Ulrich Menzel

Imperium oder Hegemonie?

Die USA als hegemoniale Ordnungsmacht.
Über Herfried Münklers »Imperien«

 

 

Die Frage, ob die USA ein Imperium sind oder eine Hegemonie, ist keine akademische. Die Auseinandersetzung um diese Frage führt nicht nur in die Gefilde historischer Deutung von Imperialismus und Imperium, von Hegemonie und Hegemonialgeschichte, sie beinhaltet letztlich auch Kriterien und Annahmen über mögliche weltpolitische Entwicklungspfade. Auf diesem konfliktreichen Gelände bewegt sich Herfried Münkler mit seinem neuen Buch »Imperien«. Unser Autor würdigt Münklers Studien und Erkenntnisse, nimmt sie aber auch zum Anlass für eine Diskussion um Geschichtsinterpretation und Gegenwartsanalyse – über See- und Kontinentalmächte, über »soft« und »hard power« und über die Grundlagen von Hegemonie. Was bedeutet es, wenn die USA kein klassisches Imperium wie das »Imperium Romanum« sind, sondern ein Hegemon mit ganz spezifischen Eigenschaften?

Herfried Münkler, unlängst bewundernd als »wandelnder Ein-Mann-Think-Tank«(1) apostrophiert und sicherlich einer der Gründe, warum die Berliner Humboldt-Universität auf dem besten Wege ist, ihre alte geisteswissenschaftliche Führungsposition in Deutschland zurückzugewinnen,(2) hat auf Die neuen Kriege (2002) mit Imperien (2005) einen Fortsetzungsband folgen lassen, der Assoziationen an George Lucas’ großes Filmepos vom Krieg der Sterne weckt.(3) So wie in der lucasschen Trilogie die Inszenierung der einzelnen Teile nicht der Chronologie der Handlung folgt, sondern Episode 1–3 nach Das Imperium schlägt zurück gedreht wurden, so verfährt auch Münkler. Imperien muss man gelesen haben, um Die neuen Kriege zu verstehen, werden diese doch als Reaktion auf das Agieren des neuen Imperiums der Vereinigten Staaten verstanden.

Lucas wie Münkler beziehen sich auf den Ost-West-Konflikt, den bislang letzten und wirklich globalen, sogar den Weltraum einbeziehenden, imperialen Ausscheidungskampf. Damit sind wir bei dem eigentlichen Anlass des Buches. Erst jetzt – 15 Jahre nach dessen Ende – ist so richtig klar, dass es dabei um mehr ging als eine ideologische Auseinandersetzung über die Zukunft des Kapitalismus, und ist auch so richtig klar geworden, was eigentlich gefolgt ist auf den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums – im amerikanischen Verständnis die dunkle Seite der Macht. Nicht die »neue Weltordnung« im Sinne der Vereinten Nationen, wie sie Bush senior im ersten Überschwang mit seiner Rede vom 11. September 1990 angekündigt hat, auch nicht die Herrschaft des Marktes, der vernetzten global cities, der Weltbürgergesellschaft, der nichtstaatlichen Akteure, die in der Global Governance-Architektur hausen, wie von neoliberalen Ideologen gepriesen oder den Theoretikern der zweiten Moderne erhofft – sondern ein amerikanischer Unilateralismus, der beansprucht, die Welt nach seinem Gusto zu regieren. Münkler reiht sich damit ein in eine neue Debatte in der Lehre von den internationalen Beziehungen, die das Thema Imperium oder Hegemonie wieder entdeckt hat. Während es dabei zunächst um die tieferen Ursachen des Zusammenbruchs der Sowjetunion ging, die als letztes Imperium der Geschichte interpretiert wurde,(4) geht es mittlerweile um die neue Rolle der Vereinigten Staaten, die kritisch oder affirmativ als neues Imperium verstanden oder missverstanden werden.(5) Dieses »Imperium« stützt sich auf die hard power seiner sieben Flotten und fünf Regionalkommandos, die Leistungsfähigkeit der Rüstungsindustrie, die Dominanz in der Nachrichten- und Datentechnik von IBM und Intel bis Microsoft und Google, die Finanzmacht der Wallstreet und auf die soft power, die der Hollywood-Film eines George Lucas oder Steven Spielberg, die amerikanische Massenkultur schlechthin, die ungebrochene Faszination des »american way of life« weltweit ausüben. Die Missverständnisse und falschen Hoffnungen, die in Europa über die künftige Rolle der USA gehegt wurden (Stichwort Friedensdividende), sind einer der Gründe für das gespaltene Verhältnis in den transatlantischen Beziehungen.

Münkler räumt auf mit diesem Trugbild, indem er, das ist sein zentrales Anliegen, die strukturellen Handlungsimperative der amerikanischen Regierung herausarbeitet, denen sich der liberale Clinton ebenso wie der neokonservative und/oder christliche Fundamentalist Bush junior, aber auch ein klassischer Realist wie Bush senior beugen muss. Das Argument lautet: Um mit dem zentralen Problem der Staatenwelt, dem nicht vorhandenen internationalen Gewaltmonopol, umzugehen, gibt es mehr als nur zwei ordnungspolitische Modelle. Die Lehre von den internationalen Beziehungen hat sich bislang zu sehr mit der Alternative Selbsthilfe oder Kooperation beschäftigt. Der Realismus setzt aus der Logik des westfälischen Staatensystems auf das Souveränitätsprinzip als höchstes Gut im Völkerrecht und damit auf die Machtmaximierung jedes einzelnen Staates zur Wahrung seiner Interessen. Die Schwachen müssen strategische Bündnisse eingehen, um das Übergewicht des Starken auszugleichen. Jeder hilft sich selbst, so gut er kann. Der Idealismus setzt dagegen auf die Vernunft und Lernbereitschaft der Staaten, die sich zusammentun, um die Probleme dieser Welt auf kooperative Weise durch internationale Organisationen und Abkommen zu lösen, wobei sich perspektivisch alle Staaten den gleichen idealistischen Normen von Demokratie, Frieden und Schutz der Menschenrechte verpflichten. Dieter Senghaas hat diese Perspektive mit seinem zivilisatorischen Hexagon auf den Begriff gebracht.(6) Sicherheit und Stabilität durch Abschreckung und Gleichgewicht der Kräfte oder Frieden durch weltweite Ausbreitung der Demokratie und die Vereinigung der Nationen lauten diese beiden politischen Optionen.

Hexagon oder Pentagon?

Münkler hält dagegen, dass es weitere Alternativen gibt, die auf das Bonmot hinauslaufen: Hexagon oder Pentagon? Gemeint sind damit die imperiale und die hegemoniale Variante des Unilateralismus als weitere Weltordnungskonzepte, die sich unter anderem durch das Maß unterscheiden, in dem sie das Souveränitätsgebot des westfälischen Staatensystems respektieren. Imperien oder Hegemonien bewegen sich nicht in einer internationalen Ordnung mit anderen Staaten, sondern bilden diese Ordnung. Münkler will zeigen, dass die Weltgeschichte vor und nach 1648(7) eher durch eine Abfolge von Imperien als durch ein »Konzert« der Mächte oder gar ein »System« von derzeit fast 200 souveränen Staaten geprägt war. Zumindest in der deutschen Politikwissenschaft sei die analytische Beschäftigung mit der Logik von Imperien oder Hegemonialmächten verkümmert. Wenn überhaupt, dann ist Imperialismustheorie getrieben worden, die im Grunde aber gar nicht die Logik der Weltpolitik, sondern die Reform- oder Revolutionsfähigkeit des Kapitalismus im Blick hatte. Imperiumstheorie ist etwas grundlegend anderes als Imperialismustheorie. Dem ist zuzustimmen, wenngleich dieses Diktum nicht für die traditionellen Vertreter der Historikerzunft gilt, die es gerade lieben, in solchen Kategorien zu schwelgen. Münkler fordert, sich dieser seit Ludwig Dehio oder Heinrich Triepel(8) verschütteten Tradition erneut zu widmen, das Feld also nicht den Historikern zu überlassen und unvoreingenommen zu prüfen, welcher Logik unilateral agierende Mächte unterworfen sind und was sie ordnungspolitisch zu leisten imstande sind. Damit hebt er sich wohltuend ab von der neuen deutschen Welle der vorschnellen Amerikakritik. Verschwiegen werden soll aber nicht, dass Münkler am Ende auch die normative Katze aus dem Sack lässt. Imperien, denen er analytisch den Vorzug vor hegemonialen Ordnungen gibt, haben in ihrer benevolenten Façon auch ihr Gutes, sind vielleicht sogar besser geeignet, mit den globalen Problemen dieser Welt umzugehen als ein UN-System. Will Europa, so die Konsequenz, sich gegenüber den USA behaupten, darf es nicht auf die multilaterale Karte setzen, sondern muss auch der imperialen Logik folgen und über eine »Hierarchisierung« der Europäischen Union selber imperiale Politik machen. Das gilt vor allem an seinen Rändern im Osten und Süden. Münkler bevorzugt dabei einen kerneuropäischen Dreibund aus Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Wenn dieser nicht zustande kommt, muss Großbritannien durch einen anderen, nicht genannten Partner ersetzt werden.

Gegen Szientismus und Empirismus

Sein Ansatz ist klassisch, weist Münkler als einen der wenigen deutschen Vertreter des Traditionalismus aus. Dessen bevorzugte Methode ist der Rückgriff auf die politische Ideengeschichte, die Textexegese, die hermeneutische Interpretation historischer Fälle, ein Ansatz, dessen Marginalisierung er unlängst beklagt hat.(9) Was haben die Klassiker gesagt? Wie haben die Staaten sich in kritischen Situationen verhalten, in denen es um Krieg und Frieden, um Expansion oder Konsolidierung des eigenen Machtbereichs ging? Also erfahren wir bei Münkler viel über Thukydides, Hobbes, Clausewitz oder Mahan, über den Dialog zwischen der »Thessalokratie« Athen und der kleinen Insel Melos während des Peloponnesischen Krieges, viel über die Grundsatzfrage römischer Politiker nach der Niederringung Karthagos (ceterum censeo ...), über die Reformen des Augustus, um dem Römischen Reich über die »augusteische Schwelle« (sein Lieblingswort) zu helfen, die zwischen der expansiven Phase eines Imperiums und der Konsolidierungsphase liegt, um seine Lebensdauer zu verlängern. Diese Rückblicke in die Geschichte sind aber nicht nur für sich von Interesse, sondern dienen immer der Sache an sich, wollen die historische Kontinuität vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten aufzeigen. Man hätte sich auch noch einiges über den deutschen Emigranten Leo Strauss (1899–1973), theoretischer Stammvater des amerikanischen Neokonservatismus, gewünscht, dessen Denken und Einfluss auf Wolfowitz und Co. viel Erhellendes auf die Programmatik der Bush-Regierung wirft.(10) Dafür erfahren wir von der expansiven Logik eines Steppenimperiums à la Dschingis Khan, warum Napoleon oder Hitler scheitern mussten (failed empires), während das chinesische Reich hinter der großen Mauer eine solche Lebensdauer erreichen konnte.

Sein dritter Baustein ist die vergleichende Methode. Er vergleicht historische Fälle von Imperien in der Absicht, daraus eine Typologie der Imperien, eine Theorie imperialer Herrschaft zu gewinnen, die nach See- und Territorialmächten, nach Handels- und Militärmächten oder danach kategorisiert werden, ob sie Räume oder Ströme (von Kapital, Waren, Menschen) zu kontrollieren imstande sind. Je nach typologischer Verfasstheit ergeben sich unterschiedliche Handlungsoptionen und Imperative, die immer wieder durch historische Beispiele exemplifiziert werden, aber auch unterschiedliche Ursachen, die für den Aufstieg oder Niedergang von Imperien verantwortlich zu machen sind. Münkler verfällt also nicht der Annahme, hier unterscheidet er sich vom klassischen Realismus, dass die großen Männer die Geschichte machen. Es geht ihm nicht um die Akteure, um die Person Augustus, Dschingis Khan, Yongle, Mehmed II., Karl der V., Richelieu, Metternich oder Bismarck, sondern um die innere Logik, die Strukturen, die Rahmenbedingungen von Imperien, innerhalb derer die »großen Männer der Geschichte« agieren. Deshalb interessiert ihn auch nicht, was die christliche Rechte oder die Neokonservativen in den USA denken und wer welchen Einfluss auf Präsident Bush hat, sondern welche strukturelle Bedeutung dem amerikanischen Missionarismus für den Erhalt und die Legitimation von Imperien zukommt. Imperien mischen sich nämlich ein in die inneren Angelegenheiten anderer, müssen sich sogar einmischen, Staaten hingegen halten sich an das Souveränitätsprinzip.

Mit seinem Baukasten aus Ideengeschichte, Fallanalyse und vergleichender Methode bezieht Münkler eine klare Gegenposition zum Szientismus/Empirismus, der auch von der deutschen Zunft in der neorealistischen wie der neoliberalen Variante Besitz ergriffen hat. Ein Hegemonietheoretiker wie Modelski(11) würde die athenischen Kriegsgaleeren und die Kriegsgaleeren seiner Bündnispartner und persischen Gegner zählen, möglichst lange Zeitreihen bilden und aus den sich verändernden Stärkeverhältnissen der Flotten Aufschlüsse über Hegemonie gewinnen. Modelski würde dafür jahrelanges Archivstudium betreiben müssen, Münkler gelingt dieses über eine knappe Interpretation des Melier-Dialogs. Deswegen benötigt ein »Ein-Mann-Think-Tank« auch nur ein Studierzimmer und kein großes Institut. Sein überzeugendes Argument lautet: Solange die griechische polis von der persischen Despotie bedroht war, war Athen nur Hegemonialmacht im Attischen Seebund, die ihre Mitstreiter respektierte. Als der persische Feind abgewehrt war, wandelte es sich zum Imperium, dessen Macht durch die Akropolis demonstriert wurde, hatten die Melier nur die Alternative Unterwerfung oder Vernichtung, musste Athen aber auch die unbotmäßigen Melier vernichten, wollte es seinen Anspruch behaupten.

Mischung aus Abschottung und Intervention

Kommen wir zu den Verdiensten, die das Buch nicht nur verspricht, sondern auch einlöst. Münkler richtet den Blick auf den entscheidenden Punkt zum Verständnis der gegenwärtigen internationalen Politik: Auf die Bipolarität der Konstellation des Ost-West-Konflikts ist die unipolare Konstellation der neuen Weltordnung gefolgt. Die USA verstehen sich als alleinige Weltordnungsmacht, die so handelt, wie Weltordnungsmächte handeln müssen. Nach der Niederringung des letzten großen imperialen Widersachers, der Sowjetunion im Kalten Krieg, des letzten »Steppenimperiums« (Münkler) der Weltgeschichte, gibt es nur noch eine Supermacht, die sich, wenn es um fundamentale strategische Interessen wie etwa die Ölversorgung geht, auch über die Imperative des Marktes hinwegsetzt. So wie Rom nach der Niederringung Karthagos einer neuen Legitimation bedurfte, die darin bestand, die römische Zivilisation gegen die Barbaren zu verteidigen, so besteht die amerikanische Mission darin, die amerikanischen Werte gegen die »Achse des Bösen« aus Schurkenstaaten, islamistischem Terrorismus und zerfallenden Staaten zu verteidigen. Ganz so, wie die Römer oder Chinesen eine Mischung aus Limes oder großer Mauer und Strafexpedition verfolgten, verfolgen auch die USA eine Mischung aus Abschottung (der Zaun an der mexikanischen Grenze) und Intervention, die bei Bedarf humanitär begründet wird.

Münkler belebt eine akademische Tradition, die aufgrund der »Hegemonie« (im Sinne Gramscis) der idealistischen Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland kaum zu finden ist. In den USA sah das anders aus. In den 1980er-Jahren gab die Literatur über den american decline den Ton an. Nach dem Ende der Sowjetunion und der Erkenntnis, dass Japan doch nicht der neue Herausforderer ist,(12) sondern mit denselben strukturellen Problemen zu kämpfen hat wie das alte Europa, gab es die kurze Euphorie der Revival-Literatur.(13) Übersehen wurde allerdings, dass Macht und Wohlstand immer auch relative Kategorien sind. Die amerikanische Macht hat zugenommen, weil die sowjetisch/russische abgenommen hat. Der Wirtschaftsboom in Ost- und Südostasien ist ungebrochen, nur dass statt Japan oder den Tigerstaaten mittlerweile China die pace macht. Auch so wird die relative Wirtschaftskraft der USA vermindert. Insofern haben Neodecline-Theoretiker wie Chalmers Johnson, Benjamin Barber oder Robert Brenner Recht.(14) Die strukturellen Probleme der USA, wie sie etwa im neuerlichen Doppeldefizit von Außenhandel und Staatshaushalt zum Ausdruck kommen, sind geblieben. Die imperiale Überdehnung ist nicht vom Tisch, der Widerspruch zwischen Mission und den Schattenseiten des imperialen Alltags in Guantánamo oder Abu Ghraib zeigt sich aufs Neue. Das Thema chinesische Herausforderung bleibt bei Münkler leider unterbelichtet, weil, hier setzt eine Kritik an, er über das Ziel hinausschießt und zu viel Ideengeschichte und zu wenig empirische Analyse betreibt.

Sein drittes Verdienst ist schließlich, dass Münkler die zentralen Begriffe und Gegensatzpaare und die darin jeweils enthaltene Logik herausarbeitet. Weil Territorialmächte große Räume und Grenzen kontrollieren müssen, brauchen sie ein großes Heer und sind viel eher der Gefahr imperialer Überdehnung unterworfen als Seemächte, die sich auf eine bewegliche Flotte und ein System von Marinebasen stützen. Während die einen darauf angewiesen sind, dass der Tribut, den sie aus den eroberten Ländern ziehen, höher ist als die imperialen Kosten, die sie zur Beherrschung des Reiches aufzubringen haben, setzen die Seemächte auf den Handelsprofit und die Externalisierung der Kosten durch das Agieren privater Akteure wie etwa der Handelskompanien der Engländer und Niederländer. Seemächte sind also eher Handelsmächte und Landmächte eher Militärmächte. Seemächte waren in der Regel stabiler, lebten länger und vermochten ihren Niedergang hinauszuzögern, während Territorialmächte kurzlebiger waren und ihr Ende sich überstürzte – siehe die Mongolen, das napoleonische Frankreich, Hitler-Deutschland oder zuletzt die Sowjetunion. Deutlich bei Münkler wird auch die stabilisierende Wirkung von soft power, also die zivilisatorische Ausstrahlung des Imperiums und die Macht seiner Medien, aber auch die Gefährdung, wenn eben diese Medien durch ihre Präsenz ins Bewusstsein rücken, dass der missionarisch-zivilisatorische Anspruch und die alltägliche Wirklichkeit der Behauptung imperialer Macht nicht übereinstimmen. Nicht nur die neuen Partisanen, sondern auch das neue »Imperium der Angst«(15) führt die »neuen Kriege«.

Die Rückkehr der Lehre vom gerechten Krieg interpretiert Münkler als den Rückgriff auf eine alte Legitimationsfigur, mittels derer Imperien die Intervention jenseits des Limes gerechtfertigt haben. An dieser Stelle geraten die USA in ein kardinales Dilemma. Ihre Tradition ist antiimperial, ihre Mission ist die Ausbreitung von Demokratie, Markt und Menschenrechten. Wenn sie auf Widerstand stoßen durch das Aufkommen des globalen Terrorismus, neuerdings sogar im eigenen Land, müssen sie zu Mitteln greifen, die ihrer Sendung widersprechen, weil, so Münklers Argument, die Asymmetrie der Macht den Widerstandskämpfer zur Partisanentaktik und zum Terrorismus zwingt. Bei einem solchen Gegner versagen aber die Grundsätze des Kriegsvölkerrechts. Zwar werden dessen Verletzungen von amerikanischer Seite, so gut es geht, kaschiert, wenn die eigenen Medien dies aber aufdecken, bricht die Legitimation imperialer Politik zusammen. An dieser Stelle zeigt sich die Kraft seiner strukturellen Argumentation, während Benjamin Barber den gleichen Widerspruch moralisch geißelt. Die Konsequenz ist der Wechsel von der Wehrpflicht zur Berufsarmee, die sich nicht mehr aus einer kritischen Mittelschicht (wie in Vietnam), sondern aus der Unterschicht rekrutiert und sozialen Aufstieg verspricht. Noch konsequenter ist die Verschlankung der Armee durch den Einsatz der neuen Söldner in Form der Private Military Companies.(16)

Vom Unterschied zwischen Imperium und Hegemonie

Kommen wir zur Kritik. Das, was die Stärke des Buches ausmacht, das Bemühen um begriffliche Klarheit und imperiale Typenbildung, wird dann zur Schwäche, wenn dieses in der Anwendung, also der Analyse der historischen Fälle, zu wenig berücksichtigt wird. Diese Feststellung gilt insbesondere für den Unterschied zwischen Imperium und Hegemonie. Münkler erkennt zwar den Unterschied, nennt ihn »heikel« (wieso eigentlich?) und ist bemüht, ihn zu definieren, verfolgt diese Unterscheidung im Verlauf des Buches aber nicht weiter. Letztlich sind für ihn alle großen Reiche, von Rom bis zu den USA, Imperien und damit einer imperialen Logik unterworfen. Dabei ist der Unterschied doch ganz klar und lässt sich bereits etymologisch fassen.

Imperium ist ein lateinischer Begriff und heißt »Herrschaft«, »hägemonia« ist ein griechischer Begriff und heißt »Führerschaft«. In diesem Sinne war Rom ein Imperium, das den gesamten Mittelmeerraum und Westeuropa bis nach England beherrschte, sind es die USA trotz ihrer Flotten und Stützpunkte im Ausland nicht, auch wenn das Kapitol und die übrige Memorial-Architektur in Washington die Assoziation an das Forum Romanum wecken, da es neben den USA nahezu 200 selbstständige Staaten gibt. Im »Imperium Romanum« gab es, abgesehen von dem kleinen gallischen Dorf, keine selbstständigen Staaten. Weniger das Entwicklungsgefälle, wie Münkler mutmaßt, entscheidet, ob es zu Hegemonie oder Imperium kommt, sondern in welchem Maße sich quantitativ und qualitativ das Souveränitätsprinzip gegenüber dem Anspruch der Universalmonarchie durchgesetzt hat. Die Sowjetunion war nicht imperial, weil sie höher entwickelt war als der übrige Ostblock, sondern weil sie die Souveränität seiner Mitglieder einzuschränken vermochte.

Deshalb konnte es neben dem römischen weitere souveräne Imperien in China oder Persien geben, während die amerikanische Hegemonie derzeit von keiner anderen Macht ernsthaft in Frage gestellt werden kann. Insofern war die Konstellation des Ost-West-Konflikts eine Doppelhegemonie oder präziser: Es handelte sich um die Rivalität von Hegemonialmacht (USA) und Imperialmacht (Sowjetunion). Die Sowjetunion war deshalb viel eher ein Imperium, weil sie massiv und offen in die inneren Verhältnisse der Ostblockstaaten eingreifen konnte und dies auch immer wieder tat. Frankreich vermochte ungestraft aus der NATO auszutreten. Der Versuch Ungarns, aus dem Ostblock auszutreten, wurde militärisch niedergeschlagen. Zwar haben auch die USA sich überall eingemischt, je größer das Machtgefälle, desto mehr, aber sie mussten dabei eher auf diplomatischen Druck oder klandestine Geheimdienstaktionen setzen. Imperial agierten sie noch am ehesten in ihrem zentralamerikanischen »Hinterhof«.

Das chinesische Reich war mehr als bloß ein Imperium wie Rom. Rom war ein Vielvölkerstaat wie das Osmanische Reich, das Zarenreich oder beide Habsburger Reiche. In China bildeten Nicht-Chinesen immer nur eine kleine Minderheit von weniger als zehn Prozent der Bevölkerung, wenn auch das Territorium der nationalen Minderheiten wesentlich größer war. China war damit fast schon Nationalstaat und zugleich Hegemonialmacht gegenüber den angrenzenden tributpflichtigen Staaten von Japan bis Südostasien. Auf dem Höhepunkt der chinesischen Machtentfaltung, der frühen Ming-Zeit in den ersten drei Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts, sandten die Fürsten Zentralasiens, Indiens und weiterer Anrainer des Indiks bis zur arabischen Halbinsel und der ostafrikanischen Küste ihre Tributgesandtschaften nach Peking, leisteten den Kotau, orientierten sich am chinesischen Kalender und suchten die Legitimierung ihrer lokalen Herrschaft durch den chinesischen Kaiser. Auch in Europa gab es Mischformen, aber in anderer Form. Einerseits errichteten die Großmächte in Übersee Imperien, andererseits rangen sie in Europa um die Hegemonie. Ludwigs Dehios Gleichgewicht oder Hegemonie bezieht sich auf das »Konzert« der fünf Großmächte in Europa.

Imperium setzt immer direkte Beherrschung voraus. Hegemonialmächte bedienen sich bei ihrer Führerschaft indirekter Mechanismen. Imperien dürfen auf die Ausübung von Zwangsmitteln bei Unbotmäßigkeit nicht verzichten, sonst lösen sie sich auf. Hegemonie hingegen wird vielfach sogar akzeptiert, weil sie auch Vorteile bietet, weil die soft power der Hegemonialmacht Faszination ausübt. Deshalb können Hegemonialmächte Unbotmäßigkeit bisweilen wie im Falle Frankreichs sogar tolerieren. Territorialmächte neigen eher zur Bildung von Imperien und zur Kontrolle von Grenzen, Ressourcen und Menschen, während Seemächte ohne feste Grenzen eher hegemoniale Ordnungen errichten und eher an der Kontrolle von Strömen (Waren, Kapital) interessiert sind. Die Sowjetunion musste eine imperiale Zwangsherrschaft errichten, um die zentrifugalen Kräfte zu unterdrücken und die Ressourcen zu mobilisieren, die sie in ihrem hegemonialen Ausscheidungskampf mit den USA verschlang. Die USA besitzen zwar ein großes Territorium und auch eine große Armee, agieren aber eher wie eine Seemacht oder neuerdings wie eine Luftmacht, nicht zuletzt, weil sie geopolitisch eine Insel sind. Die USA brauchen, um ihr Handelsdefizit auszugleichen, nur Dollarnoten zu drucken, die alle Welt gern akzeptiert. Hegemonien sind stärkere politische Gebilde als Imperien. Der Ausgang des Kalten Krieges bestätigt diese These. Insofern ist auch fraglich, ob die »Seaborn Empires« wie Portugal oder die Niederlande wirklich Imperien waren, ganz zu schweigen von ihren Vorläufern Genua und Venedig.

Die Realität der Zwitter

Dass diese Unterschiede bei Münkler verschwinden, liegt vielleicht daran, dass er, trotz aller nachvollziehbaren Sympathie für den geisteswissenschaftlichen Ansatz, doch zu viel Ideengeschichte und zu wenig empirisch, das heißt durch Fakten gesättigte historische Fallstudie betreibt. Hätte er beides kombiniert, wäre deutlich geworden, dass seine Typologie zwar heuristisch sinnvoll und erkenntnisfördernd ist, dass die Realität aber viele Mischformen, regelrechte Zwitter, Paradoxien hervorgebracht hat. China war beides, Imperium und Hegemonialmacht mit über die Jahrhunderte schwankender Reichweite. Es war Territorialmacht, die sich hinter der großen Mauer gegen die Einfälle der Steppenvölker verschanzte, es war aber auch Seemacht, die seit der Song-Zeit das südchinesische Meer, den Golf von Bengalen, zeitweilig sogar das Arabische Meer und die ostafrikanische Küste erkundet, kommerziell durchdrungen und militärisch beherrscht hat, bis es sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in die Selbstisolation zurückzog, damit auf seine Hegemonie verzichtete und nur noch Imperium sein wollte. Spanien war zeitweise sicherlich beides oder sogar alles drei. Hegemonialmacht in Europa, imperiale Macht in Amerika und »Seaborn Empire« nach 1580, als Portugal und dessen überseeische Besitzungen inkorporiert wurden. Auch das Osmanische Reich war nicht nur territoriales Imperium, sondern bis zur Seeschlacht von Lepanto (1571) eine veritable Seemacht, die die östliche Hälfte des Mittelmeers, das Rote Meer, den Persischen Golf bis an die Indische Küste befuhr und den Portugiesen Paroli bot. Selbst das Mongolenreich war Steppenimperium nur bis zur Eroberung von China. Unter Kublai Khan wurden die Mongolen zur Seemacht, die zweimal die Invasion Japans versuchte und nur durch den Kamikaze (den göttlichen Wind) daran gehindert wurde, die Flotten nach Annam, Java und andere Inseln Südostasiens auszusenden. Zudem war sie eine erstaunliche Symbiose mit der Handelsmacht Genua eingegangen. Das Mongolische Reich erstreckte sich vom Schwarzen Meer bis nach Korea. Genuesische Händler befuhren die spätere »Seidenstraße« von Tana an der Mündung des Dons in das Asowsche Meer bis nach Peking. Auf der ganzen Route verströmte Genua seine soft power, galten genuesische Maße und Gewichte, fungierte die genuesische Währung als Weltgeld, die überall akzeptiert wurde, während die Mongolen die hard power der Sicherheit der Karawanenwege und das Netz der Poststationen beisteuerten. Der Begriff »Pax Mongolica« machte 100 Jahre lang bis zur großen Pest, die um 1350 Europa erreichte, seinen Sinn und verträgt sich so gar nicht mit dem Image der plündernden und brandschatzenden Horden aus der Steppe. Auch die Mongolenfürsten setzten nicht nur auf die zwangsweise Eintreibung des Tributs, sondern reinvestierten einen Teil davon in die Geschäfte der Italiener. Marco Polo hat von der Zivilisation, der soft power der mongolischen Yuan-Dynastie in China berichtet. Selbst das im Vergleich zu Venedig kleine Genua war noch ein Zwitter. In der Rivalität zu den anderen italienischen Seestädten wie Pisa oder Amalfi, sogar gegenüber Venedig, konnte es zeitweise einen Hegemonieanspruch dank seiner Kriegsgaleeren durchsetzen. Im Handel mit der Levante bedurfte es hingegen der Kooperation mit den Mongolen. Die Dauerrivalin Venedig hingegen setzte auf die asymmetrische Kooperation mit Byzanz, ein Imperium unter der Hegemonie der Serenissima – eine vollends paradoxe Konstellation – und auf die symmetrische Partnerschaft mit dem Sultan der Mamelucken, die die Route via Alexandria und Rotes Meer in den Fernen Osten kontrollierten.

Die historische Wirklichkeit war vielfältig, offeriert mehr, als Athen und Rom zu bieten haben. Imperien waren immer begrenzt durch die Reichweite ihrer Armeen und Flotten, die Leistungsfähigkeit ihrer Ökonomie, gegebenenfalls auch durch die Natur. Hegemonialmächte hatten zumindest ihrem Anspruch nach immer eine globale Orientierung – soweit jedenfalls, wie der Globus bekannt war. Das galt für Genua und Venedig, deren Faktoreien, Karawanen, Galeerenrouten, Goldmünzen und Kreditbriefe von England im Westen bis China im Osten reichten; das galt für Ming-China, das nahe daran war, achtzig Jahre vor Kolumbus den Seeweg nach Europa durch Indik und Rotes Meer nicht zu finden (den kannte man schon längst), sondern zu kontrollieren; das galt für Portugal und Spanien, die in den Verträgen von Tordesillas (1494) und Zaragossa (1529) die gesamte »Neue Welt« unter sich aufteilten, um dritte Europäer von Atlantik und Pazifik fern zu halten; das galt für die Niederländer, die auf drei Kontinenten (in Afrika, in Asien und in Brasilien) gegen Portugal Krieg führten, um ihm den Gewürz- und Sklavenhandel abzujagen, während sie daheim auf engstem Raum einen erbitterten Landkrieg gegen Spanien und drei Seekriege gegen England im Ärmelkanal zu führen hatten. Auch das Phänomen der global cities, der virtuellen Kontrolle von Finanz- und Warenströmen ist nicht neu. Genua finanzierte die portugiesische maritime Expansion und den imperialen Anspruch Spaniens, Antwerpen trat in Konkurrenz zu Venedig als europäische Drehscheibe des Handels mit der Levante und verlor später seine Rolle als Finanzzentrum an Genua und Amsterdam. Schon vor 800 Jahren gab es ein integriertes asiatisches Seehandelsnetz mit Knotenpunkten von Zayton über Malakka, Calicut, Cambay, Hormuz, Aden bis Alexandria, das den wechselnden Monsunwinden folgte.(17)

Neu ist eigentlich nur, dass im 20. Jahrhundert neben den territorialen und den maritimen Raum die Beherrschung erst des Luftraums(18) und dann des Weltraums getreten ist. Diese Differenzierung der Typologie fehlt bei Münkler. Flugzeug und Rakete relativieren den Unterschied zwischen Land- und Seemacht, heben ihn aber nicht auf. Regime wie das von Saddam Hussein oder Milosevic lassen sich aus der Luft stürzen. Um ein Land zu befrieden, es gar zu »transformieren« im amerikanischen Sinn, bedarf doch wieder der Armee und bietet damit die alte Achilles-Verse des asymmetrischen Guerilla-Krieges, die noch so großer Hightech-Aufwand nicht kompensieren kann.

Grundlagen der Hegemonie

Also: Die USA sind trotz Irak und Afghanistan Hegemonialmacht und kein Imperium. An diesem kategorischen Unterschied muss auch das Verständnis der neuen weltpolitischen Konstellation ansetzen. Grundlage ihrer Hegemonie ist die überlegene technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, ihre seit Ende des 19. Jahrhunderts gegenüber allen anderen Mächten überragende Innovationskraft. Diese ist wiederum die Ursache, dass die USA als einzige Macht über die Ressourcen verfügen, das nicht vorhandene internationale Gewaltmonopol zu ersetzen. Sie vertrauen auf die hard power des Pentagons und nicht auf die soft power des Hexagons. Ihr erster Hegemoniezyklus hat etwa von 1890–1990 gedauert. Sein Zenit war 1945/49 erreicht, bis die Sowjetunion das Atommonopol gebrochen hat. Davon bleibt unberührt, dass sie erst nach 1945 den Isolationismus überwunden und ihre hegemoniale Rolle auch aktiv wahrgenommen haben. Präsident Wilson wurde 1919 noch von einer isolationistischen Mehrheit im Kongress zurückgepfiffen. Da die Innovationskraft der USA immer noch ungebrochen ist, durchlaufen sie seit 1990 einen zweiten Hegemoniezyklus, dessen Zenit noch nicht absehbar ist. Sie haben sich also nicht vom Hegemon zum Imperium verwandelt, sondern sind Hegemon geblieben, brauchen deshalb auch keine »augusteische Schwelle« zu überschreiten. Die »Beherrschungskosten« im Sinne Münklers kann der Hegemon viel eleganter durch burden sharing senken als das Imperium, da die Nutznießer der hegemonialen Ordnung freiwillig dazu bereit sind, wie das Beispiel des zweiten Golfkrieges gezeigt hat. Die »neuen Kriege« sind aus dieser Perspektive nicht der Ausdruck von Staatszerfall, sondern die Spätfolgen des Zerfalls von Imperien.

Hegemonie im Sinne von Führerschaft wird ausgeübt durch die Bereitstellung internationaler öffentlicher Güter, ganz so, wie das jeder Nationalstaat im Inneren seines Landes tut. Die beiden wichtigsten internationalen öffentlichen Güter sind Sicherheit im Sinne militärischen Schutzes und Stabilität im Sinne funktionierender weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen, wozu nicht zuletzt auch die Gewährleistung einer möglichst reibungslosen Ölversorgung für alle gehört. Zu Zeiten der Segelschifffahrt war die Versorgung mit Schiffsholz aus den wichtigen Herkunftsregionen der Ostsee, des Schwarzen Meeres und später Kanadas eine Aufgabe von ähnlicher strategischer Bedeutung. Nicht nur um Öl im Persischen Golf, auch um die Zugänge zu Ostsee und Schwarzem Meer wurden Kriege geführt, um die Versorgung mit Schiffsmasten zu garantieren.(19) Bereitgestellt werden diese öffentlichen Güter durch internationale Regime. Das sind Normen, Prinzipien, Regeln und Entscheidungsverfahren, mittels derer die Freiheit der Meere, ein internationales Zahlungssystem oder die Nichtverbreitung von Atomwaffen durchgesetzt werden. Der Hegemon sorgt für die Initiierung und politische Durchsetzung, gegebenenfalls auch für die Ressourcen zum Unterhalt des Regimes. Alle anderen partizipieren daran als free rider. Sie tun dies freiwillig, sie ordnen sich der Hegemonie sogar ganz gern unter, weil es für sie von Vorteil ist und weil es nichts kostet. Selbst in der Phase des hegemonialen Niedergangs können solche Regime noch weiter bestehen, wenn die free rider bereit sind, sich im Zuge eines burden sharings an den Kosten zu beteiligen. Nachdem die USA lange Zeit kostenlos die nukleare Garantiemacht für Europa und Teile Asiens (Japan, Südkorea etc.) waren, also auch gegenüber der neutralen Schweiz oder Frankreich nach dessen NATO-Austritt, spielen sie jetzt die hegemoniale Rolle im Hinblick auf die Nonproliferation von Massenvernichtungswaffen, den Kampf gegen den Terrorismus und sonstige Feinde der westlichen Welt. Auf wirtschaftlichem Gebiet zeigen sie zwar immer wieder Schwächen, so 1971, als das Bretton-Woods-System (auch ein internationales Regime) aufgegeben wurde, bei der Durchsetzung eines liberalen Welthandelssystems oder bei der Garantie der weltweiten Ölversorgung ist ihre Funktion aber nach wie vor gegeben.

Gütig oder eigensüchtig?

Benevolent ist diese Hegemonie immer dann, wenn sich amerikanische Interessen mit denen der anderen Staaten decken. Die aktuelle USA-Kritik entzündet sich genau an dieser Frage: Sind sie eher die gütige Macht, die auch anderen nützt, oder die eigensüchtige, die nur eigene Interessen durchsetzt? Wird die Wahrung der Interessen anderer missachtet, wie im Fall der Umweltpolitik, kommt es zwar zu weltweiter Kritik, doch niemand kann die USA zur Einhaltung des Kyoto-Protokolls zwingen. Zu einer Hegemonialmacht gehört auch, dass sie nicht bereit ist, Einbuße an Souveränität hinzunehmen, sei es von Seiten der Vereinten Nationen oder eines Internationalem Strafgerichtshofs. Wenn es passt, wird der UN-Sicherheitsrat bemüht und sein Mandat erwirkt, wenn nicht, geht es auch ohne UN-Mandat. Wenn es passt, werden die Regeln der WTO befolgt, im Zweifelsfalle wird aber auch bilaterale Handelspolitik unter Einsatz des amerikanischen Handelsbeauftragten betrieben.

Insofern ist die Weltgeschichte seit der frühen Neuzeit, als die Globalisierung an Fahrt gewann, eher durch eine Abfolge von Hegemonialmächten als durch eine Abfolge von Imperien geprägt. Auch die »Seaborn Empires« der Portugiesen und Niederländer, der Spanier und Briten hatten Aspekte von Hegemonie. Auch damals gab es schon einen Bedarf nach internationalen öffentlichen Gütern.(20)

Der Aufstieg einer Hegemonialmacht wurde immer ausgelöst durch besondere innovatorische Leistungen, die technischer oder institutioneller Art sein konnten, aber auch wirtschaftliche und militärische Wirkungen zeigten.(21) Die Innovationen der industriellen Revolution – Dampfmaschine, »Mule Jenny« und Hüttentechnik – begründeten den Aufstieg Großbritanniens zur Werkstatt der Welt, zum Herrscher der Meere und zum Handels- und Finanzzentrum. Grundlage der amerikanischen Hegemonie waren und sind die Innovationen im Automobilbau, in der Nukleartechnik, in der Informationstechnik und Datenverarbeitung, im Flugzeugbau und der Raumfahrt.

Wenn eine Macht nicht wirklich innovativ war und ihr Militär sich nicht auf das Fundament überragender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit stellen konnte (siehe Byzanz, Spanien, Osmanisches Reich, China seit der späten Ming-Zeit, Russland bzw. die Sowjetunion), blieb nur die imperiale Logik, bei der der Zwang kompensieren musste, was dem Hegemon von alleine zufließt. Die imperiale Macht verfolgt aus ihrer relativen Schwäche heraus eine Tonnenideologie, bei der die schiere Masse die qualitative Überlegenheit, die den Hegemon auszeichnet, kompensieren soll. Die großen Konflikte und Kriege der Weltgeschichte sind aus dieser Perspektive immer Ausscheidungskämpfe gewesen, bei denen die absteigende Macht sich gegen den neuen Herausforderer zu erwehren hatte. Bei diesen Konflikten ist sehr genau zu unterscheiden, ob es sich um hegemoniale Ausscheidungskämpfe oder das Ringen zwischen Imperien und Hegemonialmächten handelt. So gesehen ist auch der »Abstieg« von der Hegemonialmacht zum Imperium wie im Falle der Osmanen nach Lepanto (1571) eine mögliche Konstellation, wenn die Innovationskraft nachlässt und nur die schiere Masse noch kompensatorisch wirkt. Deshalb musste der Kalte Krieg so ausgehen, wie er ausgegangen ist, ist der anhaltende Konflikt im Kaukasus immer noch ein Stück Imperiums- und nicht Staatszerfall, während im Irak versucht wird, die hegemoniale Ordnung durchzusetzen. Letztlich ist es gleichgültig, ob nachlassende Innovationskraft, imperiale Überdehnung oder das relative Aufholen der Nachzügler im Zuge von Gegeninnovationen zum Auslöser eines Niedergangs werden. Die VR China ist das seltene Beispiel, wie nach grundlegenden inneren Reformen ein früheres Imperium dynamisiert werden kann.

»Free Rider« und die Rolle Europas

Wenn die Innovationsfähigkeit zur entscheidenden machtpolitischen Variable wird, dann ist das Zeitalter der Imperien definitiv vorüber. Die Sowjetunion war das letzte Imperium, das nicht über Innovation, sondern über Zwang den Hegemon USA herausgefordert hat. Der neue hegemoniale (nicht der imperiale) Herausforderer steht schon bereit. Es ist nicht Japan, wie die decline-Theoretiker der 1980er-Jahre mutmaßten, sondern China, das derzeit mit Riesenschritten die industrielle Leiter emporstürmt und weltweit eine Handelsbastion nach der anderen schleift als free rider eines internationalen öffentlichen Guts, des Freihandelsregimes, das die USA errichtet haben. Jeder Hegemon muss langfristig die free rider-Problematik fürchten. Deshalb das zähe Ringen, bis China die WTO-Mitgliedschaft zugestanden wurde. Anders als Japan sind in China auch die militärischen Ambitionen ungebrochen bis hin zur bemannten Raumfahrt, und ähnlich wie die USA ist China nicht bereit, Souveränität an internationale Organisationen preiszugeben, verbittet sich strikt jede Einmischung in seine »inneren Angelegenheiten«. Tibet wird damit leben müssen. Was bislang fehlt, ist die chinesische Trägerflotte, die gegebenenfalls künftig auch dafür sorgen kann, die Deckung des rasant wachsenden chinesischen Ölbedarfs militärisch abzusichern.

Was heißt das für Europa? Sicherlich nicht die Rückkehr zu imperialer Politik. Selbst für eine hegemoniale Politik mit globaler Reichweite fehlen die Kapazitäten, zumal Europa mit fortschreitender Erweiterung immer heterogener wird. Europa sollte sich beschränken auf Europa und dort auf die multilaterale Karte setzen. Die Erfolgsgeschichte seiner Süderweiterung (Spanien, Portugal, Griechenland) in punkto Demokratisierung und Wohlstandsmehrung zeigt, dass dies auch Programm für die Osterweiterung inklusive Türkei sein kann. Allerdings, wenn ich dem Multilateralismus der EU zu einem dauerhaften Erfolg verhelfen will, dann brauche ich auch starke europäische Institutionen, also nicht die Hierarchisierung der EU, sondern weitere Abgabe nationaler Souveränität nach Brüssel. Die amerikanische Hegemonie ist eine nicht zu leugnende Tatsache und sie bedeutet auch Vorteile für Europa. Europa kann die USA nicht zum Multilateralismus zwingen, sollte es auch nicht versuchen, sehr wohl aber mehr Gewicht gegenüber dem amerikanischen Freund zur Wahrung eigener Interessen auf die Waage bringen, indem das Projekt der europäischen Einigung vorangetrieben wird. Die Klärung der Frage, was Europa ausmacht und wo seine Grenzen sind, ist eine dringende Aufgabe. Innerhalb wie jenseits dieser Grenzen ist der demokratische Frieden die Alternative zum gerechten Krieg.

1

Jörg Lau: »Der Ein-Mann-Think-Tank«; in: Die Zeit, 30.10.03.

2

Die Frankfurter Universität hat es leider verschmäht, den Fetscher-Schüler als geborenen Nachfolger zu berufen – in diesem Fall ein Beispiel für die Ursachen über den Aufstieg und Niedergang von Fakultäten.

3

Herfried Münkler: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Berlin: Rowohlt 2005; ders.; Die neuen Kriege, Reinbek: Rowohlt 2002.

4

Vgl. dazu Alexander Demandt (Hrsg.): Das Ende der Weltreiche. Von den Persern bis zur Sowjetunion, München: Beck 1997; Richard Lorenz (Hrsg.): Das Verdämmern der Macht. Vom Untergang großer Reiche, Frankfurt: Fischer 2000.

5

Ulrich Speck/Natan Sznaider (Hrsg.): Empire Amerika. Perspektiven einer neuen Weltordnung, München: DVA 2003.

6

Dieter Senghaas: Zum irdischen Frieden. Erkenntnisse und Vermutungen, Frankfurt: Suhrkamp 2004.

7

Der Westfälische Friede von 1648 wird als Geburtsstunde des modernen Staatensystems gewertet.

8

Ludwig Dehio: Gleichgewicht oder Hegemonie. Betrachtungen über ein Grundproblem der Staatengeschichte, Krefeld: Scherpe o. J. (1947); Heinrich Triepel: Die Hegemonie. Ein Buch von den führenden Staaten, Stuttgart: 1938, Neuaufl.

9

Vgl. dazu Friedrich Niewöhner: »Politik als Ideengeschichte«, in: FAZ, 21.9.05, S. N3.

10

Vgl. dazu Leo Strauss: On Tyrann, Chicago: University of Chicago Press 2000 (zuerst 1948).

11

George Modelski/William R. Thompson: Seapower in Global Politics 1494–1993, Houndmills: MacMillan 1988.

12

Extremes Beispiel war George Friedman/Meredith Lebard: The Coming War with Japan, New York: St. Martin’s Press 1991.

13

Joseph N. Nye: Bound to Lead: The Changing Nature of American Power, New York: Basic Books 1990; Henry R. Nau: The Myth of America’s Decline: Leading the World Economy into the 1990s, New York: Oxford UP 1990.

14

Chalmers Johnson. Ein Imperium verfällt. Wann endet das amerikanische Jahrhundert?; München: Blessing 2000; Robert Brenner. The Boom and the Bubble: The US in the World Economy; London: Verso 2003; Benjamin R. Barber. Imperium der Angst. Die USA und die Neuordnung der Welt; München: Beck 2003.

15

Benjamin Barber: siehe FN 14.

16

Vgl. dazu Herbert Wulf: Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden: Nomos 2005.

17

Vgl. dazu Janet L. Abu-Lughod: Before European Hegemony: The World System A. D. 1250–1350, New York: Oxford UP 1989.

18

Vgl. dazu erstmals Giulio Douhet: The Command of the Air, Washington D. C. 1983 (ital. 1921).

19

Vgl. dazu Robert Greenhalgh Albion: Forest and Seapower: The Timber Problem of the Royal Navy 1652–1862, Cambridge, Mass.: Harvard UP 1926.

20

Die Freiheit der Meere, der Schutz vor Piraterie, die Versorgung mit Schiffsholz, die Bereitstellung eines internationalen Zahlungsmittels (Silber), die Organisation der internationalen Arbeitsteilung über Faktoreien, Konsulargerichtsbarkeit, Karawanenrouten, Poststationen, Kreditbriefe, aber auch die Erstellung und Verbreitung von Land- und Seekarten, nautischen Instrumenten, Hafenbüchern und Beschreibungen der Karawanenrouten, so etwa das Handbuch des Pegliotti über die »Seidenstraße«, gehörten dazu. Indem die Genuesen mit den Mongolen und die Venezianer mit den Mamelucken gute Beziehungen pflegten, partizipierten daran alle übrigen Europäer, die in den Genuss der begehrten orientalischen Gewürze, Seidenstoffe und Preziosen kommen wollten.

21

Die Entwicklung der Nassreiskultur machte es möglich, die chinesische Landwirtschaft in der Song-Zeit nach Süden auszudehnen und deren Überschussfähigkeit beträchtlich zu steigern. Die zusätzliche Grundrente floss in die Kassen des Staates und finanzierte Armee und Flotte. Die Erfindung des Steigbügels in Verbindung mit dem Reflexbogen ermöglichte es den mongolischen Reitern, aus vollem Galopp in alle vier Himmelsrichtungen zu schießen. Damit waren sie in punkto Mobilität und Feuerkraft jedem noch so schwer gepanzerten europäischen Ritterheer überlegen. Die Bestückung der Karavelle mit Kanonen machte diese zu einem mobilen Fort und setzte die Portugiesen instand, jeden maritimen Widerstand vor Asiens Küsten zu brechen. Die arbeitsteilige und fließbandmäßige Organisation des Arsenals in Venedig und das System der Galeere da Mercato begründete die militärische und kommerzielle Überlegenheit der Lagunenstadt. Die niederländischen und britischen Handelskompanien waren dem staatlichen Pfeffermonopol Portugals überlegen.