"Die einzigen Wellen, auf denen ich reite, sind die des Lago Maggiore"

Wer war Hans Habe? Eine Spurensuche

Marko Martin

1944 richtet die amerikanische Armee in der Nähe von Gettysburg ein Ausbildungslager ein. Ein historischer Ort: Im Bürgerkrieg wurde hier der Ansturm der Sezessionisten von den Truppen der Union gestoppt, und hier hielt auch Präsident Lincoln seine Rede, die später als Gettysburg adress um die Welt gehen sollte. Doch jetzt dient Camp Sharp zur Vorbereitung der Invasion in der Normandie. Merkwürdige Soldaten sind versammelt - Schriftsteller, Journalisten, Theaterschauspieler, die dazu ausersehen sind, Flugblätter, Druckschriften und Rundfunkreden zu verfassen, um gleich nach der Landung in Europa die Nazis auch propagandistisch zu zermürben. Unter ihnen Sergeant Ernst Cramer und Sergeant Stefan Heym. Der eine wird nach Kriegsende in der Westzone als Journalist arbeiten, Adjutant von Axel Springer und Herausgeber der Welt am Sonntag werden. Der andere hingegen geht in die damalige Ostzone und wird sich als mißliebiger Schriftsteller bald mit dem Regime überwerfen, was ihn allerdings nicht daran hindert, der Idee des Sozialismus treu zu bleiben und sich 1994 für die SED-Nachfolgepartei PDS in den Deutschen Bundestag zu setzen. Lebenslinien, die sich für einen kurzen historischen Moment überschneiden, nur um sich wenig später um so weiter voneinander zu entfernen. Cramer und Heym, diese beiden jungen Juden aus Deutschland, aber hatten neben ihrer Gegnerschaft zu den Nazis damals im Camp Sharp noch etwas gemeinsam: Sie hatten den gleichen Vorgesetzten, und von diesem soll hier die Rede sein - First Lieutenant Hans Habe de Bekessy, ungarischer Jude, Bestsellerautor, Skandalperson, vor allem aber Chef der "Zweiten Mobilen Radio Broadcasting Company", die die antinazistische Propaganda der Amerikaner ausstrahlen sollte.

Hans Habe starb 1977 in Locarno am Lago Maggiore. Wer war Hans Habe, von dem heute die meisten Bücher vergriffen sind, der von der Literaturgeschichte in Fußnoten abgehandelt wird, seinen Freunden als einer der bedeutendsten Publizisten und Autoren deutscher Sprache galt, seinen rechten Feinden jedoch als "Morgenthau-Boy" und linken Widersachern als "Springers Edelfeder"?

Auf Habes Namen stieß ich das erste Mal 1991. Die "Kein Blut für Öl"-Parolen der deutschen Friedensbewegung waren gerade verstummt, und ich wollte den Sommer in Israel verbringen, um in Haifa und Tel Aviv die Menschen zu treffen, die während des Golfkriegs keine weißen Bettlaken schwangen, sondern mit grauen Gasmasken in ihren Kellern saßen, darauf hoffend, daß die Amerikaner Saddams Raketenangriffe würden beenden können. Kurz vor meiner Abreise fand ich in einem Konstanzer Antiquariat ein kleines dtv-Bändchen: Hans Habe: Wie einst David. Entscheidung in Israel. Ein Buch von 1972, versehen mit einer preisenden Kritik von Max Horkheimer. Eine literarische Reportage, in ihrer Anschaulichkeit und Luzidität wohl nur vergleichbar mit Ralph Giordanos 1991 erschienenem Roman Israel, um Himmels Willen Israel. Habes Analyse war auch nach 20 Jahren noch aktuell. Die Frage war die gleiche geblieben: Wann kippt Pazifismus in die Unterstützung eines Aggressors, und wann wird aus "differenzierter Betrachtungsweise" latenter Antisemitismus?

Wer aber war Habe, dieser Mann, der auf dem Weg nach Israel zusammen mit seiner Frau in Neapel ein Schiff besteigt und, bekleidet mit einem englischen Reisemantel, beim Zoll stolz seinen in Schweinsleder gebundenen amerikanischen Paß vorzeigt? Wer war dieser Mann, von dem der Klappentext des Buches berichtete, er wäre "mit 21 Jahren jüngster Chefredakteur Europas" gewesen? "Oh, das war ein Autor voller Eitelkeit und Brillanz, der im Auftrag der Alliierten 1945 das deutsche Pressewesen wiederaufgebaut hat", sagt Melvin Lasky mit seinem amerikanischen Akzent am Telefon. "In München hat Habe Die Neue Zeitung herausgegeben. Er war Chefredakteur, für das Feuilleton war Erich Kästner zuständig, für die Außenpolitik Stefan Heym. Das war wirklich das Beste, was es damals gab. Sprechen Sie mit Heym oder rufen Sie das Büro Cramer im Springerhochhaus in der Kochstraße an."

Heym will mir nur unter einer Bedingung Auskunft geben. "Wieviel bieten Sie?", fragt er mich, als ich ihn anrufe und um ein Gespräch über seinen ehemaligen Chef bitte. "Sie veröffentlichen das Gespräch, also möchte ich von Ihrer Redaktion bezahlt werden. Schließlich sitze ich jetzt nicht mehr im Bundestag und bin darauf angewiesen. Sagen wir tausend DM." Er hatte sich nicht verändert: Als ich Heym 1988 das erste Mal besuchte, hatte mich die DDR aus politischen Gründen gerade zum Hilfsarbeiter gemacht; ich suchte einen Intellektuellen - antifaschistisch und antistalinistisch zugleich -, mit dem ich sprechen, diskutieren könnte, bei dem ich moralische Unterstützung bekäme für den kleinlichen, bösartigen Nervenkrieg irgendwo in der sächsischen Provinz. "Weggehen ändert gar nichts, junger Mann", belehrte mich Stefan Heym, etwas mürrisch in seinem Ohrensessel sitzend. Die zehn Mark West, die ich mir beschafft hatte, um eines seiner in der DDR verbotenen Bücher zu kaufen, waren ihm zuwenig; Fischer-Taschenbücher sind eben etwas teuerer. "Kaufen Sie sich von dem Geld etwas im Intershop", meinte er, klopfte mir auf den Rücken, und schon war ich wieder draußen vor dem Gartenzaun seines Häuschens in Grünau/Ostberlin. Welche Ironie der Geschichte, daß gerade dieser unerquickliche Besuch dazu führte, daß die Stasi auf mich aufmerksam wurde, Akten anlegte und im Haus meiner Familie eine Hausdurchsuchung plante ...

Ernst Cramer aber hat Zeit. Nach den üblichen Personalkontrollen fahre ich mit dem Lift in den 19. Stock des Springerhochhauses, werde von einer Dame erwartet und in eine großräumiges Büro geführt, dessen breite Fensterfront einen unerwarteten Panoramablick auf Berlin freigibt.

Gerahmte Bilder mit historischen Stichen an der Wand, Bücherstapel überall, auf dem Tisch eine altertümliche Schreibmaschine und dahinter ein älterer Herr mit tadellos sitzendem Anzug und leicht gelockerter Krawatte. Er ist keiner jener Unduldsamen, die ihre Freundschaften mit einem Prominenten als geheime Verschlußsache betrachten und interessierte Dritte erst einem Kreuzverhör unterziehen, ehe sie selbst gnädig einige ausgewählte Episoden vortragen. "Hans Habe war erst mein Vorgesetzter, dann wurde er mein Freund", sagt Ernst Cramer. "Wir waren unterschiedlicher nicht denkbar, und wohl gerade darum hat unsere Freundschaft gehalten." Habe galt als eitel ... "Ach was", unterbricht Cramer. "Habe war eitel. Es bereitete ihm ein physisches Unbehagen, in einem Restaurant zu sitzen und nicht erkannt zu werden. Er machte dann meist so lange auf sich aufmerksam, bis jeder begriffen hatte, daß Hans Habe anwesend war. Er hielt sozusagen Hof, und nicht er war es, der den Frauen hinterherlief - es waren die Frauen, die von Habe scheinbar magisch angezogen wurden." Ernst Cramer lächelt melancholisch. Über sich selbst mag er nicht soviel erzählen, nichts über seine Haft im KZ Buchenwald, nichts über seine Eltern, die den NS-Terror nicht überlebten. "Ich bin 1939 aus Augsburg emigriert und war dann Sergeant in der US-Army." Der junge Ernst Cramer im Camp Sharp, der Springer-Adjutant drei Jahrzehnte später an Hans Habes Grab; Erinnerungen, in die sich kein schriller Ton gegenüber den linken Kontrahenten von einst mischt. Denn Hans Habes Gegner saßen auch rechts.

Als er die Neue Zeitung herausgab, nahmen ihm die einen übel, daß er die braune Vergangenheit nicht ruhen ließ, die anderen monierten seine antisozialistische Haltung - die schließlich auch den Bruch mit Stefan Heym verursachen sollte - und Habes permanente Warnungen vor dem Aggressionsstreben der Russen. Seitdem hatte er seine Schimpfnamen weg: Morgenthau-Boy, Umerzieher, Erzreaktionär. Als 1955 sein Roman Off Limits erscheint, der in der Zeit von Krieg und Nachkrieg in Deutschland spielt, schrieb ein zorniger Leser der Münchener Illustrierten Revue, in der das Buch in Fortsetzungen erschienen war: "Schreiben kann er ja, das muß der Neid ihm lassen, aber haben wir es wirklich nötig, uns ausgerechnet von dem Morgenthau-Boy Hans Habe einen Spiegel vorhalten zu lassen? Was ermächtigt diesen Herrn, der in amerikanischer Major-Uniform spazierengegangen ist, jetzt plötzlich als ,deutscher Schriftsteller` aufzutreten, wo D-Mark-Honorare dank unserer Tüchtigkeit wieder interessant geworden sind?"

Die Ironie der Geschichte ist, daß Habe gerade wegen seiner angeblichen "zu deutschfreundlichen Haltung" von den Amerikanern kritisiert wurde und nicht zuletzt wegen seiner Ablehnung der Kollektivschuld-These seine einzigartige Position - auf dem Höhepunkt seines Wirkens leitete Habe 18 deutsche Zeitungen mit einer Gesamtauflage von über 8 Millionen Exemplaren - genauso schnell wieder verlor, wie er sie bekommen hatte. Was verbindet Ernst Cramer mit dem Wort re-education? "Ganz einfach, für mich ist es ein Wiedereröffnen der Tore zur Welt gewesen, eine Erziehung zu freiheitlichen Werten und westlicher Demokratie."

Dann wird Kaffee gebracht. Aber es ist nicht die Sekretärin, die irgendeinen dampfenden Bottich auf den Tisch stellt, sondern ein Kellner im Frack, eine weiße Stoffserviette gefaltet über den linken Unterarm, der hier serviert und neben die Tassen ein silbernes Milchkännchen stellt: Noblesse oblige. Möglich, daß ich blauäugig bin. Ich, der ich keine einzige Bild-Schlagzeile aus den Sechzigern über die "verlausten Studenten" gelesen habe, bei der Ermordung Benno Ohnesorgs und den Schüssen auf Rudi Dutschke noch gar nicht geboren war. Ich habe weder die Schreie "Geht doch in den Osten!" noch die "Ho-Ho-Ho-Chi-Min"-Slogans des SDS gehört. Möglich, daß das ein Manko ist. Vielleicht aber gibt es in der Gegenwart viel wichtigere Gegensätze. Etwa den zwischen dem konservativen Juden Ernst Cramer und dem linken Nationalpazifisten Alfred Mechtersheimer, der alles Übel der Welt bei den "degenerierten Amerikanern" verortet. Oder vielleicht den zwischen einem Ernst Cramer, der für die Verwestlichung Deutschlands sein Leben riskierte, und dem neorechten Exmaoisten Rainer Zitelmann, der meint, daß der Gedanke der Westbindung die bundesdeutsche Gesellschaft schon "totalitär durchdrungen" habe. Beide, Mechtersheimer und Zitelmann, veröffentlichen heutzutage bei Ullstein. Ich erwähne dieses Paradox nicht und fahre mit Ernst Cramer hinunter ins Archiv. "Mikrofilme, Zeitungsausschnitte, Bücher - alles, was Sie über Hans Habe wissen wollen."

Hans Habe kommt am 11. Februar 1911 in Budapest unter dem Namen Jean Bekessy zur Welt. Seine Eltern waren zum Katholizismus übergetretene Juden, die nach Ende des Ersten Weltkriegs mit ihm nach Wien flüchten. Dort baute sich der Vater eine Existenz als Journalist und Zeitungsgründer auf. Obskure Zeitungen, deren Fahnen - so Stefan Heym in seinen Memoiren - "an begüterte Leute geschickt wurden mit freundlichen Grüßen des Herausgebers und der Anfrage: Wieviel zahlst du, wenn ich das nicht drucke?" Besonders Karl Kraus - nachzulesen in den Letzten Tagen der Menschheit - polemisierte immer wieder gegen diesen Imre Bekessy, dem er Erpressung vorwarf, ehe er schließlich in seiner Zeitschrift Die Fackel sein berühmtes Verdikt aussprach: "Jagt den Schuft aus Wien!" In den fünfziger Jahren sollten dann Zeitungen der Bundesrepublik darauf zurückkommen und nun den Sohn Janos Bekessy, alias Hans Habe, mit der gleichen Titelzeile abstrafen: "Jagt den Schuft aus Deutschland!" Daß zwischen diesen beiden Ereignissen die Shoah lag und es einen Unterschied machte, gegen dunkle Geschäftsgebahren des Vaters zu polemisieren oder gegen das antifaschistische Engagement des Sohnes - man wird es sehr wohl gewußt haben.

Das Schicksal, mit einem zwielichtigen Vater bestraft zu sein, wird Hans Habe sein Leben lang beschäftigen und auch in seinem Memoirenband Ich stelle mich, den er 1954 mit 43 Jahren veröffentlicht, ausgiebig reflektiert werden. So dicht er aber Atmosphärisches schildert, so wenig zeigt er sich in der Lage, seinen zwischen Liebe und Verachtung irrlichternden Vaterkomplex wirklich analytisch auszuloten - ein Charakterzug, den er mit vielen rebellierenden Söhnen, nicht zuletzt mit den Protagonisten der von ihm so herzlich gehaßten APO-Generation, teilt. Auch die Vorliebe für kompromißlose Brüche, hysterische "Offene Briefe", durch Selbstdistanz ungetrübte Selbstdarstellungen, einhergehend mit oft bösartigen Verdächtigungen derjenigen, die ihm doch eigentlich nahe stehen, machen bis heute das Dilemma von Söhnen wie Habe aus, die dem Schatten des übermächtigen Vaters nie zu entkommen vermochten.

Kämpfen mußte Hans Habe immer. Nachdem sein Vater aus Wien geflüchtet war, harrt er dort bis zu seinem Abitur aus - eine seiner Schulkameradinnen war Hilde Spiel - und verbringt ein Semester an der Universität in Heidelberg, wo er aus einer Burschenschaft wegen seiner jüdischen Abstammung ausgeschlossen wird. Hans Habe beginnt seine Laufbahn als Journalist und landet seinen ersten Coup mit 20 Jahren: Als Reporter der Wiener Sonn- und Montagszeitung entdeckt er, daß Hitlers Familie eigentlich Schicklgruber hieß und gibt die Nazis damit der Lächerlichkeit preis. Nach einem kurzen Zwischenspiel bei den Zeitungen der austrofaschistischen "Heimwehr" stand für ihn fest, daß der Feind rechts steht. Habe ist ein Wirbelwind, interviewt André Gide und Iwan Bunin, Frank Wedekinds "Lulu" und Clara Strauß und geht anschließend für das Prager Tageblatt nach Genf, wo er über den Völkerbund berichtet und bei der Konferenz von Evian Zeuge der diplomatischen Gleichgültigkeit gegenüber den Verbrechen in Hitlerdeutschland wird.

Episoden dieses Jahrhunderts, spannende Details. Sie sind nur noch in Archiven auffindbar, in Büchern, die längst vergriffen sind, in Mappen mit Mikrofichen, von denen man erst den Staub schütteln muß, bevor man sie unter einem Projektor vergrößern lassen kann. Ich sitze im Springer-Archiv vor diesen Texten, aus Stunden werden Tage, und aus Kopien, Brief- und Zeitungsausschnitten und Buchkapiteln entsteht das Puzzle einer schillernden Persönlichkeit.

1937 erscheint Hans Habes Roman Drei über die Grenze, der erste deutsche Flüchtlingsroman über die Nazizeit. Dieses Buch und zwei weitere Romane, die Habe im Verlauf von nur zwei Jahren verfaßt hatte, werden 1938 nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Wien öffentlich verbrannt. Im Sommer 1939 geht Habe von der Schweiz nach Frankreich, um dort in eine Freiwilligen-Einheit der Armee einzutreten. Er wird von den Deutschen gefangengenommen und ins Lager Drancy gebracht, wo es ihm gelingt, seine wirkliche Identität als Jude zu verbergen und mit Hilfe einiger Franzosen ins unbesetzte Frankreich zu fliehen. Was sein späterer Freund Erich Maria Remarque in seinem Roman Die Nacht von Lissabon schildert, widerfährt auch Habe und seiner Frau Erika. Flucht über Spanien, Anschluß an die gesamteuropäisch gemischte Flüchtlingskolonie in Portugal. Habe freilich hatte mehr Glück als andere Emigranten: Als einer der führenden Anti-Nazi-Autoren war er auf eine von Präsident Roosevelts Listen gesetzt worden und hatte ein Notvisum für die USA erhalten. Roosevelt und dem New Deal wird Habe in Zukunft stets die Treue halten, einem sozial verantwortlichen Kapitalismus, den er Jahrzehnte später auch in John F. Kennedys Programm entdeckt. Nach dessen Ermordung im November 1963 schreibt Habe in nur vier Monaten sein auch heute noch lesenswertes Buch Tod in Texas. Es ist eine einzige Anklage der isolationistisch-rassistischen "Texas-Ideologie", die nach seiner Meinung für den Tod des Präsidenten verantwortlich zeichnet. Sein Plädoyer für ein streitbares und liberales Amerika gipfelt in den Worten: "New York ist nicht Amerika. Vielleicht ist das die amerikanische Tragödie."

Im Camp Sharp schließlich sprach Habe nicht nur über seinen Kriegseinsatz in Algier und lehrte nicht nur psychologische Kriegführung, sondern vergaß inmitten allen Engagements auch den persönlichen Stil nie. "In der Armee der Vereinigten Staaten", schreibt Stefan Heym, "war es nur Generälen gestattet, nach eigenem Geschmack geschneiderte Sonderuniformen zu tragen - und dem Lieutenant Habe." Dieser zieht dann auch im August 1944 siegreich in Paris ein, während der frustrierte Sergeant Heym weiter Flugblätter in der französischen Provinz verfassen muß. In seinem - übrigens hervorragend geschriebenen - Roman Wohin wir gehören (1947) berichtet Hans Habe über diese Zeit und setzt sich mit der Gestalt des Captain Peter Ogden quasi selbst ein literarisches Denkmal. Natürlich ist dieser Peter ein feiner Kerl, der sich bei der Befreiung von Paris nicht nur von französischen Mademoiselles abküssen läßt, sondern auch todesmutig über die Place de la Concorde stürmt, um sich ein Feuergefecht mit noch verbliebenen faschistischen Heckenschützen zu liefern. Gerade diese unglaubwürdig-heroische Szene aber hat tatsächlich stattgefunden und wird in Heyms Buch bestätigt. Aufschneider, Ladykiller, Heroe, Salonliterat - wer war Hans Habe?

Auch die Fotos auf den Einbänden seiner Romane bieten kein einheitliches Bild. Mal verschlagen-melancholisch wie Peter Lorre in Casablanca, mal ein pfeifenrauchender Gentleman, mal beifallheischend vor der Bücherwand seiner immensen Romanproduktion - oder gar ein backenbärtiger Biedermann auf dem Titelblatt von Bild am Sonntag.

Als Hans Habe den Namen "Umerzieher" verpaßt bekam, hielt er das anfangs für ein Kompliment, ein Dankeschön der Bevölkerung gegenüber einem, der gekommen war, zwölf Jahre alte Demagogie und Muffigkeit zu lüften. Er sollte sich getäuscht haben. Habe geht zurück in die USA. Auch dort mischt er sich ein und kämpft in seiner Kolumne "Outside America", die von 1952 bis 1953 dreimal wöchentlich in der Los Angeles Daily News erscheint, gegen den McCarthysmus und den offensichtlichen Antisemitismus des Prager Slansky-Prozesses an. Hans Habe ein Rechter? Ein Linker war er allerdings ebensowenig. Seit 1953 mit festem Wohnsitz in Ascona, polemisiert Habe gegen die Gruppe 47, die er als "geistige Gestapo" denunziert und des klüngelhaften Spießertums schilt. Und auch hier ist trotz aller Ungenauigkeit, trotz Habes fehlendem Verständnis neuartiger Schreibformen, ein wahrer Kern zu finden.

Gerhard Zwerenz hat in einem seiner wenigen hellen Momente die Misere einmal recht treffend beschrieben: "Es ist unverständlich, daß die Gruppe 47 nicht die großen literarischen Remigranten einbezog, sondern sie ebenso abstieß, wie es vordem die inneren Emigrationsliteraten getan hatten. Um es ganz auf die Spitze des Begriffs zu bringen: Alfred Andersch stand Ernst Jünger näher als dem ,Zivilisationsliteraten` Robert Neumann. Die Potenzen der Gruppe 47 haben mit Tucholsky nie etwas anfangen können. Benn wucherte im Herzen Rühmkorfs, und Hans Werner Richter war von Alfred Kantorowicz so meilenweit entfernt wie von Fritz von Unruh oder Alfred Döblin. Entgegen allem äußeren Gehabe war die neue Literatur nicht grundsätzlich neu und weniger antifaschistisch als vielmehr deutschtümelnd bis unpolitisch-tiefsinnlich."

Gerade Habes mondäne Belletristik war von allem Blut- und Boden-Schund meilenweit entfernt und holte die Lichter des Broadway ebenso in die deutsche Literaturprovinz, wie sie von Venedig und Rom und Budapest zu erzählen wußte. Von Le Monde bis zur New York Times hielt man Habes Romane für repräsentativ für Deutschland, als Beweis einer wiedergewonnenen Urbanität. Die Tarnowska wurde unter der Regie von Lucino Visconti - mit Romy Schneider in der Rolle der skrupellosen russischen Gräfin - verfilmt, in der Kinoversion des Romans Das Netz waren Elke Sommer, Susanne Uhlen und Klaus Kinski zu sehen; eine andere Art europäischer Film, der freilich wenig mit den oftmals drögen Grübeleien des "neuen deutschen Autorenkinos" gemein hatte.

Natürlich war Hans Habe auch ein Snob, und ein Großteil der Ablehnung, auf die er bei Linksintellektuellen traf, mochte dieser Eigenschaft geschuldet sein. 280 Kaschmirpullover, so kolportierte die Bunte aufgeregt, nannte Habe sein eigen, des weiteren eine kleine Jacht, mittels derer er den Vorwurf, er verkaufe sich an Springer, auf typische Weise konterte: "Die einzigen Wellen, auf denen ich reite, sind die des Lago Maggiore." Sein dortiger Nachbar Robert Neumann freilich entwarf in einem giftigen Zweizeiler ein ganz anderes Szenario: "Das Wasser stinkt, die Luft ist rein/ Hans Habe muß ertrunken sein."

Habe bekam das zurück, was er austeilte. Besonders in seinen letzten Jahren, verschärft durch das aufgeheizte ideologische Klima nach 1968, glichen seine Polemiken oft sinnlosen Rundumschlägen. Heinrich Böll galt ihm als "Sympathisant des Linksfaschismus", der Film Little Big Man mit Dustin Hoffmann als "Leichenfledderei", Philipp Roths Roman Portnoys Beschwerden gar als "Onanisten-Prosa". Der Ton wurde unerbittlicher. Hans Habe, der sich stets als "Extremist der Mitte" bezeichnete, schrieb nun hauptsächlich für die Blätter des Springer-Verlages, was in dieser Zeit auch ein Wagnis war. Eine Schule für intellektuelle Tiefenschärfe war es nicht. "Mit dem Bild eines nackten Mädchens lockt man sie in den Keller und mit der Mao-Bibel kommen sie wieder heraus", schreibt er über die Anziehungskraft der APO und prophezeit dann für das Jahr 1970: "Gruppensex wird als Pflichtfach eingeführt."

Hier blieb ein konsequenter Verteidiger der Republik erheblich unter seinem Niveau. Daß er noch auf dem Totenbett seinem Freund Ernst Cramer mit großer Bewegung sagte, daß der Widerstand gegen den RAF-Terror natürlich keiner Präferenz für die alte Rechte entsprang - wer wollte, wer konnte es noch hören?

Besonders groß ist Habe dann, wenn er zivile Urbanität anmahnt und scharfsichtig antiwestliche Affekte geißelt: "Sie haben den Russen verziehen, daß sie von ihnen besiegt wurden, denn das war ja eine barbarische Macht, Iwan Dschingis-Khan; aber den Amerikanern verzeihen sie nie, denn die haben sie mit ,seelenlosen Maschinen` besiegt." Seinen Gegnern, die ihm sein schillerndes Wesen, den Luxus und seinen Erfolg bei Frauen ankreiden, hält er entgegen: "In keiner mir bekannten Sprache gibt es eine Übersetzung des Wortes ,Er-kenntnis` oder ,Er-arbeiten`; auch für das Wort ,ab-ringen` gibt es keine Übersetzung; in Deutschland fliegt man nicht auf die Gipfel zu, man ,er-klimmt` sie." Derlei schweißtreibende Auf-Arbeitung war ihm fremd, auch in der Literatur. Habes Haltung gegenüber neuen, innovativen Tendenzen kann durchaus als ignorant bezeichnet werden; sein Vorwurf indes, zeitgenössische Literatur langweile und werde nur für blaßgesichtige Eingeweihte verfaßt, läßt sich nicht immer entkräften. Selbstverständlich hatte der an ganz anderen Vorbildern geschulte Hans Habe nicht die geringste Ahnung von der Ästhetik eines Uwe Johnson; aber selbst da, wo er nachweislich irrt, ist er immer noch auf maliziöse Weise amüsant: "Ich habe mich oft gefragt, warum Kafka wollte, daß alle seine Werke nach seinem Tode zerstört werden sollten. Nun weiß ich es. Kafka wollte nicht, daß Uwe Johnson schreibt."

"Morgenthau-Boy" oder "Springers Hofhund" - es zählt zu den Paradoxa der Geschichte, daß dieser Mann von beiden politischen Lagern offenbar als suspekter Fremdkörper angesehen wurde. Freundschaft und Zuspruch kommt von denjenigen, die selbst über bittere Exil-Erfahrungen verfügen: Ernst Cramer (der übrigens, wenn er über Habe schreibt, nie in die fast schon beleidigende Lobhudelei verfällt, wie sie etwa in der Morgenpost immer wieder zu finden war), Erich Maria Remarque, der Nachbar am Lago Maggiore, Thomas Mann und Fritz Kortner oder Paul Celan aus Paris, mit dem Habe eine beeindruckende Korrespondenz führte.

Der politisch korrekte Autor in Deutschland solle, so Habe sarkastisch, ein enthaltsames und besinnliches Leben führen, sich aus aktuellen Problemen heraushalten, die Welt aus linker Warte interpretieren und in der Tradition von Joyce und Kafka "neue Horizonte" eröffnen. Außerdem dürfe er niemals zugeben, daß er zum Schreiben eines Buches weniger als sechs Jahre brauche, er dürfe beim Schreiben nicht zuviel verdienen - vor allem dürfe er nie beim Lächeln ertappt werden. Hans Habe auf der Terrasse seiner Villa in Ascona zu einem Journalisten: "Wie Sie sehen, passe ich nicht in diese stereotype Schablone. Die Tatsache, daß ich sechs Ehefrauen hatte, von denen zwei zu den reichsten Frauen der Welt zählten, hat meinem Ruf nicht gutgetan."

Auf meinem Schreibtisch stapeln sich Habes Bücher, unzählige Kopien seiner Artikel liegen verstreut umher. Hätte ich diesen Autor gemocht? Dabei ist es eine müßige, vielleicht sogar unzulässige Frage: Wo stände Hans Habe heute? Eines aber kann als sicher angenommen werden: Er stände wohl kaum auf seiten der Verharmloser der DDR-Diktatur, auf seiten der Schlußstrichzieher und linken Geschichtsrelativierer. Mit den "Neuen Rechten" aber wäre er wohl auch kaum froh geworden. Mit selbsternannten "Tabubrechern" etwa, die Ernst von Salomon zu ihren Lieblingsautoren zählen, die "Amerikanisierung Europas" fürchten und auf "befreite Zonen" hoffen, "keltische Triskelle" als ihr "Lieblingssymbol" nennen - und dann derlei Stuß unter dem Titel Wir 89er ausgerechnet im traditionsreichen Ullstein-Verlag publiziert bekommen. Traurige Ironie des Schicksals: In Hans Habes ehemaligem Hausverlag Herbig fangen allerlei antiwestliche Fanatiker an, sich zu tummeln und unwissenschaftliche Pamphlete über "Roosevelts Angriffskrieg" und dergleichen unters Volk zu bringen. Dem "lieben Hansi", wie Erika Mann Habe stets nannte, wären dazu sicher eine treffende Kolumne oder ein paar rhetorische Backpfeifen eingefallen. Wie lange aber wird es noch dauern, bis die Bundesrepublik ihre westlich-republikanischen Elemente völlig verdrängt hat, um geistig paralysiert erhitzten Visionären erneut in mysthisch-irrationale Fernen zu folgen?

Bücher von Hans Habe:
Tod in Texas. Eine amerikanische Tragödie (Ullstein Verlag, Berlin)
Wohin wir gehören. Roman
Ungarischer Tanz. Roman
Die Mission. Roman
Wie einst David. Entscheidung in Israel (alle Herbig Verlag, München)