Ereignisse & Meinungen

 

Balduin Winter

 

Macht und Ohnmacht

 

 

Die siegreiche Lady heißt Kathleen Blanco. Bei al Djazeerah News (17.11.) erfährt man über sie, dass sie aus den Cajuns stammt, mit Mädchennamen Babineaux heißt und vor allem im schwarzen New Orleans gepunktet hat. Sie konnte sich gegen den 32-jährigen Bobby Jindal durchsetzen, indianischer Abstammung, der in der Bush-Administration gearbeitet hatte und zuletzt Gesundheitsminister in Louisiana war. Dieser Staat zählt zum traditionell republikanischen Südstaatengürtel. Nun wird hier zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Frau, und dann auch noch eine Demokratin, zum Gouverneur gewählt. Laut Bayoubuzz.com (17.10.) führte Jindal bei Umfragen einen Monat zuvor noch klar mit einem Vorsprung von 7 Prozent. Die Regierung in Washington glaubte, so Reuters (16.11.), die Serie der Wahlsiege in Kentucky, Mississippi und Kalifornien fortsetzen zu können. Louisiana sollte ein »gutes Zeichen für Bush und die Republikaner für die Präsidenten- und Kongresswahlen 2004« werden. Nun schlugen Bushs sinkende Popularitätswerte erstmals bei einer Wahl durch.

Tatsächlich sind seine Umfragewerte von 70 Prozent im Mai bei der Siegesfeier unter die 50-Prozent-Marke im Oktober gefallen. Dieser 1. Mai bündelte große Erwartungen. Binnen kurzer Zeit hatten die USA und ihre Verbündeten den hoffnungslos unterlegenen Irak geschlagen. Mit Saddam Husseins Sturz sollte jene Demokratisierung eingeleitet werden, von der sich die US-Regierung Strahlkraft auf die arabische und islamische Welt erhoffte. Widerstrebenden wie Syrien und Iran wurde mehrfach gedroht, auch auf die Saudis wurde Druck ausgeübt. In Sharm el-Sheik traf sich Bush mit arabischen Regierungschefs, auch im israelisch-palästinensischen Konflikt schien sich auf der Basis der »Road map« eine positive Entwicklung abzuzeichnen. Die neokonservative Führungsmannschaft ging stramm ihren in ihrer »National Security Strategy« vorgezeichneten Weg.

 

Nun läuft es aber nicht mehr ganz nach den Vorstellungen der Bush-Leute. Seit Oktober wird die Lage im Irak prekär. In der US-Presse taucht wiederholt die Metapher auf, man habe zwar den Krieg gewonnen, sei aber dabei, den Frieden zu verlieren. Dann stellt sich Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in seinem Memo die Frage: »Gewinnen oder verlieren wir den globalen Krieg gegen den Terror?« Und es ist keine rhetorische Frage, denn was er in der Folge präsentiert, ist alles andere denn eine Erfolgsbilanz. Von »durchwachsenen Ergebnissen« ist da die Rede und: »Gegenwärtig fehlen uns die Maßstäbe um zu erkennen, ob wir den globalen Krieg gegen den Terror gewinnen oder verlieren. ... Müssen die Vereinigten Staaten einen großen und integrierten Plan entwickeln, um die nächste Generation von Terroristen zu stoppen? Bisher haben wir uns relativ wenig um einen langfristigen Plan gekümmert und unsere Bemühungen darauf konzentriert, die Terroristen zu stoppen. Die Kosten-Nutzen-Bilanz steht gegen uns. Unsere Kosten berechnen sich in Milliarden, die der Terroristen in Millionen. ... Ist unsere gegenwärtige Situation so, dass wir umso mehr gegenüber den Gegnern an Boden verlieren, je härter wir arbeiten? ...« (USA Today, 22.10.) Hier zu Lande wird daraufhin über eine Entmachtung des Pentagon-Chefs spekuliert. Auch im »ideologischen Hirn« der NeoCons ist die Stimmung gedämpft. Beim dienstäglichen »Black Coffee Briefing« des American Enterprise Institute am 21.10. ist vom »Aufstand« im Irak die Rede, es werden Differenzen über den irakischen Regierungsrat verhandelt, den Hartnäckige noch immer als »beste Repräsentanz des irakischen Volkes« wahrnehmen (http://www.aei.org/events/filter.,eventID.642/transcript.asp). Ende Oktober spricht der CENTCOM-Oberkommandierende, General John Abizaid, bereits von einem »Krieg«, gibt sich in einem Interview mit ABC (18.11.) jedoch optimistisch: »Ich habe keinen Respekt vor den Aufständischen. Sie haben ihrem Volk keine Zukunft zu bieten. Sie kämpfen gegen das eigene Volk.«

Auch George W. Bush präsentiert sich unerschütterlich stark bei seiner außenpoliti-schen Grundsatzrede am 6. November (http://www.whitehouse.gov/news/releases /2003/11/20031106-2.html). Auf den huntingtonschen Wellen der Drei-Phasen-Theorie der Demokratieentwicklung reitend (siehe auch Kommune 4/03) entwirft er »die historische Mission der Vereinigten Staaten« (Matthias Rüb in der FAZ, 10.11.) als oberster Beschleuniger der weltweiten Demokratisierung. Die Beseitigung der saddamschen Tyrannei und die Verteidigung des befreiten Irak gegen »Überreste seines Regimes, verbunden mit ausländischen Terroristen« stellt Bush in eine Reihe mit der Verteidigung Griechenlands 1947 und der Berliner Luftbrücke, »die Errichtung eines freien Irak im Herzen des Mittleren Osten« bezeichnet er als »historische Wasserscheide in der globalen demokratischen Wende«. Selbst konservative Kommentatoren nahmen ihm das nicht so recht ab. Der Washingtoner Korrespondent der NZZ schrieb am 8.11.: »Auch wenn der Präsident die Schwierigkeiten auf dem Weg dahin nicht verhehlte, warfen ihm eine Reihe von Kommentatoren fehlenden Realismus vor. Sie verwiesen nicht nur auf die augenfälligen Schwierigkeiten im Irak, sondern auch auf das Glaubwürdigkeitsproblem der USA nach all den Jahrzehnten, in denen Washington regelmäßig nationale Sicherheitsinteressen über demokratische Prinzipien gestellt hat und zur Festigung autokratischer Regime in der islamischen Welt beitrug.« Der Korrespondent weist darauf hin, dass die US-Regierung zwar immer die Demokratie im Munde führe, aber auch heute bei Bedarf autoritäre Regime unterstütze oder mit ihnen zusammenarbeite, etwa mit Aserbeidschan oder Syrien.

Der überstürzte Besuch des US-Statthalters Paul Bremer zu Beratungen in Washington mit der gesamten US-Führungsspitze mit dem Ergebnis der »Iraqification« sprach eine deutlich andere Sprache. Die grauenvollen Anschläge in der Türkei scheinen die Fragestellung in Rumsfelds Memo zu unterstreichen. Die scharfe Kritik der vier ehemaligen israelischen Geheimdienstchefs in einem Interview mit dem israelischen Massenblatt Yedioth, »Scharon treibe Israel an den Rand des Abgrunds« signalisiert, dass auch im Nahen Osten die Lage weit angespannter ist, als eingestanden wird. Auch Afghanistan ist längst nicht so befriedet, wie man es gern hätte; die USA müssen sich nach wie vor auf die tribalistischen Warlords stützen, um die paschtunischen Talibans in Schach zu halten.

 

Dass die vermeintliche Stärke der USA einer Schwäche entspringt, meint Herfried Münkler in der Welt (14.11.). »Die Planer der neuen Formen des Hightech-Krieges haben übersehen, dass der Hauptantrieb zur immer größeren waffentechnischen Überlegenheit aus eigener Schwäche erwuchs: der dramatischen Knappheit westlicher Gesellschaften an Zeit und an Opferbereitschaft. Zumindest haben sie darauf vertraut, dass diese Schwächen dem Gegner verborgen blieben. Das ist nicht der Fall: Genau an diesen knappen Ressourcen westlicher Gesellschaften setzt der irakische Widerstand an. Hat er eine strategische Leitidee, so diese: den Krieg auf niedrigem Niveau in die Länge zu ziehen und den US-Truppen regelmäßige Verluste zuzufügen.« In der Asymmetrie der Kriegsführung habe die USA die eigenen Möglichkeiten überschätzt und die Chancen der anderen Seite zu effektivem Gegenhandeln unterschätzt: »Das begann im jüngsten Golfkrieg damit, dass Saddam Husseins letzte Verteidigungslinie nicht in einem bedingungslosen Kampf um Bagdad, sondern in der Auflösung aller administrativer Strukturen und der Pulverisierung der letzten Reste von Staatlichkeit im Irak bestand. Damit hatten die Amerikaner nicht gerechnet. Sie glaubten, eine einigermaßen intakte Struktur zu übernehmen, denn schließlich hatten sie diese durch den Einsatz von Präzisionslenkwaffen nur minimal zerstört, aber was ihnen in die Hände fiel, war die völlige Anomie. Mit einem Schlag mussten sie die Verantwortung für einen Staat übernehmen, der keiner mehr war. Darauf waren sie erkennbar nicht vorbereitet.«

Münklers Argument der »Knappheit an Zeit und Opferbereitschaft« ist ein höchst bedenkenswertes. Folgt man den Reden des Präsidenten Bush, geht es um eine historische Mission, um die Verteidigung der Freiheit und Demokratie. Der Einsatz um diese westlichen Grundwerte wird von Münkler als »knappe Ressource« angenommen ... Es ist auch kein Zufall, dass der Vietnam-Vergleich einerseits kursiert, andererseits heftig zurückgewiesen wird. Vietnam steht für beides, für Zeit und Opfer. Über den Zeitrahmen gibt es auch nach der Bekanntgabe des Fahrplans der »Iraqification« große Meinungsverschiedenheiten. »Eine neue Studie der Rand Corporation«, berichtet die NZZ am 25.10., »über den Wiederaufbau nach Kriegen und Konflikten in Deutschland, Japan, Somalia, Haiti, Bosnien, Kosovo und Afghanistan kommt zum generellen Schluss, je schneller und unblutiger ein militärischer Sieg errungen worden sei, desto schwieriger werde nachher die Stabilisierung. Die Zahl der Opfer nach Beendigung der größeren militärischen Kampfhandlungen steht nach Meinung der Rand-Experten in direktem Zusammenhang mit der Truppenstärke im Verhältnis zur Größe der Bevölkerung im besetzten Land. Im Irak wären nach diesen Überlegungen zu wenig Truppen im Einsatz. Und, eine weitere Erkenntnis der Studie: Kein Versuch einer erzwungenen politischen Transformation (Demokratisierung) habe in weniger als sieben Jahren mit Erfolg beendet werden können.«

 

Was die militärische Seite betrifft, hat Michael Mann von der University of California in Los Angeles die konkrete militärische Kritik mit dem »raschen Scheitern des Imperium Americanum« verbunden (Internationale Politik, 10/03). Er beruft sich auf den Kolumnisten Charles Krauthammer und Robert Kaplan, die – dem Faszinosum der militärischen Macht erlegen – geglaubt haben, seit dem Imperium Romanum habe es kein mächtigeres Land mehr gegeben. Aber schon der Irak dient ihm als Beweis, dass sich diese »neuen Imperialisten« getäuscht haben; die Zeit der Imperien sei vorbei. Dazu kämen der verhängnisvolle Unilateralismus und die Verständnislosigkeit für andere Kulturen.

Sind die USA ein Imperium? Der abgeschmackte Rom-Vergleich, vor allem aber das Empire-Buch von Michael Hardt und Antonio Negri, haben diese Debatte angeheizt. Michael Walzer hat in der Herbstausgabe des Dissent Magazine Stellung bezogen (dissentmagazine.org). Dort polemisiert er deutlich gegen alle Versuche, Amerika dem Imperialismus zuzuschlagen, wobei er Begriffsbildungen wie Michael Ignatieffs »Imperium lite« oder »demokratischer Imperialismus« abklopft. Er verweist auf die Schwächen des amerikanischen Modells, die auch Münkler anspricht, streicht die zivilgesellschaftlichen Elemente der US-Gesellschaft heraus, um schließlich den Hegemonie-Begriff von Gramsci zu diskutieren. Den Unilateralismus hält er für eine arrogante Sonderform der Bush-Regierung, gefährlich, weil er sich auch in Afghanistan und Irak niederschlägt, wo die Regierung es nicht versteht »Koalitionen des Willens« herzustellen, die auf »Beratung, Überzeugung und Kompromiss« aufgebaut sein müssten.

Auch der Versuch, politisch möglichst rasch aus dem Irak herauszukommen, hat sehr unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. In der IP 11/03 plädiert Havard-Professor Robert I. Rotberg dafür, erst für ein demokratisches Unterfutter zu sorgen: »In Irak, wo demokratische Praxis und Institutionen unbekannt sind und wo die Sicherheitslage prekär ist, wäre es gefährlich und irreführend, zu früh nationale Wahlen auszuschreiben, bevor konsensuelle Institutionen einige Jahre lang auf lokaler und regionaler Ebene existiert und funktioniert haben. ... Lokale Versammlungen und Teilnehmerplattformen sind in Irak von grundlegender Bedeutung. Ein dezentrales Modell könnte das beste sein, das diesen lokalen Gruppen (vielleicht den schon existierenden Interimsberatergremien) zumindest ein wenig Autorität und Verantwortung für politische Prozesse überträgt, die Möglichkeit, Steuern zu erheben und diese Einkünfte für Verbesserungen auszugeben sowie für die Aufrechterhaltung lokaler Ordnung. ... Die Interimsverwaltung sollte den devolutionären Teil dieses politischen Programms beschleunigen; die Bildung einer nationalen Regierung sollte sie nicht überstürzen. Wahlen sollte es nur auf kommunaler Ebene geben, wahrscheinlich noch mehrere Jahre lang, bis Iraks Sicherheitslage sich verbessert hat und mehr lokale Erfahrungen vorhanden sind.«

Etwas versöhnlicher äußerte sich der große alte Mann der US-Orientalistik, Bernard Lewis, in einem Interview (NZZ, 7.11.): »Jedoch könnte die Macht im Irak zügiger an die Iraker übergeben werden. Die Iraker sind ein zivilisiertes Volk. Sie können doch viel mehr an Sicherheitskräften und an Armee stellen. Zudem sollte die irakische Führung in der Tat mehr Entscheidungskompetenzen bekommen.«

 

Aus: »Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur«, Ausgabe 6/03, Dezember 2003.