Die Ostlichterkette

53. Kerze

Wilhelm Pauli

Traurige Geschichte. Ein undeutsches Leben mit einem deutschen Finale. Ich schweige. Nur soviel: Am 14. des vergangenen Monats wollte ich, anläßlich des "Tages des offenen Denkmals", drei Straßen weiter bei Mielkes in der Normannenstraße vorbei - und dem Volk aufs Maul schauen. Das war aber nicht anwesend. Statt dessen stand vor der Tür Gustav Rust, dünn, rauchend, mit zuckenden Lidern, und wollt seine selbstverlegten Schriften verkaufen, um sie darauf sofort zu signieren: In den Fängen der STASI. Ein Kommunist maoistischer Prägung in der "DDR". Eine Dokumentation anhand von STASI-Akten:

Kreisdienststelle Zossen, 23.4.1968, Bericht zum Persönlichkeitsbild des Rust, Gustav, geb. am 18.1.1940, Beruf: Lichtbogenschweißer, viermal vorbestraft, zur Zeit in Haft: Rust entstammt einer Arbeiterfamilie. Sein Vater wurde im Jahr 1944 auf Grund eines Kriegsgerichtsurteils eines faschistischen Kriegsgerichts erschossen... Durch die Betätigung in der GST fand er nach eigenen Angaben Interesse an der militärischen Ausbildung und meldete sich im Januar 1958 freiwillig zum Dienst in der NVA. Dort fiel er wegen ständiger Disziplinlosigkeiten auf und wurde nach vier Monaten Dienstzeit wegen staatsgefährdender Propaganda und Hetze inhaftiert. Er wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Er wurde aus der NVA ausgestoßen... Er zog aus dieser ersten Bestrafung keine Lehren, sondern setzte auch im Strafvollzug seine Hetze gegen unseren Staat fort...

(8.4.1959: sechs Monate. 23.1.1964: zwei Jahre und neun Monate. 25.3.1968: elf Monate.): Er zitierte bei jeder Gelegenheit aus dem "Kapital" ... Am 15.12.1967 wurde bekannt, daß Rust die chinesische Botschaft in Berlin aufgesucht hatte und sich von dort Propagandamaterial beschaffte, mit welchem er in seinem Wohngebiet und an seiner Arbeitsstelle agitatorisch auftrat...

Aus MfS AKK 11861/74 (8.12.67): 13.24 Uhr betrat eine männliche Person den Nebeneingang der Botschaft, verließ diesen kurz darauf wieder, schaute sich den rechten Schaukasten an und betrat 13.27 Uhr die Botschaft durch den Haupteingang... 15.23 Uhr verließ eine männliche Person (von 13.27 Uhr) die Botschaft durch den Haupteingang und ging in Richtung S-Bahn. 15.25 Uhr wurde nach Verlassen der chin. Botschaft eine männliche Person zur Beobachtung aufgenommen. Diese Person erhält die "Nr. 887". (Es folgen Seiten minutiöser Angaben.)

Aus einem Gespräch mit Rust am 15.9.97 in seiner Wohnung in Steglitz: Als ich mal wieder draußen war, fragten mich Kollegen, die wußten, daß ich den Marxismus studierte, was ich von Mao Tse-tung hielte. Ich wußte nichts. Wenn ich aus dem Gefängnis rauskam, mußte ich immer von vorn anfangen. Folglich hatte ich keinen Fernseher. Also ging ich zur chinesischen Botschaft... 1968 wurde der Zugang gesperrt. Ich kam aber noch einmal rein und bekam die "Polemik über die Generallinie". Da haben die den Russen Feuer gegeben.

Feuer geben, das gefällt Rust. Er kann heute noch ganze Passagen aus der "Polemik" auswendig. Zum Beispiel: ,Chruschtschow prägte ein berüchtigtes Schlagwort "Gulaschkommunismus". Aber bekanntlich sind Kartoffeln und Rindfleisch (zwei der wichtigsten Zutaten zu Gulasch! die Redaktion) vom Tisch der sowjetischen Werktätigen verschwunden."

Strafvollzugsanstalt Bautzen I, 27.08.68: Der Strafgef. Rust, Gustav ist der Meinung, daß die Armeeeinheiten der Warschauer Vertragsstaaten nicht in die CSSR einmarschieren sollen. Auch wenn ein Teil der leitenden Funktionäre der KPC um jegliche Hilfe und militärische Hilfe gebeten haben. Es wäre innere Angelegenheit der CSSR...

Auszug aus einem Bericht vom 26.08.1968: Am 22.08.68 z.B. bei einer Diskussion, im Verwahrraum 20 über den Unterschied zwischen Funktionären und Arbeitern, bemerkte Rust etwa folgendes: "Auto gibt es bei euch (er sagt nie uns) doch nur für die Herrschaften,... merkt ihr Ochsen denn nicht, daß hier alles falsch eingerichtet ist. Eure Bonsen dürften nach ihren Arbeitsleistungen nicht mehr verdienen, wie ein Arbeiter, aber die Schweine leben, aus der Staatskasse, fahren auf euere Kosten ins Ausland auf Urlaub und fressen sich dick und dämlich, aber was habt ihr, einen Scheißdreck habt ihr, weil ihr alle Duckmäuser und Knechte seid...

Folgende Geschichte füllt Ordner. Die Mehrabteilungsgefahr elektrisierte: Zwischenbericht zur Kriminalakte "Botschaft", Bautzen, den 30.08.68: Am 21.06.1968 wurde in einer Transportkiste vom Motorenwerk Cunewalde in der Strafvollzugsanstalt Bautzen festgestellt, daß mit Farbe in der Kiste "Es lebe Mao tse-tung" stand. Nach Angaben des Bereichsleiters Franke erfolgt auch der Transport mit den Transportkisten nach dem Hauptwerk nach Cunewalde. Dadurch wurde die Möglichkeit gegeben, daß die Kiste in alle 5 Betriebsteile des Werkes kommen konnte. (Zeuge Bereichsleiter Herr Franke)... Rust hat mit Latexfarbe Ventilstößel gepunktet. Dabei hat er auch die Kiste beschmiert. (Zeuge Strafgef. Böhme, Karl-Heinz VZA IV)... Dem Bürger Rust ist es gelungen einen Teil Strafgefangene besonders jüngere zu beeinflussen. So werden auch Losungen von dem Bürger Rust ausgegeben, wie: Die politische Macht kommt aus dem Revolverläufen, Es lebe Mao Tse-tung, Mao Tse Tung der Führer der wahren Kommunisten.

Abschrift IM-Bericht, Treff am 27.1.1969: Entwicklung im Verwahrraum 20 der VZA IV, die beinahe an den Beginn einer Meuterei grenzt. Seit dem Erscheinen des Strafg. Rust hat sich die Situation immer mehr zugespitzt...

Nach insgesamt mehr als 9 Jahrem Haft, kann Rust 1975 ausreisen. Aus "Ich war auch dabei" von G. Rust: Ich fuhr manchmal zur "Neuen Welt" in der Hasenheide. Dort veranstaltete der KBW seine Versammlungen... Am 8. Oktober 1977 fuhren vom KBW ca. 200 PKW nach Bonn, zu einer Großdemonstration gegen den Vorschlag von Strauß, die Linken zu verbieten..., es wurde meine letzte Aktion mit dem KBW. Vor der Durchfahrt durch die "DDR" wurden die Plakate von den Autos entfernt, in Helmstedt wieder angebracht. Von den Moskau-hörigen Machthabern im andern Teil Deutschlands hatten die Leute vom KBW wohl Angst. Ich war enttäuscht...

Als Reaktion auf die Milliardenkredite an die "DDR" gründeten Franz Handlos, Franz Schönhuber und andere die Partei "Die Republikaner", die ich fortan wählte...

Im Herbst 1990 - Die Modrowregierung hatte die "Republikaner" in der "DDR" verboten - trat ich in die Partei ein. "Jetzt erst recht!" dachte ich...

Am Sonntag, dem 5.9.93, war in der Sporthalle Sömmeringstraße in Charlottenburg der "Tag der Heimat" des Bundes der Vertriebenen. Wir waren mit ein paar Kameraden dort und entrollten ein Transparent mit der Aufschrift: "Verzicht ist Verrat - Die Republikaner". Wir störten Innenminister Kanther in seiner Rede. Es war eine prima Aktion!