Auf der Suche nach der verlogenen Zeit

Gerd Koenen und die Kunst des Weglassens

Günter Franzen

Der Autor kann dem sechshundertseitigen "Nachruf" auf bewegte Zeiten in Das rote Jahrzehnt nur bedingt erkenntnisleitende Substanz zubilligen. Nach ihm fällt sie schwer auf Gerd Koenen zurück. Eine Abrechnung und ein Gegenbild.

Unsere wunderbaren Jahre. Warum stimmt meine vorwiegend lustvolle Erinnerung an die Revolte mit Gerd Koenens penibler Auflistung ihrer Verfehlungen so wenig überein? Ist auszuschließen, dass wir ein Vierteljahrhundert nach Schließung des Theaters vom Besuch ganz unterschiedlicher Aufführungen reden? Folgt Gerd Koenen als Wissenschaftler einem entrückten, auf strenge Objektivität und strikte Humorlosigkeit geeichten Wahrheitsbegriff, der dem verspielten Literaten zwar als leuchtendes Vorbild dienen sollte, für ihn aber leider unerreichbar bleibt, weil er mit den harten Fakten des Lebens naturgemäß ständig auf dem Kriegsfuß steht und sein Sündenregister so lange narrativ überformt, bis es sich im breiten Strom süffiger 68er-Spätlesen vollends verflüchtigt? Oder ist die Unvereinbarkeit unserer Vergangenheitsentwürfe am Ende ganz einfach darauf zurückzuführen, dass er in der roten Blüte unserer Jugend eine ziemlich große Nummer und ich ein ziemlich kleines Licht war?

Im Sommer 1968, so Koenen, habe er als Student im Kino Alain Resnais‘ Dissidentendrama Der Krieg ist vorbei gesehen und habe die Vorstellung als Yves Montand respektive Jorge Semprun wieder verlassen. Seine bevorstehende Übersiedlung von Tübingen nach Frankfurt sei ihm im Lichte des Spielfilms plötzlich wie das "Überschreiten einer mythischen Grenze" erschienen. Jenseits der Demarkationslinie warteten "der Widerstand, die Revolution oder der Tod". An diesem oder einem anderen heißen Sommertag des Jahres 1968 befand ich mich nicht auf dem Weg nach Damaskus, sondern im dritten Lehrjahr und trat in einem dreiteiligen hellbraunen Trevira-Anzug vor die Tür meiner im Zentrum Göttingens gelegenen Buchhandlung. Vor dem Audimax am Ende der Weender Straße leuchteten rote Fahnen in der Abendsonne. Im Laufschritt bewegten sich meine wesentlich legerer gekleideten Altersgenossen auf den Ort der Kundgebung zu. Junge Frauen durchquerten lachend und leichtfüßig die Fußgängerzone und unter den spinnwebdünnen Kleidern hüpften ihre Brüste. Ich wäre ihnen gern gefolgt, wenn ich nicht den Auftrag gehabt hätte, die mir anvertrauten Tageseinnahmen bei der nahe gelegenen Filiale der Dresdner Bank abzugeben. Nach meiner durch die sexuellen Tagträume leicht verzögerten Rückkehr in das Geschäftslokal ersuchte mich mein Lehrherr in ultimativem Tonfall, den Kragenknopf meines Oberhemdes zu schließen und die Krawatte gerade zu rücken: Sie befinden sich hier in einer akademischen Buchhandlung und nicht auf dem Campingplatz. Ich weiß nicht mehr, was ich von meiner bevorstehenden Übersiedlung von Göttingen nach Frankfurt erwartete. Mag sein oder nicht sein: die große Liebe oder die kleine Freiheit, nie mehr schweißtreibende dreiteilige Synthetikanzüge mit Wollkrawatten tragen zu müssen. So vage die Sehnsüchte gewesen sein mögen: Der Tod stand mit Sicherheit nicht auf meiner Wunschliste.

Da Gerd Koenen bei seiner tour de force durch "unsere kleine deutsche Kulturrevolution" von Anfang an den ganz großen Zahnkranz für die apokalyptischen Gefällstrecken der Bewegung auflegt, muss er sich nicht nur irgendwelcher versponnenen Jungbuchhändler entledigen, sondern aller Motive, die mich und meinesgleichen aus der verriegelten und verrammelten Provinz in die Metropolen trieben und die in seiner Darstellung nicht vorkommen: per via di levare. Wenn die von Michelangelo getroffene Unterscheidung der Künste in solche, die wie die Malerei hinzufügen, und solche, die wie die Bildhauerei wegnehmen, zutrifft, wird man das Schlachtengemälde des Spätheimkehrers Koenen als ein Meisterwerk der bis zur Amputation vorangetriebenen Kunst des Weglassens bestaunen dürfen. Das von ihm auf "maximal 20.000 Aktive geschätzte Kernpotenzial der antiautoritären Jugendrevolte" war eine diffuse, aus "Einzelgängern und kleinen Cliquen" bestehende Ansammlung paranoider Rebellen, "die sich auf der Flucht vor der unerträglichen Leichtigkeit ihrer vorgefundenen Lebenswelt befanden" und durch "zufällige Vorfälle", wie den "Schuss auf Benno Ohnesorg", den Irrweg in die "weitaus bedeutendere", auf 100.000 Mitglieder anwachsende "kommunistische Massenbewegung" antraten.

Auf dieser rührenden Momentaufnahme eines arbeitsamen und friedfertigen, lediglich am Überdruss einer gelangweilten jugendlichen Minderheit krankenden Gemeinwesens – eine Weichzeichnung, die mit dem Bekenntnis Angela Merkels "zu der seit 1949 ununterbrochen freiheitlichen, solidarischen und weltoffenen Republik" aufs Schönste harmoniert – wird sich zweifellos jeder wiedererkennen, dem es vergönnt war, als Objekt der allgemeinen Aufzuchtsbemühungen mit den für ihre kosmopolitische Unbeschwertheit weithin bekannten Sozialisationsinstanzen der Nachkriegszeit in Berührung zu kommen: der deutschen Familie, dem deutschen Kindergarten, dem deutschen Gymnasium, der deutschen Tanzstunde und der deutschen Ordinarienuniversität. Dass die in diesen Institutionen gehütete teutonische Dreifaltigkeit von Ruhe, Ordnung und Sauberkeit als bruchlose Fortsetzung eines vom vorherigen Regime im Begriff der Endlösung so trefflich umschriebenen Zivilisationsverständnisses empfunden werden konnte, trug nicht zur Förderung des vertrauensvollen Austauschs zwischen den Generationen bei. Der selbstverständliche und nachgerade unschuldig anmutende alltägliche Rekurs auf den Diener, den man zu machen, das Maul, das man zu halten, den Riemen, an dem man sich zu reißen und den inneren Schweinehund, den man gefälligst zu bekämpfen hatte, ließ den sicher übereilten Schluss zu, dass den in den genannten Einrichtungen tätigen Autoritäten eine Überprüfung der in tausend Jahren exekutierten zivilisatorischen Grundwerte nicht zu Gebote stand, weil sie ihnen längst in Fleisch und Blut übergegangen waren. Die kanonisierte, von Gerd Koenen erneut bemühte These einer allzu bequemen Identifikation der jugendlichen Empörer mit den Opfern des gesamteuropäischen Großreinemachens und die einer nicht weniger wohlfeilen Aburteilung der tatverdächtigen Putzkolonnen, degradiert eine hunderttausendfach durchlittene existenzielle Verzweiflung nachträglich zur unspezifischen hysterischen Reaktion. Die entsetzliche Vorstellung, aus der Umarmung von Menschen hervorgegangen zu sein, die dem familiären Nestbau zwischen Stiefmütterchenrabatten und Jägerzaun mit derselben unbedingten Hingabe frönten, mit der sie in aller Stille zur systematischen Säuberung des Volkskörpers beigetragen hatten, kann, so meine Vermutung, nur dann im Rahmen des immergleichen Generationskonflikts zwischen lamentierendem Alter und aufmüpfiger Jugend beschrieben und begriffen werden, wenn man sich und anderen verbergen muss, was nicht nur dem um Distanz bemühten Historiker seit Öffnung der Konzentrationslager im Nacken saß: die gattungsgeschichtlich einmalige kindliche Realangst, beim Anblick der zwischen trautem Heim und Gaskammer tätigen Raumpfleger auf der Stelle verrückt zu werden.

Nach dem ausgiebigen Studium der dreizehn prägnant formulierten Kapitel, vom "Meer der Jugend" bis zur "Bleiernen Zeit", wird der überführte Veteran des Klassen- und Geschlechterkampfes von seiner in Werken, Worten und Gedanken dokumentierten, zwischen negativer Dialektik, großem Sprung, Frauenfeindlichkeit und Kifferwahn taumelnden adoleszenten Dummheit derart überwältigt, dass er drauf und dran ist, so ziemlich alles zu unterschreiben, was zur schnellen Beendigung des Verfahrens beitragen könnte. Die Bereitschaft des Delinquenten, den dargebotenen Strick zu küssen, stößt Gott sei Dank in der Person des Inquisitors auf ihre Grenzen. Die mit der Verabschiedung des bei unseren Wahlverwandten Marx, Bloch, Freud und Adorno zusammengeklaubten "jüdisch-intellektuellen Rotwelschs" einhergehende neue postmoderne Geschmeidigkeit des Verfassers kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der ehemalige Spitzenfunktionär des Kommunistischen Bundes Westdeutschland der Selbstwahrnehmung des im Stahlbad des proletarischen Internationalismus gehärteten Parteisoldaten bis heute verpflichtet bleibt: Der gute Materialist hat keine Probleme, jedenfalls keine persönlichen. Weil Gerd Koenen von seinem Vater im Vorwort lediglich zu vermelden weiß, dass er Bergmann war und "starb, als unsere Entfremdung am größten war", kommt dieser irritierend wortkargen und gefühlsarmen Verlautbarung im Rahmen seiner ansonsten überbordenden Darstellung unserer Geschichte der Rang einer jäh klaffenden, sich von Seite zu Seite vergrößernden Leerstelle zu.

Auf die Gefahr hin, mich dem peinlichen Verdacht auszusetzen, mit dem mir unheimlichen Genossen aus der Schwergewichtsklasse um den vakanten Titel eines Helden der Trauerarbeit zu konkurrieren: Die bange Frage, ob die sichelförmige, vom Mundwinkel zum Kinn verlaufende Narbe im Gesicht meines Vaters, der sich auf dem Höhepunkt der Revolte allein und unbeweint in einer Absteige in Konstanz seines vom Krieg und von der Verachtung seiner Söhne zerstörten Lebens entledigte, Folge des mit einem Tito-Partisanen in einem Kornfeld bei Banja Luka ausgetragenen Nahkampfes war oder ob es sich um die Spuren der letzten Gegenwehr unschuldiger Frauen und Kindern handelte, wird mich bis zum Ende meiner Tage verfolgen, weil niemand mehr lebt, der sie beantworten könnte. So oder so ähnlich mag es wohl vielen ergangen sein, die mit dieser Frage allein standen und im Rausch ihrer Verallgemeinerung zueinander fanden: Hänsel und Gretel im Schlaraffenland. Der unmöglichen Lossagung von der Vergangenheit und von den Menschen, die als Erste in Liebe zu uns gesprochen haben, kann aber nur gewahr werden, wer das Herzzerreißende dieser paradoxen Operation, eine Gratwanderung ohne Netz und doppelte Kapitalschulung, nicht nachträglich als Seelenkitsch einer von "Welt- und Lebensekel befallenen Jeunesse dorée" denunzieren und in sich niederhalten muss. Die Auflösung der antiautoritären APO und die wundersame Reanimation der spätestens seit dem Hitler-Stalin-Pakt auf dem letzten Loch der Geschichte pfeifenden K-Gruppen in der "proletarischen Wende" von 1969/70 ist aus meiner beschränkten Mitläuferperspektive nicht darauf zurückzuführen, dass die auf einem "megalomanen Selbstverwirklichungstrip" befindlichen Blumenkinder zwischen zwei Joints beschlossen hatten, dem bürgerlichen Staat mit Hilfe der jeweils stärksten der Parteien die Machtfrage zu stellen, sondern weil sich die dem warmen Mief der heimischen Fleischtöpfe entflohene freie Assoziation der Brüder und Schwestern mit dem kühnen Projekt eines "Denkens ohne Geländer" (Hannah Arendt) übernommen hatte. Nach der Demonstration, nach dem Teach-in war jeder für sich allein und den wenigen, von der pawlowschen Presse sabbernd herumgereichten Nutznießern der angeblich grassierenden "sexuellen Libertinage" stand eine Mehrheit frierender Jungfrauen beiderlei Geschlechts gegenüber, die zwar im Verband ellenlang Wilhelm Reich zitieren konnten, aber im Augenblick der herbeigesehnten Entblößung mit handschweißtreibender Scham geschlagen waren. Den Arbeiter- und Bauernfreunden aus der Abteilung Hammer und Sichel ging es mutmaßlich keinen Deut besser, aber sie verstanden sich zweifellos auf die perfekte Herstellung der von Hannah Arendt beschriebenen Gehhilfen. Unter all den auf die Verhängung von Denkverboten spezialisierten deutschen Filialbetrieben der Weltrevolution, die heute bis auf die in Blut und Tränen versunkene RAF nur noch von lautmalerischem Interesse sind, KPD/ML, KPD/AO, MAO, DKP, GIM, SB, SEW, MG, MSB und so weiter, hat sich der KBW unter seinem Sekretär Joscha Schmierer und seinem Schriftleiter Gerd Koenen den Ruf erworben, die schwankende Kundschaft seinerzeit mit besonders dickwandigen und witterungsbeständigen Geländern beglückt zu haben. Mir würde es heute leichter fallen, dem nur einen Steinwurf von meinem Schreibtisch entfernt über seinen Zettelkasten gebeugten Gefährten mit Mäßigung und Freundlichkeit zu begegnen, wenn seine gnadenlose Entlarvung unserer Irrtümer "von Anfang an" nur einen Hauch von innerer Beteiligung erahnen ließe. Das Unerträgliche seiner Selbstanzeige besteht nicht darin, dass der KBW dem rassistischen Despoten Robert Mugabe im mittlerweile zuschanden regierten ehemaligen Rhodesien mit 100.000 Pfund Sterling und ein paar Kettenfahrzeugen unter die Arme gegriffen hat, und auch nicht einmal darin, dass die Reisekader des KBW sich im Jahr 1977 auf dem Scheitelpunkt der Mordwelle der Roten Khmer im Wohlgefallen des großen Bruders Saloth Sar alias Pol Pot sonnten, sondern darin, dass der Kniefall vor diesen Leitfiguren des Antiimperialismus bis heute nicht als Ausdruck eines zutiefst kindlichen, buchstäblich über Leichen gehenden Anlehnungsbedürfnisses zur Sprache kommen und ins Bewusstsein rücken darf. Erinnern, wiederholen, durcharbeiten? Stattdessen waltet in dieser Generalbeichte zur Wiedererlangung der bürgerlichen Ehrenrechte ein vollkommen gepanzerter negativer Narzissmus, der sich an der aberwitzigen Idee mästet, man habe als stecknadelkopfgroße Speerspitze der westdeutschen Arbeiterklasse durch den Schulterschluss mit dem absolut Bösen sub specie aeternitatis dann doch noch in grandiosem Stil Geschichte gemacht und geschrieben.

Unter der unbeschwerten Regentschaft posthistorischer Beliebigkeit steht es jedem frei, sich in seiner Vergangenheit so einzurichten, dass die geschmacklosesten Möbelstücke vor Eintritt des Pensionsalters auf den Sperrmüll wandern und durch diesen Akt der Entsorgung eine ungetrübte Rückschau auf das eigene Leben gewährleistet ist. Ich war nach Abschluss meines Studiums in den frühen Siebzigerjahren dazu ausersehen, als Landesbildungssekretär der Falken im Auftrag der IV. trotzkistischen Internationale die Berliner SPD zu unterwandern. Angesichts meiner überwiegend reformistischen Lebenspraxis kann ich heute nicht mehr ausschließen, dass die Wühlarbeit wohl eher in umgekehrter Richtung erfolgreich war. Meine geballte, drohend in den Himmel über der geteilten Stadt gereckte Proletarierfaust konnte mich nicht davon abhalten, in der Abgeschiedenheit der Wahlkabine heimlich immer Willy Brandt zu wählen.

Während ich es also vorziehe, mir als Schaf im Wolfspelz zu begegnen, hält Gerd Koenen daran fest, nicht nur irgendein Wolf, sondern ein besonders gemeingefährliches Exemplar seiner Gattung, sozusagen ein eiskalter Engel unter den Wölfen gewesen zu sein. Dieser düstere Faltenwurf gereichte der privaten Denkmalspflege durchaus zur Zierde, wenn es dem Fackelträger der roten Gefahr nicht gefiele, den Furor der Selbstdämonisierung auch auf die Felder unserer Geschichte auszudehnen, die er als in der Klassikerexegese versunkener Redakteur der Kommunistischen Volkszeitung nur auf dem Umweg über die Kolportage betreten hat: die alternative Kinderaufzucht und das linksradikale Liebesleben. Von der bis heute andauernden, leidenschaftlich geführten kollektiven Auseinandersetzung um ein auch unter meiner väterlichen Mitwirkung bis zur Kabarettreife durchgezogenes pädagogisches Prinzip der "Selbstregulierung", das die Kinder bekanntlich dazu verdammt, immer das tun zu müssen, was sie wollen, bleibt nach Koenens unerbittlicher Verlesung der Protokolle der Kommune I und II nur das übrig, was der Konsument der einschlägigen Presseorgane schon immer wusste: Die ganze revolutionäre Erziehung bestand darin, dass verwahrloste, an der Grenze zur Pädophilie agierende Subjekte ihre Brut dazu benutzten, sich "von der historisch kontaminierten Welt ihrer Eltern abzunabeln" und im "Schutz eines generationellen Großprojekts ihre individuelle Pathologie auszuleben". Das erigierte, von Kleinkindern manipulierte Glied der männlichen Bezugspersonen soll dabei an der Tagesordnung gewesen sein. Im Frontabschnitt "peace, love and understanding" fällt der Heeresbericht ähnlich niederschmetternd aus. Obwohl der Verfasser beteuert, wegen seines damaligen "berufsrevolutionären Totalengagements" nicht legitimiert zu sein, "über das wirkliche Leben in der Frauenbewegung zu berichten", kann er dann doch nicht widerstehen und baut mit Verena Stefan ein extrem authentisches und auffallend armes Menschenkind in den schwarzen Block seiner monolithischen Geschichtsbetrachtungen ein. Die Schweizer Feministin sagte sich 1975 mit ihrem Saisonbestseller Häutungen von einer "verschweinten Männerwelt", von den "aggressiv nach ihr grabschenden und sie bedrängenden linken Politmackern" los und wird trotz des von Koenen diagnostizierten "todtraurigen und hochneurotischen" Charakters ihres Bekenntnisses umstandslos in den Chor der Kronzeugen aufgenommen: "Just another brick in the wall."

Völlig ermattet wird man dem mit reicher Morgengabe ins teure Vaterland zurückstrebenden verlorenen Sohn am Ende Recht geben müssen. Vom Ende her gesehen war Rudi Dutschke eine von den sugar daddys Augstein, Nannen und Bucerius umschwärmte protestantische Kokotte, die durch den Kopfschuss Bachmanns vor der fälligen Entzauberung bewahrt wurde. Vom Ende her gesehen war Ernesto Che Guevara ein der argentinischen Großbourgeoisie entsprungener Dekadent, der seinen bolivianischen Häschern in die Arme lief, um sich kurz vor Ultimo einen Platz im Medienhimmel zu sichern. Vom Ende her gesehen war der King of Rock ’n’ Roll ein aufgeschwemmtes, von Uppern und Downern zerstörtes Wrack. Gegen Ende der Lektüre sehen wir nicht nur ziemlich schlecht aus, sondern fühlen uns so alt, wie wir vermutlich niemals werden. Aber ganz am Anfang, sagen wir am Tag, als Elvis nach Bremerhaven kam, fuhr ein Blitz durch die im Brackwasser der deutschen Geschichte vor sich hindümpelnden Leiber und es war und bleibt ein großes Glück, zu denen zu gehören, die in Bewegung kamen und blieben. Etwas Besseres als den Tod haben wir allemal gefunden. Etwas Besseres als diese Leichenrede zu Lebzeiten hätte ich nicht nur mir, sondern auch Gerd Koenen gewünscht. Oder wie es der bereits im Himmel der revolutionären Komödianten weilende Wolfgang Neuss ausdrückte: Deutsche Klinke, immer so niedergedrückt.