Balduin Winter

Editorial

 

 

Imperiale Macht und liberaler Auftrag waren seit dem Zweiten Weltkrieg im Wesentlichen die Koordinaten eines politischen Realismus in den internationalen Beziehungen der Vereinigten Staaten. Realismus bedeutet auch, sehr unterschiedliche Zweckbündnisse zum Erreichen seiner Ziele einzugehen. Ideale wie Freiheit und Menschenrechte hat jeder Präsident an seine Fahnen geheftet, doch so weit wie die Bush-Administration habe sich, so seine Kritiker, keine Regierung vom bewährten Realismus abgewandt. Nach den Terroranschlägen von 9/11 ist eine Politik eingeschlagen worden, die zahlreiche, lange Zeit erprobte taktische und strategische Werkzeuge machtsichernder Kompromisse missachtet und das Ansehen der USA in der Welt getrübt habe. Machtpolitik in Mission gehüllt weckt aber immer das Misstrauen der Schwächeren. Auch in der US-Politikwissenschaft gilt, dass es in der Außenpolitik keinen »gütigen Hegemon« und kein Tugendmonopol gibt. In erster Linie beruht Politik auf Interessen. Die Stimmen mehren sich, die die Rückkehr zum Realismus verlangen, in der Publizistik wie in der politischen Klasse, und sie reichen weit hinein in die konservativen Kreise. Nicht mehr viele, wenngleich einflussreiche Kräfte und Personen beharren noch auf dem imperialen missionarischen Programm.

Wenn Robert Kagan seinen Präsidenten verteidigt, klingt schon der Titel des Essays seltsam defensiv: »Ende der Träume, Rückkehr der Geschichte«. Demokratie scheint ihm nur wesentlich als Mittel für den »Kreuzzug« zur Weltbekehrung – und dieser ein Akt militärischer Machtpolitik. Im Gegensatz zu den »postmodernen Europäern und Japanern« mit ihren Illusionen verstehen auch die Chinesen etwas davon. Seiner Meinung nach geht die Geschichte weiter mit dem »unipolar moment«. Er treibt auf eine Union der Demokraten zu unter der patriarchalen Führung der USA, die gegen das Lager der Autokraten (»wir gegen sie«, wie schon im »war on terror«) zu kämpfen hat.

Gerade diese Unipolarität aber ist in der jüngsten Debatte umstritten. In einer immer dichter vernetzten, zugleich unübersichtlicher werdenden Welt kann sich die USA ihren Exzeptionalismus nicht mehr wie bisher leisten. Jedenfalls stößt er auf wachsende Ablehnung namhafter Strategen. Diese argumentieren für eine multipolare Welt aufgrund sich mehrender globaler Probleme wie Klimaerwärmung, Pandemien, weltweiter Drogenhandel et cetera. Leichter erträglich wäre es, die Verantwortung auf mehrere Schultern, sprich: Länder zu verteilen. Denn selbst für einen mächtigen Hegemon ist es äußerst aufwändig, den Weltgendarm zu machen. Und sogar humanitäre Interventionen sind eine undankbare Sache, man macht sich, siehe Afghanistan, wenig Freunde bei den Intervenierten (siehe dazu Michael Daxner u. a. im »Schwerpunkt«). Erst recht nicht im Irak. Zumal dieser Krieg die radikalen Kräfte im Nahen und Mittleren Osten eher gestärkt als geschwächt hat. Bildet sich ein »Block von Feinden« heraus, stellt sich auch die Frage, was Fehler der US-Politik dazu beigetragen haben. »Zum Glück für Amerika«, so Zbigniew Brzezinski, »ist Eurasien zu groß, um eine politische Einheit zu bilden.«

Von einem »Block« ist in letzter Zeit immer öfter die Rede. Wobei sich, dem Megatrend der Globalisierung folgend, die Gewichtungen verschoben haben. Auch Klaus- Dieter Frankenberger hat diesen Begriff (»Block autoritärer Staaten«) übernommen und in der FAZ mehrmals verwendet. Gemeint sind die VR China, Russland, vier der fünf zentralasiatischen Staaten, die lose Gruppe der so genannten Shanghai-Organisation also. In den USA werden da und dort auch noch Iran, Burma, Syrien und andere genannt. Mit dieser Bezeichnung wird man allerdings der Wirklichkeit Asiens in keiner Weise gerecht. Man verwandelt einen nicht gerade kleinen Teil der Welt in ein Zerrbild.

In solchen Bildern kommt tiefe Verunsicherung und Angst über die jüngsten globalen Verschiebungen zum Ausdruck. Vergessen wird dann die demokratische Welle der letzten fünfzig Jahre, vergessen, dass es auch Japan, Indien und andere Länder gibt. All das entspringt einem bipolaren Freund- Feind-Denken. Zukünftige Multipolarität

erscheint darin nur negativ, als »relativer Bedeutungsschwund des Westens« vorstellbar, die ihm ein mächtiger Feind»block« aufoktroyiert, als »Eindämmungsmaßnahme gegen Amerika«. Doch könnte einem in der Stunde vermeintlicher Not der optimistische Multilateralismus US-amerikanischer Politologen wieder auf die Sprünge helfen. Mit dem neuen alten Realismus will man nun wieder mehr die Verbündeten pflegen, sich um Im-Stich-Gelassene kümmern, damit sie nicht überlaufen, und neue Verbündete suchen. Man kann hoffen, dass die Einwürfe aus Harvard und Berkeley Eingang in die Politik der demokratischen Kandidaten finden.

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 6/2007