Karol Sauerland

Der Ruf nach dem starken Staat

Polen vor einer erneuten Wende?

 

 

Polen hat bewegte Zeiten hinter sich, einen Aufbruch, dessen Spuren weit zurückreichen und eine Wende, die, so unser Autor, in einem faulen Kompromiss versickerte. Nach dem Zickzack dieser Vorgeschichte voller Destruktionspolitik, Korruption, Parteienskandale bis zum politischen Out der Postkommunisten verwirrte und bestürzte der jüngste Wahlausgang die internationalen Beobachter. Doch bei allem gebotenen Misstrauen gegen die antiliberale rechte Minderheitenregierung – diese Wahl könnte auch zur Bildung neuer Volksparteien führen.

Verschiedene Strömungen im Kommunismus

Polen ist politisch ein unruhiges Land, obwohl seine Bevölkerung recht friedfertig zu sein scheint und auch mit dem schweren Leben, etwa derzeit mit der hohen Arbeitslosigkeit, die bei 20 Prozent liegt, besser zurechtkommt als manch anderes Land. Die ganze Nachkriegsgeschichte zeugt von dieser Unruhe. Kaum war es den neuen kommunistischen Machthabern Anfang der Fünfzigerjahre gelungen, die starke Opposition mit List und Gewalt, vor allem mit sowjetischer Rückendeckung, auszuschalten, da kam es zu solch starken Protesten, dass die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP), wie sich die Kommunisten nannten, einen Kurswechsel einleiten musste. Die Kolchosen mussten aufgelöst werden – es gab wieder kleinere und mittlere Bauernhöfe –, Kardinal Wyszyński wurde auf freien Fuß gesetzt, die Kirche bekam größeren Spielraum, und es wurde auch auf das strenge marxistische Vokabular verzichtet. Das Land schien stabiler zu werden. Man sprach von der Zeit der »kleinen Stabilität«. Doch an die Stelle der marxistischen Doktrin trat eine nationalistische. Innerhalb der PVAP bildete sich eine Fraktion heraus, die offen antisemitisch und gegen Andersdenkende innerhalb der Intelligenz auftrat. Das Ergebnis waren die so genannten Märzereignisse von 1968, die zur Auswanderung gleichsam der letzten Juden in Polen führte.

Die nächste Erschütterung erlebte das Land im Dezember 1970, als unter dem Oberbefehl von General Jaruzelski die Streiks in Danzig und Stettin mit Waffengewalt niedergeschlagen wurden, was zu zahlreichen Toten führte. In den nächsten Jahren sah es wieder so aus, als habe sich die Lage stabilisiert, aber in Wirklichkeit braute sich viel zusammen. Doch niemand hätte angenommen, dass es 1980 zur Gründung einer unabhängigen Organisation kommen werde, der Gewerkschaft Solidarność, einer echten Basisbewegung, wie es sie im 20. Jahrhundert nur selten gegeben hat. Sie konnte sechzehn Monate recht frei wirken und die Hoffnung wecken, dass das Land vom Volk regiert werden wird und nicht von einer Kaste, der PVAP, die zu zerbröckeln begann. Aber das Glück sollte eine Ausnahme bleiben. Am 13. Dezember 1981 schlug Jaruzelski zu. Das Kriegsrecht wurde eingeführt. So gut wie alle oppositionellen Persönlichkeiten wurden interniert. Damit wurden auch bereits aufbrechende Widersprüche innerhalb der Solidarność gegenstandslos. Schon damals hatten sich drei Hauptrichtungen herausgebildet: die liberale, der freien Marktwirtschaft zugewandt, die national-katholische und die linke, die man in Deutschland als sozialdemokratische klassifizieren würde.

Solidarność und die faulen Kompromisse der Wende

Dann kam die Wende, der so genannte Runde Tisch. Für viele ist es aber ein fauler Kompromiss gewesen, denn er hemmte die Herausbildung der Demokratie eher, als dass er sie förderte. Entscheidend war auch, dass die Bevölkerung den Sinn des Abkommens zwischen den Herrschenden und der Solidarność-Führung anders auslegte, als es die Solidarność-Vertreter taten. Die halbdemokratischen Wahlen am 4. Juni 1989 nutzte die Mehrheit der Wähler dazu, um ihren Willen nach einer grundlegenden Erneuerung kundzutun. In den freien Wahlen zum neu errichteten Senat bekamen die Solidarność-Kandidaten 99 Sitze, nur ein Sitz fiel einem Nicht-Solidarność-Mitglied zu, einem parteilosen reichen Geschäftsmann. Im Sejm sollte Solidarność nach den Vorabsprachen 40 Prozent der Sitze erlangen, aber in Wirklichkeit erhielt sie viel mehr. Die Solidarność-Führung war über dieses Ergebnis keineswegs erfreut, denn sie war auf die Übernahme der Macht nicht vorbereitet. Sie wollte diese mit der Kommunistischen Partei teilen. Im Juli 1989 wurde daher Jaruzelski zum Präsidenten gewählt, was ohne Unterstützung gewisser Solidarność-Vertreter nicht möglich gewesen wäre. Diese hatten sich bei der Sejmabstimmung ihrer Stimme enthalten, wodurch das Quorum vermindert wurde und Jaruzelski die eine Stimme mehr erhalten konnte, die er für die Wahl brauchte. Seine Befugnisse als Präsident waren größer als die des französischen Präsidenten. Nach einem wochenlangen Hin und Her wurde Ende August 1989 Tadeusz Mazowiecki zum Ministerpräsidenten gewählt. Das Innen- und Verteidigungsministerium verblieben in den Händen der Partei. Das gab ihr unter anderem die Möglichkeit, tonnenweise Akten zu vernichten. Wałęsa, der Chef von Solidarność, blieb ohne Amt. Mazowiecki versuchte zusammen mit anderen Intellektuellen, ihn zur Privatperson zu erklären. Das konnte natürlich nicht gut gehen. Aus dem Berater war ein Chef geworden, der sich mit dem ehemaligen Chef nicht mehr beraten wollte. Den faulen Kompromiss – Jaruzelski als Präsident, die wichtigen Ressorts in den Händen der Parteigenossen sowie die Erklärung Mazowieckis, es müsse ein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen werden – nahm Wałęsa zum Anlass, um die Situation zu bereinigen, das heißt die Macht sollte nun endgültig in die Hände der Kräfte von Solidarność übergehen. Mazowiecki zeigte sich dickköpfig, er trat zur Wahl gegen Wałęsa an. Der lachende Dritte wäre fast Tymiński geworden, ein Fünf-Millionen-Kapitalist aus Kanada. Er trat als Außenseiter auf, der alle, sowohl die Vertreter der Partei wie auch von Solidarność, als egoistische, ja schmutzige Politiker verunglimpfte. Ein schwarzer Koffer war das Wahrzeichen seines angeblichen Wissens um die Korruptheit seiner Gegenspieler. Der Kampf Mazowiecki gegen Wałęsa wurde als Kampf zwischen Warschau, dem Moloch, und Danzig, der Geburtsstätte von Solidarność, zwischen Warschau und der Provinz wahrgenommen. Wałęsa siegte, Mazowiecki trat ab. Wałęsa hatte sich von der Intelligenz allein gelassen gefühlt, was zum Teil auch stimmte. Seine Reaktion war die Diffamierung vieler ihrer Vertreter, was ihm am Ende mehr Schaden als Nutzen einbrachte.

Da Solidarność 1989 nicht bereit war, sich als Vertretung des Volkes zu verstehen, da das angeblich einer Parteiendemokratie im Wege gestanden habe, manche meinten sogar, wenn Solidarność die Macht übernehme, drohe ein leninscher Weg in die Diktatur, kam es zur Bildung vieler kleiner Parteien ohne materielle Basis. Solidarność verfügte über Lokale, Telefonanschlüsse, Faxgeräte et cetera. Die neuen Parteien mussten bei Null beginnen. Die Folge war, dass die alten Parteien, die kommunistische und die Bauernpartei, immer stärker wurden, sich von ihrem alten negativen Nimbus schnell erholten. Man hatte ihnen zwar einiges weggenommen, aber sie hatten vorgesorgt und einen großen Teil ihres gestohlenen Vermögens an die rechten Männer und in die rechten Banken gebracht. Diesen Aspekt will heute niemand sehen. Die sehr frühe Einführung der Fünf-Prozent-Klausel nach deutschem Muster war ein großer Fehler. Die Bundesrepublik hat ihr politisches Dasein ja auch nicht mit dieser Begrenzung begonnen. Man erinnere sich, wie viel Parteien es in den ersten Jahren nach Kriegsende gab.

Zickzack, Korruption und Krise

Die Neunzigerjahre waren durch ein ständiges Ringen zwischen der SLD, in die sich die PZPR (auf deutsch PVAP) umbenannte, und den so genannten Post-Solidarność-Kräften gekennzeichnet. Die alt-neue postkommunistische Partei fand lange Zeit indirekte und auch direkte Unterstützung durch den einstigen Dissidenten Adam Michnik, der als Chef der auflagenstärksten Tageszeitung, der Gazeta Wyborcza, über einen großen Einfluss auf die öffentliche Meinung verfügte. Er war ein Gegner der Abrechnung mit der Nomenklatura und ihren Anhängern und hätte am liebsten die Akten vernichten lassen. Er meinte, die Errichtung einer polnischen Gauck-Behörde würde zur Stärkung der nationalistischen Strömungen führen. Die Schaffung einer solchen Institution konnte er am Ende nicht verhindern, aber für lange Zeit hinausschieben. Die Folge dieses übertrieben kompromissvollen Wegs war, dass sich die Rechte an den Rand gedrückt fühlte und sich daher radikalisierte. In den Wahlen von 1997 gelang es ihr, zusammen mit der liberalen »Unia Wolności« (Freiheitsunion mit Balcerowicz, Geremek und Mazowiecki an der Spitze) die Regierungsverantwortung zu übernehmen, aber als die Unia die Koalition verließ, zerbrach auch das mit Mühe zusammengezimmerte Bündnis verschiedenster Rechtsparteien. Bei den Wahlen im Jahre 2001 bekamen beide Gruppierungen keinen Sitz mehr im Sejm. Die Postkommunisten gingen nur knapp an der absoluten Mehrheit vorbei. Man hatte den Eindruck, sie würden für lange Zeit regieren können. Aber sie wurden von der Hybris erfasst. Sie wollten in recht primitiver Form Michniks Zeitung Gazeta Wyborcza und das dahinterstehende Medienimperium durch ein neues Gesetz zerstören. Um Michnik unschädlich zu machen, wurde ein Mann mit einer Bestechungssumme vorgeschickt. Michnik wandte alte, an den realen Sozialismus erinnernde Methoden an, um sich gegen das Ansinnen zu wehren: Er ließ das Gespräch mit dem Abgesandten Lew Rywin heimlich auf ein Tonband aufnehmen, um es nach einer gewissen Zeit an die Öffentlichkeit zu bringen. Eine Sejmkommission wurde einberufen, deren Sitzungen von Fernsehen und Rundfunk in Gänze übertragen wurden – es war eine Kriminalserie sondergleichen. Am Ende wurde klar, dass die führenden Postkommunisten in der Mehrzahl eine durch und durch korrupte Bande bilden, die sich Staatseigentum unter den Nagel gerissen hatte. Der Parteivorsitzende Miller legte schließlich, nach Schröders Vorbild, erst den Vorsitz ab, um dann auch den Ministerpräsidentenposten zu verlieren. Die postkommunistische Partei spaltete sich.

Dank der Zerrüttung dieser Partei und des darauf folgenden Abgangs der Postkommunisten konnten sich schließlich zwei solide Post-Solidarność-Parteien herausbilden und festigen: die Partei der Zwillingsbrüder Lech und Jarosław Kaczyński, PiS (Recht und Gerechtigkeit), und die PO (Bürgerplattform) mit Tusk an der Spitze. Die Wende von 1989 wurde endlich im Herbst 2005 herbeigeführt. Die Postkommunisten haben ausgespielt. So scheint es jedenfalls im Augenblick auszusehen, denn man weiß ja nicht, ob sie nicht wieder zurückkehren werden. Mental hängen ihr noch viele Bürger Polens an. Es besteht aber jetzt die Chance, dass in Zukunft zwei Volksparteien sich miteinander im Wettstreit befinden werden.

Antiliberale rechte Sammlung

Diese beiden Parteien hatten vor den Wahlen versprochen, eine Koalition zu bilden. So gut wie alle Wähler, die ihre Stimme einer der beiden Parteien abgaben, waren überzeugt, dass es im Grunde genommen gleichgültig ist, welcher sie ihre Gunst zeigen. Doch dann kam es zu den Präsidentschaftswahlen, die der derzeitige Präsident Kwaśniewski als glänzender Taktiker unmittelbar nach den Parlamentswahlen angesetzt hatte. Er hatte gehofft, dass damit der Kandidat der Postkommunisten Cimoszewicz eine Chance bekäme. Dieser gab aber kurz vor den Wahlen auf. Er war in eine dunkle Finanzaffäre verstrickt. Mehrere Male hatte er »vergessen«, als Außenminister seinen Besitz klar auf den Tisch zu legen. Sein großes Vermögen hatte er seiner Tochter überschrieben, die als amerikanische Staatsbürgerin unerreichbar war. Die Folge der Aufgabe seiner Kandidatur zum Präsidenten war, dass sich vier Wochen lang die beiden Führer der Post-Solidarność-Parteien, Lech Kaczyński und Donald Tusk, bekämpfen mussten. Die Kaczyńskis demonstrierten während des Wahlkampfs, dass sie sich auch auf andere Kräfte stützen könnten. So wurde ein sehr konservativer PiS-Abgeordneter mit Hilfe der Stimmen zweier kleiner populistischer Parteien, der Samoobrona (Selbstverteidigung) mit Lepper an der Spitze, und der erzkatholisch-nationalen LPR (Liga der Polnischen Familien), gegen den Willen der PO gewählt. Als dann auch noch Lech Kaczyński die Präsidentenwahl gewann, interpretierte PiS dies als einen absoluten Sieg. Die Kaczyński-Partei entschloss sich zu einer Minderheitsregierung. Dadurch zeichnet sich nun eine andere Koalition ab. Eine absolut rechte, für die die Aufrechterhaltung eines strengen Abtreibungsverbots, die Verurteilung der Homosexualität und der Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare die Priorität bilden. Als Vertreter der Familienpartei (LPR) in den Hallen des Europaparlaments ihre Ausstellung über das Leben und Kinder in Europa zeigten, die von sozialistischen Abgeordneten, unter anderem aus Portugal, verurteilt wurden, solidarisierte sich ein PiS-Europaabgeordneter mit ihnen. Es ging vor allem um ein Bild, auf dem Kinder hinter Stacheldraht im KZ Auschwitz und in einem Lager in Kosovo zu sehen waren. Als Bildunterschrift diente ein Spruch von Mutter Teresa aus Kalkutta, dass die Abtreibung die größte Gefahr für den Frieden in der heutigen Welt darstelle. Wenn man einer Mutter erlaube, ihr Kind abzutreiben, wie könne man da der gegenseitigen Tötung Einhalt gebieten? Gleichzeitig will der Ministerpräsident Marcinkiewicz (PiS) eine Bevollmächtigte für den Schutz des Lebens berufen, die auch dafür sorgen soll, dass Brüssel in dieser Frage aktiv werde. Der Staat werde weiterhin unter seiner Führung nichts in Sachen Verhütungsmittel unternehmen. Dafür sei ein Staat nicht zuständig. Das Amt der Beauftragten für Gleichstellung von Frauen und Männern, das nicht in diese konservative Familienauffassung passt, wurde von ihm kurzerhand abgeschafft.

Die Politiker von PiS glauben vermutlich, die weiter rechts stehende Familienpartei aufsaugen zu können. Schließlich sind die Unterschiede so groß nicht. So mancher wird Lust verspüren, bei der Neubesetzung der vielen Stellen in den Ministerien und Woiwodschaften dabei zu sein. PiS will die Postkommunisten so weit wie möglich entlassen, obwohl das eine kostspielige Sache ist, denn den meisten muss eine hohe Abfindung gezahlt werden. Die Zeitungen rechnen den Lesern bereits vor, wie hoch die Summe sein wird. PiS hat natürlich versprochen, die Ausgaben aus öffentlichen Mitteln maximal zu reduzieren. Um zu zeigen, dass man keine Berührungsangst den extremen Rechten gegenüber hat, gab der Ministerpräsident in Radio Maryja seine Absicht kund, eine Bevollmächtigte für den Schutz des Lebens zu ernennen. Das kritisierte der Danziger Erzbischof Gocławski. Es gäbe doch noch andere Sender, meinte er. Hier zeigt sich, dass es nicht so einfach ist, die Gunst der Kirche zu erwerben.

PiS glaubt auch, die populistische Partei Samoobrona, die Partei Leppers, aufsaugen zu können. Mit ihr hat PiS das soziale Engagement oder, besser, staatssozialistische Vorstellungen gemein. Den Armen soll geholfen werden, Sozialleistungen sollen nicht abgebaut werden – man dachte sogar an die Wiedereinführung der medizinischen Fürsorge, wie sie in Volkspolen üblich war, aber das scheint doch zu kostspielig zu sein –, mehrere staatliche Unternehmen sollen erhalten bleiben, um Arbeitsplätze zu sichern et cetera. Auch hier kann PiS hoffen, dass wichtige Mitglieder der Lepperpartei überlaufen werden, um jetzt frei werdende Posten zu ergattern.

Und da die Kaczyńskis einen starken Staat schaffen wollen, werden sie, sollte dies gelingen, über zahlreiche Möglichkeiten verfügen, Privilegien zu vergeben. Viele Soziologen meinen allerdings, dass es relativ schnell zu Protestaktionen kommen wird, denn die Mehrzahl der PiS-Wähler stammt aus sozial schwachen Schichten, die an Reformen nicht interessiert sind, sondern eine schnelle Hilfe von Seiten des Staates erwarten. Doch diese wird nicht kommen, denn woher sollen die Kaczyńskis das Geld nehmen? Der Ruf nach Abrechnung mit den korrupten Beamten und dem Leitungspersonal in staatlichen sowie quasistaatlichen Betrieben wird bald abebben, denn der Normalbürger wird dadurch nicht reicher. Außerdem darf man nicht unterschätzen, dass die Korruption eine allgemeine ist. Es wird der Augenblick kommen, in dem auch der Mann von der Straße erfasst wird, der sich das aber nicht gewünscht hat.

PO als integrativer Faktor

Der Ruf nach einem starken Staat ist natürlich mit Abgrenzung gegenüber den Nachbarn verbunden, also in erster Linie Russland und Deutschland. Die Ostseepipeline, die Schröder mit Putin mitten im polnischen Wahlkampf perfekt machte, hat viele Polen regelrecht aufgeschreckt, sodass er den Ruf nach einem souveränen starken Polen für mehr als gerechtfertigt hielt, zumal Schröder dann auch noch erklärte, Deutschland lasse sich in seine Energiepolitik nicht reinreden, so, als gäbe es Europa nicht. Hinzu kommt, dass die ursprüngliche Pipeline, die über Weißrussland und Polen nach Deutschland führen sollte, viel billiger gewesen wäre als die jetzige durch das baltische Meer. Putin betreibt seit gewisser Zeit, spätestens seit der orangen Revolution, die in Moskau als ein Werk der bösen Polen angesehen wird, eine sehr konsequente antipolnische Politik, was man in Deutschland kaum bemerkt. Das Aufgeben einer bewusst europäischen Ausrichtung, wie sie in der früheren deutschen Politik üblich war, hat eine fatale Auswirkung auf die Wahrnehmung der EU in Polen (und nicht nur dort). In entscheidenden Fragen, wie in der Energiepolitik, gibt es keine Absprachen, jeder handelt im eigenen nationalen Interesse. Es gibt leider keine soziologische Erhebung, welchen Einfluss die Schröder’sche Politik auf die polnischen Wahlergebnisse hatte. Wahrscheinlich einen beträchtlichen. Die polnische Sympathie für die EU, die groß war, hat auf diese Weise abgenommen – ebenso wie die Zahl der PiS-Wähler zugenommen hat. Auch die Tusk-Partei verurteilte das Schröder-Putin-Abkommen, aber sie ist insgesamt liberal gesinnt, das heißt nicht an einem starken Staat interessiert, vielmehr an einer Dezentralisierung. Sie findet, dass man das Energieproblem durch Verhandlungen und Berufung auf europäisches Recht zu regeln versuchen sollte. Die Ostseepipeline sei auch ökologisch nicht zu vertreten.

Die PO, also die Tusk-Partei, kann man als eine liberal-katholische Partei bezeichnen. Das liberale Element überwiegt. Der derzeitige Vorsitzende Donald Tusk stammt übrigens aus der liberalen Partei, die nach der Wende in Danzig entstanden war. Er tritt als ein gemäßigter, konstruktiv denkender Politiker auf. Ihm steht Jan Rokita zur Seite, der sich die Sporen im Unabhängigen Studentenverband 1980/81 und dann in der Solidarność verdient hat. Er ist ein scharfsinniger Mann mit juristischer Ausbildung, der im Untersuchungsausschuss zur Rywinaffäre großen Bekanntheitsgrad erlangte. Die Wähler der PO stammen überwiegend aus Großstädten und gehören zumeist der gebildeten Schicht an, die aber nicht groß genug ist, um bei Wahlen gewichtig zu werden. Vor allem junge Leute mit Abitur haben für PO gestimmt. Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass die PO eine Partei mit Zukunft ist. Nach Wahlvoraussagen hätte sie den Sieg davontragen müssen, weswegen sie glaubte, dass die vermittelnde Art von Tusk der richtige Weg sei. Es stellt sich heraus, dass die aggressiv auftretenden Kaczyńskis den besseren Spürsinn hatten.

PO hat wohl gut daran getan, keine Koalition mit PiS einzugehen, denn nur so kann sie sich als junge Partei profilieren. Das optimistische Szenarium wäre, wie gesagt, dass die nächsten Jahre von einem Zweiparteiensystem bestimmt werden. Die Postkommunisten, die Lepperpartei und die Familienpartei würden am Rande wirken. PiS wird wahrscheinlich einen autoritären Machtapparat aufbauen wollen, aber die Einbindung in das europäische demokratische System ist zu groß, als dass man darin eine wirkliche Gefahr sehen müsste. Für den liberal gesinnten Teil der Gesellschaft müsste die jetzige Situation eine Herausforderung darstellen, mehr denn je gegen Antiliberalität einzutreten und um Meinungsfreiheit und Pluralität zu ringen.