Die globale Finanzkrise, Barack Obama und das Dilemma der Mittelklassen
Die Präsidentschaftswahlen in den USA und die Weltwirtschaft
Die
Startvoraussetzungen für Barack Obama sind schlecht. Die US-Immobilienkrise hat
eine globale Finanzkrise angestoßen, deren Aufblähung allseits völlig
unterschätzt worden ist. Dabei mangelt es nicht an historischer
Krisenforschung. Doch wird darin die Lernfähigkeit der Akteure als bescheiden
dargestellt, eine Schlussfolgerung, die sich, so unser Autor, in den bisherigen
Maßnahmen zu bestätigen scheint. Bleibt die Hoffnung, dass die neue
Präsidentschaft in den USA neue Kräfte und Ideen mobilisiert. Zuallerst auf dem wirtschaftspolitischen Feld.
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Kein
amerikanischer Präsident seit F. D. Roosevelt fand bei seinem Amtsantritt eine
so schwere wirtschaftliche Krise vor wie Barack Obama. Der Finanzsektor ist in
Aufruhr, der Immobilienmarkt liegt am Boden, Millionen Haushalte sind
überschuldet, eine Rezession beginnt. Schon vor seinem Amtsantritt entwarf der
zukünftige Präsident einen »Plan um das Vertrauen der Märkte wiederzugewinnen,
die Immobilienkrise zu meistern und zu helfen, die Familien vor dem
Wirtschaftsrückgang zu schützen«.(1) Der Plan sieht vor, neue Standards für
Transparenz und Aufsicht über das Finanzsystem zu schaffen, um zukünftigen
Missbrauch und Krisen abzuwenden; sofortige Hilfe für von der Immobilienkrise
betroffene Hausbesitzer zu gewähren; ein zweites Konjunkturpaket zur
Stabilisierung und Stärkung der Wirtschaft aufzulegen; Hilfen für von der Immobilienkrise
besonders betroffene Bundesstaaten(2) zu leisten und die Arbeitslosenversicherung
auszuweiten und zu verlängern.
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Der
Ausgangspunkt der gegenwärtigen Krise liegt im amerikanischen Markt für Wohnimmobilien.
Es gibt Schätzungen, nach denen heute jeder sechste Eigenheimbesitzer Probleme
mit seinen Hypothekenkrediten hat. Bislang sind etwa 500 Milliarden Dollar an
Immobilienkrediten abgeschrieben worden. Hält der rapide Verfall der
Grundstückspreise an, rechnet man mit weiteren ein bis eineinhalb Billionen
Dollar an Wertverlusten. Das große soziale Problem sind die überschuldeten
Familien, die jetzt ihre Wohnungen verlieren. Während bei steigenden
Immobilienpreisen Eigenheimbesitzer Wertsteigerungen realisieren können
beziehungsweise Banken bei Zahlungsschwierigkeiten den Ausfall kompensieren,
übersteigen bei langfristig fallenden Preisen die zu zahlenden Hypothekenschulden
den Wert der Immobilie, und die Bank macht bei Zahlungsausfall Verluste.
Verschärft wird die Situation durch Eigenheiten des amerikanischen Hypothekensystems,
wonach vielfach variable Zinssätze vereinbart sind, die jetzt, wo niemand das
brauchen kann, in die Höhe gehen. Zudem wird bereits nach einem Rückstand von
zwei Monaten bei der Zins- und Tilgungszahlung ein so genanntes »foreclosure«-Verfahren eingeleitet, in dessen Gefolge die
Kreditfähigkeit des Schuldners ruiniert wird und der verbliebene Wert des
Hauses noch weiter sinkt. Die Verachtung für die vermeintlich unseriösen
Schuldner, die hierzulande immer mitschwingt, wenn die »subprime«-Darlehen für
die globale Finanzmarktkrise verantwortlich gemacht werden, ist völlig
unangebracht. In einer Periode steigender Grundstückspreise und niedriger
Zinsen kann die Mittelklasse ihre Wohnbedürfnisse besser befriedigen und
zugleich noch eigenes Vermögen bilden, aber wenn eine »Blase« entsteht und
platzt, leiden alle darunter. Ein konkreter Rettungsplan für die 30 bis 40.000
Familien, die auf diese Weise jeden Monat ihr Heim verlieren, steht noch aus.
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Die globale
Finanzkrise machte schlagartig der Öffentlichkeit die immensen Risiken der
modernen Finanzwirtschaft klar und führt allerorten zur Erschütterung von
vermeintlichen Glaubensgewissheiten. Die Eigenarten einer globalen Finanzkrise
führen dazu, dass über die Tiefe und die möglichen Folgen der Krise sowie über
die notwendige Abhilfe Unklarheit herrscht, die meisten Protagonisten scheinen
im Zustand des Nicht-Wissens zu handeln. Da erstaunt es, wie sehr Barack Obama
durch sein Auftreten selbst schon zur Beruhigung beiträgt.
Risiko –
erklärt Ulrich Beck im Interview(3) – ist die Vorwegnahme der Katastrophe in
der Gegenwart, um das Schlimmste, das ja auf gar keinen Fall eintreten darf, zu
verhindern. Aber selbst der Risikotheoretiker bekennt, »dass vieles von dem,
was jetzt im Realkabarett der Weltwirtschaft und Weltpolitik vor sich geht,
weit über das hinausgeht, was mir im Studierzimmer eingefallen ist«. Er muss
über »die strukturelle Ironie der Verhältnisse« hilflos lachen und fragt sich:
»Wie erklärt sich das Umsturzpotenzial der Verhältnisse, zumal doch die meisten
wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Ansätze von einer weitgehend
krisenfreien Stabilität und Expansion der westlichen Moderne und ihres
Wirtschaftssystems ausgehen?« Der Interviewer stellt jedoch die listige Frage:
Ob er selbst sich denn auch verspekuliert habe oder ob ihm seine Risikotheorie
zu einer sicheren Geldanlage verholfen habe? Ulrich Beck bekennt, Glück gehabt
zu haben, indem er in Finanzdingen nicht gemäß einer Theorie der krisenfreien
Stabilität der Moderne, sondern »beamtenförmig« gehandelt hat, also
Staatspapiere statt Immobilienfonds gekauft hat. Frage und Antwort verweisen
auf das Dilemma der Mittelklassen in der globalen Finanzkrise: Die Mittelklasse
hat in der globalen Finanzkrise nicht nur Schulden akkumuliert, sondern
natürlich auch Vermögen angelegt, sie ist deshalb nicht nur Opfer, sondern auch
(Mit-)Täter.
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Nicht erst
über die bösen Folgen auch schon über sein noch vermeintlich unschuldiges
Handeln zuvor legt sich der individuelle Anleger keine Rechenschaft ab.
Christoph Deutschmann hat die Verwicklung der Mittelklasse in die Finanzkrise
jüngst deutlich beschrieben:(4) Es sei eine einfache Wahrheit, dass Wertpapiere
immer nur so viel wert sind, wie sich Schuldner finden, die das angebotene Kapital
leihen und mit Zinsen zurückzahlen. Der Kreditnehmer eines Bank- oder
Hypothekenkredits muss dies durch seine eigene Arbeit oder durch die Verwertung
in seinem Unternehmen und damit auch über die Arbeit seiner abhängig
Beschäftigten tun. Die Finanzwirtschaft ist nichts ohne die »Realwirtschaft«
und die kapitalistische »Realwirtschaft« funktioniert nicht ohne Finanzwirtschaft.
Zukunftsorientiertes Wirtschaftswachstum heißt nichts anderes, als dass die
einen mehr ausgeben, als sie einnehmen – sich also verschulden – und die
anderen mehr arbeiten als zuvor. »Ein idealer kapitalistischer Vermögensmarkt
stellt eine sozialstrukturelle Pyramide dar, mit wenigen Vermögensbesitzern an
der Spitze und einer großen, möglichst jugendlichen, armen, aber zugleich aufstiegswilligen
Bevölkerung an der Basis. Das Interesse an sozialem Aufstieg und Geldreichtum
motiviert außerordentliche Arbeitsleistungen der Vermögenslosen, und diese
Leistungen stellen wiederum die Verwertung des Kapitals der Vermögenden
sicher.« Dem idealen kapitalistischen Vermögensmarkt kommen die USA recht nahe.
Wächst aber der Vermögensmarkt insgesamt stark und steigt ein großer Teil aus
der Mittelklasse wirtschaftlich nach oben und versucht, über Vermögensanlagen
mehr zu »verdienen«, als die Gesellschaft durch Arbeit erzeugt, kann eine
»Finanzblase« mit anschließendem Crash beschleunigt werden.
Eine der
Folgen der Globalisierung der Finanzmärkte ist, dass die beschriebenen Effekte
zum Teil exportiert werden können. Die deutsche Pensionärin, die ihre gesparten
10.000 Euro gut anlegen will, und überhaupt jeder, dem ein Bankberater
einredete, höher verzinsliche Anlagen zu tätigen, fand hierzulande niemanden,
der bereit war, für ihr Geld so viel Zinsen zu zahlen, wie sie erwarteten, und
sie griffen deshalb freudig und ohne sich über die Folgen im Klaren zu sein, zu
den gut verpackten Hypothekenschulden der amerikanischen Mittelklasse.
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Es ist ein
dieser Tage gern erzähltes Märchen, dass die Banken genauso wenig gewusst
hätten wie die Anleger. Auf einem Symposium für Insider im April 2008 amüsierte
sich der Präsident der Deutschen Bundesbank, Axel Weber, eingangs über die Unwissenheit
der »Außenstehenden«, die nicht einmal die wichtigsten Abkürzungen kennten.(5)
Dabei sei alles doch so einfach: »Eine, häufig außerbilanzielle, Zweckgesellschaft
emittiert zu Finanzierungszwecken kurzlaufende Wertpapiere (asset
backed commercial papers) und investiert die so gewonnenen Mittel in
langfristige Anlagen wie Hypothekendarlehen beziehungsweise Papieren, die
ihrerseits durch das Verbriefen von Immobilienkrediten entstanden sind (mortgage backed securities).« Auf diese Weise verbinden sich die deutsche
Pensionärin und der amerikanische Hypothekenschuldner und wissen nichts
voneinander. Die Banken aber haben diesen Weg gewählt, weil sie ihr Risiko
minimieren wollten. Der einzelne Hypothekenkredit wurde vom so genannten Originator (z. B. einer US-Hypothekenbank) ausgereicht,
dann mit anderen Hypothekenkrediten zusammengefasst, anschließend in eine
Zweckgesellschaft transferiert und schließlich in Form forderungsbesicherter
Wertpapiere an andere Finanzmarktteilnehmer weiterverkauft (so genannte collaterised debt obligations, CDOs, strukturierte Wertpapiere). Der
Bundesbankpräsident stellte klar: »Den heutigen Möglichkeiten, Kreditrisiken zu
transferieren, stehe ich weiterhin grundsätzlich positiv gegenüber, da sie es erlauben,
auch Kreditrisiken aktiv zu steuern ... es ist Teil eines fortschrittlichen
Risikomanagements.« Zu den maßgeblichen Ursachen der Blase zählte er die »Suche
vieler Investoren nach einer (Über-)Rendite«; die Fehleinschätzung läge in der
Annahme der Anleger, den Renditeaufschlag der strukturierten,
hypothekenbesicherten Wertpapiere gegenüber Staatsanleihen ohne Risikoaufschlag
zu bekommen.
Die
Risikokalkulation beispielsweise der Deutschen Bank kann man in ihrem Geschäftsbericht
schon seit 2006 nachlesen: »Ein unvorhergesehenes Nachlassen der Anlegernachfrage
nach Asset-backed Securities könnte uns dazu bewegen,
künftig weniger zur Verbriefung verwendbare Kredite zu vergeben. Wir sind
jedoch nicht von der Verbriefung von Forderungen als Finanzierungsquelle
abhängig. Folglich würde eine solche Marktveränderung zu keinem signifikanten
zusätzlichen, nicht bereits in unseren Risikoanalysen berücksichtigten Liquiditätsrisiko
führen. Sofern wir von einer Zweckgesellschaft begebene erstrangige oder
nachgeordnete Schuldtitel im Bestand haben, entsteht ein Kreditrisiko, das wir
in unsere Kreditrisikobeurteilungen oder Marktbewertungen einbeziehen.« Aber
selbst wenn die gutmütigen kleinen Anleger auf der Suche nach höheren Zinsen
dies gelesen hätten, hätten sie dies vermutlich für Bankerkauderwelsch gehalten
und nicht als Warnung über die Risiken ihrer Anlage. Denn sie verfügen nicht
wie die Investmentbanker über durch Differenzialgleichungen abgesicherte
finanzmathematische Modellrechnungen über Kursverläufe, Volatilität, Risiko und
Preise von Finanzoptionen. Doch trotz allem Risikomanagement kam es in der
Tiefe der Finanzkrise zu einer »rasch steigenden Risikoaversion von Investoren
gegenüber Anlagen im Hypothekenbereich«, und so zeigte sich selbst der
Bundesbankpräsident darüber überrascht, dass in der Krise viele Kreditrisiken
wieder bei den Banken landeten, obwohl sie doch meinten, das Risiko mittels
Streuung und Verbriefung an die Anleger weitergereicht zu haben.
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In einer seit
30 Jahren immer wieder aktualisierten Arbeit über Manias,
Panics, and Crashes listen die
Wirtschaftshistoriker Charles P. Kindleberger und
Robert Aliber im Zeitraum zwischen 1618 und 1998 nicht
weniger als 38 umfassende, aus Finanzblasen entstandene Wirtschaftskrisen auf.
Diese hätten eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen, die zeigten, dass
Finanzmärkte von einer inhärenten Instabilität geprägt sind. Diese würde durch
die Hebelwirkung von Krediten zusätzlich befördert. Die nach der »Blase«
fällige Vernichtung von Finanzvermögen träfe letztlich immer die Mittelklasse.
Das drückte Adam Posen vom Peterson Institute for
International Economics in Washington, DC, und aus dem Beraterkreis um Barack Obama
in einem Vortrag zur Präsidentschaftswahl am 3. November 2008
noch plastischer aus: »If you start rich, you end up rich, if you start poor,
you end up poor!«
Ein weiteres
historisch immer wieder auftretendes Merkmal von Finanzkrisen ist nach Kindleberger übrigens die Lernunfähigkeit der Akteure.
Darum sei noch ein drastischer Lehrsatz über Finanzkrisen von Adam Posen
zitiert: »Life is unfair!«
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Der
Wertberichtigungsbedarf der globalen Finanzwirtschaft wurde im Oktober 2008 vom
IWF mit 965 Milliarden Dollar beziffert. Diese Verluste müssen alle
Marktbeteiligten abschreiben. Nach der Insolvenz oder dem Verkauf der großen
Investmentbanken und einer Reihe von Institutionen trat in den USA und in
vielen anderen Ländern für die übrigen großen Finanzinstitutionen eine
Staatshaftung ein. Das amerikanische Finanzministerium unter dem früheren Chef
der Investmentbank Goldman Sachs, Henry Paulson, verteilte 125 Milliarden
Dollar und versprach noch einmal dieselbe Summe in Reserve. Eine
Ministeriumssprecherin sagte: »Wir haben die Bedingungen, zu denen die Banken
Geld aus dem Rettungspaket erhalten, bewusst attraktiv gestaltet. Damit wollten
wir eine breite Teilnahme sicherstellen.« In der Folge zahlen allein die 33
Banken, die in der ersten Runde Hilfen erhalten haben, 7 Milliarden Dollar an
Dividenden an ihre Aktionäre aus. Das Wall Street Journal berichtet,
dass sich die Führungsebenen von Goldman Sachs 11,8, JP Morgan 8,5 und Morgan
Stanley 12 Milliarden Dollar an »Gehältern« genehmigten, nicht zuletzt aus dem Topf
der staatlichen Finanzhilfen. So hilft der Sozialstaat dem Finanzkapital, wirft
die Mittelklasse ihren Verlusten noch ihre Steuern hinterher.
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Die
öffentliche Wahrnehmung der Krise wird durch ein unzureichendes Verständnis des
Verhältnisses von Markt und Staat verzerrt. Finanzministerien,
Aufsichtsbehörden und Finanzmarktinstitutionen arbeiten eng zusammen. Die
Bildung von Zweckgesellschaften, das Weiterreichen und Streuen von
Kreditrisiken, die Hypothekenkreditvergabe und so weiter finden nicht auf einem
staatsfernen, regulationsfreien, sich selbst regulierenden Markt statt, sondern
sind genau koordinierte, von staatlichen und selbstverwaltenden
Finanzinstitutionen erlassene Regulierungen eben dieses Marktes. Diese Regulierungen
werden seit langem unabhängig von der politischen Farbe der Regierungen erlassen
– in Deutschland sind zum Beispiel Derivate unter der rot-grünen Regierung zugelassen
worden, von mehr oder weniger denselben Finanzbeamten und Wirtschaftsvertretern,
wie sie vorher und auch jetzt noch unter der großen Koalition tätig sind. Zweifellos
verbreiten neoliberale Ökonomen und ihre Nachbeter in den Wirtschaftsredaktionen
der Medien ihre Interessenpolitik unter dem Siegel der Staatsferne, aber wer
ihnen das glaubt und meint, nun solle statt des freien Marktes endlich einmal
auch die Finanzwelt reguliert werden, der ist den Prämissen der neoliberalen
Propaganda schon aufgesessen. Jagdish Bhagwati, ein renommierter Handelstheoretiker von der
Columbia Universität New York, sagt dazu: »Die wirkliche Debatte ist doch
nicht, ob der Staat eingreift, sondern wie er das tut. Ich habe in den letzen
Jahren kaum Deregulierung gesehen, dafür aber viel gescheiterte Regulierung,
und das hat meist mit Lobbyismus zu tun. Es wurde viel Geld auf schlecht regulierten
Märkten verdient. Es ging nicht um Ideologie, sondern um Geschäftsinteressen.
Die Wall Street kam wie ein Gorilla auf die Politiker zu und sagte: Reguliere
mich bloß nicht.«(6)
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Zweischneidig
ist auch der gegenwärtige Ruf nach Transparenz. Die in den letzten Jahren
erlassenen Regulierungen, die weitreichende Transparenz der Finanzmärkte erzwungen
haben, sind nicht unwesentlich daran schuld, dass nun eine amerikanische
Immobilienkrise international zerstörerische Auswirkungen hat. Gerade die
Finanzmärkte waren früher innerhalb des nationalen Rahmens reguliert; über den
Großteil der Kreditbeziehungen wussten außer Schuldner und Gläubiger niemand
etwas und kaum eine Firma musste in Bilanzen ihre Vermögensverhältnisse dem
Kapitalmarkt transparent machen. Ein wirksames Mittel, um das produktive
Kapital von den Wirren des Finanzmarktes unabhängig zu machen, wäre, es nicht
über Aktien zu finanzieren und damit für die Finanzmärkte intransparent zu
machen. Es ist gerade die Ausweitung von Prinzipien des Finanzmarktes auf immer
weitere Wirtschaftsbereiche, ja selbst auf öffentliche Güter von Stadtwerken
bis zu Universitäten, die letztlich die Gefahr der Zerstörung der bisher mit
guten Gründen vor der schrankenlosen Kapitalverwertung geschützten Bereiche
heraufbeschwört.
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Zu den
Eigenheiten des Finanzmarktes gehört die Schnelligkeit, mit der Transaktionen
vollzogen werden können. Zu den Dummheiten der Medien gehören die auf dem Fernsehschirm
eingeblendeten Laufbänder mit Börsenkursen, die suggerieren, jedermann müsse minütlich auf das Wirtschaftssystem reagieren. Atemlos
berichten Fernsehsprecher, dass Kurse stürzen, immer im freien Fall. Der
hektische Rhythmus wird auf alle medialen Sensationen übertragen. Aber die
jetzt so genannte Realwirtschaft bewegt sich weiterhin in deutlich längeren
Zeiten, und auf einmal entstehen kognitive Dissonanzen: Wieso erreicht die
Arbeitslosigkeit nicht noch zu Börsenbeginn eine Rekordhöhe?
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Der IWF
erwartet 2009 die erste Weltrezession seit 1945, wobei in den Vereinigten Staaten
das Bruttosozialprodukt um 0,7 Prozent sinken soll.(7) Genauso wie Immobilien-
und Finanzmarktblasen gehören Konjunkturzyklen zu den Verlaufserscheinungen des
Kapitalismus. In den Projektionen des IWF sind aber entscheidende Parameter,
durch die sich die Krise von allen anderen unterscheiden könnte, nicht
berechenbar: In den USA hängt die Entwicklung des Sozialprodukts wesentlich vom
privaten Verbrauch ab. Während nun aber die Zinsen der Zentralbank bereits
extrem niedrig sind, steigen die Zinsen für Hypothekenkredite und
Konsumentenschulden wegen der höheren Ausfallrisiken. Die Hauskreditkosten
übersteigen vielerorts schon deutlich die Mietniveaus für vergleichbare Häuser
und zwingen den Hauseigentümern drastische Konsumbeschränkungen auf. Die Krise
dehnt sich auf die steigenden Zinsen für Kreditkarten aus. Das ist insofern in
den Vereinigten Staaten ein großes Problem, als der private Konsum wesentlich
auf Kreditkartenschulden beruht. So ist es zum Beispiel möglich und üblich, die
Kosten für eine Berufsausbildung über ein oder zwei Kreditkarten zu
finanzieren, in der Erwartung, die aufgelaufenen Schulden aus dem späteren
Erwerbseinkommen zurückzahlen zu können. Bei den gegenwärtigen drastischen
Zinsanhebungen brachen aber viele Lebensplanungen finanziell ein. Die
Kreditkrise beschädigt auch viele Pensionspläne und Altersversorgungen, so dass
auch diese Betroffenen ihren Konsum einschränken müssen. Der Nachfrageausfall
führt zum Rückgang des Wirtschaftswachstum mit der Folge größerer
Arbeitslosigkeit und weiterem Nachfrageausfall. In den USA kann es also in
bislang ungekanntem Ausmaß zu einer Spirale des Abschwungs kommen. Gleichzeitig
ist so klar wie nie: In den USA kann die sinkende Binnennachfrage nur durch
staatliches Eingreifen gemildert werden, was die Erwartungen an die neue Präsidentschaft
fast ins Unermessliche steigert. Der neue Nobelpreis-Ökonom und New York
Times-Kolumnist Paul Krugmann stellt fest: Die Euphorie der Demokraten kann
ein schnelles Ende finden, wenn sie nicht eine schnelle wirtschaftliche
Erholung bewirken können. Er selbst erwartet freilich nichts weniger als einen
neuen »New Deal«.
Weltwirtschaftlich
ist die Lage noch komplizierter und auch hierfür gibt es noch keine
Vorausberechnungsparameter des IWF. In Ländern, deren Wirtschaftswachstum überwiegend
vom Export abhängig ist – wie Deutschland und eine Reihe von Schwellenländern
–, wird wegen des Ausfalls der internationalen Nachfrage ein noch stärkerer Wachstumseinbruch
erwartet als in den USA. Hinzu kommen die zwar irrationale, aber dennoch
heftige Kapitalflucht aus den Schwellenländern, die deren Währungen in die Knie
zwingt und somit die Importe verteuert, sowie der Fall der Rohstoffpreise wegen
der weltweit sinkenden Nachfrage, der ebenfalls besonders die Schwellenländer
schädigt. Über allem steht als neue, noch unkalkulierbare strukturelle Gefahr
die kumulative Wirkung eines erstmals seit dem Weltkrieg synchronisierten
Konjunkturabschwungs auf dem Weltmarkt. Da diesmal keine
»Weltkonjunkturlokomotive« vorhanden ist, also keine Wirtschaftsregion, die in
der Lage ist, die rückläufige Nachfrage anderer Regionen zu kompensieren, wird
der Abschwung für alle exportabhängigen Ländern extrem ausfallen.
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In »Obama’s and Biden’s Plan for America« ist für alle wichtigen Fragen erstaunlicherweise
eine sehr detailreiche Lösung vorgeschlagen, und in der Tat sind alle wichtigen
Felder zur Stärkung der Binnennachfrage in den USA angesprochen. Noch
erstaunlicher sind die vielen Finanzierungsvorschläge. Es lässt sich durchaus
eine Linie darin erkennen, die Privatisierung von Risiken, sei es für die
Krankenversorgung, die Altersversorgung oder die Ausbildung, die die
Bush-Regierung überall befördert hat, wieder zugunsten kollektiver Modelle
zurückzunehmen, so wie ja auch versprochen wird, die Risiken der Finanz- und
Wirtschaftskrise auch für die Mittelklasse zu mildern. In den Lösungsvorschlägen
gibt es aber eine entscheidende Lücke: Der Staatshaushalt ist das kürzeste
Kapitel und es steht unter der Überschrift Haushaltsdisziplin. Zwar
positioniert die vorgeschlagene Rücknahme der Steuerkürzungen der
Bush-Regierung für die Reichen sehr deutlich den politischen Standort Obamas,
aber als einzige Finanzierungsquelle aller Aktivitäten ist der Vorschlag doch
sehr dürftig. Die Regierung Bush hinterlässt eine Staatsverschuldung von rund
10 Billionen Dollar. Das klingt zwar gewaltig, ist aber gemessen am BIP nur
wenig mehr als in Deutschland. Die finanziellen Spielräume für die Milderung
der Folgen der Finanzkrise und der heraufziehenden Rezession auch für die
Mittelklasse scheinen aber gleichwohl sehr gering zu sein, insbesondere wenn
noch eine spürbare steuerliche Entlastung der Mittelklassen und die Einführung
der generellen Krankenversicherung auf dem Programm stehen. Welche konkreten
wirtschafts-, steuer-, und haushaltspolitischen Initiativen ergriffen werden
und vor allem auch durchgesetzt werden können, lässt sich allerdings noch nicht
absehen und wird in der nächsten Zeit genau beobachtet werden müssen. In der
Wirtschaftspolitik ist jedenfalls ein deutlicher Kurswechsel gegenüber der
Bush-Regierung zu erwarten, im Unterschied zur Außenpolitik, bei der es in
wichtigen Grundlinien keinerlei Veränderungsversprechen gibt, von der wichtigen
Ausnahme abgesehen, künftig zunächst mehr diplomatische Mittel einzusetzen und
wieder in den Rahmen internationalen Rechts zurückzukehren.
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Nach
Wählerstimmen gerechnet hat Obama mit 52 Prozent insgesamt deutlich gewonnen,
konnte aber bei den weißen Wählern weder bei Frauen noch bei Männern die
Mehrheit gewinnen. Sein Sieg ist nicht zuletzt durch die großen demografischen
Verschiebungen der letzten Jahrzehnte bedingt, wobei der Anteil der weißen
Bevölkerung beständig gesunken ist. Die Wählergewinne, die er unter Latinos, Jungen und gut Gebildeten errang, hatten zur Folge,
dass aufgrund der demografischen Veränderungen heute viele Suburbs zur
demokratischen Seite des politischen Spektrums neigen. Aufgrund dieser
strukturellen Veränderungen verbessern sich die Chancen der Demokraten
nachhaltig. Auf der anderen Seite bedeutet das, dass die große Gruppe der
weißen, christlich-fundamentalistischen, antistaatlichen, patriotischen und
konservativen Wählerschaft keinen politischen Sinneswandel vollzogen hat,
sondern fast unverändert groß ist, nur eben relativ nicht ganz die Mehrheit
stellt. Obama wird, wenn er die extrem scharfen Brüche der politischen Lager
überwindet, auch diesem Wählerklientel Angebote machen. Nicht zuletzt dürfte
der Ausbruch der globalen Finanzmarktkrise in der letzten Phase des Wahlkampf
und die größeren Erwartungen, die in der Wählerschaft bei diesem Thema auf ihn,
statt auf McCain gesetzt wurden, ein weiterer wichtiger Baustein seines Sieges
gewesen sein. Über den Erfolg seiner Präsidentschaft wird deshalb in den
nächsten zwei Jahren auf dem wirtschaftspolitischen Feld entschieden.
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Die USA haben
tatsächlich die Gabe, sich in den Präsidentschaftswahlen periodisch immer
wieder neu politisch zu erfinden. Der Wechsel gegenüber der ja auch für das eigene
Gemeinwesen zerstörerischen Präsidentschaft Bush kann innenpolitisch kaum hoch
genug geschätzt werden. Die Mittelklassen in den USA werden wirtschaftlich zunächst
noch weiter unter Druck kommen. Die Hoffnungen, die die neue Präsidentschaft
geweckt hat, wird aber auch Kräfte freisetzen, die Krise rascher zu überwinden,
und nach wie vor wird eine Mehrheit der Mittelklassen in den Vereinigten
Staaten hierfür eine direkte Hilfe vom Staat weder erwarten noch fordern.
1
Barack Obama’s
Plan To Restore Confidence In The Markets, Tackle The Housing Crisis And Help
Protect Families From The Economic Slowdown.
http://obama.3cdn.net/f9836ef496f75a9be0_39gimvt5b.pdf
2
Etwa 22 Bundesstaaten, vor allem Arizona,
Kalifornien, Nevada und Florida, sind wegen des dramatischen Rückgangs der
Steuereinnahmen aus Umsatz- und Grundsteuern in einer schweren Budgetkrise.
3
Ulrich Beck im Interview mit Arno Widmann, FR,
5.11.08.
4
Christoph Deutschmann: »Der kollektive Buddenbrooks-Effekt. Die Finanzmärkte und die Mittelschichten«,
MPIfG Working Paper 08/5.
http://www.mpifg.de/pu/workpap/wp08-5.pdf
5
A. Weber: »Die Subprime-Krise. Ursachen und
Folgen für das Kreditwesen«. Rede anlässlich des FTD-Bankengipfels 2008,
25.4.08. http://www.bundesbank.de
6
SZ, 11.11.08 als
Auftakt einer Serie im Wirtschaftsteil, die tatsächlich »Kapitalismus in der
Krise« heißt.
7
International
Monetary Fund, World Economic Outlook, Release November 6, 2008: »Rapidly
Weakening Prospects Call for New Policy Stimulus«.
http://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2008/update/03/