Eine ethnische Demokratie bekämpft ihre tamilische Minderheit
Ein Jahrzehnte andauernder Diffamierungsfeldzug der singhalesischen Elite in Sri Lanka hat dazu geführt, dass sich der Konflikt mit der tamilischen Minderheit zu einem blutigen Bürgerkrieg verselbständigte. Staat und Demokratie sind weitgehend instrumentalisiert und unfähig, das selbstgeschaffene Gewaltpotenzial wieder einzudämmen. Die separatistischen Bestrebungen der Tamilen leiten sich aus diesem politisch motivierten, ethnisch-kulturellen Konflikt ab, der zudem noch kolonialgeschichtlich grundiert ist. Die Gegenüberstellung ethnisch-kulturelle versus politisch motivierte Auseinandersetzung greift jedenfalls zu kurz.
Die Ethnizitätsforschung lehrt uns, dass sich ethnische Gruppen
nur in Abgrenzung zu anderen, aber ähnlich strukturierten Sozialgruppen
bilden.(1) Dieser Vorgang basiert auf einem Interaktionsprozess, bei dem
bestimmte Merkmale und Eigenschaften entweder der eigenen oder der anderen
Gruppe zugeschrieben und gesellschaftliche Grenzen gezogen werden. Dabei ist es
wichtig hervorzuheben, dass ethnische Gruppen keine Konstanten sind, sondern
sich stets neu definieren, die Grenzen zwischen ihnen also immer wieder neu
gezogen werden. Es ist ein Prozess der Selbst- und Fremdzuschreibung von
spezifischen Merkmalen und Traditionen, welche die Bildung der »ethnischen«
Identität erst ermöglichen.
Nun stehen
sich in diesem blutigen Bürgerkrieg im Wesentlichen die überwiegend
buddhistischen Singhalesen und die (mehrheitlich) hinduistischen Tamilen gegenüber.(2) Schenkt man militanten Exponenten beider
Konfliktparteien Glauben, so standen sich die beiden Gruppen schon immer
feindlich gegenüber. Dies ist aber schon allein deshalb nicht der Fall, da
beide Bevölkerungsgruppen so nicht seit jeher existent sind, sondern sich über
den Lauf der Jahrhunderte erst herausgebildet haben.
Während die
srilankischen Tamilen heute überwiegend auf der Jaffna-Halbinsel und in der
Ostprovinz anzutreffen sind, lebt die singhalesische Mehrheit (seit mehr als
700 Jahren) im Südwesten und im zentralen Bereich des kleinen Inselstaates. Es
ist falsch, von den Singhalesen auf der einen und den Tamilen auf
der anderen Seite zu sprechen. Dem widerspricht schon die hochgradig lokale,
wie auch soziale Differenzierung innerhalb der beiden Bevölkerungsgruppen.(3)
So wäre insbesondere auf den in der srilankischen Geschichte bedeutsam
gewordenen Gegensatz zwischen Tiefland- und Hochlandsinghalesen einerseits, den
Jaffna- und den Ostküsten-Tamilen andererseits sowie auf die gegen Ende des 19.
Jahrhunderts auf die Insel gebrachten tamilischen Wanderarbeiter (Kulis)
hinzuweisen.
Auch die
Grenze zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen entlang des Grabens zu ziehen,
an dem sich heute die sprachlichen und religiösen Fronten bilden, erweist sich
als schwieriges Unterfangen. Denn längst sind nicht alle Singhalesen Buddhisten
und sprechen singhalesisch, ebenso wenig wie die Tamilen nicht alle Hindus
sind. Beide Gruppen umfassen sowohl katholische als auch protestantische
Christen.
Würde man nun
versuchen, die ethnische Grenze unter Ausschluss der religiösen Komponente
allein aufgrund der sprachlichen Kriterien zu ziehen, würde sich ein gravierendes
Problem mit den tamilischen Muslimen (Moors) ergeben. Ihre Existenz auf
der Insel ist bis in das 10. Jahrhundert hinein belegt und geht auf die
ehemaligen arabischen Handelsstützpunkte zurück. Diese Bevölkerungsgruppe,
obwohl der Sprachverwandtschaft wegen zu den Tamilen gezählt, proklamiert für
sich eine eigene Identität.(4)
Die
Schwierigkeit, zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen einen auch nur im
kleinsten aussagekräftigen Trennstrich zu ziehen, ist offensichtlich. Will man
es dennoch tun, erfordert es neben »objektiven« Kriterien eine
ethnisch-religiöse Komponente, ohne die eine spezifisch tamilische oder
singhalesische Identitätsbildung gar nicht möglich wäre.(5) Um aber Ansprüche
auf eine eigene Abstammung, Geschichte und Kultur erheben zu können,
werden die historischen Fakten einer Rosskur nationaler, singhalesischer
Geschichtsschreibung unterzogen und imaginär und ideologisch durchsetzt. Es
darf nicht verwundern, dass selbst die wissenschaftliche Diskussion auf Sri
Lanka, die, wenn sie das Erheben territorialer Ansprüche beinhaltet, bei ihrer
Argumentation gerne auf die Ebene so genannter sozialwissenschaftlicher
Untersuchungen abstellt.
Diese
Untersuchungen stützen sich neben archäologischen Funden insbesondere auf
mythologische Chroniken und Legendensammlungen. So beziehen sich die Singhalesen
vor allem auf die buddhistischen Chroniken und Edikte des indischen Imperators Ashoka (ca. 272–232 v. Chr.). Sie betrachten sich als
potenzielle Nachfahren hellhäutiger Einwanderer »arischer« Abstammung, welche
aus Nordindien eingewandert und die ersten »zivilisierten« Bewohner der Insel
gewesen sein sollen.(6) Damit sehen sich die
Singhalesen zugleich als Erben und Beschützer einer großartigen
singhalesisch-buddhistischen Tradition, deren Blütezeit etwa zwischen dem 3.
Jahrhundert v. Chr. und dem 9. Jahrhundert n. Chr. anzusiedeln ist.
Als Hüter
einer einst blühenden buddhistischen Vergangenheit ist die singhalesische Elite
nur allzu leicht geneigt, hieraus einen legitimen Herrschaftsanspruch auf das
ganze Inselreich abzuleiten. Auf keinen Fall sollen die srilankischen Tamilen,
und bemerkenswerterweise auch nicht die Veddas,
die eigentlichen Ureinwohner der Insel, den so genannten sons of the soil den Anspruch auf ihr homeland
streitig machen.(7)
Allerdings
sind spätestens seit dem 8. Jahrhundert südindische Bauerngruppen nach Jaffna
und auf die srilankische Ostküste eingewandert. Sie brachten eine sowohl an die
schwierigen Anbaubedingungen angepasste als auch der tamilischen Kastenordnung
Rechnung tragende Agrargesellschaft hervor, welche ab dem 12. Jahrhundert unter
der Herrschaft eines lokalen, tamilischen Königreiches stand.
Die
Identitätsbildung der Tamilen stützt sich also im Grunde auf ähnliche Pfeiler
wie ihr singhalesisches Gegenstück: nämlich den Verweis auf die so genannten
historischen Fakten und die Erinnerung an ein »Goldenes Zeitalter« ihrer großen
tamilischen Zivilisation.(8) Mit den gleichen Beweggründen wie die Singhalesen
postulieren tamilische Intellektuelle, als die ursprünglichen Einwohner der
Insel zu gelten, und betonen, dass die Singhalesen eigentlich tamilischer
Abstammung seien und lediglich zum späteren Zeitpunkt zum Buddhismus
konvertierten.(9)
Der Diskurs
macht erkennbar, wie sehr historische Überhöhung der eigenen Geschichte dazu
dient, das Selbstbewusstsein der jeweils eigenen Bevölkerungsgruppe aufzuwerten,
um Herrschaftsansprüche geltend zu machen.
Mit dem
Eindringen der Kolonialmächte werden die Identitätsbildungs- und Abgrenzungsmechanismen
der einzelnen Gruppen zusätzlich bestärkt. Denn während der Herrschaft der
europäischen Kolonialmächte finden gewichtige Veränderungen statt. Die
verschiedenen Bevölkerungsgruppen nehmen an politischen und ökonomischen Prozessen
teil, die sie bis dato nicht kannten und die ihr Zusammenleben durcheinanderwirbeln.
Während die Portugiesen ab 1505 versuchen, den Zimtexport im Tiefland unter
ihre Kontrolle zu bringen, etabliert sich in der heutigen Central Province mit dem Königreich von Kandy ein buddhistisches
Binnenreich, welches den Grundstein für neue Zwistigkeiten und Anstoß zur
Neuordnung der Gesellschaftsstrukturen gibt.
Die
Portugiesen werden knapp 150 Jahre später (1658) von den Holländern als Kolonialmacht
abgelöst, wodurch sich der Kontrollbereich ausländischer Mächte entlang der
srilankischen Küste merklich ausdehnt.(10) Als Folge
der zunehmenden Monopolisierung des Seehandels wird das Binnenreich isoliert
und ein tiefer Keil in die srilankische Gesellschaft getrieben. Die
niederländischen Kolonialherren führen nicht nur den Missionseifer ihrer
portugiesischen Vorgänger weiter, sondern etablieren ein auf dem römischen
Rechtswesen basierendes »Zivilrecht«. Dieses bis dato auf der Insel völlig unbekannte
Normensystem verschafft der tamilischen Minderheit Auftrieb, da nun das protestantische,
nicht mehr das katholische Christentum von der Gunst des Kolonialherren
profitiert.(11)
Mit der
Einnahme Kandys 1815 durch die Briten wird fortan die
gesamte Insel einer folgenträchtigen, einzigen Autorität unterstellt. Von ihrer
zivilisatorischen Mission überzeugt, segnet die Kolonialmacht die einheimische
Bevölkerung mit liberalem Gedankengut, wobei die Einführung privater
Eigentumsrechte sowie die (Ver-)Bürokratisierung der Gesellschaft weitere
einschneidende Veränderungen darstellen, vor allem auf rechtlicher Ebene. Durch
das Sammeln von Informationen über gesellschaftliche Gepflogenheiten werden so
genannte customary practices
kodifiziert. Damit werden unterschiedliche Rechte für unterschiedliche Gruppen
eindeutig definiert und festgeschrieben. So gelten für die Tamilen im Norden
andere Gewohnheitsrechte als für die Tamilen an der Ostküste; auch die
Singhalesen von Kandy bekommen separate Gewohnheitsrechte zugestanden. Nicht
jedoch die Tiefland-Singhalesen, welche schon unter holländischer
Rechtsprechung gestanden hatten.(12) Ethnische Grenzen
werden nicht nur neu gezogen, sondern durch amtliche Festlegung und Definition
auch bestätigt.
Im Gegensatz
zu den Portugiesen und Holländern errichten die Briten einen stark zentralisierten
Verwaltungsapparat. Aus Effizienz- und Kostengründen werden die mittleren und
unteren Verwaltungspositionen durch einheimische Jaffna-Tamilen besetzt. Diese
haben in überwiegender Anzahl portugiesische Missionsschulen besucht, sind gut
ausgebildet und verfügen über Grundkenntnisse der englischen Sprache. Der
Aufstieg der Jaffna-Tamilen zur neuen Bildungs- und Beamten-Elite führt aber
dazu, dass sich die Singhalesen von den Tamilen beherrscht fühlen.
Da England
mit der Inbesitznahme der Insel auch zum Verwalter einer schwer zu kontrollierenden
Region wird, schießen nicht nur die Unterhaltskosten der Kolonialtruppen in die
Höhe.(13) Man beginnt mit dem Aufbau von
Kaffeeplantagen, um neue Geldquellen zu erschließen. Kaffee- und Teeproduktion
laufen gut, es entsteht ein Arbeitskräftemangel, der durch den Einsatz
südindischer Wanderarbeiter kompensiert werden muss. Durch Vergrößerung der
Plantagen kommen immer mehr tamilische Wanderarbeiter ins Land. Sie werden
sesshaft und von Singhalesen wie den etablierten srilankischen Tamilen als
Hungerleider verfemt. Die Nutznießer der Boom-Ära sind neben ausländischen
Spekulanten die kandy-singhalesische Aristokratie,
die tieflandsinghalesische Bourgeoisie und die jaffna-tamilische
Beamten-Elite, welche insbesondere durch die aufkommende Bodenspekulation
erhebliche Gewinne erwirtschaftet. Alle verachten sie das eingewanderte und
landlose Kuli-Proletariat, auf deren Kosten sie ein beschauliches und
geruhsames Leben führen.
Die Briten
führen auf der Insel 1931 das allgemeine Wahlrecht ein. Aufgrund der religiösen
und ethnischen Mehrheitsverhältnisse entsteht damit zugleich eine »singhalesische«,
eine ethnisch exklusive Demokratie. Bestimmend ist vor allem die Tatsache, dass
die mit einem Minderwertigkeitskomplex beladene singhalesische Mehrheit die Kolonialherren
einseitig für den gesellschaftlichen Aufstieg der Tamilen verantwortlich macht.
Dieses Minderwertigkeitsgefühl wird durch die Einführung des Wahlrechts noch
bestärkt.(14)
Früh entwickelt
sich das Staatswesen in ein Machtinstrument der singhalesischen Mehrheit. Die
gezielte Schwächung des Säkularismus zugunsten einer Vorrangstellung des
Buddhismus und die Verweigerung des von den Tamilen geforderten föderalen
Staatsmodells lassen das Land schließlich in einen Bürgerkrieg abgleiten. Ohne
säkulare und föderale Schutzmechanismen – insbesondere gegenüber den
srilankischen Tamilen – ermöglicht der Staat nun über Jahrzehnte die
Diskriminierung und Durchsetzung von Gewalt gegen Minderheiten; und provoziert
am Ende deren Gegengewalt.
Die
singhalesische Demokratie etabliert sich von Anbeginn als singhalesische
Elitendemokratie. Ein charakteristisches Merkmal ist, dass alle Parteien – mit
Ausnahme der srilankischen Tamilen und den die indischen (Plantagen-)Tamilen
repräsentierenden Tamil Congress und Ceylon Indian Congress – von
diesen Eliten dominiert werden. Sozialistische und kommunistische Parteien
bleiben unter der Kontrolle von singhalesischen Plantagenbesitzern, Rentiers
oder Unternehmern. Sie sind zwar verbal sehr aktiv, verhindern oder bekämpfen
aber jedwede soziale und ökonomische Reform, die ihren Einfluss und ihre
Stellung im Staat in Frage stellen könnte.
Als
problematisch erweist sich, dass man sich sowohl auf singhalesischer wie auch
auf tamilischer Seite nicht auf notwendige Kompromisse einigen kann. Kern der
Auseinandersetzung werden zwei, von der scheidenden Kolonialmacht bewusst offen
gelassene Streitfragen:
– Zum einen,
welche Verkehrssprache (Sinhala und Tamil oder nur Sinhala)
gelten soll.
– Und zum
anderen, ob den eingewanderten südindischen Tamilen überhaupt die
Staatsbürgerrechte zugestanden werden sollen.
Während
Ersteres auf die soziale Stellung und Karrierechancen der jaffna-tamilischen
Beamtenschicht abzielt, hat die zweite Frage den politischen Stellenwert der
südindischen Einwanderer im Visier.
Jetzt
entwickelt sich die singhalesische Demokratie in ein ethnisches Zweiparteiensystem.
Zwei pro-singhalesische, von Elitefamilien dominierte Parteien konkurrieren um
die Macht: die 1946 entstandene United National Party (UNP) und die 1951
gegründete Sri Lanka Freedom Party (SLFP). Die zwei »Volksparteien«
übertreffen sich mit anti-tamilischen und sinhala-chauvinistischen
Forderungen und Parolen und lösen sich über zwei Jahrzehnte an der Macht ab.(15)
Dass das
ethnische Zweiparteiensystem zu einem neuen und schwer kontrollierbaren
Antriebsmechanismus ethno-politischer Radikalisierung werden würde, lag auf der
Hand. Ein von der SLFP unter S. W. R. D. Bandaranaike
angestoßenes Sinhala Only-Movement
verschlimmert die Situation zusätzlich. Das Eintreten der singhalesischen
Mehrheit für die eigene Sprache, Kultur und Religion wird jetzt militant.(16) Die Sinhalisierung
des Staatsapparates führt zur Ausgrenzung der bis dato privilegierten tamilischen
Beamten-Elite und macht auch vor dem tamilischen Mittelstand nicht Halt.
In
zunehmenden Maße wird durch die ethnische Radikalisierung parteipolitische
Gewalt freigesetzt: Ende der Fünfzigerjahre lösen singhalesische Mobs Pogrome
gegen die tamilische Minderheit aus. Die Wahlsiege der jeweils erfolgreichen
singhalesischen Partei führen zu gewalttätigen Triumphfeiern, bei denen die
Anhänger der siegreichen Partei die Wähler der unterlegenen attackieren, deren
Häuser plündern oder deren Hütten anstecken.
Dennoch hat
der singhalesische Staat inzwischen ein inselweites Schulsystem etabliert und
einen für südasiatische Verhältnisse beachtlichen Alphabetisierungsgrad von
mehr als 80 Prozent erreicht. Mit Hilfe dieses Bildungssystems kann er die Jugendlichen
im Sinne des staatstragenden Sinhala-Nationalismus erziehen. Er lehrt seiner
Jugend, dass die Insel und die knappen Arbeitsplätze allein den Singhalesen
zustehen.(17) Schon im Vorfeld wurden im Rahmen
ausgedehnter Verstaatlichungsmaßnahmen tamilische Arbeiter und Angestellte
entlassen. Bei der Neugründung von Staatsbetrieben wird die einheimische
(singhalesische) Unternehmerschicht gestärkt und die neu geschaffenen Stellen
mit Singhalesen besetzt.
Unwesentlich
später wird die ethnische Zweiparteiendemokratie jedoch fast zum Opfer der von
ihr selbst geschürten Agitation und den damit verbundenen, jedoch nicht einlösbaren
Erwartungen: 1971 versucht eine vordergründig maoistische Aufstandsbewegung
arbeitsloser singhalesischer Jugendlicher die Regierung zu stürzen. Zwar wird
der Umsturzversuch um den Preis mehrerer Tausend Toter zurückgeschlagen, aber
die Regierung bleibt weiter unter Druck. Ein Jahr später erhält die Insel eine
neue Verfassung, in der dem Buddhismus ein Primat vor allen anderen Religionen
zugesprochen und etwaige Föderalisierungsinitiativen für de facto
verfassungswidrig erklärt werden.
Fünf Jahre
später vereinigen sich die beiden bislang gemäßigten Sri-Lanka-tamilischen
Parteien, der Tamil Congress und die Federal Party zur Tamil
United Liberation Front. Sie wollen die enttäuschte und ebenfalls zunehmend
radikalisierte Tamil-Jugend politisch an sich binden. Zu spät: Mit der LTTE (Liberation
Tigers of Tamil Ealam) hat sich eine neue und
schlagkräftige Untergrundorganisation gegründet, gegen die man sich militärisch
schwer und politisch noch weniger behaupten kann.(18) Damit setzt nun endgültig
ein ethnischer Gewaltkreislauf ein, der von staatlichen Repressionsmaßnahmen
und tamilischen Terroraktionen in Gang gehalten und zur Eskalation gebracht
wird. 1983 steigert sich der Kreislauf zum ethnischen Bürgerkrieg, der mit
Unterbrechungen bis heute anhält. Zwar willigt die singhalesische Regierung
1987 unter dem Druck einer diplomatischen und militärischen Intervention Indiens
in eine (vordergründige) Föderalisierung ein, die Friedenslösung selbst bricht
aber schnell zusammen.
Der
vermeintliche »Ausverkauf« singhalesischer Hegemonialinteressen löst nämlich einen
zweiten Aufstand der amnestierten maoistischen, sinhala-Terror-
und Jugendorganisation aus. Zu dem eigentlichen Bürgerkrieg tritt deshalb von
1987 bis 1990 ein weiterer, ein innersinghalesischer Schattenkrieg, der von den
Medien kaum beachtet wird. Er ist von der Regierung mit Hilfe von
Todesschwadronen und um den Preis rund 40.000 entführter, »verschwundener« und
ermordeter Jugendlicher niedergeworfen worden. Noch höher sind jedoch die
humanitären und sozialen Kosten des Tamilenkonfliktes: Bis heute verloren mehr
als 60.000 Menschen ihr Leben.
Sri Lanka
erscheint dem Betrachter als verwirrendes Paradoxon. Auf dem Inselstaat existiert seit mehr als siebzig Jahren ein allgemeines
Stimmrecht und eine auf politische Selbstbestimmung gegründete Demokratie. Mit
Ausnahme der Zeitspanne zwischen 1978 und 1994 haben sich zwei bürokratisch
verfasste Partein beständig an der Macht abgelöst. Neben diesen Parteien gibt
es sogar ein großes Spektrum sozialistischer, liberaler und ethnischer
Kleinparteien. Und das Zweiparteiensystem hat seit den Fünfzigerjahren eine soziale
Entwicklung angestoßen, die bezüglich dem Alphabetisierungsgrad, der
Kindersterblichkeit und der Lebenserwartung das Entwicklungsniveau westlicher
Staaten erreicht hat.
Diese von
auswärtigen Beobachtern nicht selten als exemplarisch eingeschätzte Herrschaftsstruktur
hat jedoch ein enormes ethnisch-chauvinistisches Gewaltpotenzial freigesetzt.
Das Herrschaftssystem marginalisiert die ethnischen Minderheiten; das »vorbildliche«
Bildungssystem vermittelt und steigert den Sinhala-Nationalismus und das ebenfalls
»vorbildliche« Gesundheitssystem hebt die Bevölkerungszahl. Aber auf Grund
schwacher Wirtschaftsentwicklung herrscht Arbeitslosigkeit, die politische
Radikalisierung auf Seiten der singhalesischen (Klein-)Bauern und Jugendlichen
steigt, während sich die tamilischen Bevölkerungsgruppen systematisch
ausgegrenzt sehen.
Logisch
betrachtet muss die auf Ablehnung säkularistischer
und föderaler Strukturen basierende singhalesische Demokratie die gegen die
Minderheiten gerichteten Ausgrenzungs- und an die eigene Regierung gerichteten
Patronageerwartungen beständig steigern. Die sinhala-chauvinistische
Demokratie befeuert damit zugleich aber auch die ethnische Gewalt, sowohl nach
außen als auch gegen die eigenen Regierungseliten. Genau dieser ethnische
Demokratisierungs- und Radikalisierungsprozess macht es dem Herrschaftssystem
unmöglich, andere demokratische Formen der Konfliktregelung zu entwickeln und
anzuwenden.
Zwar hat es
seit Ende der Fünfzigerjahre von Seiten der SLFP- wie der UNP-Regierungen
Versuche gegeben, den ethnischen Antagonismus durch Verhandlungen aufzulösen,
aber alle diese Versuche sind erfolglos geblieben. Dies verwundert nicht:
Ausgehandelte und begrenzte Autonomieverträge wurden unter dem Druck der »singhalesischen
Straße« wieder fallen gelassen.(19) Ein seit 1994 propagierter Lösungsvorschlag
einer »Union der Regionen« enthält Dutzende von Einzelvorschriften, die sicherstellen,
dass alle großen Straßen, Bewässerungssysteme, Bildungseinrichtungen oder
Hafenanlagen unter der direkten Kontrolle Colombos bleiben.
Das
politische, das exklusive System wird zur ausschließlichen Quelle politischer
Gewalt – singhalesische Pogrome, tamilische Gegenwehr und
maoistisch-chauvinistische Aufstandsversuche gegen die eigene »korrupte« Elite.
Jenseits nie überzeugend umgesetzter Verhandlungsangebote hat der srilankische
Staat nur ein Instrument in der Hand: das Mittel der Repression. Gegenüber den
»Tamil Tiger« geht die Regierung mit einem inzwischen enorm gesteigerten Armee-
und Sicherheitsapparat vor, gegen die interne »Subversion« mit
Todesschwadronen.
Damit drängt
sich eine eindeutige Schlussfolgerung auf: Nur eine den spezifischen multiethnischen
und multireligiösen gesellschaftlichen Bedingungen Sri Lankas Rechnung
tragende, stabile, auf einen echten Säkularismus und Föderalismus basierende
Demokratie kann den ethnischen Konflikt eindämmen, die Tamilen erfolgreich in
den Staat integrieren und die Aufstandsbewegung der LTTE
marginalisieren.
1
Orywal, E. und Hackstein, K: Ethnizität: »Die
Konstruktion ethnischer Wirklichkeiten«, in: Schweizer, T. (Hrsg.): Handbuch
der Ethnologie, Berlin 1993, S. 359.
2
Heute leben auf der 64454 qkm großen Insel – dem früheren Ceylon – ca. 20
Millionen Menschen. Diese in Abstammung, Sprache und Religionszugehörigkeit
höchst heterogene Bevölkerung setzt sich aus ca. 16 Millionen überwiegend
buddhistischen Singhalesen (ca. 66 %), etwa 1,8 Millionen hinduistischen Tamilen,
ca. 300.000 Ureinwohner (Veddas), 1 Million tamilisch
sprechenden Muslimen (Moors), eingewanderten Malaien und rund 400.000 Burghern, die Nachfahren der ehemaligen
Kolonialbeamten, zusammen.
3
Obeyesekere, G.: »Political Violence and The Future of
Democracy«, in: Committee for Rational Development: Sri Lanka – The Ethnic
Conflict. Myths, Realities & Perspectives, New Delhi 1984, S. 94.
4
Ebenda, S. 71.
5
Manogaran, C.: Ethnic Conflict and Reconciliation in Sri Lanka, Honolulu
1987.
6
Stammvater aller Singhalesen, welcher von einem Löwen (Sinha)
und einer bengalischen Prinzessin abstammen soll, ist König Vijaya, der mit
siebenhundert Gefolgsleuten ausgerechnet an dem Tag auf Sri Lanka landet, als
Buddha ins Nirwana eingeht. Siehe: Spencer, J.: History and the Roots of Conflict, London
1990.
7
Coomaraswamy, R.: »Through the Looking Glass Darkly«, in: CRD 1984, S. 177.
8
Nissan, E. und Stirrat, R. L.: »The Generation of Communal Identities«, in:
Spencer, J.(Hrsg.): History and the Roots of
Conflict, London 1990, S. 20.
9
Ebenda.
10
Fernando, T., Kearney, R. N.: Modern Sri Lanka: A Society in Transition,
New York 1979, S. 12–13.
11
Das neue Rechtswesen galt nur für diejenigen Gruppen, deren traditionelle
Regeln und Gesetze nicht eindeutig definiert waren. Siehe dazu: Little, D.: The Invention of Enmity,
Washington 1994, S. 12.
12
Nissan, E. und Stirrat, R. L.: »The Generation of Communal Identities«, in:
Spencer, J. (Hrsg.), History and the Roots of Conflict, London 1990, S.
28.
13
Darüber hinaus könnte auch noch die Kokosnussindustrie und der Kautschuksektor
angesprochen werden.
14
Siehe dazu: Tambiah, S. J.: Sri Lanka: Ethnic Fracticide and the Dismantling
of Democracy, London 1986.
15
Bereits 1949 entzieht die UNP den südindischen Tamilen das Wahl- und
Bürgerrecht. Durch die faktische Ausbürgerung reduziert sich das politische
Gewicht der tamilischen Minderheit um nahezu 50 %. In Anbetracht des
singhalesischen Wählerpotenzials versinkt das tamilische Stimmengewicht in der
Bedeutungslosigkeit.
16
Siehe: De Silva, K. M.: A History of Sri Lanka, London 1981.
17
Neben der diffamierenden Sprachenpolitik haben die SLFP und UNP auch die
Wirtschaftspolitik in ihr Kulturkampfkonzept miteingebunden.
18
Die LTTE gründet sich am 5. Mai 1976 aus einer der tamilischen Bildungselite
nahe stehenden Schicht von arbeitslosen Studenten und
Schülern. Ihr Führer ist der aus dem Küstendorf Valvettiturai
aus der karaiyar-Kaste (Fischer-Kaste)
stammende Vellupillai Prabhakaran. Bei ihrem bis
heute mit äußerster Brutalität geführten Kampf gegen den singhalesischen
Machtapparat kann die Organisation auf den Rückhalt von Politikern aus dem
indischen Bundesstaat Tamil Nadu und von der auf der
ganzen Welt verstreuten tamilischen Diaspora bauen.
19
So der »Bandaranaike-Chelvanayakam compact« (1957) und der »Senanayake-Chelvanayakam
compact« (1965). Ein von Indien der UNP-Regierung
1987 aufgezwungener Föderalisierungsplan wurde nur vordergründig umgesetzt.
Literatur
Bullion, J. A.: India,
Sri Lanka and the Tamil Crisis 1976–1994. An International Perspective, London/New
York 1995
Coomaraswamy, R.: »Through the Looking Glass Darkly«, in: Committee for
Rational Development: Sri Lanka – The Ethnic Conflict. Myths, Realities
& Perspectives, New Delhi 1984
De Silva, K. M.: A History of Sri Lanka, London 1981
Fernando, T./Kearney, R. N.: Modern Sri Lanka: A Society in Transition,
New York 1979
Kearny, R. N.: The Politics of Ceylon (Sri Lanka), Ithaca/London 1973
Little, D.: The Invention of Enmity, Washington 1994
Manogaran, C.: Ethnic Conflict and Reconciliation in Sri Lanka, Honolulu
1987
Manor, J.: Sri Lanka in Change and Crisis, London 1984
Nissan, E. u. Stirrat, R. L.: »The Generation of Communal Identities«,
in: Spencer, J.: Sri Lanka, History and Roots of conflict, London 1990
Obeyesekere, G.: »Political Violence and The Future of Democracy«, in:
Committee for Rational Development: Sri Lanka The Ethnic Conflict. Myths,
Realities & Perspectives, New Delhi 1984
Orywal, E. u. Hackstein,
K.: »Ethnizität: Die Konstruktion
ethnischer Wirklichkeiten«,
in: Schweizer, T. (Hrsg.): Handbuch der Ethnologie, Berlin 1993
Tambiah, S. J.: Buddhism betrayed?, London 1992
Tambiah, S. J.: Sri Lanka: Ethnic Fracticide and the
Dismantling of Democracy, London 1986