Direktoren mit 3.000 Briefkasten-Firmen

Britische Finanzoasen mit Brisanz-Potential

Werner Rügemer

Die Regierung Blair ließ einige Finanzoasen des britischen Königreiches untersuchen. Auch die UNO und die EU befassen sich damit - die besitzende Klasse ist in Aufregung.

Das britische Massenblatt Sun attackierte den deutschen Finanzminister Oskar Lafontaine als "gefährlichsten Mann Europas". Medienmogul Rupert Murdoch ließ sein politisches Kampfblatt auf der Titelseite ein häßliches Oskar-Foto abbilden und die Behauptung nachschieben: "Lafontaine stellt die größte Bedrohung für die britische Lebensart seit 1945 dar." Dabei hatte der neue deutsche Finanzminister nur das gesagt, was sein konservativer Vorgänger Theodor Waigel auch schon seit Jahren gesagt hatte: "Die Steuern in der EU müssen harmonisiert werden."

Bedrohung der britischen Lebensart, nur wegen ein bißchen Steuerangleichung? Irgendwas scheint aber dran zu sein, denn auch andere protestierten, freilich weniger rüpelhaft. Die Regierung Blair hat bereits ihr Veto im EU-Ministerrat angekündigt. Wenn die einheitliche 20-Prozent-Quellensteuer in Europa komme, so die britische Bankenvereinigung, werden der Londoner City viele Geschäfte verlorengehen, es drohe Kapitalflucht in Gebiete außerhalb Europas. Auch der britische Industrieverband CBI protestierte und alle Verbände, die auch nur entfernt etwas mit Geld zu tun haben.

Die Aufregung ist verständlich, wenn auch nicht für die Millionen-Leserschaft des Sun, die mit populistischem Geschrei über die Bedrohung der "britischen Lebensart" verängstigt wird. Aus verschiedenen Gründen droht ein Tabu zu zerbrechen, das seit 1945 die weltweiten Geschäfte der britischen Banken, Versicherungen und der reichen Klasse geschützt hat. Es sind Feinde am Werk, innerhalb des Königreichs und außerhalb.

Im Januar 1998 beauftragte die Regierung Blair den pensionierten Beamten des Schatzministeriums Andrew Edwards mit der Erstellung eines Berichts über die Finanzgeschäfte auf den britischen Kanalinseln Guernsey, Jersey, Sark und Alderney sowie auf der Isle of Man. Der Mitte November vorgelegte Bericht sorgt in England für heiße Diskussionen. Bereits vor der Vorlage im Parlament hatten englische Medien Auszüge veröffentlicht, die ein in der Öffentlichkeit bisher unbekanntes Ausmaß an Tarnfirmen, Steuerhinterziehung und Geldwäsche auf den Inseln offenbarten. Deren Lobby intervenierte in London und erreichte eine wesentliche Entschärfung des Berichts. Trotzdem enthält das nun vorgelegte 175-Seiten-Werk manche brisante Angabe.

Ausgelöst worden war der Bericht durch einige Skandale, die sich in den letzten Jahren gehäuft hatten. Beim größten Bankzusammenbruch der bisherigen Finanzgeschichte war die weltweit tätige BCCI in Konkurs gegangen und ließ hunderttausende betrogene Anleger zurück. Als bekannt wurde, daß BCCI auch eine Filiale in Guernsey hatte, über die viele Transaktionen gelaufen waren, war das Erstaunen groß. Ebenso bei der Barings Bank, die sich mit Milliardenspekulationen übernommen hatte. 1998 wurde die Cantrade Bank Guernsey, eine Filiale der größten Schweizer Bank UBS, zu 5 Millionen Dollar Bußgeld verurteilt, weil sie mehrere Anleger bei Devisenspekulationen betrogen hatte. Bei einigen Prominenten wie Anita Roddick und Richard Branson wurde bekannt, daß sie ihre Vermögen in Inselstiftungen versteckt haben. Zuletzt hatte noch ein Trust in Guernsey für Aufregung gesorgt, über den sogar ein Labour-Minister, Geoffrey Robinson, sich von einem belgischen Wohltäter 30 Millionen Mark hatte zukommen lassen.

Edwards hat auftragsgemäß nur die Finanzoasen untersucht, die in unmittelbarer Nähe Englands liegen. Obwohl damit zahlreiche Finanzoasen wie die karibischen Cayman Islands fehlen, ist das Ergebnis bemerkenswert. Auf den Kanalinseln und der Isle of Man sind juristisch etwa eine Billion DM geparkt, das sind nach Edwards "etwa fünf Prozent der privaten Geldanlagen der Reichen dieser Welt". Diese Klientel könnte ihr Geld natürlich auch in ihren Heimatländern, also etwa in England, Irland, Deutschland, Frankreich, den USA anlegen. Warum die Inseln bevorzugt werden, hat Gründe, die nicht überraschen: Insbesondere handelt es sich um formell legale Steuerumgehung, um die Wäsche von schmutzigem zu sauberem Geld und um Steuerhinterziehung. Andrews Fazit: "Der Kampf gegen die Finanzkriminalität auf den Inseln ist nicht gewonnen."

Die innen- und steuerpolitisch unabhängigen Inseln haben in den letzten beiden Jahrzehnten das off-shore-Geschäft ausgebaut. Mit Mini- oder auch Nullsteuern haben die lokalen Regierungen die Ansiedlung von Banken, Versicherungen, Investmentfonds und Briefkastenfirmen gefördert. Den Anfang haben schon im 19. Jahrhundert englische Kolonialbeamte gemacht, die mit hohen Ersparnissen und dicken Schmiergeldern aus Indien, Rhodesien oder anderen Kolonien zurückkamen und sich das nicht von der Steuer schmälern lassen wollten. Eine neue Welle kam in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, und zwar wieder aus dem Mutterland, als reiche Engländer ihr Vermögen dem Zugriff der damaligen Labour-Regierung entziehen wollten. Schon damals gründeten sie Trusts und Stiftungen auf den Inseln, um Unternehmensanteile, Aktienpakete und Immobilien steuerbegünstigt und anonym zu parken. Ein Drittel aller auf den Inseln versteckten Vermögenswerte gehört heute Bewohnern des englischen Festlands.

So residieren bei einer Bevölkerungszahl von insgesamt 217.000 Einwohnern auf den idyllischen Inseln heute 1937 Banken, 559 Versicherungsgesellschaften und 818 Investmentfonds. Das sind mehr als im Mutterland selbst. Die einheimischen Banken sind allerdings in der Minderzahl, die meisten Banken kommen, wie Rothschild und Barings, aus London, aus New York, Dublin, Düsseldorf, Frankfurt und Zürich. Aber auch Banken aus anderen Finanzoasen haben sich hier angesiedelt, etwa die Bank of Bermuda. Ähnlich ist es bei den Investmentfonds. Auch die meisten Versicherungsgesellschaften gehören englischen, deutschen, französischen und holländischen Großunternehmen, die hier ihre Rückversicherungs- und Patentgeschäfte steuerbegünstigt abwickeln.

Das macht deutlich, daß die scheinbar exotischen Inseln fester Teil der Weltwirtschaft und des Weltfinanzsystems geworden sind. Wenn man berücksichtigt, daß Banken aus anderen Finanzoasen wie Luxemburg, der Schweiz und den Cayman Islands hier Filialen betreiben, dann kann man anhand dieser Vernetzung der Finanzoasen erahnen, welche versteckten Geschäfte in diesem mehrfach gesicherten System möglich sind. Edwards nennt einige wenige kriminelle Geschäfte, die ihm bekannt geworden sind: etwa Waffengeschäfte mit den Bürgerkriegsparteien in Ruanda 1994, etwa eine Lieferung für 3,3 Millionen Pfund an die Hutu-Milizen.

Der Edwards-Bericht geht weiter auf eine typische Erscheinung von Finanzoasen ein, die "Briefkastenfirmen". Er ermittelte 90.456 registrierte Unternehmen. Da es offenbar auch verdeckte Formen von nicht registrierten Firmen gibt, läßt Edwards offen, ob die Zahl der Firmen möglicherweise doppelt so hoch ist. Die meisten von ihnen kann man als "Briefkastenfirmen" bezeichnen. Hierzu wurde vor allem das liechtensteinische und Schweizer Gesellschaftsrecht abgekupfert, wonach treuhänderisch verwaltete Firmen leicht gegründet (und leicht gelöscht) werden können, bei denen die wirklichen Eigentümer ungenannt bleiben. Den Rekord hält ein gewisser Philip Crowshaw, der im vergleichsweise jungen Alter von 42 Jahren bereits Direktor von "etwa 3.000" britischen, irischen und anderen auf der Isle of Man registrierten Firmen ist. Ohne Skrupel hat er sich damit auch ins Guinness-Buch der Rekorde eintragen lassen. Inselbewohner, die nur 2.000 oder 1.300 Direktoren- oder Verwaltungsratsposten aufzuweisen haben, konnte Crowshaw damit leicht auf die hinteren Plätze verweisen. Unter den Inseln hält das kleine, felsige Sark den Rekord: 575 Einwohner verwalten 23.000 Direktoren- und Aufsichtsratsposten. Den Spitzenplatz halten drei Treuhänder, die zwischen 1600 und 3.000 Mandate wahrnehmen.

Für die rein formelle Wahrnehmung ihrer Funktionen berechnen die Treuhänder Gebühren zwischen 100 bis 2.000 Pfund pro Jahr, dazu gegebenenfalls die Unkosten für das Aufstellen und Betreiben eines Telefon- und Faxanschlusses, für das Drucken von Briefköpfen, Geschäftsberichten und andere Kosten mehr. "Die wirklichen Direktoren sind andere Leute", schreibt Edwards. Die meisten derartigen Firmen werden von London, Dublin, Glasgow, Düsseldorf, Amsterdam oder Paris aus betrieben. Neben den Gehältern der etwa 20.000 Beschäftigten des Finanzsektors haben die Gebühren für das Verwalten von Scheinfirmen den Lebensstandard der Inselbewohner kräftig ansteigen lassen: Er liegt etwa 20 Prozent über dem des Mutterlandes. Auch dieser parasitäre Reichtum ist eine typische Erscheinung von Finanzoasen wie Monaco, Luxemburg und Liechtenstein.

Edwards hat aufgrund der Aufregung und der Aktivitäten der Pressuregroups schließlich nur sehr gemäßigte "Reformvorschläge" gemacht. Er empfiehlt, vor allem das "ausufernde Postenunwesen" einzuschränken, indem eine Obergrenze von 30 Direktorenposten festgelegt wird. Treuhänder sollen registriert und lizensiert werden. Die Berichterstattung der Unternehmen soll an europäische Standards angeglichen werden. Auch soll auf jeder Insel eine crime unit aus zehn Finanzspezialisten eingerichtet werden, um kriminellem Mißbrauch auf die Spur zu kommen. Für Beschwerden von Kunden soll die Stelle eines Ombudsmanns eingerichtet werden.

Die Inselregierungen wollen demnächst über diese Reformvorschläge verhandeln. Sie haben inzwischen versprochen, nach dem Vorbild von Luxemburg und der Schweiz Gesetze zur Bekämpfung von Geldwäsche und Drogenkriminalität zu verabschieden. Dabei wird nicht viel herauskommen, das ist jetzt schon klar. Ein Kommentar aus dem Herzen der Londoner City, vom renommierten Vermögensverwalter Ernst & Young: "Finanzparadiese sind ein legitimes Mittel der Steuerplanung und der Reichtums-Verteidigung."

Kenner der Finanzparadiese weisen darauf hin, daß dem von Edwards abgelieferten Regierungsbericht bereits im Vorfeld die Zähne gezogen wurden. Prem Sikka, Professor für Buchführung an der Universität von Essex: "Der Bericht ist eine verpaßte Gelegenheit; die Strukturen der ,Betrugs-Fabriken` wurden nicht offengelegt, ebenso nicht die mangelnde Gewaltenteilung auf den Inseln." Philip Sinel, ein Rechtsanwalt in Jersey, der für mehrere Anleger auf Schadenersatz gegen die Cantrade Bank klagt: "Edwards hat die zahlreichen Verantwortlichen in Politik und Verwaltung geschont, die eigentlich hätten bestraft und entlassen werden müssen."

Der Edwards-Bericht kam aufgrund des Drucks in der EU zustande. Ausgeblendet hat er wie bereits gesagt die Finanzoasen, die zum Königreich gehören, aber von England weiter entfernt liegen: die Cayman Islands, Anguilla, Bermudas, Bahamas, Britische Jungferninseln, Falkland, Gibraltar. Was den Edwards-Bericht und den Zeitpunkt seiner Veröffentlichung so brisant macht, ist die Tatsache, daß man sich inzwischen weltweit mit den britischen Finanzoasen befaßt. Nach Auskunft der US-amerikanischen Bankenaufsicht belaufen sich die Bankguthaben allein auf den Cayman Islands auf etwa 800 Milliarden Mark. Die Finanzstruktur dieser Oasen ähnelt der der Kanalinseln. So werden die meisten der 575 Banken und 30.000 Unternehmen, die ihren formellen Sitz auf den Cayman Islands haben, real von New York, London oder Düsseldorf (etwa die WestLB) aus betrieben.

Der Edwards-Bericht läßt an wenigen Beispielen durchscheinen, daß die Finanzoasen weit größeren Einfluß auf das Weltwirtschaftssystem haben als bisher öffentlich zugestanden. Die Doppelt- und Dreifachsicherungen der Geheimhaltung sind oft mit hochspekulativen Einsätzen der Finanzmassen verbunden. Robert Morgenthau, leitender Staatsanwalt von New York, macht auf ein aktuelles Beispiel aufmerksam: Der Hedge Fonds "Long Term Capital Management" (LTCM), der Anlegern und Banken rund um den Globus einen Verlust von gut einer Milliarde Mark einbrachte, "wird vom US-Staat Connecticut aus verwaltet, ist aber auf den Cayman Islands registriert. Der Fonds konnte so die Details seiner Geschäfte geheimhalten".

Weil die Finanzmassen aus dem weltumspannenden Geheimreich der britischen Finanzoasen mit dafür verantwortlich sind, daß ständig Börsenkrisen ausbrechen, gewinnversprechende Großfusionen inszeniert und Kleinanleger geschädigt werden, rufen immer mehr internationale Organisationen zum Handeln auf. Die UNO hat ebenfalls einen Bericht vorgelegt, weil in den Finanzoasen "Gewinne aus kriminellen Unternehmungen verschleiert werden". Die Wirtschaftsorganisation der 27 reichsten Industrieländer, die OECD, hat einen Sieben-Jahres-Plan zur Schließung von Finanzparadiesen ausgearbeitet. Und ausgerechnet Dawn Primarolo, britische Finanzstaatssekretärin, wurde zur Vorsitzenden der Gruppe ernannt, die in der EU die europäische Steuerharmonisierung vorantreiben soll. Die ist keine fixe Idee von Lafontaine, sondern ein Beschluß der EU-Finanzminister. Obwohl das alles noch nicht gefährlich ist, läuten bei Englands reicher Klasse nun die öffentlichen und internen Sturmglocken.

Auch der Fall LTCM macht klar, daß die Cayman Islands keine exotische Insel sind, auf denen nur kriminelle Mafiosi ihre Gelder aus Drogengeschäften waschen. Die Cayman Islands sind nach New York, London, Tokio und Hongkong der fünftgrößte Finanzplatz der Welt, und die renommiertesten Banken wickeln einen Teil ihrer Geschäfte ganz selbstverständlich über die Finanzoasen ab. So hatte etwa die Deutsche Bank 500 Millionen Mark Kredite an LTCM vergeben, die nun als Stützungszahlung zur Vermeidung des Bankrotts eingeschossen wurden. Daran ist abzulesen, welche Gegner man (auch) vor sich hat, wenn man britische Finanzoasen schließen will.