weiteren Zunahme der Arbeitslosenzahlen und dann mit den Hartz IV-Maßnahmen verschob sich die öffentliche Wahrnehmung wieder. Waren Verarmung, Verunsicherung und Ungewissheit zuvor Randthemen (nicht der Forschung, sondern der Aufmerksamkeit), wird nun öffentlich wieder verstärkt darüber gesprochen.

Einen zusätzlichen Schub bekommt diese Debatte durch die Bildungsdiskussion im Umfeld der Ergebnisse der verschiedenen PISA-Studien. Denn der Niedergang der Qualitäten des Bildungswesens drückt sich vor allem in Chancenungleichheit und der Produktion von Bildungsverlierern und »Unterschichtenkindern« aus.(3) Am deutlichsten sind davon die nachwachsenden Altersgruppen von Migranten (vor allem männlichen Geschlechts) aus den bildungsfernen Schichten betroffen.(4)

Mittlerweile hagelt es Studien, in denen eine Zunahme der Polarisierung in der Gesellschaft und eine soziale Drift beziehungsweise Spaltung verzeichnet wird. Selbst das Institut Allensbach (FAZ, 23.7.08) muss konstatieren, dass 69 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, dass »die soziale Gerechtigkeit in den letzten drei, vier Jahren abgenommen hat«. Und ebenfalls 69 Prozent sagen, dass die Chancengerechtigkeit in Deutschland »weniger gut« oder »gar nicht gut« verwirklicht sei. Dabei gibt es einen eklatanten Unterschied in der Wahrnehmung der eigenen Verhältnisse und der Verhältnisse im Land insgesamt: Während 51 Prozent die eigenen Verhältnisse als gerecht beziehungsweise 29 Prozent als ungerecht empfinden, kehrt sich die Sicht auf das ganze Land bezogen um: 16 Prozent finden die Verhältnisse im Land »gerecht«, während 68 Prozent sie als ungerecht empfinden. Wie ist dieser Wahrnehmungsunterschied zu erklären? Am ehesten mit einer steigenden Sensibilität gegenüber den Prozessen, die die Befragten in der Gesellschaft wahrnehmen – jenseits der Bewertung der eigenen Umstände. Thomas Petersen, der Autor der Allensbach-Studie, resümiert: »Offensichtlich hat die Bereitschaft der Bevölkerung, soziale Ungleichheit hinzunehmen, in den letzten Jahrzehnten abgenommen.«

Das hat auch damit zu tun, dass die Zone der Mittelschichten schmaler geworden ist und das auch intuitiv erspürt wurde. Das DIW hat schon im März 2008 festgestellt, dass zwischen den Jahren 2000 und 2006 der Anteil der mittleren Einkommensbezieher an der Gesamtbevölkerung von 62 auf 54 Prozent gesunken ist. »Die Mittelschicht in der Einkommensverteilung ist durch Verluste nach unten und Aufstiege nach oben erheblich ausgedünnt worden.« Eine Studie der Uni Essen (WSI-Mitteilungen 8/08) hat nun das Ausmaß der Spaltung in der Einkommensentwicklung vollends belegt. Von 1995 bis 2006 verdient das unterste Viertel der Einkommensbezieher real 13,7 Prozent weniger, während im oberen Bereich eine Zunahme um 3,7 Prozent stattgefunden hat. Die Niedriglöhne sind sogar im Aufschwung weiter geschrumpft. »Der Anteil der gering Bezahlten ist sowohl bei den Vollzeit- als auch bei den Teilzeitbeschäftigten (einschließlich Minijobs) deutlich gestiegen.« Damit ist, zynisch gesagt, im Bereich der Niedriglöhne die Angleichung der Lebensverhältnisse der alten und neuen Bundesländer »gelungen«: Lag der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten unter den abhängig Beschäftigten 1995 in Westdeutschland bei 14,4 Prozent und in Ostdeutschland bei 17,5 Prozent, so liegt er 2006 in Westdeutschland bei 22,2 und in Ostdeutschland bei 22,1 Prozent. Mehr als ein Fünftel der Lohnabhängigen Deutschlands sind also im Niedriglohnbereich »angekommen«.(5) Damit hat Deutschland bereits 2005 den höchsten Niedriglohnanteil in der EU erreicht und liegt nicht mehr weit von den USA entfernt.

Die Hartz-IV-Maßnahmen haben den Druck nach unten also erhöht. Die Ausdehnung der Erwerbsbevölkerung hat, wie auch das Statistische Bundesamt jüngst feststellte, die Ausdehnung des Prekären beschleunigt, insbesondere sind davon wieder die Frauen betroffen. »Es ist nicht nur ein mehrheitliches Gefühl der Bevölkerung, dass sie vom Aufschwung nicht profitiert. Es ist Realität.« (Editorial WSI-Mitteilungen 8/08).(6)

Spreizung der Begriffe, Vervielfältigung der Angst

In der »postmodernen Debatte« ist die Unterscheidung zwischen oben und unten von der Kategorie des drinnen und draußen überlagert oder abgelöst worden. An die Stelle scheinbar stabiler Klassenbegriffe treten Schichten, Milieus, Mitte und Rand, Prekariat, Ausschluss und Überflüssigkeit. In Die Ausgeschlossenen bietet Heinz Bude einen lebensweltlich intensiven Überblick über die Mechanismen des Ausschlusses. Zugleich wirft sein Buch die Frage auf, ob die Veränderung des Vokabulars die sozialen Vorgänge und Verhältnisse besser trifft. Diese Debatte ist gut dokumentiert in Exklusion. Die Debatte über die »Überflüssigen«. Manche AutorInnen wenden ein, dass Begriffe wie Ausschluss, Exklusion und Überflüssigkeit zu manifest sind. Wie bei der Armutsfrage geht es um die Erfassung und Einschätzung von Relationen. Der Kern der sozialen Phänomene ist demnach nicht die Absolutheit von Zuständen, sondern ist das Driften und das Zunehmen von Unsicherheit im schnelleren Wandel und Wechsel von Zuständen. Flexibilisierung, unstete Beschäftigung, Auflösung von Firmenloyalitäten bis weit hinein in die Kreise des Managements gehen mit Zonen des relativen Ausschlusses einher (wie bei den Langzeitarbeitslosen oder in Teilen der Bevölkerung mit Migrationshintergrund).

Relativ neu für die Bundesrepublik ist, dass es wieder zu einer forcierten Reproduktion von Chancenungleichheit kommt. Die Aufstiegsdurchlässigkeit lässt bis weit hinein in die unteren Mittelschichten nach, die sozialen Barrieren nehmen wieder zu. Tatsächlich haben wir es mit einer zunehmenden Produktion von Abgehängten und Verunsicherten zu tun – über Familie, Herkunft, Bildung, Distinktion, Privilegien und Elitenbildung. Individualisierungsprozesse münden wieder ein in einen Gruppen- und sozial spezifischen Merkmalkatalog. Vieles von dem, was Gerhard Schulze 1992 in seinem Buch Die Erlebnisgesellschaft als eine bunte Palette neuer Wahlmöglichkeiten und Freizeitorientierungen feierte, hat sich längst als eine gespaltene Gesellschaftslandschaft herausgestellt. In der beschränkt sich die lebensweltliche Wahl für viele auf die Wahl zwischen verschiedenen Billigdiscountern und Fernsehprogrammen. Zugleich verdecken die kultischen Abgrenzungsbemühungen von Teilen der Bessergestellten, ein forcierter Unterscheidungswahn und eine psychologisch-pädagogische Ausmusterung in der hochgetunten Aufmerksamkeitsgesellschaft, dass die Ressource Aufmerksamkeit und Beachtung für viele Individuen schwindet. Diese kommen dann öffentlich/medial nur noch in der negativen Rede anderer über sie und als »Zerrbilder« von Asozialität vor. Die Gettobildung schwankt dann in einer gewissen Spannweite zwischen aggressiver Selbstbehauptung und depressiver Passivität.

Logiken der Entgrenzung – Verlust der Sorge

Die Behauptung, eine typisch deutsche Mentalität lebe in Anspruchsdenken und Immobilität, in Sozialstaatsfixierung und Alimentierung völlig ungebrochen fort, ist durch die tatsächlichen Entwicklungen längst nicht mehr gedeckt.(7) Wie fortgeschritten die Anpassungsleistungen an die Dynamik des kapitalistischen Produktionsprozesses sind und wie viele kreative Energien der Individuen auch durch die neuen Psychotechniken und die Psychoanalyse dabei angezapft wurden und werden, hat Eva Illouz in Gefühle in Zeiten des Kapitalismus analysiert. Sie zeigt, wie diese Techniken schon früh die Produktionswelten der US-amerikanischen Großbetriebe prägten und dass sie in der Folge im Zusammenspiel mit der Zunahme von Selbstinszenierungsstrategien auch ein neues Feld sozialer Spaltungen eröffnen. Denn Gewinn und Lustgewinn können vor allem diejenigen erzielen, die die Techniken der Selbstbefragung und der Selbstdarstellung beherrschen. Die Erfolgreichen können mit ihren Ressourcen selbst in Krisen neue persönliche Energien freisetzen, die Krisen der anderen wirken dagegen umso zerstörerischer auf ihr Selbst ein.

In der Welt einer neoliberalen Bedürfnisanstalt sind Flexibilität und Wandel, Kreativität und Übergang, Selbstoptimierung und Höchstmobilität ausschließlich positive Errungenschaften einer grenzenlosen persönlichen Freiheit und Marktfreiheit. Folglich schwankt dort das Verhalten eher zwischen der Notwendigkeit und der Lust an der Anpassung an die Konkurrenzen im Globalisierungsprozess. Es ist bezeichnend, dass die Propagandisten dieser Entwicklung den Anstieg von Ängsten und Depressionen, die psychische Verzweiflung und Verwahrlosung kaum in den Blick nehmen. Dabei ist es gerade die ausgreifende Entwicklung von Entgrenzung und »Subjektivierung«, von Erfolg und Misserfolg, von Selbststeuerung, Selbstzuständigkeit und Selbstausbeutung, die die Durchlässigkeit des Drucks in den Psychohaushalt der Einzelnen weiter steigert. Das führt zu einem Verhaltensmuster von Abwehr, Abweis der Zuständigkeit und Verschiebung nach außen – oder der Internalisierung der »Unzulänglichkeiten«.(8)

In der Erosion eines »langfristigen Denkens, Planens und Handelns sowie der Auflösung oder Schwächung sozialer Strukturen, in denen solches Denken, Planen und Handeln auf längere Sicht verankert werden könnte«, zeigt sich nach Zygmunt Bauman ein Sein als Prozess von kurzfristigen Projekten und Episoden. In Flüchtige Zeiten. Leben in der Ungewissheit geht er dieser Internalisierung und Kapitalisierung der Ängste nach. Denn in diesem internationalen Kontext von Flucht und Exil sind die Verhältnisse auf Flüchtigkeit gestellt. Sie produzieren neben mehr individueller Bewegungsfreiheit und Hoffnung auch weitere Unsicherheiten auf Seiten der Flüchtenden und in der Bevölkerung in den Ankunftsländern, sie bilden verstärkt Sicherheitsphobien und Abgrenzungsbedürfnisse und -politiken aus. Diese Entwicklung fasst Bauman unter den Begriff der Mixophobie. »Mixophobie äußert sich in einem Streben nach Inseln der Ähnlichkeit und Gleichheit mitten im Meer der Vielfalt und der Differenz.« Der räumlichen Trennung und symbolischen Abschottung folgt die emotionale Trennung in der Wahrnehmung von sozialen Lagen und Lebenswirklichkeiten. Kreativität und Individualität sind dann nur noch dominante Ressourcen in Wettbewerb und Konkurrenzkampf. Auch die »Unterhaltung« folgt diesen Mustern der Zurichtung.

Die »Logik der Sorge«, wie sie nach Bernard Stiegler etwa auch am Beginn der Entwicklung eines staatlichen Bildungswesens stand, wird aufgerieben in einem systematischen Prozess der Entmündigung durch eine Kulturindustrie, die sich der »Psychotechnologien der Dummheit«, also des Konsumismus und des Verschwendens verschrieben haben. Diese Regression werde ganz zu Unrecht als »Wachstum« bezeichnet. Vielmehr handele es sich um eine zunehmende »Nicht-Bindung an die Dinge, die die Welt bilden«.(9) Mit dem Grundgedanken der Abnahme oder Abwesenheit einer kollektiven oder gesellschaftlichen Sorge macht Stiegler in Die Logik der Sorge. Verlust der Aufklärung durch Technik und Medien darauf aufmerksam, dass man beispielsweise die Zunahme des ADS-Syndroms auch als laufenden Prozess des Verlustes von Tiefe in der Aufmerksamkeit begreifen kann. Das aber bedeutet im Zweifel auch: Selbstverlust und Aufgabe von Selbstbeurteilung und Selbstkontrolle – stattdessen Fremdbestimmung und Fremdkontrolle durch überwältigende Strukturen, die man freiwillig oder zwangsläufig annimmt und an sich selbst exekutiert.

Produktion der Ungewissheit – und ihre Kritik

»Was als Ende der Aufklärung und der Moderne bezeichnet wurde, zum Beispiel unter dem Namen ›Postmoderne‹, führt zur Liquidierung dieses Sorge-Systems. Nun hat es derzeit den Anschein, als resultiere daraus eine allgemeine Situation der Gleichgültigkeit: eine vollständige Abwesenheit der Sorge, ein generelles Laisser-faire, das im Kontext eines essentiell spekulativen Finanzwesens ... zur Konsequenz hat, dass der Spekulant, der keinerlei Sorge für die Objekte trägt, mit denen er spekuliert, allenthalben den Ruin verbreitet.« Übertreibt Stiegler den dichotomischen oder totalitären Charakter dieses Prozesses in seiner Quintessenz? Oder zeigen die Entwicklungen auf den Finanzmärkten nicht an, dass wir es mit realen Verschiebungen der Proportionen zwischen Wertschöpfung und Spekulation, zwischen produktiver Verantwortung und verantwortungsloser Zockerei zu tun haben? Wo im Zweifel dann doch der Staat/das Gemeinwesen die finanziellen Folgen zu tragen hat – wie jüngst bei der Immobilien- und Finanzkrise in den USA zu sehen.

Den Verlust der Sorge und die Permanenz von Ungewissheit hat Richard Sennett in seinen Untersuchungen der Arbeitsverhältnisse in den USA und England eindrücklich beschrieben. In Der flexible Mensch (1998) und Die Kultur des neuen Kapitalismus (2005) hat er, ähnlich wie Robert Putnam in Gesellschaft und Gemeinsinn. Sozialkapital im internationalen Vergleich (2001), die zerstörerischen Potenziale von auf kurze Fristen und schnelle Erfolge gestellte Unternehmenspolitiken und die Auswirkungen auf die Beschäftigten untersucht. Durch die Fixierung auf immer nur nahe und nächste Zukünfte wird Zukunft und soziales Kapital zerstört. Dabei handelt es sich um eine zwar nicht gänzlich neue Utopie der permanenten ökonomischen Umwälzung, doch stellt diese im Verbund mit der zunehmenden Abhängigkeit von den überschäumenden Renditeerwartungen der Finanz- und Aktienmärkte eine neue Qualität der Jagd nach dem Profit dar.

In diesem Zusammenhang erhält Zygmunt Baumans Bild vom Jäger und Gärtner in Flüchtige Zeiten eine spezifische Dimension. Die Utopie des Jägers erschöpft sich in der stetigen Jagd nach Neuem, nach kurzfristiger Befriedigung von Bedürfnissen, seine Utopie ist der Traum von Mühen ohne Ende. Der Gärtner dagegen steht mit seinen hegenden Eigenschaften »für die Utopie am Ende des Weges«. Nach Bauman leben wir mittlerweile in einer Gesellschaft der Jäger. »Dabei ist die Aussicht auf ein Ende der Jagd in einer Gesellschaft von Jägern keineswegs verlockend, sondern bedrohlich ... – ist dieses Ende doch nur in Form der persönlichen Niederlage und der Exklusion vorstellbar. ... Anstatt auf eine Utopie hin zu leben, bietet man den Jägern die Möglichkeit in einer Utopie zu leben.«

Nimmt man Baumans Metapher vom Jäger und Gärtner und den Begriff der Utopie für das Spannungsverhältnis von Unmittelbarkeit und Stetigkeit, dann stellt sich eine Verbindung her zu den Überlegungen, die Richard Sennett jüngst in seinem Buch Handwerk angestellt hat. In dem enzyklopädisch und geschichtlich ausgreifenden Band über die historischen Tiefen des Bedeutungsinhaltes von »Handwerk« zeigt sich dieses als eine Synthese aus routinierten Fertigkeiten und geistiger Innovation. In Kontrast zu Marx hebt Sennett in seiner Betrachtung (auch der industriellen Arbeit) damit die Trennung zwischen Hand- und Kopfarbeit auf und stellt auf vielfältige Weise die Verschlingung dieser Seiten als Kombination von körperlicher und intellektueller Erfahrung dar. Nach Sennett übersieht ein reiner Entfremdungsansatz, dass trotz der Trennung der Ware vom Produzenten die Gebrauchswertseite im Produzenten und seinen Fähigkeiten präsent bleiben (solange sie nicht durch rein repetititve Tätigkeiten eine Entmündigung erfahren). Das Handwerk wird hier nicht verstanden als eine spezialisierte Profession (des Schlossers etc.), sondern als Form komplexer Weltaneignung, Erfahrung und Interpretation.

Dieser Ansatz ist innovativ für die kritische Betrachtung der neuen und neuesten Produktionsverhältnisse. Demnach steckt in der Flexibilisierung und Zerteilung von Tätigkeiten, in der Zunahme von Unstetigkeit weniger gesellschaftlicher Gewinn, als oft angenommen wird. Eher folgt daraus ein permanenter und irgendwann auch irreversibler Verlust von Fertigkeit, Erfahrung und Durchdringung nicht nur des Arbeitsprozesses. Es handelt sich weniger um einen Prozess »produktiver Zerstörung« als um Defizite in der »Öffnung« zu den Lebensverhältnissen hin. Projektorientierung ist eher unterkomplex, auf die Reduzierung von Widersprüchen ausgelegt. Produktions- und Lebensverhältnisse aber sind nicht nur für sich jeweils komplex, sie wirken auch als ein komplexes Ensemble auf Individuen und Gesellschaft zurück. Zumal wenn die Lebenswelt zunehmend durch die Arbeitswelt »kolonisiert« wird, also die Trennung zwischen Arbeits- und Lebenswelt in weiten Bereichen schwindet. Gegen diese Tendenzen, die Erfahrung und produktive Routinen beständig entwerten, verteidigt Sennett »Handwerk« als eine Fähigkeit, Erfahrung zu verarbeiten und lebensweltlich anzureichern.

Arbeit in der Phase der »Transnationalisierung des Sozialen«

Was Richard Sennett aus seiner Auseinandersetzung mit »Handwerk« herausholt, ist keine Luxusbetrachtung für westliche ZeitgenossInnen. Sein Instrumentarium ermöglicht vielmehr auch eine andere Sicht auf die Probleme in den aufholenden Gesellschaften etwa von Indien oder China mit ihren neuen Dynamiken und Verwerfungen. Diese lassen sich nicht nur aus ursprünglicher Akkumulation, absoluter Ausbeutung, niedrigstem Lohnniveau sowie dem Fehlen kollektiver Sicherungssysteme erklären. Vielmehr bringen in diesem krassen Nebeneinander von traditionalen Produktionsweisen und technoider Höchstmoderne die asiatisch geprägten Kulturen eine eigene Mischung von Arbeitsproduktivität, Arbeitsethos sowie hoch entwickelten handwerklichen Techniken und Fähigkeiten ein. Die Überschneidung und der intensivierte Austausch zwischen verschiedenen Kulturtechniken in den internationalisierten Arbeitswelten ist das Signum des Globalisierungsprozesses.

Diesem Signum des Austausches zwischen und der Überschneidungen von verschiedenen Arbeitsverhältnissen geht Ludger Pries in Die Transnationalisierung des Sozialen nach. Entgegen der Vorstellung, dass das Nationale und das Soziale in der Globalisierung schlicht an Bedeutung verlieren, präsentiert er ein Modell der sich überschneidenden Praxen und überlagernden Raum-, Zeit- und Arbeitsbeziehungen. Dabei spielt die »tendenzielle Entwicklung von einer rein vertriebsorientierten Internationalisierung hin zu einer produktionsorientierten Internationalisierung« eine große Rolle. Denn damit gehen verstärkte Auseinandersetzungen um Produktions- und Arbeitsverhältnisse auf verschiedenen Ebenen einher. Sie eröffnen neue Möglichkeiten der Beeinflussung der Erwerbsregulierung. So betont Pries, dass zwar einerseits »die Souveränität der Nationalstaaten eingeschränkt wird«, »diese andererseits aber doch für den Normenbildungsprozess und auch für die Implementierung vieler Bestimmungen eine entscheidende Rolle« spielt. Als Beispiele dienen ihm die raumübergreifend internationalisierte Entwicklung von Großkonzernen und die Ausgestaltung der Richtlinien der ILO (Internationale Arbeitsorganisation). »Kein anderer Regulierungsmechanismus« als die Mindestarbeitsnormen der ILO habe »im Bereich von Arbeit, Beschäftigung und Erwerb eine ähnliche geographische Reichweite. Dieser große Vorteil der fast weltumspannenden formalen Gültigkeit der Kernarbeitsnormen geht allerdings einher mit vergleichsweise eingeschränkten Sanktionsmöglichkeiten.«

Doch entfalten diese Richtlinien trotzdem Wirkung in der Auseinandersetzung der Konzern- und Weltbetriebsräte mit dem jeweiligen Management. Das Beispiel der Entwicklung der Europäischen Gesamt-Betriebsräte dient Pries als Illustration für innovative Veränderungen. »Die Supra-Nationalisierung der Erwerbsregulierung hat für den Fall der Europäischen Union enorme Auswirkungen gezeitigt und sich als sehr entwicklungsfähige Form der Internationalisierung von Erwerbsregulierung erwiesen.« In diesem Prozess verändern sich auch die bisher tradierten Abstufungen zwischen Zentrum und Peripherie. Bei VW wurden etwa Fahrzeuginnovationen erst in Mexiko entwickelt, bevor sie von da aus in die Produktionen des Gesamtkonzerns übertragen wurden.

Auch die Migrationsströme unterzieht Pries daher eingehender Analysen. Mit diesen kommt er zu dem Ergebnis, dass die Annahmen, dass »das Räumliche, die konkreten Orte und die Raumbedingungen aller Sozialbeziehungen schlechthin immer mehr an Bedeutung verlieren«, nicht sehr haltbar sind. Das Beispiel von mexikanischen Migrantenfamilien zeige zudem, dass sich ihre Verbindungen häufig zwischen mehr als zwei Orten/Ländern ausbreiten. Der Migrant ist demnach kein »Staubkorn«, sondern ein »Faden« in der »Verkettung« von Arbeits- und Lebensverhältnissen.(10) Mit der Arbeitsmigration wird immer klarer: »Noch nie zuvor waren technische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Vorgänge an einem beliebigen Ort der Welt so eng verwoben mit gesellschaftlichen Voraussetzungen, Ereignissen und Folgewirkungen an anderen Plätzen und in weit entfernt liegenden Regionen.«

In dieser Entwicklung liegt zumindest ein Quäntchen Hoffnung darauf, dass das Verhältnis von »Jäger« und »Gärtner«, welchem Zygmunt Bauman das Wesen einer düsteren antipodischen Gleichung gegeben hat, noch keine endgültige Metapher für den Zustand der Arbeits- und Lebenswelt sein muss. Auch die »Mixophobie« wäre, mit Ludger Pries gesehen, kein unabänderlicher Zustand. Die »Logik der Sorge« könnte potenziell etwa auch zwischen europäischer und chinesischer Gewerkschaftsbewegung ihre Berücksichtigung finden. Allerdings wird sich ein solcher Handlungsoptimismus vor allem des Dauerverweises auf die Notwendigkeit der Anpassung an die Wirtschafts- und Systemkonkurrenzen erwehren müssen. Denn im TINA-Prinzip liegt ja auch der eigentliche Kern eines latenten Unwillens gegen die Dauerpropagierung der Aufhebung von »Reformstaus«. Dabei ist es der Geist der Unbefragbarkeit der Sinnhaftigkeit von Anpassungsleistungen, der eine produktive gesellschaftliche Entwicklung unterläuft und zudem systematisch entpolitisiert. Hier liegt der eigentliche »Reformstau«.

Zum Thema siehe in dieser Ausgabe den Essay »Hessisch Uganda« von Günter Franzen (S. 100) sowie die Kommune-Artikel von Michael Vogel: »Staatserkundungen. Ein Plädoyer gegen die Rundum-Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens« (1/08), »Das Individuum als korrigierbare Software« (1/07) und »ständiges Wachstum oder Untergang?« (6/05).

 

1

Die statistischen Durchschnittswerte von Einkommensentwicklung, Arbeitslosigkeit und manch anderer sozialen und unsozialen Kennziffern verdecken das zunehmende Gefälle zwischen vergleichsweise prosperierenden und mehr oder weniger abgehängten Gebieten. Siehe: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (Hrsg.): Die demografische Lage der Nation. Wie zukunftsfähig sind Deutschlands Regionen?, München: dtv 2006; und: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (Hrsg.): Die demografische Zukunft von Europa. Wie sich die Regionen verändern, München: dtv 2008.

2

Für Deutschland sieht Paugam eine extrem individualisierte Interventionsweise im Umgang mit Armut, die zugleich eine extreme Kontrolle, Gängelung und Entmündigung hervorgebracht hat. Die Hartz-IV-Gesetzgebung hat diese »Tradition«, entgegen der behaupteten Intention ihrer Verfechter, nicht gebrochen, sondern fortgesetzt. Mit weitreichenden Folgen für die Veränderung der Parteienlandschaft.

3

Bildung auf einen Blick 2008: OECD-Indikatoren, Bielefeld: W. Bertelsmann 2008.

4

Welche Auswirkungen das im Beschäftigungsbereich hat, ist Karl Brenkes eindrücklicher Analyse in »Migranten in Berlin: Schlechte Jobchancen, geringe Einkommen, hohe Transferabhängigkeit« zu entnehmen (DIW-Wochenbericht 34/08).

5

Berthold Vogel hält noch einen besonderen Hinweis auf die Entwicklung im öffentlichen Dienst bereit: »Ehemals Orte der Beschäftigungsstabilität, des Amtsethos und der Karrieresicherheit, sind diese zu einem nervösen Experimentierfeld prekärer Beschäftigungsformen geworden. ... Es ist bemerkenswert, dass von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt die Gestaltung des gesellschaftlichen Allgemeinen mehr und mehr in die Hände eines neuen Dienstleistungsprekariats gelegt wird. … Es besteht die Gefahr, dass die Prekarität der öffentlichen Dienste langfristig den normativen Haushalt der Gesellschaft verändert und dazu beiträgt, die Maßstäbe der Gemeinwohlorientierung und der öffentlichen Verantwortung zu verschieben bzw. zu demontieren.« (»Prekarität und Prekariat – Signalwörter neuer Ungleichheiten«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 33-34/2008, 11. August 2008, Bonn)

6

Im »Editorial« der WSI-Mitteilungen (8/08) heißt es: »Obwohl die Beschäftigung zu- und die Arbeitslosigkeit abgenommen hat, steigt die gesamte Lohnsumme nicht in dem Maße, wie es in den Aufschwüngen sonst üblich war.« – Auch der konjunkturelle Aufschwung hat im Zyklus zwischen dem 4. Quartal 2004 und dem 1. Quartal 2008 bei der realen Lohnsumme und bei den realen Transfers an die privaten Haushalte nichts Positives bewirkt. Für die Autoren einer WSI-Studie bedeutet das: »Das dürfte eine neue Qualität eines Konjunkturaufschwungs darstellen, wie es sie früher vermutlich noch nie gegeben hat: Die wirtschaftliche Leistung wächst deutlich, doch bei der Mehrzahl der privaten Haushalte kommt davon überhaupt nichts an.«

7

Dass Deutschland beim Produktivitätswachstum seit 20 Jahren zurückfällt, hat schon längst nicht mehr mit der Höhe der Lohnnebenkosten oder der Lohnstückkosten zu tun. Obwohl diese gesunken sind, sinken die Produktivitätszuwächse im internationalen Vergleich. Georg Erber und Ulrich Fritsche führen dies auf eine Schwächung der Innovationsfaktoren in Produktion und Wirtschaft zurück. Daher plädieren sie in einem DIW-Wochenbericht (36/08) für langfristige »Investitionen in Bildung und Humankapital« sowie neue Wachstumsfelder.

8

Die dunkle Seite dieses Prozesses haben Luc Boltanski und Eve Chiapello in Der neue Geist des Kapitalismus als kreative »Landnahme« der Fähigkeiten der produzierenden Individuen zur Selbststeuerung und »Individualisierung« und Selbstzuständigkeit für die Unternehmen beschrieben. In dem Sammelband Ein neuer Geist des Kapitalismus? Paradoxien und Ambivalenzen der Netzwerkökonomie wird nun teilweise ihrer These widersprochen, dass der »kreative Geist von 68« und die »Künstlerkritik« letztlich nur in neue Managementmethoden statt in emanzipative Praktiken der Gesellschaft eingegangen sind. Einige Autoren halten dafür, dass durch das Absehen von Veränderungen der Kräftekonstellationen in den sozialen Interessenkonflikten und Politiken bei Boltanski/Chiapello diese das Verhältnis von Fremdzurechnung auf Selbstzurechnung unterschätzt haben. Selbstzurechnung und Anpassungsleistungen folgen jedoch dem Druck in einer Arbeitswelt, in der die Konkurrenz zunimmt.

9

»Der telekratische Apparat führt weder zur Identifikation mit den Eltern noch mit der Nation oder irgendeinem anderen ideellen Gegenstand, sondern allein mit Waren und Marken«, führt Stiegler vor allem mit Sicht auf Kinder/Jugendliche aus.

10

Ludger Pries geht es um den Nachweis der »komplexe(n) Verschränkung von Inter-Nationalisierung, Supra-Nationalisierung, (Re-)Nationalisierung und Transnationalisierung der Erwerbsregulierung«. Das Buch ist in weiten Teilen der Versuch einer umfassenden Theorielegung und entsprechend spröde. An verschiedenen Stellen des Buches ist die Argumentation aber durchaus lebensweltlich anschaulich unterfüttert.

Zygmunt Bauman: Flüchtige Zeiten. Leben in der Ungewissheit. Aus dem Englischen von Richard Barth, Hamburg (Hamburger Edition) 2008 (168 S., 12,00 €)

Heinz Bude: Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft, München (Hanser Verlag) 2008 (141 S., 14,90 €)

Exklusion. Die Debatte über die »Überflüssigen«. Herausgegeben von Heinz Bude und Andreas Willisch, Frankfurt am Main (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1819) 2008 (336 S., 12,00 €)

Eva Illouz: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2004. Aus dem Englischen von Martin Hartmann, Frankfurt am Main (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1857) 2007 (170 S., 9,00 €)

Serge Paugam: Die elementaren Formen der Armut. Aus dem Französischen von Andreas Pfeuffer, Hamburg (Hamburger Edition) 2008 (336 S., 30,00 €)

Ludger Pries: Die Transnationalisierung der sozialen Welt. Sozialräume jenseits von Nationalgesellschaften, Frankfurt am Main (edition suhrkamp 2521) 2008 (400 S., 15,00 €)

Richard Sennett: Handwerk. Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff, Berlin (Berlin Verlag) 2007 (480 S., 22,00 €)

Bernard Stiegler: Die Logik der Sorge. Verlust der Aufklärung durch Technik und Medien. Aus dem Französischen von Susanne Baghestani, Frankfurt am Main (edition unseld 6) 2008 (192 S., 10,00 €)

Gabriele Wagner, Philipp Hessinger (Hrsg.): Ein neuer Geist des Kapitalismus? Paradoxien und Ambivalenzen der Netzwerkökonomie, Wiesbaden (VS Verlag für Sozialwissenschaften) 2008 (342 S., 34,90 €)

 

Literatur:

3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Berlin: Bundesanzeigerverlag 2008

Abstieg – Prekariat – Ausgrenzung. Themenheft Aus Politik und Zeitgeschichte 33-34/08, 11.8.08, Bonn

Gerhard Bosch, Thorsten Kalina, Claudia Weinkopf: »Niedriglohnbeschäftigte auf der Verliererseite«, in: WSI-Mitteilungen 8/08, S. 423–429

Françlis Dubet: Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz, Hamburg: Hamburger Edition 2008

Stefan Hradil: Die Sozialstruktur Deutschlands im internationalen Vergleich, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008

Inge Kloepfer: Aufstand der Unterschicht. Was auf uns zukommt, Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag 2008

Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, Frankfurt am Main: Campus Verlag 1992

Gerhard Schulze: Die Beste aller Welten. Wohin bewegt sich die Gesellschaft im 21. Jahrhundert, München: Hanser Verlag 2003

Berthold Vogel: Die Staatsbedürftigkeit der Gesellschaft, Hamburg: Hamburger Edition 2007

 

Die angenommenen Ursachen der Armut (im Jahr 2001)

Land Individuelle Ursachen Gesellschaftliche Ursachen

Belgien 35,8 54,8

Dänemark 46,8 43,4

Westdeutschland 28,7 58,6

Ostdeutschland 24,2 69,0

Griechenland 33,6 57,7

Italien 34,8 51,9

Spanien 36,4 54,7

Frankreich 32,0 59,0

Großbritannien 43,4 41,8

Irland 40,7 42,6

Niederlande 35,1 41,8

Österreich 34,9 53,8

Portugal 47,7 43,8

Finnland 28,1 65,9

Schweden 21,6 69,1

Gesamt 35,1 53,3

Quelle: Paugam/Eurobarometer 56. 1, Armut und soziale Ausgrenzung (2001) / unter Weglassung von »Keine« / »Weiß nicht«

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 5/2008