Editorial

Michael Ackermann

Mit dem Terror vom 11. September 2001 ist auch das traditionelle Verständnis kollektiver Sicherheits- und Abschreckungspolitik, in dem Krieg und Kriegsbegriff ebenso wie Frieden und Friedensbegriff an die Staatenwelt gebunden waren, tief erschüttert worden. Die Folgen sind kaum absehbar. Zu vielen Aspekten tragen die AutorInnen dieses Heftes Analysen der Situation bei (etwa Martin Altmeyer über die Rückkehr "des Bösen", Eike Hennig über Entgrenzung, Michael Werz über die Täter, Dunja Melcic über das Unbekannte des "neuen Krieges" oder Birgit Laubach über die rechtlichen Implikationen des "Bündnisfalls"). In einem FR-Gespräch (22.9.01) hält Umberto Eco zum Thema Abschreckung fest: "Das System der Strafen und Bestrafungen hat sich ebenfalls verändert. Bis zum 11. September war Amerika noch davon überzeugt, dass die Todesstrafe ein Abschreckungs-Potenzial hat. Aber wie will man damit Leute abschrecken, die sich mit einem Flugzeug in ein Hochhaus stürzen?"

Der italienische Philosoph Giorgio Agamben geht in einer Analyse "über Sicherheit und Terror" (FAZ, 20.9.01) erheblich weiter. Dem Sicherheitsdenken des modernen Staates wohne eine gefährliche Tendenz inne: "Ein Staat, der als einzige Legitimation und als einzige Aufgabe die Sicherheit hat, ist ein zerbrechlicher Organismus; er kann ständig vom Terrorismus provoziert werden, selbst terroristisch zu werden. ... In der neuen Lage ... wird also deutlich, daß die Sicherheit mit der Globalisierung an ihr Ziel gelangt: Sie impliziert die Idee einer neuen planetarischen Ordnung, die in Wahrheit die schlimmste aller Unordnung ist. ... Nichts ist daher notwendiger als eine Revision des Begriffs der Sicherheit als Leitgedanken staatlicher Politik." Nunmehr sei die "Zeit gekommen, an der Vorbeugung von Unordnung und Katastrophen zu arbeiten, nicht nur an ihrer Beherrschung". Das wäre eine Politik, die sich auf die Bedingungen der Entstehung von Hass, Terror und Zerstörung einlässt. Im Sinne der Überwindung einer "Antipolitik" (wie Dick Howard in seinem Artikel über die Folgen der US-Außenpolitik seit dem Amtsantritt von Bush jr. ausführt, S. 6) erzwingt dies auch eine Auseinandersetzung der "westlichen Staaten" mit den tiefen Verwerfungen, die die Dynamik ihrer kapitalistischen Produktionsweise hervorgebracht hat.

Dazu gehört, dass die (ver-)traute Vorstellung von einer Welt der Absicherungen gegen das "Chaos da draußen" wohl zur Illusion geworden ist (damit würde auch die schon etwas ältere enzensbergersche Empfehlung obsolet, sich dem überschwappend-überfordernden Elend der Welt der Fernsehbilder durch das alleinige Fegen vor der eigenen Haustür zu entziehen). Ohne Anerkennung der Tatsache und politische Reaktion darauf, dass die ungleich existenziellere Unsicherheit des Lebens in vielen Ländern dieser Welt etwas mit "unserer" Produktions- und Lebensweise und der Globalisierung zu tun hat (siehe "Ereignisse & Meinungen", S. 20), wird wenig gehen. Denn zwischen "uns" und "den anderen" gibt es keine Scheidelinie. Noch das feinste Kapillarsystem der Sicherheit und der Versicherungen wird der Gesellschaft keineswegs sich weiter steigernde Risiken ersparen.

Zu diesen Risiken gehört das gesamte "Design" unserer Lebenswelt. Dazu zählen die Städte und hochverdichteten Ballungsräume, etwa Frankfurter Bankenviertel, Messegelände, Atomkraftwerke und andere explosive Produktionsanlagen. Dieses mit höchstem Gefährdungspotenzial ausgestattete "Design" absolut zu "sichern", erscheint mittlerweile nicht nur Konservativen als Königsweg. Der Preis dafür wäre die wahrhaft finstere Vorstellung vom allseitigen "Sicherheitsstaat".

Stellt demgegenüber die Vorstellung von einem Rückbau dieses "Designs" einen gangbaren Weg dar? Gero von Randow hat einen Rückbau unter dem Zentralbegriff der "Entballung" skizziert (FAZ, 19.9.01). Sie soll die Verletzbarkeit der "modernen Gesellschaft" verringern. Als ideelle Vorbilder dieser Entballung betrachtet von Randow das Internet, also die Struktur des Netzes (der Mensch als "leibliches Wesen" kommt darin signifikanterweise nicht vor). Die Entflechtung der dichten Struktur soll durch ihre Verteilung in die Fläche erfolgen: Herstellung neuer, kleiner, flexibler Einheiten. Wir kennen diese Ideen aus der Ökologie-Diskussion. Wir wissen mittlerweile jedoch, dass Kleinteiligkeit und Zersiedelung des Raumes mobilitätspolitisch und ökologisch kontraproduktiv sind. Sie sind es zudem kulturell; Ballungsräume sind eben auch Ballungsräume der Begegnung, des Ertragens unterschiedlicher kultureller Eigenheiten, sie sind also Anti-idyllen. Wie gerne ein/e jede/r zuzeiten auf einer "Insel der Ruhe" lebt – kollektiv gesehen wirkt eine solche Vision reaktionär und "zivilisationsgeschichtlich" gefährlich (siehe dazu auch Gerd Held, S. 41). Die Vorstellung von der Auflösung aller Ballungsräume ist der absurde Versuch, dem Risiko der Terrorwirkung auf hochkomplexe Gesellschaften durch die Verabschiedung von der Politik zu entkommen.

Das heißt im Umkehrschluss jedoch nicht, dass man sich der Diskussion um Sicherheit(en) entziehen kann – ebenso wenig wie der Auseinandersetzung um militärische und polizeiliche Mittel im Kampf gegen den Terror. Auf beiden Gebieten werden es zweifellos diejenigen sehr schwer haben, die differenzieren und abwägen wollen. Denn zwischen den Positionen der Härte und eines prinzipiellen Pazifismus wirken sie wie "Eiertänzer". Diese artifizielle Übung entspricht jedoch dem Bewusstsein von der Zerbrechlichkeit einer Gesellschaft, die nicht ausschließend wirken will.