Politische Intervention für eine beschäftigungspolitische Auffanglinie

Ein Konzept der Konstanzer Bündnisgrünen

Hendrik Auhagen

Inwieweit nehmen die politischen Apparate die Brisanz der existentiellen Bedrohungsängste im unteren Drittel der Gesellschaft wahr und entwickeln einen Handlungswillen, der bei den Betroffenen überhaupt noch ankommt? Was heißt "Krise" und was bedeutet entsprechend "Lösung"? Unter dem Begriff "Grundbeschäftigung" wird zunächst einmal abstrakt skizziert, was überhaupt an Lösungsspielraum zur Verfügung steht, um schließlich das Konzept der Konstanzer Bündnisgrünen für ein "Teilzeitarbeit-unterstützendes Grundeinkommen" als konkreten Lösungsvorschlag darzustellen.

Politische Routine und Resignation des wegbrechenden Randes

Daß die Arbeitslosigkeit "dramatisch" und "das Hauptproblem" ist, "das absolut vordringlich zu lösen ist", bestimmt mit ansteigendem Dringlichkeitston die Stellungnahmen der "politischen Klasse" und natürlich ganz besonders die der Opposition. Diese dramatischen Beschwörungen stehen bei genauerem Hinhören in einem seltsamen Gegensatz zur Formulierung der Gegenmaßnahmen: 1. - besonders auf Regierungsseite - "Wir(?) alle müssen uns damit abfinden, daß nun die mageren Jahre gekommen sind." 2. "Schnelle Lösungen sind nicht zu erreichen!" 3. "Die Rahmenbedingungen müssen verändert werden!" Letzteres ist eine beliebte Überleitung von der akuten Not von Millionen von Betroffenen zum jeweiligen Lieblingsthema der Partei. Ganz besonders schamlos versteht es die FDP, den Leidensdruck der Betroffenen auf die Mühlen der Privilegiensteigerung für das eigene besserverdienende Klientel zu leiten: "Vermögenssteuerabschaffung", "Spitzensteuersenkung", "prinzipieller Abbau von Schutzrechten...", natürlich alles den Arbeitslosen zuliebe, denen mit der Streichung von Unterstützungsleistungen in "tough love" nach US-Muster ein herzlicher Klaps versetzt wird.

Neben FDP und Union folgen auch SPD und Bündnis90/Grüne der modischen Indirektheits-Konvention: Durch veränderte Rahmenbedingungen dafür sorgen, daß plötzlich das keynesianische Konjunktur- oder technische Innovationswunder Millionen von gutbezahlten zusätzlichen Vollzeitarbeitsplätzen entstehen läßt. Auch die an sich richtige Forderung von Bündnis 90/Die Grünen nach einer ökologischen Steuerreform wird von Teilen der Partei als die Antwort auf die Massenarbeitslosigkeit gesehen. Aber alle seriösen Untersuchungen kommen auf nur wenige hunderttausend zusätzliche Arbeitsplätze und das auch nur im Verlauf eines längerfristigen Strukturwandels, bei dem Millionen von wegbrechenden Arbeitsplätzen in konventionellen Branchen durch den ökologischen Umbau aufgefangen werden. Zwar werden in Bündnisgrünen Programmpapieren immer wieder allgemeine Arbeitsumverteilungen gefordert, wie diese aber konkret und innerhalb eines absehbaren Zeitraums bei ihnen ankommen sollen, bleibt für die Betroffenen schwer vorstellbar.

Natürlich ist die Debatte um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen richtig und wichtig, aber sich auf sie zu beschränken und auf die Frage der schnellen politisch-sozialen Intervention zu verzichten, ist inhuman, demokratiepolitisch höchst gefährlich und aus grün-roter Sicht machtpolitisch unprofessionell, weil das Kernproblem, das eigentliche Leidenspotential, und die daraus resultierenden politischen Verhaltensweisen nicht wahrgenommen werden. "Die Gesellschaft" kommuniziert verkehrt über das Problem "Arbeitslosigkeit" und bestärkt sich dadurch in einer falschen Krisenwahrnehmung.

Das Leiden besteht zum einen in der stark ansteigenden Angst vor Arbeitslosigkeit bei einem immer größeren Teil der "Normalgesellschaft" und zum anderen in der Not der schon von Dauerarbeitslosigkeit Betroffenen. Die registrierten Zahlen sind dabei nur begrenzt aussagekräftig: So gehören junge Fachkräfte in kurzfristiger Wechselarbeitslosigkeit, wenn überhaupt, nur begrenzt zu den Betroffenen. Andererseits sind die vielen nicht mehr oder noch nicht registrierten Arbeitssuchenden, die sogenannte "Stille Reserve", auf jeden Fall zu den "Akutleidenden" zu rechnen, ebenso wie die vielen ABM-Kräfte und Kurzzeitbeschäftigten ohne Dauerperspektive. Somit stehen mindestens 5 Millionen akut unter Leidensdruck.

Die Not der Betroffenen liegt zum einen im sehr hohen materiellem Verarmungsrisiko und dessen heftigen psychisch-kommunikativen Folgen für das Leben in einer Freizeit-Hochkonsum-Gesellschaft. Zum anderen in den katastrophalen Folgen, die dauerhafter Ausschluß aus der Arbeitsgesellschaft für das Selbstbewußtsein der Betroffenen hat. Arbeitslosigkeit bedeutet meistens "Ausschluß aus der Gesellschaft" schlechthin. Die Wirkungen sind für alle Fachleute offensichtlich; die psychische Krise ist sogar, wie medizinische Untersuchungen der Abwehrkräfte bei Dauerarbeitslosen belegen, direkt körperlich nachweisbar. Viele Betroffene erreichen nach einigen Jahren Dauerarbeitslosigkeit einen solchen Grad des psychischen wie physischen Verfalls, daß dieser beinahe oder tatsächlich irreversibel wird: Sie befinden sich in schwersten Lebenskrisen.

Bei diesem Leidensprozeß wirken erzwungene Untätigkeit einerseits und die hochgehaltene Norm der Arbeitsgesellschaft, die Propaganda des Sich-anstrengen-Müssens und die aus perfider Berechnung verbreiteten Stammtischlegenden von den faulen Arbeitslosen andererseits verhängnisvoll ineinander: Nichterfüllbare Normen werden als Bedingung der Existenzberechtigung hochgehalten: Unausgesprochen entsteht das Außen- und Selbstbild des "überflüssigen Menschen".

Sinkende Wahlbeteiligung und Äußerungen des Desinteresses sprechen dafür, daß sich tendenziell aus der Gesellschaft ausgeschlossen fühlende Arbeitslose sich immer weniger für Politik interessieren, es nicht als "ihre Sache", sondern als die "der da oben" ansehen. Verschärft wird dies durch die Tatsache des mangelnden Selbstbewußtseins, der Scham und des praktisch nicht vorhandenen Organisationsgrades von Arbeitslosen, was verhindert , daß ihre Not und daraus resultierende Forderungen in den Wahlkämpfen vorkommen. Konsequenz ist eine immer breitere Wahlenthaltung. Die ohnehin schon schwache Überzeugung, daß Politik etwas mit den konkreten Lebensbedingungen zu tun hat und auf sie über Politik eingewirkt werden kann, schwindet dramatisch. Denn in der politischen Debatte kommt zwar der abstrakte Arbeitslose als Kronzeuge beliebiger wirtschaftspolitischer Langfristrezepturen vor, aber nicht als jetzt massiv bedrohtes, real existierendes Wesen aus Fleisch, Blut und vor allem gedemütigter Persönlichkeit. Diese Funktionalisierung der Betroffenen für höchst egoistische Interessen vor allem im Arbeitgeberlager und der zumindest für die Betroffenen nebulöse Charakter der Oppositionsalternativen verstärkt die Abwendung der Arbeitslosen von der Politik.

Damit beginnt sich auch bei uns ein gefährlicher Teufelskreis zu schließen, der in den USA schon lange funktioniert: Dort liegt die Wahlbeteiligung bei etwa 50 Prozent - gerade aufgrund dieser Apathie der sozial Ausgegrenzten. Diese wieder macht die Durchsetzung sozialer "Issues" wie der Krankenversicherung unmöglich, was das politische Desinteresse bei den Unterschichten weiter verstärkt. Allerdings gibt es eine bisher noch nicht genutzte Strategie einer Wahlmobilisierung von Existenzbedrohten, das tribalistische Reintegrationsangebot nämlich: nationalistisch-rassistisch den Adel der deutschen Geburt und dadurch wieder das Recht auf einen Platz in der Gesellschaft zu verleihen. Die Gefahr ist offensichtlich - die etablierte politische Klasse scheint es in der süßen Ruhe arrogant abwartender Machtapparate aber darauf ankommen lassen zu wollen, daß ihnen - so wie in Frankreich oder Österreich - die Fetzen um die Ohren fliegen.

Ratlosigkeit macht sich in der Gesellschaft breit. Sie äußert sich in dem allgemeinen Seufzer über die ach so komplexe und eigentlich nicht mehr beeinflußbare Gesellschaft, die jede Handlungsmöglichkeit beschneide. Manchmal klingt der Seufzer wohlig. Aus der inzwischen von niemandem bestrittenen Tatsache, daß es keine Aussicht mehr auf genug gutbezahlte Vollzeitarbeitsplätze gibt, wird bequem abgeleitet, daß man/frau sich deshalb mit Massenarbeitslosigkeit, Existenzbedrohung und Ausschluß aus der Gesellschaft abzufinden hat. Genau das aber wird hier bestritten.

Das Hauptleiden der Massenarbeitslosigkeit ist nicht die fehlende Vollzeitarbeit-Mittelschichtskonsum-Perspektive, sondern der freie Fall in eine diskriminierende Armutsverwaltung bei Ausgrenzung aus der Erwerbsarbeit, die gesellschaftliche Stigmatisierung und der psychologische Ausschluß aus der Gesellschaft überhaupt. Und für diesen zerstörerischen Leidenskern gibt es durchaus umsetzbare Lösungsmöglichkeiten - auch ohne den plötzlichen Ausbruch eines wie auch immer induzierten Superwirtschaftswunders. "Lösung" wird hier nicht an dem Maßstab einer Hochwohlstands-Perspektive gemessen, sondern am qualitativen Sprung aus der passiven, diskriminierenden Ärmlichkeit in eine bescheidene, aber humane Sicherung bei Wiedergewinnung eines Platzes in der (Arbeits-)Gesellschaft, etwa indem "Halbtagsarbeitsplätze" finanziell so aufgestockt werden, daß sie zumindest eine Einkommensperspektive von 1000 DM nach Abzug der Wohnkosten für alle Arbeitssuchenden garantieren. Das würde den größten Teil des Leidensdrucks von den Betroffenen nehmen - aber natürlich nicht ins Paradies führen.

Konzeptioneller Rahmen: "Grund-Beschäftigung"

In der beschäftigungspolitischen Debatte stehen sich zwei Argumentationsmuster gegenüber: das sogenannte angebotsorientierte und das nachfragetheoretische. Aus der Sicht der derzeit herrschenden Angebotstheorie führt das möglichst weitgehende Wegrationalisieren öffentlicher und bestehender privater Arbeitsplätze zu einer erhöhten Verfügungsmasse an privatem Kapital, die dann durch Investitionen in neue Marktsegmente zu neuen Arbeitsplätzen führt. Nichts ist dieser Position nach so falsch, wie durch öffentliche Subventionen diesen Strukturwandel hinauszuzögern.

Historisch gab es Situationen, in denen diese Sicht zutraf. So zu Zeiten des raschen Strukturwandels in den 50er und 60er Jahren, als der millionenhafte Wegfall von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft, alten Industrien und im Kleinhandel durch die Schaffung von neuen und sogar besseren Arbeitsplätzen überkompensiert wurde. Unter solchen Bedingungen großen Arbeitsbedarfes hätten Erhaltungssubventionen somit die Produktion von potentiell nachgefragten Gütern durch Arbeitskräftemangel verteuert und zusätzlich noch die Gesellschaft mit hohen Erhaltungssubventionen belastet.

Wie sieht es aber mit dieser angebotsorientierten Rationalität angesichts eines chronischen Überangebotes von Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt aus? Wo soll (zu zumutbaren Bedingungen und existenzsichernden Löhnen) das zu entlassende Personal von geschlossenen öffentlichen Bibliotheken, Jugendclubs, Schulen, Schwimmbädern oder privaten Geschäften, Kaufhäusern, Gärtnereibetrieben und arbeitsintensiven Produktionsanlagen neue, existenzsichernde Arbeitsplätze finden?

Unter der Bedingung, diese Menschen und die draußen bleibenden Nachwuchskräfte nicht ins Nichts fallen zu lassen, sondern auf humanem Niveau durch Unterstützungsleistungen zu versorgen, führt diese Politik zu hohen Kosten für die staatlichen Sicherungssysteme. Nur daß diese teuer passiv Versorgten keine Arbeitsleistungen mehr für die Gesellschaft erbringen.

Die nachfrageorientierte (keynesianische) Position neigt aus dieser Sicht zu weitgehend öffentlicher Subvention von Beschäftigung. Mit dem richtigen Argument "Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren" wird von vielen nachfrageorientierten Ökonomen nun aber fast jede Art von öffentlich geförderter Beschäftigung begrüßt, auch wenn es sich um hoch bezahlte Arbeitsplätze bei der DASA, im Bergbau oder zeitweise relativ gut bezahlte ABM-Stellen (etwa für das Vorlesen von Märchen eines bisher arbeitslosen Lehrers) handelt. Mit dem Ergebnis eines höchst gespaltenen gesellschaftlichen Solidaritätsbegriffs: Während für Millionen von Arbeitslosen nichts als die auf Dauer unzumutbar niedrige Sozialhilfe bleibt (und oft aus Gründen der Familiensubsidiarität nicht einmal die) und Millionen von Ungesichert-Beschäftigten sowie Scheinselbständigen unter unverhältnismäßig harten Bedingungen ihr Dasein fristen, praktiziert unser Gemeinwesen für einen Teil der Bevölkerung eine geradezu luxuriös erscheinende Solidarität. So werden in der Luft- und Raumfahrtindustrie arbeitsmarktpolitisch begründete Aufträge vergeben, die Spitzengehälter ermöglichen. Unkündbare Funktionäre in halbstaatlichen Einrichtungen (Ärzte-, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Krankenkassen, Stadtwerken sowie Chefärzte) werden, ohne einem Marktdruck ausgesetzt zu sein, öffentlich auf höchstem Niveau alimentiert. Auch höhere Angestellte und Beamte können bei Dienstunfähigkeit oder gravierendem Versagen schon lange vor dem Erreichen des Altersruhestandes mit sehr hohen "Lohnersatzleistungen" rechnen.

Also stellt sich sowohl unter Gerechtigkeits- als auch unter ökonomischen Finanzierungsgesichtspunkten die Frage, bis zu welcher Höhe soziale Solidarität richtig und notwendig ist. "Grundbeschäftigung" ist darauf die Antwort. Während es von einer humanistischen Position aus ökonomisch wenig Sinn macht, gebrauchte Arbeitsleistungen wegzurationalisieren, wenn die daraus resultierenden "Stillegungskosten" der Arbeitskräfte einen großen Teil der Einsparungen wieder auffressen, so ist es aber bei Besserbezahlten durchaus funktional und keineswegs inhuman, "angebotstheoretisch" vorzugehen, mit ansteigender Einkommensdimension also zu flexibilisieren und das freie Spiel von Angebot und Nachfrage regieren zu lassen. Warum sollten habilitierte Chefärzte nicht lieber innovativ im privaten Sektor tätig sein und in öffentlichen Krankenhäusern der großen Zahl erfahrener Oberärzten zu BAT-1-Bedingungen die Chefarztpositionen überlassen?

Durch das Konzept der Grundbeschäftigung kann die Erreichung dreier, ansonsten sich widersprechender Ziele optimiert werden: 1. Aktive Erwerbsbeteiligung und nicht nur passive Versorgung von Arbeitssuchenden 2. Garantiertes humanes Lebensniveau für alle und 3. Dynamisierung des Marktes. Letzteres eben dadurch, daß auf der Basis sicherer Grundbeschäftigung aller, der Subventionsvorwand, Arbeitsplätze zu erhalten, nicht mehr zieht. Für alle, die sich mit existenzsichernd bezahlter Halbtagsarbeit bescheiden wollen und können, wird das Leben leichter und sinkt der Konkurrenzdruck. Im Normalarbeitssektor kann aber, ab der unteren Mitte mit zunehmender Gehaltshöhe der Konkurrenz- und damit Leistungsdruck steigen, indem etwa Positionen im öffentlichen Dienst nur noch auf Zeit vergeben werden und angesichts einer immer zur Verfügung stehenden Alternative "Grundbeschäftigung" nicht mehr mit teuren "Vollkasko-Garantien" belastet werden.

Grundbeschäftigung ist auch ein Instrument der Entkoppelung von ökonomischer und sozialer Stabilität. Während heute schon geringe Wachstumsausschläge nach unten für Millionen existenzbedrohend und damit destabilisierend wirken, ist die "Grundbeschäftigung" ein Stabilisator. In Krisenzeiten brechen nicht mehr große Teile ins "soziale Aus" weg, sondern müssen eben mehr Menschen einen individuell sicherlich oft enttäuschenden Basisbeschäftigungs-Platz annehmen, mit dem aber im Zweifelsfall auch auf Dauer zu leben ist. Unter anderem dadurch, daß die Basisbeschäftigung die Rahmenbedingungen für Entfaltung und Befriedigung im Nichterwerbssektor sichert, allerdings unter Beteiligung an der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, um an einem zentralen Gesichtspunkt von André Gorz anzuknüpfen. Eine ökonomische Krise im Sinne heutiger Wachstumsstagnation wird sich dann darauf beschränken, den Zweiturlaub, den Wohnungskauf, die Neuwagenanschaffung oder die Reitstundenfinanzierung kritisch werden zu lassen. Sicherlich ärgerlich - aber nicht mehr existenzbedrohend!

Ein System der Grundbeschäftigung bedeutet natürlich nicht, daß alle nach den Regeln der Grundbeschäftigung arbeiten und verdienen müssen. Parallel zum Konzept einer sozialen Grundsicherung gewährt die Grundbeschäftigung allen Erwerbsfähigen einen Anspruch auf Mindestbeteiligung an der Erwerbsarbeit und deren spürbar über der Grundsicherung liegende Entlohnung. Die breite Mehrheit der Erwerbstätigen wird sich aber wie bisher in Normalarbeitsverhältnissen befinden. Direkt betroffen und unterstützt müßten etwa 15 bis 20 Prozent der Erwerbstätigen (incl. Arbeitssuchende) sein, also der sogenannte prekäre "untere Rand" des Arbeitsmarktes.

Grundbeschäftigung bedeutet sozialpolitisch das Bekenntnis der Gesellschaft zu einem auch auf Dauer zumutbaren Standard. Also nicht das Vertrösten der Betroffenen auf einen illusionären Idealzustand, sondern das Einräumen eines akzeptablen und akzeptierten Platzes in der Gesellschaft.

Das Konstanzer Konzept eines "Teilzeitarbeit-unterstützenden Grundeinkommens"

Eine schlichte Umsetzung des abstrakten Konzepts "Grundbeschäftigung" wäre die Beschäftigung aller Arbeitssuchenden durch den Staat; eine Idee, die schon 1848 in den "Nationalwerkstätten" der II. Französischen Republik kurzfristig versucht und seitdem auch in weitgehend marktwirtschaftlich verfaßten Staaten immer wieder als Notnagel der Beschäftigungssicherung praktiziert wurde. In Griechenland sind viele Behörden von im Dauerplausch befindlichen Staatsangestellten übervölkert und deckt sich in einsamen Inselmuseen die Zahl der täglichen Besucher mit der des Personals: Folgen wahlkampfmotivierter Einstellungsschübe der letzten zwanzig Jahre. Nicht ganz so extrem sind Tendenzen verschwenderischen Umgangs mit staatlich notbeschäftigter Arbeitskraft auch bei uns festzustellen. ABM-Kräfte zumindest in Westdeutschland dürfen schon aus Konkurrenzgründen nur für "zusätzliche" Tätigkeiten eingesetzt werden. Und so können diese "zusätzlichen" Arbeitskräfte zumeist nicht für dringend gebrauchte Tätigkeiten eingesetzt werden, sondern eher für solche, die häufig einen fragwürdigen Experimentalcharakter haben.

Das Konstanzer Konzept eines "Teilzeitarbeit-unterstützenden Grundeinkommens" will Grundbeschäftigung nicht durch pauschale Staatsanstellung aller bisher vergeblich Arbeit Suchenden erreichen, sondern durch eine öffentliche Stimulierung des Arbeitsmarktes. Mit starken, staatlich finanzierten Anreizen soll der Arbeitsmarkt in eine humane, soziale Richtung bewegt und dabei gleichzeitig das Ziel eines effektiven Einsatzes der Arbeitskraft erreicht werden.

Wann aber ist der Arbeitsmarkt am humansten für die Anbieter der "Ware Arbeitskraft"? Bei Arbeitskräfte-Mangel oder genauer gesagt: bei einem Überangebot an existenzsichernd bezahlten Stellen!

Dieser bis 1973 herrschende Zustand der Vollbeschäftigung soll, wenn auch im Bereich der Vollzeitarbeitsplätze unerreichbar, dann eben für das untere Fünftel des Arbeitsmarktes realisiert werden - also für diejenigen, die unter Erwerbslosigkeit, ungesicherter Beschäftigung und überlangen Niedriglohntätigkeiten leiden.

Grob vereinfacht will das "Teilzeitarbeit-unterstützende Grundeinkommen" Vollbeschäftigung für niedrig bezahlte Halbtagskräfte durch drei Kernelemente erreichen:

1. Öffentlichen wie privaten Arbeitgebern werden die gesamten monatlichen Arbeitskosten für eine - nach den Regeln des Modells - angestellte Halbtagskraft auf bis zu 1000 DM für durchschnittlich 80 Monatsstunden reduziert. (Je nach Qualifikation der Arbeitskraft zwischen 60 bis 100 Arbeitsstunden im Monat). Diese Arbeitskräfte können anders als bei ABM überall und auf Dauer eingesetzt werden. Die einzige, aber dafür absolute und streng zu kontrollierende Bedingung ist die Beschränkung auf Halbtagsarbeit.

2. Den Arbeitnehmern des Modells wiederum werden, wie heute schon in der Sozialhilfe üblich, die (normalen) Wohnkosten sowie die Sozialversicherungskosten vom Arbeitsamt erstattet. Die 1000 DM Bruttolohn sind für diese Beschäftigten also identisch mit dem frei verfügbaren Monatseinkommen nach Abzug der Miet- und Sozialkosten. Allerdings nur unter der absoluten Beschränkung auf Halbtagsarbeit, deren Verstoß für ArbeitnehmerInnen wie ArbeitgeberInnen sehr hart zu ahnden ist.

Die drastische Verbilligung der "Modell-Halbtags-Arbeitskräfte" für die ArbeitgeberInnen dürfte nach allen Marktregeln zu einer sprunghaft steigenden Nachfrage nach diesen Arbeitskräften führen. Diese Nachfrage würde aber gleichzeitig noch verstärkt werden durch das Umsteigen vieler bisher niedrig verdienender Vollzeitkräfte (z.B. in der Gastronomie, dem Handel, den schwachen ostdeutschen Industrien und der Landwirtschaft), für die das Effektiveinkommen bei wesentlich weniger stressiger Halbtagsarbeit kaum niedriger ausfallen würde als bei hochbelastender Vollzeittätigkeit. Bei Teilung von 2 Millionen bestehender Vollzeitstellen in Niedriglohnbereichen und der dann ökonomisch attraktiven Umwandlung der meisten 590-DM-Jobs (geschätzten 4 bis 7 Millionen) in geförderte feste Stellen wäre bald der Punkt erreicht, an dem die Zahl der offenen Halbtagsstellen die der Halbtagsarbeit-Suchenden übersteigt. Wenn der 50jährige herzkranke Bürokaufmann oder die leicht gehbehinderte Verkäuferin oder die alleinerziehende Mutter zwischen mehreren existenzsichernd bezahlten Stellen auswählen können - dann bedeutet dies einen deutlichen Gewinn an Humanität.

Wäre der notwendige Zuschußbedarf von durchschnittlich 15.000 DM pro geförderter Person und Jahr (für Wohn- und Sozialversicherungskosten) überhaupt finanzierbar? Was die heutigen Sozial- und Arbeitslosenhilfe/-geld-Bezieher sowie die ABM- und sonstigen Lohnsubventionsempfänger angeht, dürften die jährlichen Gesamtunterstützungen heute eher über als unter dieser Summe liegen. Zusätzliche Kosten aber entstünden vorwiegend durch bisherige Vollzeitarbeitkräfte im Niedriglohnbereich, die dann verstärkt auf Halbtagsarbeit gehen dürften. Personen, die häufig als Alleinerziehende besonders großen Streßbelastungen ausgesetzt sind.

Ein 3. Element des Konzeptes mit zielgenau verstärkender Steuerungswirkung würde sich für den nicht unwahrscheinlichen Fall anbieten, daß der Unternehmenssektor insgesamt doch erheblich von dieser Lohnkostensubventionierung profitiert: Nämlich die Finanzierung des Modells durch eine beschäftigungsbezogene Wertschöpfungsabgabe: Bei Unternehmen, die pro Festangestelltem eine hohe Wertschöpfung (vereinfacht ausgesprochen: Ertrag) aufweisen, so bei Facharztpraxen, hochproduktiven Unternehmen mit sehr wenig Beschäftigten oder Reinigungsfirmen mit einem festangestellten Geschäftsführer und vielen ungesichert beschäftigten Putzfrauen müßte die Abgabe auf Überkonzentration von Arbeit (= Verursachung von Arbeitslosigkeit) gezahlt werden. Eine Abgabe, der aber durch Erhöhung der Zahl der existenzsichernden Stellen ganz oder teilweise ausgewichen werden könnte. Bei massiver Teilzeitarbeit könnten so auch hochproduktive und exportorientierte Unternehmen die Abgabe vermeiden, wenn sie von sich aus Arbeitslosigkeit senken. Niedrigproduktive, arbeitsintensive Unternehmen wären aufgrund ihrer unterdurchschnittlichen Wertschöpfung ganz oder weitgehend von der Abgabe befreit.

Welchen Impetus braucht ein Lösungskonzept, um gesellschaftlich und politisch mobilisierend zu wirken?

Fachliche Stimmigkeit von sozialpolitischen Konzepten ist sicherlich eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, um in die notwendige gesellschaftliche Offensive zu kommen. Auch lassen sich gesellschaftliche Überzeugung und der "Kick" politischer Hoffnung nicht durch Mengen von Hochglanz- oder Ökopapier erreichen. Politische Dynamik entwickelt sich dann, wenn ein Konzept, eine Idee, praktisch vorstellbar und als gerecht empfunden wird und vor allem neuen Mut, Phantasie und konkrete Veränderungsperspektive freisetzt, sich von längst als belastend empfundenen Illusionen zugunsten einer zwar bescheidenen, aber dafür in konkretes Handeln umsetzbaren Perspektive zu befreien, kann ebenfalls mobilisierend wirken.

Das Konzept für ein "Teilzeitarbeit-unterstützendes Grundeinkommen" versteht sich als öffentlichkeitswirksames Lösungsangebot - mit Chancen, in den kommenden Wahlkämpfen starke gesellschaftliche Unterstützung zu mobilisieren, und zwar auf der Basis folgender politischer Überlegungen:

-- Schaffung einer humanen Auffanglinie. Die bisherigen Vorschläge zur Arbeitsumverteilung und Arbeitszeitverkürzung waren zumeist auf die Mitte oder sogar die Besserverdienenden gerichtet, in der Hoffnung, daß durch solche Maßnahmen mittelbar auch "unten" etwas ankommt. Das mag sogar richtig gewesen sein, aber offensichtlich nicht ausreichend. Dieses Konzept setzt dagegen nicht auf Indirektheit und Langfristigkeit, denn dazu ist die Leidenssituation der direkt Betroffenen zu dramatisch und sind die politischen Folgewirkungen für die gesellschaftliche Atmosphäre zu verheerend. Auf die allgemeine Erkenntnis, daß es einfach nicht mehr genug Vollarbeitsplätze für alle gibt, müssen konkrete Maßnahmen und Vorschläge antworten, die konkret vorstellbare Alternativen bieten: "Ich könnte dann 1000 DM bei Halbtagsarbeit verdienen..." oder "ich könnte Arbeitskräfte zu dem Preis bekommen..." Solche Konkretheit ist das, was von der Gesellschaft wahrgenommen wird.

-- Den Willen zur Durchsetzung sichtbar machen. Das Konzept betont die absolute Vorrangigkeit der humanen Auffanglinie im Gegensatz zum immer löchriger werdenden Flickenteppich von Programmen und Progrämmchen der herrschenden Arbeitsmarktpolitik. Es zeigt die Bereitschaft an, zur Finanzierung dieses notwendigen Auffangnetzes unten auch empfindliche Einschnitte in der Mitte und - soweit es irgend durchsetzbar ist - im oberen Drittel der Gesellschaft vorzunehmen. Zwar ist die Summe von 1000 DM nach Abzug von Wohnkosten im Verhältnis zu früher bei den Bündnisgrünen herumgeisternden Versprechungen von 1600 DM garantiertem Grundeinkommen bescheidener. Aber gerade diese bescheidenere und aufgrund von Halbtagsarbeit auch eher finanzierbare Summe dürfte dabei als Zeichen für ernsthaften Umsetzungswillen wahrgenommen werden.

-- Die zentrale Rolle des Gegenseitigkeitsgedanken beachten! Das von Andrea Fischer konkretisierte bündnisgrüne Konzept einer sozialen Grundsicherung mit einem Regelsatz von etwa 750 DM nach Abzug der Wohnkosten könnte mit großen politischen Anstrengungen politisch unter der Maxime "Solidarische Hilfe für Menschen, die keine Erwerbsarbeit leisten können" durchgesetzt werden. Dieses Modell aber für die immer größer werdende Gruppe der Dauerarbeitslosen zu propagieren dürfte auf gesellschaftliche Ablehnung stoßen. Es würde auch nicht den Interessen der meisten Dauerarbeitslosen entsprechen. Während auch nur 500 DM für einen gesunden, aber Arbeit verweigernden 25jährigen selbst bei sozial Wohlmeinenden kaum durchzusetzen sind, hätte ein Halbtagseinkommen von 1000 DM nach Wohnkostenabzug sogar große Akzeptanzchancen in der Mitte der Gesellschaft. Dabei geht es nicht nur um die finanzielle und Nutzendimension, sondern um die psychologisch eminent wichtige Funktion der Gegenseitigkeit von Geben und Nehmen.

-- Mit einem festen Arbeitsplatz auch einen Platz in der Gesellschaft sichern! Der Arbeitsplatz ist mehr als nur eine Gelegenheit, Geld zu verdienen. Er ist zumeist - und ganz besonders im Bewußtsein der Ostdeutschen - Platz der Identitätsgewinnung, der Anerkennung und der sozialen Kommunikation. Darum reicht es nicht, Hinzuverdienstmöglichkeiten in Unterstützungssysteme einzubauen und zu erweitern. Die allermeisten Betroffenen brauchen weniger Jobs und Gelegenheitsarbeiten als den verläßlichen Arbeitsplatz - und sei es nur eine Halbtagsstelle.

-- Spielraum für regionale soziale und kulturelle Initiativen schaffen! Indem mit diesem Modell für 1000 DM monatlich ein existenzsichernder Arbeitsplatz geschaffen werden kann, erweitert sich der Handlungsspielraum von Individuen und Gruppen. So können zehn Eltern für relativ wenig Geld eine pädagogische Kraft zur Kernzeitbetreuung oder zur Nachhilfe fest einstellen, ebenso wie Umweltverbände oder Nachbarschaftsinitiativen. Das Verhältnis von Staat und Bürgern verändert sich: Der Staat schafft die Rahmenbedingungen durch das Halbtagsmodell - und die Bürger können wesentlich leichter Leistungen oder Vorhaben realisieren als bisher, vorausgesetzt, es ist ihnen einen begrenzten Eigenbeitrag wert.

-- Einstieg in eine andere Wohlstandsorientierung! Dieses Konzept versteht sich nicht als Utopie. Aber es bietet den konkreten Gestaltungsspielraum für solche Individuen, die einen materiell bescheidenen, aber dennoch nicht asketischen Lebensstil wollen. Angesichts der langfristigen ökologischen Belastungen wie der Arbeitsmarktentwicklungen spricht sehr viel dafür, daß das herrschende Modell der Vollzeitarbeit und Hochkonsumlebensweise langsam, aber sicher zurückgehen wird und muß. Dies kann angstfrei am ehesten geschehen, wenn allmählich immer mehr Menschen eine entsprechende Lebensweise vorleben. Dies geht aber nur, wenn eine solche sinnorientierte "zeitluxuriöse" Lebensweise keinen sozialen Drahtseilakt mit dem hohen Risiko des freien Falls ins soziale "Aus" bedeutet. Auf keinen Fall mit dem Anstrich der Zwangsverordnung, wohl aber als Optionserweiterung für Lebensgestaltung könnte dieses Konzept auch eine positive Zukunftsperspektive bieten.