Das fehlende Nachwort

Lockerungen für die Dilemmata des neuen bündnisgrünen Grundsatzprogramms

Zoltán Szankay

Die Grundsätzlichkeit des grünen Programmentwurfs vergisst auf das Entscheidende: auf das Politische, auf Widersprüche, Reibungsflächen, Zuspitzungen. Stattdessen wirkt er, so der Autor, wie das Produkt eines sozialwissenschaftlichen Instituts.

Was als Entwurf eines neuen Grundsatzprogramms der Bündnisgrünen vorgestellt wurde, ist zweifelsohne viel mehr als ein bloßer Entwurf, der einem offenen Diskussionsprozess unterworfen werden soll. Der grundsätzliche Rahmen des Entwurfs, die Leitvorstellungen dessen, was das relativ neu entstandene "Grüne Element" in der deutschen politischen Geschichte – ja sogar in der Geschichte der politischen Moderne – eigentlich soll, stehen nicht ernsthaft zur Diskussion oder Disposition. Sie können gar nicht zur Disposition stehen, weil das fragliche Dokument – das wohl anspruchsvollste, das bislang "grünparteilich" produziert worden ist und das auf einer breiten Palette von sozialwissenschaftlich hergestellten Bauelementen aufsitzt – etwas Offensichtliches zu leisten hat: Es hat die ausführliche und weithin widerspruchsbereinigte Begründung und Legitimierung der politischen Praxis zu leisten, welche die Bündnisgrünen, vornehmlich als reformerische Regierungspartei im rot-grünen Bündnis, mit fast ausschließlich strategisch-pragmatischen Akzenten, real betreiben.

Das Bedenklichste an diesem Vorhaben lässt sich in drei Punkte fassen. Alle betreffen nicht das Gesagte, sondern das Ungesagte, die "blinden Flecken" sozusagen, die die scheinbar problemlose Kohärenz des "erscheinenden" Programmgefüges erst ermöglichen.

Es ist zum einen, vor allem für diejenigen, die mit der Geschichte der Bündnisgrünen einigermaßen vertraut sind, offensichtlich, dass das Grundsatzprogramm (samt der darüber zu führenden Diskussion) eine Art Ersatzhandlung darstellt. Das heißt, eine Ersatzhandlung für die als viel zu gefährlich und schmerzlich eingeschätzte Austragung der unter dem grünen Burgfrieden schwelenden Differenzen über strittige politische Entscheidungen. (Nur in puncto Kosovokrieg kam es, wenigstens zeitweilig, zu einer unabweisbaren Entscheidungsfindung, die aber, um sie erneut konsensfähig zu machen, nachträglich weitgehend zurückgenommen wurde.) Das Bemerkenswerte an dieser nachträglichen, vollrationalen und vollmoralischen Ausgestaltung der bündnisgrünen Realopraxis ist, dass die "nur" direkt-pragmatisch begründete, sich aber an den konkreten Machtkonstellationen, an der adäquaten Wahrnehmbarkeit und an anstehenden Aufgaben orientierende – und reorientierende – grüne Realpolitik noch immer einen größeren politischen Spielraum offen lässt als eine von der Stadtpolitik bis zur global governance durchbuchstabierte und durchrationalisierte Programmatik. Viel vom diffusen Unmut, der gegenüber dem "Grundsatzprogramm von oben" zu Tage tritt, mag hier eine seiner Quellen haben.

Es ist, zum Zweiten, erschreckend, wie heute noch, mehr als zehn Jahre nach dem 1990er Debakel der grünen Partei, die sich ihrer konkreten historischen Verortung und ihrem Eingebettetsein in die brennenden Fragen, Belastungen – aber auch befreienden Momenten – ihrer politischen Nation nicht stellen konnte, in einem Grundsatzdokument dieser Art das bündnisgrüne Führungspersonal so spricht, als wäre es nur zufällig in die deutsche Filiale einer weltweit existierenden "grünen Wertegemeinschaft" geraten, die an der "nachhaltigen Entwicklung" des soziologistischen Abstraktums "Weltgesellschaft" operiert.

Es wird, zum Dritten, deutlich, in welchem Maße eine moralische und strategisch-rationale Letztbegründung der Horizonte, in denen sich die Bündnisgrünen als Regierungspartei praktisch bewegen, eine fatale Versuchung bestärkt: Die Versuchung, uns als die wahren Vollstrecker des "unvollendeten Projekts der Moderne" (auf apolitisch-frankfurterisch) oder als die Träger der "reflexiven Modernisierung" (auf politologisch) zu verstehen. Nur wenig kann unsere Distanz zu den widerständischen Potenzialen der Menschen im Lande mit größerer Sicherheit vertiefen als Selbstbilder dieser Art.

Wie sich auch die Bedenken gegenüber dem grundsätzlichen Rahmen des Grundsatzprogramms artikulieren mögen (Joschka Fischers anfängliche Bedenken waren wohl mehr als angebracht), Tatsache ist, dass dieser Rahmen – in der Konstellation, in der sich die Bündnisgrünen befinden – zunächst alternativlos ist. Dies nicht bloß aus innergrünen Machtverhältnissen heraus, sondern auch aus wenigstens zwei anderen Gründen: Zum einen geht der Druck der öffentlich-medialen Pseudomoralisierung des Politischen genau in die Richtung der problem- und gegensatzlosen Wertebezogenheit und Wertebegründetheit des Politischen, fern von aller Dramatik, mit der das letztlich Unbegründbare des wirklich politischen – und nicht instrumentellen – Handelns verknüpft ist. Zum anderen sind die politiktheoretischen Durchbrüche der letzten 20 bis 25 Jahre, in der arendtschen Nachfolge, in den Radikalisierungen der phänomenologischen und psychoanalytischen Handlungsverständnisse, die auf die Grenzen der Säkularisierbarkeit und der Entsymbolisierbarkeit unserer politischen Räume gestoßen sind, ebenso wie das Neuverstehen der politischen Geschichte durch das "republikanische Moment" noch immer völlig außerhalb der Theoriehorizonte der überwiegend soziologistisch geschulten, sich auch intellektuell artikulierenden "grünen Akteure". (1) Das heißt: Den Platz, von dem aus eine zugleich politisch sinnvolle und "prinzipielle" Kritik am Rahmenkonzept des Grundsatzprogramms gegenwärtig zu leisten wäre, gibt es nicht. Der politische Sinn von Detailänderungen innerhalb des vorgegebenen Rahmens mag punktuell gegeben sein, wobei diese implizit genau das akzeptieren, was an diesem Grundsatzprogramm nicht akzeptiert werden sollte: nämlich dass es die ganze Potenzialität der Anfang schaffenden politischen Entscheidungen, durch die die deutschen Grünen (und später die Bündnisgrünen) auf die Welt kamen, "abdecken", dass so etwas wie die Handlungshorizonte bündnisgrüner Politik hinreichend definiert wären.

Die ganze Bedeutung dieses Punktes wird dann deutlich, wenn wir gewahr werden, dass die Weiterexistenz des politischen Platzes der Bündnisgrünen, über ihre Gründergeneration hinaus, heute eher weniger gesichert erscheint als noch vor einigen Jahren. Es spricht sehr wenig dafür, dass die bündnisgrüne politische Alltagspraxis aus sich heraus das Übertragungsmedium wird schaffen können, das den heute eher wachsenden Generationengraben überbrücken würde. Die damit verbundenen Ängste sind natürlich im Grundsatzprogramm unausgesprochen präsent. Offensichtlich sollen dort die Abschnitte über die "Generationengerechtigkeit" (die als ein grünes Spezifikum vorgestellt werden) ein inhaltliches wert- und interessenrationales Baustück zu dieser Brücke liefern. Vermutlich wissen aber auch die Autoren jener Zeilen, wie wenig sie zu einem repolitisierenden Medium beitragen.

Das kaum bedachte und behandelte Dilemma der "Grünen Sache" wäre also: Um die machtbezogene "politische Syntax" (d.h. das Differenzgefüge, in welchem die plural-parteiliche Problembearbeitung eines republikanisch-demokratischen Gemeinwesens sich abspielt) mitprägen zu können, mussten die Bündnisgrünen zu einer scheinbar normalen Partei werden, deren Spezifikum dann nur im Inhaltlich-Programmatischen liegt, so wie es das Grundsatzprogramm definiert. Als normalisierte Partei der klassischen politischen Moderne jedoch (d.h. ohne jene überschüssige Dimension einer Erneuerung des Politischen und deren antagonistische Zuspitzung, die von der Gründergeneration in mitgeschleppten linksradikalen Einkleidungen, wie unzulänglich auch immer, angedeutet wurde) scheint der politisch-geschichtliche Platz des neuen "grünen Elements" nicht überlebensfähig zu sein. Wiederum anders gesagt: Das politisch relevante "bündnisgrüne Überleben" ist wohl von einer Erneuerbarkeit des Politischen abhängig, von der Wiederbelebung einer auch öffentlich zuspitzbaren Strittigkeit, die die scheinbare Selbstverständlichkeit der normalisierten "Politikaufgaben" in Frage stellen kann.

Um die entscheidende Differenz klarzumachen: Die weltweit tausende – staatlich oder privat getragenen und finanzierten – Forschungsinstitute und internationalen Institutionen zu den Problemen der "ökologischen Nachhaltigkeit", der Demokratieforschung, der theoretischen und punktuell-pragmatischen Bearbeitung von "Gerechtigkeitsfragen" werden, auch in einer sich weiter normalisierenden und liberal-individualisierenden Moderne problemlos weiterexistieren können, samt der selbstlegitimierenden und sich den demokratisch-politischen Machtstrittigkeiten entziehenden NGOs. Das Gleiche gilt auch für die gelegentlich aufflackernden und immer selbstreferenzieller werdenden Bewegungsschübe um oft authentisch besetzte, aber weitgehend adressatenlose Gerechtigkeitsforderungen. Diese gesicherte Kontinuität kann aber nicht für den machtbezogenen und mit der Erneuerbarkeit des Politischen verknüpften Handlungsplatz der Grünen gelten, noch einverlangt werden.


Momentaufnahmen zur "Programmdiskussion"

Ein Gespräch noch vor der Veröffentlichung des Entwurfs des Grundsatzprogramms mit K. L., der Fraktionsvorsitzenden der Bündnisgrünen im Bremer Landtag, über Alternativen des nächsten Wahlkampfes auf Landesebene: Bei Überlegungen zu "guten" Ansprechweisen, die auch Spezifisches vom bündnisgrünen Politikverständnis deutlich machen, kommt das Gespräch auf ein Wahlplakat der Landtagswahl 1991: "Wenn Sie uns wählen, werden Sie reich, berühmt und glücklich. Die Grünen." Wir sagen fast gleichzeitig: "Es war das beste Wahlplakat, das wir je hatten" – nicht für sich genommen, sondern in Verbindung mit den "positiven" Wahlaussagen: Ihnen allen gleichsam eine andere, nachträgliche Beleuchtung gebend. Eine, die auf das zwanghafte Moment der "falschen Versprechen" eingeht, das einer bestimmten Dimension der Politik der Moderne inhärent ist und das die Menschen, wenn auch undeutlich, sehr wohl verspüren.

Eine kürzlich vom Nachrichtensender NTV gesendete Gesprächsszene: Sandra Maischberger mit Claudia Roth, vom Bundesvorstand der Bündnisgrünen, und mit Sybill Klotz, Listenführerin der Partei für die Berliner Wahlen. Maischberger zu Roth: "Der Spiegel brachte unlängst ein Bild von einer Demo in Frankfurt aus dem Jahre 1990. Darauf sind Sie, zusammen mit Jutta Ditfurth, vor einem Plakat zu sehen, auf dem steht: ‚Nie wieder Deutschland‘, das Motto der Demo. Wenn Sie sich nun damals durchgesetzt hätten, säßen Sie beide, jetzt von derselben Partei, nicht hier. Was sagen Sie dazu?" Das fast Unglaubliche: Claudia Roth, weit unter ihrem Niveau und vor weit mehr Zuschauern, als das Grundsatzprogramm je Leser haben wird, verpasst in einer fatalen Weise die Gelegenheit, ein anderes Bild der grünen Konfrontation mit radikalen eigenen Verfehlungen zu geben, als die Menschen es tagtäglich von der Parteiriege vorgeführt bekommen. Am fortlaufenden Rechthaben wird als bedingungslose politische Führungsqualität krampfhaft festgehalten. Claudia Roth meint, das Offensichtliche umlügen zu müssen: Nicht gegen die Wiedervereinigung lief die damalige Demo, nein, was auf dem Plakat steht, wird von der Maischberger falsch verstanden; nur gegen den "Nationalismus" waren sie und die anderen damals auf der Straße ...

Zweite NTV-Szene, mit denselben Personen: Maischberger insistiert auf dem Problem der fehlenden Bündelung des neuen Grundsatzprogramms; darauf, dass es kaum richtig auf "den Punkt gebracht" werden kann. Sie erwähnt dabei den von der Programmkommission abgewiesenen Versuch einiger jüngerer bündnisgrüner Abgeordneter, diese Zentrierung entlang einer "familienpolitischen" Hauptgewichtung durchzuführen. Das Deprimierende an den Antworten von Roth und Klotz war, dass sie die Pointe der Fragestellung gar nicht zu begreifen schienen (dass der vorausgesetzte Rahmen des Grundsatzprogramms, sein "Geist", dieses Begreifen gar nicht zuließ). – Wieso soll es denn ein Problem sein, dass in der Präambel nur allgemeine "Grundwerte" nebeneinander gestellt werden und am Ende in einem recht sperrigen Satz kombiniert werden? Die beiden befragten Frauen bemerken nicht einmal, dass die Frage Maischbergers nicht auf die "richtige Beschreibung" der Inhalte zielt, sondern auf die Art und Weise, in der die "Anderen", die Angesprochenen und die Gegner, in der Sprache des Grundsatzprogramms schon "anwesend" oder "außen vor" sind. Maischberger bemerkt übrigens auch das Fehlen des Elements (in der vorliegenden Präambel), des Begriffes, der im Programm von 1980 gerade der Knackpunkt, die am schwersten assimilierbare "differentia specifica" in einem Milieu war, in dem "strukturelle Gewalt" und "Gewalt als Geburtshelferin der Geschichte" (Marx) zum Alltagsverständnis gehörten. Die Rede ist natürlich vom "Baustein" gewaltlos des alten Programms. Auch hier das Deprimierende dieser Grundsatzprogrammvorstellung: Das offensichtliche Fehlen dieses Bausteins in der Präambel wird nicht zugegeben und erklärt, sondern gewunden geleugnet. Dabei wird deutlich: Der Begriff fehlt in der Präambel, weil der präzise historisch-politische Sinn des grünen gewaltlos von 1980 im Politikverständnis des Grundsatzprogramms scheinbar verloren gegangen ist, womit auch den Argumenten der Gegner der Parteientscheidung zur Bosnienintervention (nämlich dass sie gegen die Grundsätze von 1980 verstoßen habe) Recht gegeben wird. Das damals von vielen schwer zu schluckende gewaltfrei war aber – nach dem "deutschen Herbst" – weit mehr als eine strategisch-instrumentelle Absage. Es war auch eine Absage an das imaginär aufgeladene Feindbild des "Systems". Es implizierte aber auch die Differenzierung, die Hannah Arendt vornimmt: Zwischen Gewalt als Bestandteil einer politisch-instrumentellen "Lösung" und den notwendig werdenden Mitteln, durch die die Möglichkeit von politischen Lösungen überhaupt wieder hergestellt werden kann. Was nun die von Maischberger nicht von ungefähr eingebrachte "familienpolitische Zentrierung" betrifft, wird sie hier, von den befragten Frauen, fernsehöffentlich, in die Nähe von "Stoiberschen" Politikvorstellungen gebracht: Ein Beispiel dafür, dass, je widerspruchsloser der "grüne Diskurs" dargestellt werden soll, die damit verbundenen Ausschließungen desto härter werden.

Die dritte Szene, ebenfalls mit der die Haltungen zum Grundsatzprogramm erkundenden Maischberger. Die Frage war, wieso ein härterer Forderungsstil, der für das alte Programm charakteristisch war, nun kaum mehr wahrzunehmen ist. Sybill Klotz versucht mit der Unterscheidung von langfristigem Grundsatzprogramm und kurzfristigem Wahlprogramm zu antworten. Claudia Roth sekundiert: Da werden sich noch einige wundern, was für harte Forderungen zum Beispiel im Berliner Wahlprogramm eingebracht werden, so etwa die Forderung nach Frauenparität auch in der Privatwirtschaft. Maischberger fasst trefflich zusammen: "Also das Langzeitprogramm für das Mögliche und das Kurzzeitprogramm für das Unmögliche." Sie trifft damit wohl mehr, als ihr in dem Moment bewusst sein mag: Weite Teile des Grundsatzprogramms lesen sich wie das Produkt eines wissenschaftlichen Ökoinstituts, dessen Vorschläge zur "nachhaltigen Entwicklung" definitionsgemäß gar keine Gegner haben kann, sondern nur ignorante und kurzsichtige Blockierer, die die anstehende Lösung des "Problems der Ökonomie der Moderne" (die früher einmal als "Kapitalismus" bezeichnet worden ist) nur verzögern.

Abschließend eine letzte medienvermittelte Momentaufnahme: Das am 15.8. in der taz publizierte Interview Daniel Cohn-Bendits zeigt mit seinen Zuspitzungen gegen Joschka Fischer, dass die faszinierende und medienverstärkte Aufladung dessen, was als globale Antiglobalisierungsbewegung präsentiert und rezipiert wird, beginnt, widersprüchliche Effekte und Spannungen im "europagrünen" Umfeld zu produzieren. Die Verbindungen zu den Problemen des bündnisgrünen Grundsatzprogramms sind ersichtlich. Je weniger im bündnisgrünen Diskurs die Potenzialitäten einer "anderen Politisierung" (ein Ausdruck Antje Vollmers in einer Diskussionsrunde über "68") deutlich werden, desto anziehender und faszinierender werden die eher ungut wiederkehrenden Formen der mit imaginären Feindbildern aufgeladenen Politisierung per "Bewegungsmobilisierung". Das Bedenklichste im Interview ist die Verbindung zwischen dem fehlenden radikalen Einspruch Cohn-Bendits gegenüber den Gewalt freigebenden Charakterisierungen des taz-Interviewers dessen, was er als die "mörderischen" Konsequenzen der EU-Grenzpolitiken definiert (auf dem klassischen Hintergrund der politischen Allmachtsfantasien, die sich mit dem Schlagwort des "Primats des Politischen" verbinden) einerseits, und andererseits seinen sich radikalisierenden Fantasien über eine direkt antiamerikanische (und antibritische) europäische Politisierung, in der die französischen Les Verts und die Antiglobalisierer eine Art Verbündete wären. Cohn-Bendit müsste nur einmal in einer "Antiglobalisierungsdemo" seine Positionen zu den Interventionen in Bosnien und im Kosovo laut verkünden, er würde sofort die Wahrheit über diese Bündnisfantasien erfahren. Das entbindet niemanden von der Sorge über die Gefahren der Gewaltspirale in Verbindung mit Staatsgewalt und "Antiglobalisierern". Aber diese Gefahren werden gewiss nicht durch die Aufopferung des Freiheitsbezugs der okzidentiellen Politikgeschichte und durch die Gleichsetzung von Gerechtigkeitsbezug und pseudoermächtigender Selbstzuschreibung desselbigen gebannt. (2)

Das fehlende Nachwort zum neuen Grundsatzprogramm der Bündnisgrünen kann gewiss nicht auf diesen Seiten geschrieben werden. Es wurde aber vielleicht deutlich, in welchem Ton es vielleicht geschrieben werden könnte. Und dass die jüngere Riege der bündnisgrünen Bundestagsabgeordneten mit ihrem Vorschlag einer "familienpolitischen Zentrierung" (d.h. mit einer ansprechenden Bündelung von Rücksichten und Widerständigkeiten, die einen nicht individualisierbaren Übertragungsraum gegen "Trends" revoltierend behaupten) auf einem wohl nicht ganz falschen Weg dazu war und ist.

 

(1) In einer ähnlichen Weise versammelt die Heinrich-Böll-Stiftung zum großen Teil illustre Personen, die – meist im Mainstream der eher handlungsraumfernen und linksliberalen Sozialwissenschaften – den Vorstellungen der linken Sozialdemokratie (oder auch den institutionsfernen NGO-Akteuren) wesentlich näher stehen als dem politischen Erneuerungsraum der Bündnisgrünen. Die Verantwortung dafür, dass das Politikverständnis in jenem intellektuellen Milieu, das bei den Leitungsgremien der Böll-Stiftung und der Bündnisgrünen Beachtung findet, sich von dem des intellektuellen Umkreises der Friedrich-Ebert-Stiftung viel weniger unterscheiden lässt, als der politisch-geschichtliche Platz der Bündnisgrünen von dem der Sozialdemokratie, liegt natürlich nicht nur bei der Böll-Stiftung. Sie liegt ebenso bei den hegemonistischen Verhältnissen innerhalb des deutschen intellektuellen Feldes selbst, in dem eine im Westen sonst kaum vorstellbare moralisierende Blockade gegenüber dem, was als postmodern eingestuft wird, ein jedes Verständnis gegenüber der Spezifität des bündnisgrünen Einschnitts in die Politikgeschichte der Moderne unmöglich macht. (Es geht um einen machtbezogenen Einschnitt der deutschen Bündnisgrünen und nicht um den irgendwelcher allgemein grüner oder ökologischer Projekte oder Visionen.) Nur dadurch konnte der verwirrende Eindruck entstehen, dass ausgerechnet jene illustren akademischen Gestalten hier zu Lande, in deren Werken das Politische (mit seiner Potenzialität zu Neuanfängen) fast restlos in objektiv-gesellschaftsgeschichtlichen oder normativ-moralphilosophischen Bädern aufgelöst wird (wie etwa in denen von A. Honneth oder U. Beck), in einer irgendwie signifikanten Nähe zu den Entscheidungen (und nicht Ideen oder Bewegungen) stünden, die die Bündnisgrünen hervorgebracht haben.

(2) Es ist hier nicht der Platz, um auf die aktuellen Beleuchtungen der außenpolitischen Widersprüche der Bündnisgrünen einzugehen, die in diesen Gesprächsrunden auch öffentlich zu Tage getreten sind. Wichtig in diesem Zusammenhang ist es aber festzuhalten, dass es zum größten Teil die geschichtlich-politischen Wahrnehmungen Joschka Fischers waren, die die ganze Bedeutung einer bündnisgrün mitgeprägten deutschen Außenpolitik (die sehr wohl eine entscheidende innenpolitische Dimension hat, wie der Bosnienkonflikt zeigte) überhaupt erst sichtbar gemacht hat. Nirgendwo sonst laboriert das grüne Element direkter (aber eben nicht als eine separierbare ‚grüne" Außenpolitik) an der sich immer auch nach außen wendenden Identität der deutschen politischen Nation als in diesem bündniseingebundenen Interventionsfeld.