Mit dem Gesicht zum Meer, aber auch nach Europa

Der portugiesische Humanist Damiao de Góis zwischen den Fronten der europäischen Glaubensspaltung

Wolfgang Ploch

Fernand Braudel, der große französische Sozialhistoriker fand es bemerkenswert, daß sich der Schwerpunkt Europas im 16. Jahrhundert von Süden nach Norden verschob, also nach Antwerpen und dann nach Amsterdam und nicht nach Sevilla oder Lissabon, den Zentren der spanischen und portugiesischen Reiche. Die Lebensgeschichte des Damiano de Góis liest sich wie eine Illustration zu dieser Fragestellung und enthält zugleich Elemente einer Antwort.

An einem Aprilabend des Jahres 1531 ist ein junger Portugiese im Hause Martin Luthers am Stadtgraben in Wittenberg zu Gast. Dem Sprachgemisch aus Latein und Deutsch, das an Luthers Tafel herrscht, kann der Portugiese gut folgen. Er ist Handelsagent des portugiesischen Königs in Antwerpen und reist an den polnischen Königshof. Sein Abstecher nach Wittenberg sei rein privat, betont er. Die Gastgeber sind neugierig und wohlwollend. Der Besucher faßt Vertrauen zu dem feinsinnigen und bescheidenen Philipp Melanchthon, dem Verfasser des ersten protestantischen Bekenntnisses. Luther imponiert ihm zwar, doch findet er ihn zu derb, zu fanatisch. Vor der Abreise verabreden die beiden Reformatoren mit ihrem Gast, brieflich in Kontakt zu bleiben.

Damiao de Gois wurde 1502 in Alenquer geboren, einem Provinznest vierzig Kilometer nördlich von Lissabon. Da die Familie adelig war, trat der kleine Damiao im Alter von neun Jahren als Page in den Dienst des Königs. Der portugiesische Königshof und die Stadt Lissabon boten in diesem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts genug Anregungen und Träume für ein ganzes Leben. Die portugiesischen Karavellen fuhren von hier hinaus über die Weiten des Indischen Ozeans, vom Kap der guten Hoffnung bis nach Goa, vom Persischen Golf bis zu den Gewürzinseln am Rande des Chinesischen Meers. Sie brachten nicht nur begehrte Waren mit. Auch die exotischsten Menschen und Tiere wurden in Lissabon an Land gebracht. Der kleine Page hatte Mitleid mit den verängstigten brasilianischen Indianern. Und er bewunderte die stolzen Abgesandten des Kaisers von Äthiopien, die 1513/14 nach Lissabon kamen, um dem portugiesischen König ein Bündnis anzubieten. Denn 1493 war der Portugiese Pero da Covilha bis nach Äthiopien an den Hof des "Negus negesti", des "Königs der Könige", vorgedrungen und hatte dort schwarze Christen gefunden, die Erben jenes legendären Reichs des "Priesters Johannes", das im 4. Jahrhundert zum Christentum übergetreten und seitdem von Europa abgeschnitten gewesen war.

Am liebsten wäre der junge Góis Seefahrer geworden wie Vasco da Gama. Doch dem stand sein eher schwächlicher Körper entgegen. König Manuel I. hatte eine andere Idee für diesen jungen Mann mit Fernweh und gutem Gespür für Zahlen. So kam Góis im Jahre 1523 als Sekretär des portugiesischen Handelskontors nach Antwerpen. Hier wurden Gewürze, Seide, Gold, Silber und andere Waren aus Übersee abgesetzt. Im Gegenzug kauften die portugiesischen Handelsagenten Weizen und Manufakturgüter ein. Der An- und Verkauf lief über private Zwischenhändler. Damiao de Góis mußte immer wieder bei der Verwaltung der habsburgischen Niederlande intervenieren, um die Rechte portugiesischer Kaufleute zu verteidigen. Die beherrschende Stellung der Portugiesen im Handel mit Gewürzen sahen viele europäische Zeitgenossen mit kritischen Augen. Nutzten die Portugiesen ihr Monopol nicht schamlos aus? Nahmen sie nicht überzogene Preise? Góis konterte wie ein moderner Interessenvertreter: Die hohen Preise seien gerechtfertigt, denn die Portugiesen hätten in ihre Übersee-Expansion viel Geld investiert. Jahrzehntelang hätten sie hohe Risiken auf sich genommen, Menschen und Schiffe verloren. Als Góis seine Argumente in einem Pamphlet veröffentlichte, gewann er die wohlwollende Unterstützung der Fugger in Augsburg, die die portugiesischen Entdeckungsreisen mitfinanziert hatten.

Góis' handelsdiplomatische Tätigkeit konnte seine Neugier und seinen Wissensdurst nicht befriedigen. Er suchte den Zugang zu den gebildetsten Menschen seiner Zeit, den europäischen Humanisten. Doch dafür brauchte er Nachhilfestunden in Latein, der Arbeits- und Verkehrssprache der Humanisten. Er engagierte einen belesenen Privatlehrer namens Cornelius Grapheus. Der hatte gerade unter dem Verdacht der lutherischen Ketzerei ein Jahr im Gefängnis zugebracht. Schon im Jahr der Ankunft des jungen Góis in Antwerpen waren unter der gleichen Anklage zwei Augustinermönche in Brüssel verbrannt und das Augustinerkloster in Antwerpen zerstört worden. Doch der wißbegierige Portugiese kannte offensichtlichlich keine Berührungsangst. Er unterstützte Grapheus, der seine Stelle als Sekretär der Stadt Antwerpen verloren hatte, und absolvierte bei ihm eine Art Studium generale. Seinem Ruf am fernen Lissaboner Königshof tat das offenbar keinen Abbruch. König Johann III. beauftragte Góis sogar mit zwei geheimen Missionen in Polen und Dänemark, bei denen es um dynastische Heiratsprojekte und Neutralitätsabsprachen im Kriegsfall ging. Auf seiner zweiten Reise 1531 machte Góis dann jenen Abstecher nach Wittenberg zu Luther und Melanchthon.

Der Wanderer zwischen den Fronten reiste weiter nach Danzig, wo er sich lange mit dem aus dem protestantischen Schweden verjagten Bischof Johannes Magnus unterhielt. Die beiden Männer waren sich schnell einig: Warum konnte es nicht verschiedene Wege geben, Christ zu sein? Góis erzählte Magnus von den Äthiopiern, die ihn seit seiner frühen Jugend faszinierten. Warum hatten der Papst und die europäischen Fürsten diese fernen Christen nicht als Glaubensbrüder und ebenbürtige Partner anerkannt? Johannes Magnus ermutigte seinen Gesprächspartner, er solle doch ein Buch darüber schreiben. Nach Antwerpen zurückgekehrt, verfaßte Góis eine Schrift über die "Gesandtschaft des Priester Johannes zu König Manuel von Portugal im Jahre 1513". Kurz nach Veröffentlichung der Schrift 1532 in Latein erschienen eine englische und eine deutsche Übersetzung, Beweis für das große Interesse an dem exotischen Thema. Damit hatte sich Góis Zugang zu den humanistischen Zirkeln verschafft. Sogar der große Erasmus von Rotterdam nahm ihn nun zur Kenntnis. Erasmus verstand das Anliegen des dreißig Jahre Jüngeren: Nachdem sich die Humanisten in ihrem kosmopolitischen Ansatz bisher nur am alten Europa orientiert hatten, ging es Góis nun auch um die Verständigung mit Völkern anderer Kontinente.

Im Jahr 1533 bot König Johann III. Góis den prestigereichen und einträglichen Posten des Schatzmeisters der Lissaboner "Casa da India" an, der Kopfstelle der portugiesischen Handelskontore weltweit. Doch Góis wollte lieber seine humanistischen Studien vertiefen. Außerdem mißfiel ihm das Intrigenspiel am Lissaboner Hof. Also bat er den König, ihn zum Studium zu entlassen. Johann III. zeigte freundliches Interesse an den Humanisten, fragte Góis sogar über Luther und Melanchthon aus und ließ ihn ziehen. Auf Einladung des Erasmus kam Góis 1534 für einige Monate nach Freiburg im Breisgau, wohin sich Erasmus zurückgezogen hatte. Der vorsichtige Gelehrte riet seinem Schüler, "von den Sekten weder gut noch schlecht zu sprechen". Doch Góis korrespondierte weiter ganz unbefangen mit Melanchthon und machte sogar neue Bekanntschaften mit Persönlichkeiten der Reformation: Er traf den Straßburger Reformator Martin Bucer und sprach in Genf mit Guillaume Farel, Vorgänger und Wegbereiter des Jean Calvin. Zu den Genfer Erneuerern ging Góis allerdings schnell auf Distanz. Wie Erasmus konnte auch er nicht verstehen, warum der Protestantismus die göttliche Vorbestimmung so stark hervorhob und vom menschlichen freien Willen abgrenzte. Er wollte seine Studien an einer deutschen Universität fortsetzen, doch sein Mentor riet ihm ab: Zu gefährlich. Góis ging an die italienische Universität Padua, wo Erasmus Freunde hatte. Von dort aus unternahm er Reisen durch Italien und Süddeutschland. Der nicht mehr ganz junge Student verkehrte viel mit Niederländern und Deutschen. Aus seinen Kontakten mit Protestanten machte er keinen Hehl. Aber er traf auch italienische Kardinäle und sogar Ignacio von Loyola, der gerade dabei war, den Jesuiten-Orden zu gründen.

1538 heiratete Góis eine Niederländerin, die Schwester eines Stubengenossen aus Padua. Johanna van Hargen vereinigte, wenn man den Briefen von Góis' Freunden Glauben schenken darf, alle denkbaren Vorzüge: Sie war schön, gebildet, reich und aus bester Familie. Allerdings aus einer streng katholischen, die Gois' freimütigen Umgang nicht gerade schätzte. Das Paar siedelte in die Universitätsstadt Löwen im flämischen Brabant über. Dort veröffentlichte Góis 1539 einen Bericht über eine Episode des portugiesischen Abenteuers in Indien: Ein Jahr zuvor hatten sich die Portugiesen in Díu an der Westküste des indischen Subkontinents, gegen eine zahlenmäßig weit überlegene türkisch-arabische Streitmacht behauptet und den Belagerungsring um die Stadt gesprengt. Dieser Zusammenstoß zweier expansiver Mächte beschäftigte die europäische Phantasie gewaltig. Kein Wunder, daß Góis' Buch, das für damalige Begriffe recht sachlich geschrieben war und auch dem Kriegsgegner positive Züge zubilligte, starkes Interesse fand und sofort auf Italienisch und Deutsch übersetzt wurde. Nur kurze Zeit später offenbarte Góis seine philosophisch-theologische Botschaft: Glaube, Religion und Sitten der Äthiopier hieß das Buch, das auf Gesprächen basierte, die Góis bei seinem Lissabon-Aufenthalt 1533 mit einem Gesandten des äthiopischen Kaisers, einem Mönch namens Zagazabo, geführt hatte. Die Beschreibung von Riten und Bräuchen der äthiopischen Christen verband er mit brisanten Thesen: Alle Christen teilten den gleichen Glauben und die gleiche Taufe; sie sollten sich daher gegenseitig mit Barmherzigkeit und christlicher Liebe behandeln. Die Kontroversen um bestimmte Eigenheiten und Traditionen seien fruchtlos. Zitierte Góis wirklich nur den Zagazabo, wie er vorgab, oder benutzte er einen Kunstgriff,um den streitenden Konfessionen einen Spiegel vorzuhalten? Brach er nicht Tabus, wenn er als Katholik die Äthiopier verteidigte und gleichzeitig ketzerische oder heidnische Merkmale ihrer religiösen Praxis beschrieb: Priesterehe, Sabbat, Beschneidung, Wiedertaufe?

Góis' Buch erschien in Löwen und Paris und löste lebhafte Diskussionen aus. Die Jesuiten verurteilten das Buch scharf. Aus seiner Heimat Portugal erfuhr Góis die deutlichste Abfuhr: Der Kardinal Heinrich, Bruder des Königs, ließ das Buch verbieten. Der Zagazabo sei ein Ketzer, schrieb der Kardinal nach Löwen. Aber den Góis halte man natürlich weiterhin für einen guten Christen, da er sich ja nur als "treulicher Übersetzer" aus dem Portugiesischen ins Lateinische betätigt habe.... Die Warnung war deutlich. Es erstaunt daher nicht, daß Góis für seine nächste Schrift kein religiöses Thema wählte. Aber wieder riskierte er es, sich zwischen Stühle zu setzen. Góis warf in einer Streitschrift dem berühmten Baseler Geographen Sebastian Münster vor, die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung der iberischen Halbinsel herunterzuspielen. Góis wies Münster Irrtümer und Oberflächlichkeiten nach. Auf Góis' Kritik an Münster reagierten manche seiner deutschen Freunde verschnupft. Auf einen tadelnden Brief von Johann Jakob Fugger antwortete Góis überschwänglich, daß er "Deutschland, Land und Leute, immer wie eine Gottheit verehrt" habe. Doch ging er auf Distanz zu den Lutheranern, als diese mit der Kirchenspaltung Ernst machten und 1542 den ersten Bischof ernannten. Wie ein Abschiedsgruß liest sich Góis' Einschätzung, daß Melanchthon eine "geistige Säule Deutschlands" und Europas sei, wenn er sich doch nur nicht so viel mit Glaubensdingen beschäftigen würde ...

Im Sommer 1542 erreichte die Löwener eine Schreckensnachricht. Vom Niederrhein her marschierte ein flämischer Söldnerführer, der im Dienst des französischen Königs den Habsburgerkaiser Karl V. bekämpfen sollte, mit einem Heer auf Löwen zu. Góis, ohne jede militärische Erfahrung, wurde zum Hauptmann der bewaffneten Studenten gewählt. Bald nach Beginn der Belagerung wurde Góis in das Lager des feindlichen Kommandanten geschickt, um ihn zum Abzug zu überreden. Aus ungeklärten Gründen machten die Löwener plötzlich einen Ausfall, während Góis sich noch im feindlichen Lager aufhielt. Die verwirrten Söldner nahmen Reißaus, aber sie schleppten Góis als Gefangenen mit bis in die nordfranzösische Pikardie. In der geretteten Stadt Löwen stellte Góis' Frau Johanna van Hargen mutig die Ratsherren zur Rede. Aber die zeigten wenig Interesse für das Schicksal des "Ausländers", der sich für ihre Stadt eingesetzt hatte. Johanna van Hargen schmiedete daher auf eigene Faust einen Plan, mit Hilfe französischer Studenten ihren Mann aus der Gefangenschaft zu befreien. Doch die ängstlichen Löwener Stadtväter verhinderten das Vorhaben. Nach vierzehn Monaten Gefangenschaft wurde Góis schließlich gegen Zahlung eines hohen Lösegeldes, das Johanna van Hargen selbst aufbringen mußte, freigelassen. Die Begeisterung des Rückkehrers für die Stadt Löwen war begreiflicherweise abgekühlt.

1545 entschloß sich Góis nach langem Zögern, nach Lissabon zurückzugehen. Er hatte ein Angebot des Königs Johann III. erhalten, Lehrer des Thronfolgers zu werden. Doch mit seiner Familie in Lissabon angekommen, mußte er feststellen, daß die Jesuiten erfolgreich gegen seine Ernennung intrigiert hatten. Der König übertrug Góis schließlich die Leitung des Staatsarchivs. Zu den Pflichten des Archivars gehörte auch die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte Portugals. Góis verfaßte Chroniken über die Regierungszeit der beiden Vorgänger Johanns III., Johann II. und Manuel I. Obwohl er im allgemeinen die Konventionen respektierte, denen er als Hofchronist unterworfen war, konnte er sich doch manche kritische Andeutung nicht verkneifen. So machte er sich mächtige Feinde. Gefährlicher noch: Zweifel an seiner christlichen Standfestigkeit wurden laut. Die Vertreibung der Juden aus Portugal im Jahre 1495 und die Verfolgung sogenannter "neuer Christen", christlich getaufter Juden, beschrieb Góis so schonungslos, daß der zeitgenössische Leser die Mißbilligung des Autors erahnte. Noch in Löwen hatte Góis in einer seiner Schriften den Beitrag der Juden zu Kultur und Wissenschaften in Portugal und Spanien ausdrücklich gewürdigt. Damit verließ er das Terrain des Historikers und äußerte sich zu delikaten Fragen seiner Gegenwart. Denn selbst unter dem leidlich toleranten König Johann III. wurden die "neuen Christen" schikaniert und bespitzelt. Was Góis nicht davon abhielt, "neue Christen" in seinem Haus zu empfangen. Auch Ausländer, darunter Protestanten, gingen bei ihm aus und ein. Góis intervenierte mehrmals bei Hof und bei der Verwaltung Lissabons zugunsten deutscher Kaufleute. "Er is den deutschen serre zugethan, wywohl er ein portegysser geboren und hoch vom adel met Namen Domianus Gossen", schrieb der Kaufmann Johann von Pelken in einem Brief nach Köln. Manche Lissabonner nannten ihn mit einer Mischung aus Bewunderung und Mißtrauen den "fidalgo flamengo", den flämischen Edelmann, wohl auch wegen seiner Frau, die sich bis zu ihrem Tod 1567 regelmäßig niederländische Bücher kommen ließ.

Die Nachrichten, die Góis von seinen weitgereisten Gästen aus seiner ehemaligen brabantischen Wahlheimat erhielt, wurden immer schlechter. Die religiöse Unterdrückung in Flandern und Brabant löste einen Aufstand aus. Den Bildersturm in Gent und Antwerpen beantwortete der spanische Besatzer, der Herzog von Alba, mit grausamen Sanktionen. Auch in Portugal faßte die Inquisition schärfer zu, nachdem der junge König Sebastian 1568 die Regierung übernommen hatte. Sebastian stand unter dem Einfluß fanatischer Jesuiten. Er verlor sich in überspannte und verklemmte Frömmelei, träumte vom Ruhm des Kreuzritters gegen die Ungläubigen.

Góis wurde im April 1571 verhaftet und vor das Gericht der Inquisition gestellt. Die Anklage lautete auf lutherische Ketzerei. Unmittelbarer Anlaß der Verhaftung war eine Äußerung im Bekanntenkreis: Góis hätte gesagt, daß die Lutheraner, wenn man sie nur nach Portugal hereinließe, sogar den Kardinal von ihren Ansichten überzeugen würden. Allerdings fanden die Inquisitoren keine Zeugen. Der ebenfalls inhaftierte Arzt und "neue Christ" Alvaro Fernandes weigerte sich standhaft, Góis zu belasten. Also griffen die Inquisitoren auf älteres Material zurück, besonders die Aussagen eines Jesuiten und Studienkollegen des Góis aus seiner Zeit in Padua. Góis wußte, daß es um seinen Kopf ging. Plausibel klingende Argumente waren nun wichtiger als die reine Wahrheit. So tastete Góis Punkt für Punkt der Anklage ab: Ja, er habe in seiner Antwerpener Zeit einige der Thesen Luthers geteilt. So habe er zum Beispiel die Ablaßpraktiken verurteilt und die individuelle Beichte als überflüssig empfunden. Aber damals sei er noch sehr jung gewesen und theologisch ungebildet. Ja, er sei auf der Durchreise bei Luther und Melanchthon in Wittenberg gewesen. Er habe dort auch einem Gottesdienst beigewohnt. Aber Luthers Predigt habe er nur zum Teil verstanden, da er ja nur des "Niederdeutschen" und nicht des "Oberdeutschen" mächtig gewesen sei. Ja, er habe auch noch von Padua aus mit Wittenberg Briefe gewechselt. Doch habe er ausschließlich mit Melanchthon korrespondiert, weil er den für einen gemäßigten Mann gehalten habe, der die Einheit der Kirche bewahren wolle. Italienische Kirchenfürsten hätten ihn bestärkt, seine Kontakte aufrechtzuerhalten. Von Luther habe er in Padua nur noch einen einzigen Brief erhalten, und den habe er ungelesen vernichtet. Er sei ein Schüler des Erasmus, der sich ja deutlich von Luther distanziert habe und gegen die Spaltung der Kirche eingetreten sei. Auf die Frage nach seinen Kontakten mit Ausländern in Lissabon antwortete Góis ganz unbefangen: "Ich bin allen Fremden gut, weil ich selber Reisender in vielen Gegenden gewesen bin und dort immer sehr gute Gesellschaft gefunden habe."

Im Oktober 1572 erging das Urteil. Góis wurde exkommuniziert und zu lebenslanger Haft verurteilt. Dem drohenden Todesurteil entging er, da er, so das Gericht, "versöhnungsfähig" sei. Offenbar erhielt der Erkrankte bald darauf die Erlaubnis, in sein Geburtshaus in Alenquer zurückzukehren, wo er am 30. Januar 1574 starb. Eine rätselhafte Schädelverletzung gab Anlaß zu Spekulationen, Góis sei ermordet worden. Moderne Historiker halten allerdings einen Unfall für wahrscheinlicher.

Vier Jahre nach Gois' Tod erlebte Portugal sein nationales Debakel: Ein wahnwitziger Kriegszug des Königs Sebastian in die marrokanische Wüste endete mit dem Tod des Königs und fast aller Soldaten des kleinen portugiesischen Landheeres in der Schlacht bei Alcácer Qibir. 1580 rückte ein spanisches Heer unter dem Herzog von Alba in Portugal ein, um das Land zu annektieren. Die Schriften des Damiao de Góis aber wurden noch Jahrzehnte später an den verschiedensten Orten Europas neu aufgelegt, in Frankfurt am Main und Venedig, in Wittenberg und Paris, in Rostock und London.

LITERATUR:
Marion Ehrhardt, A Alemanha e os descobrimentos portugeses, Lisboa 1989
Francisco de Faria, Estudos bibligràficos sobre Damiao de Góis e a sua epoca, Lisboa 1977
Elisabeth Feist Hirsch, Damiao de Góis. Life and thought of a Portuguese humanist, The Hague 1967
José V. de Pina Marins (ed.), Damiao de Góis - humaniste européen. (Mit Beiträgen von Marcel Bataillon, Jorge Borges de Macedo, Jean Claude Margolin, Paris 1982)
A. H. De Oliveira Marques, Portugal quinhentista, Lisboa 1987
Isaias da Rosa Pereira, O processo de Damiao de Góis na inquisçao de Lisboa, Separata dos "Anais" II Série, Vol. 23, tomo I, Lisboa 1975
Amadeu Torres, Damiao de Góis: Na mundividência do Renascimento, Paris 1982
Henry de Vocht, Damiao de Góis and his Oratio postliminio ad Universitatem, Leuven 1934