Mitten in Europa

Einwanderungsdebatte und Gesetzentwurf

Birgit Laubach

Unter dem Eindruck der anschwellenden Diskussion über innere Sicherheit kam auch die Einwanderungsdiskussion um den Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Schily ins Trudeln. Manche glaubten, nach dem 11. September könne es gar nicht mehr demokratisch und liberal zugehen. Die Wahrnehmung würde dem vorgelegten Entwurf jedoch nicht gerecht. Unsere Autorin stellt die Ausgangslage im europäischen Kontext dar und gewichtet die Kritik.

Rot-grün hat in nur einer Legislaturperiode einen grundsätzlichen Wandel der Auffassungen über Einwanderung und Einbürgerung erreicht. Grundlegend ist und bleibt hierfür das neue Staatsbürgerrecht, welches seit dem 1. Januar 2000 gilt. Auch wenn einige in der rot-grünen Koalition dieses Datum immer noch als Niederlage verarbeiten, wurde doch ein modernes Recht geschaffen, das mit den übrigen EU-Mitgliedstaaten kompatibel ist. Die entscheidende, für die Demokratie so wichtige Änderung wird leicht vergessen. Mit dem neuen ius soli1 im Staatsbürgerrecht wurde eine schleichende Entwicklung gestoppt, nämlich einerseits die eines schrumpfenden Staatsvolkes von Deutschen und andererseits eine ständig wachsende nichtdeutsche Bevölkerung, die nicht über die vollen Staatsbürgerrechte, sondern einen minderen Status verfügt. Es ist die große demokratische Leistung dieses Gesetzes, die gesellschaftliche Aufspaltung in Vollbürger und dauerhaft hier lebende Nichtbürger tendenziell zu revidieren. Kinder von ausländischen Eltern werden heute als Deutsche geboren und können sich bis zum 23. Lebensjahr entscheiden, ob sie den Bindungen zu ihrem Herkunftsland den Vorzug geben oder nicht. Die Einbürgerung wurde erleichtert; grundsätzlich besteht nach achtjährigem Aufenthalt ein Anspruch darauf. Die Einbürgerungszahlen selbst belegen eindrucksvoll den neuen Prozess. Denn allein im Jahr 2000 wurden fast 190.000 Ausländer und Ausländerrinnen eingebürgert. Geht man davon aus, dass jedes Jahr etwa 100.000 Kinder von Müttern ausländischer Herkunft geboren werden, erhöht sich die Zahl der deutschen Staatsangehörigen ausländischer Herkunft nochmals deutlich. Innerhalb von wenigen Generationen wird sich die Anzahl der ausländischen Wohnbevölkerung, die heute etwa neun Prozent der Gesamtbevölkerung beträgt, zugunsten von Staatsbürgern ausländischer Herkunft deutlich verringern. Damit ist noch nicht darüber entschieden, wie das Zusammenleben der unterschiedlichen Kulturen und Ethnien gelingen kann. Bis heute bieten die republikanischen Staaten ihren Staatsangehörigen ausländischer Herkunft im Wesentlichen an, sich zu assimilieren. Angesichts des eher formalen Bandes, welches die Staatsangehörigkeit heute vermittelt, wäre neu zu klären, nach welchen Kriterien sich das Gemeinwesen herausbildet. Dennoch ermöglicht die neue Staatsbürgerschaftsregelung die Herausbildung des Citoyen mit allen Rechten und Pflichten.

Es ist wichtig an diese demokratische Reform zu erinnern, um die kontroverse Diskussion über das Einwanderungsgesetz richtig einzuordnen. Denn wenn Hürden für die Einbürgerung fallen und Kinder ausländischer Eltern mit langjährigem Aufenthalt grundsätzlich als Deutsche geboren werden, verlieren die ausländerrechtlichen Bestimmungen einiges an Sprengkraft. So sind die traditionell fremdenrechtlich und polizeirechtlich geprägten Vorschriften zur Ausweisung von Ausländern zwar immer noch vorhanden, aber skandalöse Entscheidungen wie die Ausweisung eines in Deutschland geborenen oder aufgewachsenen ausländischen Kindes, das nur noch rudimentär die Sprache seines Heimatlandes versteht und über keine Bindungen dorthin verfügt, sind auf längere Sicht nicht mehr umstandslos möglich.

Mit dem neuen Staatsbürgerrecht wurde das entscheidende Signal gesetzt. Mit der GreenCard und dem Entwurf für ein Einwanderungsgesetz wurde sodann endlich die Frage entschieden, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist. Unter dem Eindruck der komplizierten Debatte über die innere Sicherheit diesen Gesetzgebungsprozess jetzt abzublasen, wäre ein politisches und demokratisches Armutszeugnis.

Europäische Einwanderungspolitik

Es ist in der Vergangenheit immer so getan worden, als ob sich die europäische ohne weiteres von der innenpolitischen Diskussion über Einwanderung trennen lasse. Die Anwerbung der so genannten Gastarbeiter mit Beginn der Fünfzigerjahre vollzog sich noch auf der Folie des Nationalstaates. Die europäische Idee hingegen richtete sich gegen den Status quo der Nationalstaaten und gegen ihre Enge. Die Existenz von Nationalstaaten erfordert die Differenz zwischen Fremden und Angehörigen. Das Prinzip der Staatsangehörigkeit ist so gesehen eine Form der Diskriminierung, die weltweit anerkannt und legal ausgeübt wird. Die Europäische Union hingegen tendiert dazu, die Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit aufzuheben. Gemeinschaftsbürger sind noch Ausländer, werden aber wie Inländer behandelt.

Seit den Fünfziger- und Sechzigerjahren hat sich Migration in ganz Europa grundlegend geändert. Eine weltweit vernetzte Wirtschaft bestimmt auch die Einwanderungspolitik. Heute wird gut qualifiziertes Personal temporär und projektbezogen transnational eingesetzt. Multinationale Unternehmen versetzen oder entsenden hoch qualifizierte Fachleute zu europäischen Zweigstellen oder Tochtergesellschaften. Multilaterale Abkommen wie das GATT und GATS bestimmen die wirtschaftlichen Handels- und Dienstleistungsbeziehungen, in deren Gefolge sich Geschäftsleute und Führungspersonal in einem Mitgliedstaat der EU aufhalten.

Die noch in den Sechzigerjahren dominante innergemeinschaftliche Nachfrage nach niedrig qualifizierten Arbeitnehmern spielt eine schwindende Rolle. Nur die neuen Einwanderungsländer wie Italien, Spanien und Portugal haben hier einen größeren Bedarf.

Die vergleichsweise junge Einwanderungspolitik der EU, die seit dem Vertrag von Amsterdam vergemeinschaftet ist, hat sich im vergangenen Jahrzehnt auf die Verhinderung von Einwanderung konzentriert. Während sich Unionsbürger und -bürgerinnen in allen Mitgliedstaaten der EU frei aufhalten und arbeiten können, bedurfte es des europäischen Gerichtshofes, um einem belgischen Dienstleistungsunternehmen zu gestatten, seine marokkanischen Arbeitnehmer aufenthalts- und arbeitserlaubnisfrei in Frankreich auf einer Baustelle einzusetzen. Da das Fremdenrecht als einzigen Unterschied die Ausländereigenschaft kennt, wird es gleichermaßen für Arbeiter und Führungskräfte angewandt. Einzig die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes hat hier in den vergangenen Jahren gewisse Abhilfe geschaffen, indem sie etwa die Dienstleistungsfreiheit auch auf die Arbeitnehmer eines Unternehmens erstreckte und für Staatsangehörige aus Drittstaaten, mit denen die Europäische Union Assoziationsabkommen abgeschlossen hat, gemeinschaftsrechtlich abgeleitete Aufenthaltsrechte bejaht hat.

Wie sich die innenpolitischen Bedürfnisse des Nationalstaates an den ökonomischen und europäischen Erfordernissen reiben, zeigt sich an der Diskussion um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Rahmen der Osterweiterung. Die Staatsangehörigen der Beitrittsstaaten sind noch Einwanderer und doch schon keine mehr, weil sie mit dem Beitritt zur EU gehören. Im Unterschied zur Süderweiterung nach Portugal und Spanien gibt es heute einen Bedarf sowohl im Bereich hoch qualifizierter als auch in Branchen niedrig qualifizierter Arbeitskräfte, wie beispielsweise in der Landwirtschaft, im Gaststättengewerbe und im Pflegebereich. Die Süderweiterung fand in einer noch vorwiegend ökonomisch bestimmten europäischen Gemeinschaft statt. Mit der Einheitlichen Europäischen Akte, die erstmals den Bezug auf die Grundrechte und Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten aufnahm, über den Vertrag von Maastricht, der die Unionsbürgerschaft einführte, bis hin zum Gipfel von Nizza, der die Grundrechtecharta verabschiedete, hat sich die Europäische Union zu einer Bürgerunion gewandelt. Dieser zivile und menschenrechtliche Charakter der Europäischen Union war es auch, der in den ost- und mitteleuropäischen Staaten so hohe Sympathiewerte für den Beitritt erzielte. Mobilität und Freizügigkeit sind ja nicht nur wirtschaftlich zu sehen, sondern zugleich grundlegende Freiheits- und Bürgerrechte. Es geht deshalb nicht nur um Übergangsfristen im Bezug auf die Freizügigkeit, sondern darum, ob die Bürger und Bürgerinnen der Beitrittsländer Unionsbürger, also sofort und vollständig Mitglieder der europäischen Bürgerunion werden oder nicht. Das kommunale Wahlrecht und das Wahlrecht zum europäischen Parlament setzt das grundlegende Recht auf Mobilität voraus. Die Unionsbürgerschaft ist gerade nicht teilbar, sondern kann nur einheitlich gewährleistet werden. Es macht keinen Sinn, von einem ökonomisch bedingten demografisch geforderten Einwanderungsbedarf zu sprechen und andererseits nationalstaatlich kleinkariert, die Ängste vor Arbeitskräften aus den Beitrittsländern zu bedienen.

Die Europäische Kommission hat unlängst in einer bemerkenswerten Mitteilung zur Einwanderungspolitik erstmals eine aktive Einwanderungspolitik der EU verlangt. Sie fordert, einen einheitlichen Rechtsrahmen für die Einwanderung in die Union zu schaffen. Dabei soll den Mitgliedstaaten ein ausreichender Spielraum verbleiben, um zu bestimmen, wie viel Einwanderung sie zulassen. Hingegen ist es angesichts des freien Binnenmarktes richtig, die Einreise in die und den Aufenthalt in der EU für alle Mitgliedstaaten gleich zu regeln. Dies beträfe den Arbeitsmarktzugang zu selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit, die Erbringung von Dienstleistungen, die saisonale Einwanderung, die Einreise zum Zwecke des Studiums und im Rahmen der Familienzusammenführung. Sinnvoll ist ein Rahmen, der von den Mitgliedstaaten flexibel ausgefüllt wird.

Nach Ablauf von spätestens zehn Jahren sollte die EU allen Einwanderern die gleichen Bürgerrechte, wie sie Unionsbürger besitzen, als fundamentales Konstituens einer offenen Gesellschaft einräumen. Hierzu gehört die volle Freizügigkeit in allen Mitgliedstaaten der EU. Großzügig bemessene, aufenthaltsrechtlich unschädliche Rückkehrmöglichkeiten ins Herkunftsland tragen dazu bei, wirtschaftlichen Wohlstand, beispielsweise durch Geschäftsgründung, auch dorthin zu bringen. Die Europäische Kommission schlägt vor, für dauerhaft in einem Mitgliedstaat lebende Einwanderer eine Zivilbürgerschaft einzuführen. Zugleich wäre die Asyl- und Flüchtlingspolitik zügig zu harmonisieren, wie es in Tampere schon beschlossen wurde.

Die Diskussion um die deutsche Einwanderungsgesetzgebung

Wie lässt sich die heute aus wirtschaftlichen und demografischen Gründen akzeptierte Einwanderung(2) politisch, sozial und kulturell bewältigen? Offen zu klären ist, wie es um die gesellschaftliche Aufnahmefähigkeit und Aufnahmewilligkeit bestellt ist. Die CDU/CSU versucht, die praktisch und politisch zu lösenden Probleme mit ihren ideologischen Metaphern von der deutschen Leitkultur oder neuerdings mit nationaler Identität zu besetzen. Es wäre jedoch töricht zu leugnen, dass sich in großen Metropolen wie Berlin, Hamburg, Frankfurt und München aufgrund von zunehmender Gettoisierung, ein erheblicher sozialer Sprengstoff entwickelt hat. Wenn es auch stimmt, dass ein Einwanderungsgesetz gegenüber dem ursprünglichen ausländerrechtlichen Instrumentarium aufgrund der Reform des Staatsbürgerrechts seine existenzielle Bedeutung einbüßt, dann gilt es doch zwei Dinge festzuhalten: Es ist legitim, Einwanderung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu gestalten. Es ist für keinen Staat klug, arbeitsmarktpolitische Zuwanderung ohne Bedarf zu regeln. Zudem würde die humanitäre Aufnahme von Flüchtlingen durch eine solcherart begründete Einwanderung destabilisiert. Zum zweiten beweist sich eine offene Gesellschaft daran, in welchem Ausmaße sie zu großzügigen humanitären Gesten und Garantien gegenüber Flüchtlingen und politisch Verfolgten bereit ist und ihnen Ansprüche einräumt. Die neu-alte Auseinandersetzung um Aufnahmefähigkeit und Aufnahmewilligkeit sucht sich gerade einen neuen Schauplatz. Gestritten wird um die Einwanderung von Niedrigqualifizierten oder Hochqualifizierten und erneut um die humanitäre Aufnahme von Flüchtlingen. Um diese Fragen wird letztlich auch der einwanderungspolitische Kompromiss im Bundesrat geschlossen werden müssen.

Die Hauptkritikpunkte an dem Gesetzentwurf des Bundesinnenministers:

– Nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung werden im Rahmen der humanitären Aufnahme von Flüchtlingen nicht anerkannt, obwohl dies angesichts von zerfallenden Nationalstaaten und ethnischen Auseinandersetzungen ein Gebot der Stunde wäre. Es ist schwer erträglich mit anzusehen, wie die Taliban den Frauen in Afghanistan die elementarsten Menschenrechte vorenthalten und sie bei geringsten "Verstößen" steinigen, und dies nicht als geschlechtsspezifische Verfolgung anzuerkennen.

– Flüchtlinge, die kein Asyl erhalten und nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht anerkannt sind, aber wegen Verfolgung nicht abgeschoben werden dürfen, erhalten derzeit die sogenannte Duldung, die jedoch keinen eigenständigen Aufenthaltsstatus vermittelt. Mit viel Mühe konnten die Grünen in diesem Jahr erreichen, dass geduldete Flüchtlinge und Asylsuchende nach einer einjährigen Wartezeit Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt erhalten. Der Referentenentwurf schafft die Duldung ab, was seit Jahren von vielen Organisationen gefordert wird. Er überlässt jedoch die Frage, ob dieser Personenkreis künftig einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel verlangen kann oder nicht, hauptsächlich dem Ermessen der Ausländerbehörden. Statt der Duldung wird das Abschiebungshindernis bloß noch bescheinigt. Ausländerorganisationen befürchten, dass die in Deutschland lebenden rund 250.000 geduldeten Flüchtlinge mit diesem Vorgehen in die Illegalität abgedrängt werden.

– Nach drei Jahren wird überprüft, ob die Asyl- oder die anerkannten Gründe für die Flucht nach der Genfer Flüchtlingskonvention noch vorliegen. Auch sollen Flüchtlinge, die zunächst abgelehnt wurden, bei denen aber aufgrund politischer Betätigung so genannte Nachfluchtgründe und damit eine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegt, nicht mehr den Status eines Konventionsflüchtlings erhalten.

– Den Kirchen wird "angeboten", in Härtefällen bestimmte Kontingente von Flüchtlingen "auf eigene Kosten" zu beherbergen.

– In Deutschland geborene oder aufgewachsene Jugendliche ausländischer Herkunft erhalten keinen absoluten Ausweisungsschutz.

– Umstritten sind die Regelungen des Gesetzentwurfs zum Familiennachzug. Spitzenkräfte und anerkannte politische Flüchtlinge erhalten das Recht auf Nachzug für ihre Kinder bis zum 18. Lebensjahr. Für andere ausländische Kinder gilt dies nur, wenn sie zusammen mit den Eltern nach Deutschland einreisen beziehungsweise in eng umrissenen Ausnahmefällen. Im Übrigen wird das Kindernachzugsalter von 16 auf 12 Jahre abgesenkt. Damit greift der Gesetzentwurf den Vorschlag der Unabhängigen Kommission nicht auf, die das Kindernachzugsalter generell, wie in Europa üblich und von der EU-Kommission vorgeschlagen, an der Volljährigkeit orientiert. Europapolitisch stehen die Verhandlungen über den Richtlinienentwurf zum Familiennachzug kurz vor dem Abschluss. Es wird daher befürchtet, dass Deutschland unter Berufung auf seine Regelungen zum Familiennachzug die Verabschiedung der Richtlinie verhindert, da sie nur einstimmig von allen Mitgliedstaaten beschlossen werden kann. Schließlich ist der Vorschlag auch verfassungsrechtlich wegen des Gleichbehandlungsgebotes zweifelhaft. Zudem gelten die in Artikel 6 GG verbürgten Grundrechte auf Ehe und Familie selbstverständlich auch für Ausländer und Ausländerinnen. Insoweit ist es bedenklich, wenn der Gesetzentwurf zwischen Familienangehörigen von Spitzenkräften und anderen Ausländern unterscheidet.

– Nach dem Schily-Entwurf bekommen Spitzenkräfte, bzw. Hochqualifizierte mit ihrer Einwanderung das Niederlassungsrecht, welches ihnen Aufenthaltssicherheit und weiter gehende Rechte verschafft. Andere Drittstaatsangehörige erhalten nur nach der Lage des Arbeitsmarktes eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die nach einem Jahr überprüft und widerrufen werden kann, wenn sich Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt ergeben. Viele erinnern sich bei dieser Regelung an das Rotationsprinzip aus den Fünfzigerjahren.

– Auch die hinsichtlich der Erteilung der Niederlassungserlaubnis zusätzlichen Hürden für Ausländer, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, sind problematisch. Es wird befürchtet, dass die etwa 1,7 Millionen Ausländer, die über einen befristeten Aufenthaltstitel verfügen, nicht mehr in den Genuss einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis gelangen, denn hierfür sind ausreichende Sprachkenntnisse und die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs gefordert.

– Schließlich werden Zweifel an der demokratischen Legitimation angemeldet, da eine Beteiligung des Bundesrates und des Bundestages bei Entscheidungen über den Umfang und die Einzelheiten der Zuwanderung nicht vorgesehen ist. Auch die im Gesetzentwurf geregelte monopolartige Stellung der Bundesanstalt für Arbeit bei der Beurteilung der arbeitsmarktpolitischen Einwanderung und Beendigung des Aufenthalts ist fragwürdig.

Über die Fülle von Detailkritiken geraten die politischen Ausgangsbedingungen für eine solche Reform und die unübersehbaren Stärken des Schily-Entwurfs leicht aus dem Blick. Erstmals wird eine Einwanderungsgesetzgebung positiv gestaltet. Neben der Einwanderung von Hochqualifizierten eröffnet ein Punktesystem, an dem sich auch in Deutschland lebende ausländische Staatsangehörige, die einen befristeten Aufenthaltstitel haben, beteiligen können, die Perspektive auf sofortigen Daueraufenthalt. Mit dem Punktesystem werden allgemeine Befähigungen, Sprachkenntnisse und Integrationsbereitschaft erfasst.

Erstmals verankert ein ausländerrechtliches Gesetz einen Rechtsanspruch auf Integration, auch wenn die Finanzierung noch nicht geklärt ist. Die Integrationskurse sollen den zur Kommunikation und zur täglichen Verständigung unverzichtbaren Erwerb deutscher Sprachkenntnisse fördern sowie ein grundlegendes Angebot zum Verständnis der Rechtsordnung, der Kultur, der Geschichte und der Lebensverhältnisse in Deutschland umfassen. Auch Grundkenntnisse, die den Umgang mit Behörden und anderen Verwaltungseinrichtungen erleichtern, gehören dazu (§ 43 des Gesetzentwurfs). Die Kritiker, die eine verpflichtende Teilnahme am Integrationskurs schon als "Zwangsveranstaltung" empfinden, werden es an diesem Punkt argumentativ schwer haben. Denn das Erlernen der deutschen Sprache ist nun mal die wichtigste Voraussetzung für die Integration. Auch Staatsbürgerkunde ist nicht ohne weiteres verwerflich. Über diese Fertigkeiten hinaus ist Integration eine politische Aufgabe, die darauf abzielt, Einwanderern die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen. kulturellen und politischen Leben zu ermöglichen. Dabei ist kulturelle Vielfalt zu respektieren.

Schließlich wird die aufenthaltsrechtliche Situation von Unionsbürgern verbessert. Denn hier wird das Verfahren entbürokratisiert, da die Aufenthaltserlaubnispflicht entfällt.

Die politische Frage ist, ob Rot-Grün die Kraft findet, sich bei einigen wesentlichen problematischen Regelungen des Gesetzentwurfs, wie etwa denjenigen eines gesicherten Aufenthaltsstatus für alle Flüchtlinge und zum Kindernachzug zu einigen, um den Wandel zur Einwanderungsgesellschaft noch in dieser Legislaturperiode rechtlich zu gestalten. Innenpolitisch ist das Thema leicht zu instrumentalisieren, weil reale Probleme nicht offen erörtert werden. Es gibt, wie beim Asylkompromiss, eine vergleichsweise große, gegen jede Zuwanderung tendierende Strömung in beiden Volksparteien, die auf der einen Seite durch den Gewerkschaftsflügel genährt wird und auf der anderen rechtspopulistisch agiert. Dagegen haben Wirtschaft und Industrie ein entschiedenes Interesse an geregelter Einwanderung. Gerade weil die CDU/CSU schon "gesprungen ist" und von ihrem Bekenntnis zur Einwanderungsgesellschaft nicht mehr herunterkommt, sind die Rahmenbedingungen für eine vernünftige Regelung so schlecht nicht. Für die Grünen kommt es, neben den notwendigen und sicher harten sachlichen Verhandlungen darauf an, einen Kompromiss mit herbeizuführen, der es ermöglicht, jenseits von Assimilation und ethnischem Beharren das schwierige Verhältnis von verschiedener Herkunft und gemeinsamer Zukunft politisch zu gestalten. Reale Probleme, wie sie in multiethnischen Schulklassen, durch soziale Deklassierung, mangelnde Bildungschancen für ausländische Jugendliche, ihre Sozialisation in Jugendgangs und die damit verbundene Gettoisierung entstehen, sollten nicht verschwiegen werden. Natürlich ist es richtig, die Anerkennung von Verfassung und Rechtsordnung zur Bedingung für das Zusammenleben verschiedener Kulturen zu machen. Angesichts der schwierigen Gestaltung des lebensweltlichen Alltags kommt einem das vergleichsweise einfach vor. Für die Lebenswelt ist die Sprache entscheidend. Hinzukommen müssen Offenheit, Toleranz und Neugierde auf beiden Seiten. Verordnen lässt sich das nicht. Einwanderer wie Deutsche können nur in einem offenen Prozess die jeweiligen Zumutungen bewältigen. In einem grenzenlosen Binnenmarkt mit verstärkter Mobilität und Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft ist die Frage, wie kulturelle Vielfalt und gesellschaftlicher Zusammenhalt auf nationalstaatlicher Ebene zusammenfinden, nicht mehr einfach zu beantworten. Um diese Zukunftsaufgabe geht es letztlich, um nicht mehr und nicht weniger.

1 Das ius soli vermittelt die Staatsangehörigkeit über das Staatsterritorium auf dem das Kind geboren ist. Heute gibt es zahlreiche Mischformen dieses Prinzips.

2 Wissenschaftliche Untersuchungen gehen davon aus, dass jährlich 400.000 neue Einwanderer gebraucht werden, um die Erwerbsbevölkerung zu stabilisieren. Vergl. Wöhlcke, Transnationale Migration, SWP-Studie, S. 10.