Acht Jahre danach: ein Land von Zweigwerken

Die Privatisierung ostdeutscher Betriebe

Conrad Lay

Was ist aus den ehemaligen DDR-Kombinaten geworden? Wo steht der "Aufschwung Ost" heute - acht Jahre nach dem Fall der Mauer? Der Treuhandanstalt als Verwalterin der in Bundesvermögen übergegangenen Ostbetriebe gelang es, in weniger als fünf Jahren 15.000 Unternehmen zu privatisieren. Konnten Treuhand und die "Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben" (BvS) als ihre Nachfolgerin also ihr Ziel erreichen?

Das neoliberale Leitkonzept der Bundesregierung ging davon aus, mit einer schnellen Privatisierung sei das Ziel schon erreicht, den Rest würden die Selbstregulierungskräfte des Marktes erledigen. In der Tat, die Treuhandanstalt exekutierte ihr Programm der Privatisierung mit großem Elan und trat schließlich ab. Die BvS soll noch bis Ende 1998 ihre Arbeit übernehmen.

Doch die Strukturprobleme der ostdeutschen Wirtschaft halten an. Die Bedeutung von ausführenden Verwaltungsorganen wie der Treuhand und BvS sollte aus diesem Grunde nicht überschätzt werden: Sie unterliegen beide den grundsätzlichen Entscheidungen der Bonner Wirtschaftspolitik.

Innovation - unerwünscht Die Firma Foron machte vor einigen Jahren durch die weltweit ersten umweltfreundlichen Kühlschränke auf sich aufmerksam. Doch wer merkwürdigerweise die Neuentwicklung verhindern wollte, war die Treuhandanstalt in Berlin. Sie verbot Foron sogar, mit den Innovationen an die Öffentlichkeit zu gehen. Unterstützung bekam Foron von der Umweltorganisation Greenpeace. Das Ergebnis: "Der zuständige Treuhand-Direktor, Herr Tränkner, ein ehemaliger Bild-Redakteur, kam mit dem Hubschrauber in unser Erzgebirgs-Tal geflogen und leitete die Pressekonferenz selbst", so Foron-Sprecher Siegfried Schlottig.

Zweiter Bremsklotz waren die sieben Konkurrenz-Unternehmen, die den westdeutschen Markt unter sich aufteilen. Sie taten sich gegen den Neuankömmling zusammen. In einem Brief an 14.000 Einzelhändler warnten sie davor, wie gefährlich der umweltfreundliche Kühlschrank von Foron sei. Erst nachträglich merkten die Wettbewerber, daß sie mit ihrem Anti-Brief ein Eigentor geschossen hatten.

Die Foron-Ingenieure ließen sich zwar von der Kampagne gegen sie nicht beirren, doch der Markt im Westen war gesättigt und nahezu unerreichbar. Wer kam als möglicher Investor in Frage? Der erste Interessent war die Gruppe Bosch-Siemens. Obwohl sich diese auffällig lange umschaute, kam es nicht zu einem Vertragsabschluß. Die Mißerfolge setzten sich fort: Zweimal hintereinander traten ausländische Interessenten, die Foron übernehmen wollten, überraschenderweise unmittelbar vor Vertragsschluß zurück.

Der koreanische Konzern Samsung sagte ab, nachdem sich seine Experten ein halbes Jahr bei Foron aufgehalten hatten, weil der Kühlschrankhersteller angeblich nicht ins Unternehmenskonzept passe. Doch das mußten sie schon beim ersten Besuch bemerkt haben. Die wirklichen Gründe lagen bei der westdeutschen Konkurrenz. Wie Foron-Sprecher Schlottig berichtet, nahm sich Konkurrent Siemens, der mit Samsung in Verbindung stand, deshalb die Koreaner vor: "Im Hintergrund gab es zwischen Siemens und Samsung ein anderes, größeres Geschäft. Doch auch aus diesem Geschäft wurde nichts, Siemens ließ Samsung ins Leere laufen."

Nächster Interessent war der türkische Kühlschrankhersteller Koc. Auch hier standen die Foron-Leute kurz vor Vertragsabschluß. Dann kam die plötzliche Absage aus der Türkei. Begründet wurde sie mit der finanziellen Lage von Foron. Doch die war dem Aufsichtsrat von Koc seit Monaten bekannt. Auch hier war der Hintergrund ein anderer: "Wir wissen, daß ein großer deutscher Wettbewerber, nachdem die Verhandlungen mit Koc liefen, in der Türkei den Wettbewerber von Koc kaufte." Die deutsche Konkurrenz drohte dem türkischen Konzern, den einheimischen türkischen Markt abspenstig zu machen. Foron-Sprecher Schlottig kennt auch den Namen der deutschen Firma, die sich in der Türkei einkaufte: Bosch/Siemens.

Im Sommer 1996 kam es zu einem Happy-End, das keines ist: Die niederländische ATAG-Holding kaufte Foron auf. Von den ursprünglich 5.000 wurden nur 100 Mitarbeiter übernommen und 75 befristet weiterbeschäftigt.

Der Fall Foron hinterläßt mehr Fragen als Antworten: War das nun eine erfolgreiche Sanierung oder ein Mißerfolg? Warum verbot die Treuhandanstalt die technische Weiterentwicklung? Mit Mißmanagement und unfähigen Treuhand-Beamten läßt sich dergleichen nicht zufriedenstellend begründen. Je länger die Privatisierung andauert, desto weniger plausibel sind solche Erklärungen. Offenbar verbirgt sich hinter der Treuhand-Strategie etwas anderes.

Noch eine zweite Frage tut sich auf: Welche Rolle spielen die westdeutschen Konkurrenz-Unternehmen? Ziehen Ost- und Westdeutsche, die beide den Solidaritätszuschlag zu entrichten haben, etwa gar nicht gemeinsam an einem Strang, um die Wirtschaft in den neuen Ländern möglichst schnell wieder zum Laufen zu bringen? Zweifel stellen sich ein: Ist der "Aufbau Ost" vielleicht gar kein "Gemeinschaftswerk", wie es offiziell heißt?

Die drei Phasen der Privatisierung Handelt es sich bei Foron um einen Einzelfall? Was ist daran typisch? Vielleicht kann wissenschaftlicher Sachverstand weiterhelfen. Vor kurzem wurde eine flächendeckende, repräsentative Untersuchung abgeschlossen, die nach den Resultaten der ostdeutschen Privatisierung fragte. Es ist gewiß kein Zufall, daß der Weg, den Osten zu erkunden, in den Westen führt, genauer gesagt, an die lieblichen Gestade der Mosel, nach Trier.

Paul Windolf lehrt an der dortigen Universität Sozialwissenschaften. Bei seinen Nachforschungen in 130 Ostbetrieben1 stieß er auf ein typisches Muster: In einem ersten Schritt zerlegte die Treuhandanstalt die großen Kombinate mit Zehntausenden von Beschäftigten in Einzelunternehmen, in denen jedoch immer noch fünf- oder sechstausend Mitarbeiter tätig waren. In einem zweiten Schritt wurde, so ergab die repräsentative Umfrage, die Belegschaft um 80% reduziert. "Das kann man sich ganz konkret vorstellen", meint Paul Windolf, "von 1000 Leuten, die da vorher waren, blieben 200 übrig."

In einem dritten Schritt wurden die Betriebe als Ganzes verkauft. Das Ergebnis ist, daß heute im Osten Deutschlands weitgehend nur noch kleinere bis mittelgroße Betriebe zu finden sind. Während im Westen Unternehmen fusionieren, werden sie im Osten in kleine Einheiten zerlegt. Dort gibt es nur wenige Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten. Das führt zu einer Konsequenz, an die man zunächst vielleicht nicht denkt: die Unternehmensmitbestimmung, wonach Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat eines Unternehmens sitzen, existiert in den neuen Ländern praktisch nicht, weil die dafür erforderlichen Größenordnungen nicht erreicht werden. Gleiche Gesetze in Ost und West haben also sehr unterschiedliche Auswirkungen.

Der Verkauf der Unternehmen verlief allerdings anders, als die Treuhandanstalt sich dies anfangs vorstellte. Denn zunächst glaubte die Treuhand noch, durch die Privatisierung Gewinne zu machen; tatsächlich aber machte sie einen Verlust von 256 Milliarden DM, die in den Erblastenfonds wanderten. Das ist nicht einmal so erstaunlich: Wer in einem Zeitraum von wenigen Jahren 15.000 Unternehmen auf den Markt wirft, der schafft dort ein ungeheures Überangebot, das zu einem massiven Preisverfall führt.

Wenn man es genau nimmt, veräußerte die Treuhand nicht die DDR-Betriebe, sondern kaufte Investoren, indem sie jedem von ihnen pro Unternehmen 17 Millionen Mark hinzugab. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Es handelt sich dabei nicht um Managementfehler der Treuhand, sondern um Folgen der von ihr bewußt und sehr fleißig betriebenen Verkaufsstrategie. "Privatisierung vor Sanierung" - so lautete das Leitmotiv.

70 Prozent in Westhand Wenn heute im Osten Deutschlands vornehmlich kleine und mittelgroße Betriebe vorzufinden sind, dann könnte man das als ein erfreuliches Anzeichen ansehen und sagen: "In den fünfziger Jahren hat im Westen Deutschlands der Mittelstand zu großen Teilen zum historisch einmaligen Wirtschaftswunder beigetragen. Was kann den neuen Ländern also Besseres passieren, als auch mittelständisch strukturiert zu sein?"

Doch mittel"groß" und mittel"ständisch" ist nicht das gleiche. Wohl stimmen beide Unternehmenstypen darin überein, nicht mehr als bis zu 500 Beschäftigte aufzuweisen. Bei mittelständischen Betrieben kommt jedoch hinzu, daß sie vom Eigentümer selbst geführt und kontrolliert werden, ja, daß sich der Eigentümer mit ihnen identifiziert. Genau dies ist in Ostdeutschland nicht der Fall. Paul Windolf: "Die meisten Betriebe sind nicht im Eigentum ihrer Manager, sondern gehören westlichen Unternehmen."

Um einen Begriff des sächsischen Ministerpräsidenten Biedenkopf zu gebrauchen: Ostdeutschland ist zu einem "Land von Zweigwerken" geworden. 70 Prozent aller ostdeutschen Betriebe, die mehr als 100 Beschäftigte aufweisen, sind heute im Eigentum westdeutscher oder westlicher Unternehmen, das ergab die Untersuchung der Universität Trier. Typischerweise sind ihre Geschäftsführer für eine bestimmte Zeit abkommandiert und wechseln häufig; die persönliche Interessenlage ist deutlich anders als bei einem mittelständischen Eigentümer.

Was bewog die westlichen Unternehmen, sich ostdeutsche Zweigwerke zuzulegen? Ging es um die Sicherung des Standortes? War es die Sorge um den Aufbau Ost? Die Antwort, die das Wissenschaftlerteam um Paul Windolf erhielt, lautete in den meisten Fällen: "Es ging um die Kontrolle der Konkurrenz." Der östliche Betrieb (Beispiel Foron) wurde als ein Konkurrenzunternehmen wahrgenommen. Und die einfachste Methode, den Konkurrenten zu kontrollieren, ist, ihn aufzukaufen.

Mit dem Aufkauf des mittelgroßen Unternehmens im Osten wendet sich allerdings die Blickrichtung. Die Aufmerksamkeit richtet sich nun gen Westen, und es ist zu fragen: Inwiefern paßt der östliche Tochterbetrieb in die Strategie des westlichen Mutterunternehmens? Der Bezugsmaßstab ist also nun nicht mehr: Wie kommt der "Aufbau Ost" am schnellsten voran? Oder: Wie schaffe ich in den neuen Ländern Beschäftigung? Sondern: Welche Bedeutung hat die östliche Außenstelle für den westlichen Konzern?

Hinter dem Aufkauf muß sich nicht zwangsläufig die Absicht verbergen, den Betrieb dichtzumachen; eventuell sieht die Konzernmutter auch die Möglichkeit, die neue Tochter als günstigen Standort für den ostdeutschen oder osteuropäischen Markt einzusetzen. Die neuen Fabrikhallen von VW in Mosel und Opel in Eisenach dürften unter diese Variante fallen.

Für die künftige Rolle unter den Fittichen der Konzernmutter wirkt sich enorm negativ aus, daß die DDR-Kombinate auf Massenproduktion ausgerichtet waren und die Diskussion um neue Fertigungsmethoden in den vergangenen zwanzig Jahren verschlafen hatten. Denn solche Massenprodukte konnten in westlichen Betrieben, die ohnehin nur zu 60 Prozent ausgelastet waren, mit einer Mehrschicht ohne weiteres hergestellt werden, dazu bedurfte es der östlichen Standorte nicht.

Das Interesse der Investoren Mit dem Aufkauf des Ostunternehmens hatte die westliche Konzernmutter ihr Ziel erreicht: Der aufgekaufte Betrieb stellt keine Konkurrenz mehr dar; er verliert in ihren Augen an Bedeutung und rückt an den Rand ihrer Strategie; er ist nur noch eine Zweigstelle unter vielen.

Nun traf die Privatisierung in den neuen Ländern aber ausgerechnet mit einer Wirtschaftskrise im Westen zusammen. Innerhalb des Konzerns wurden die Innovations- und Beschäftigungschancen neu verteilt, das heißt, es fanden interne Verteilungskämpfe statt. Ein Beispiel aus Magdeburg, der "Stadt des Schwermaschinenbaus", wie sie noch vor einigen Jahren hieß:

Die Magdeburger Armaturenwerke (MAW) waren das erste Kombinat im Osten Deutschlands, das privatisiert wurde. Entsprechend groß waren die Hoffnungen. Babcock kaufte MAW, dies schien auch Sinn zu machen, gab es doch zu DDR-Zeiten viele wirtschaftliche Beziehungen zwischen Babcock und den Magdeburger Armaturenwerken. Inzwischen wurde MAW, ohne zu übertreiben, regelrecht ausgeplündert. Claus Matecki, erster Bevollmächtigter der IG Metall in Magdeburg, kann seine Erregung darüber kaum verbergen: "Exakt die Produkte, die von einer hohen Wertschöpfung waren, also Hochdruckarmaturen für Kraftwerke und ähnliche Industrien, wurden alle in den Westen abgezogen. Im Gegenzug ist nichts dazugekommen."

Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Klaus Schucht brachte für die Strategie von Babcock - und insbesondere für dessen Chef, mit dem er persönlich befreundet ist - Verständnis auf. Öffentlich erklärte er: "Konzerne haben nicht die Pflicht, Arbeitsplätze zu erhalten und dafür pleite zu gehen!"

Natürlich sorgte der Ausspruch für viel Empörung. Aber - hat der Wirtschaftsminister bei Lichte besehen nicht recht? Die Frage ist doch eher: Warum erhofft man eigentlich von Westkonzernen, daß sie im Osten für Beschäftigung sorgen, wenn das ohnehin nicht ihr Hauptmotiv ist?

Nachdem sich bei MAW über Jahre hin die Geschäftsführer die Klinke in die Hand gegeben haben, ist es verfehlt, von "Mißmanagement" zu sprechen - eher schon von einer gezielten Strategie des "Desinvestments". Auf jeden Fall kommt darin das mangelnde Interesse der Konzernmutter an ihrem östlichen Ableger zum Ausdruck. Ende 1996 wurde MAW endgültig geschlossen.

Paul Windolf stellte in seiner Untersuchung fest, daß 50 Prozent der ostdeutschen Zweigwerke inzwischen zu "verlängerten Werkbänken" degradiert wurden. Sie sind inzwischen Betriebsteile ohne strategische Aufgabe; diese wird direkt von der Muttergesellschaft wahrgenommen. Windolf spricht deshalb davon, die ostdeutschen Betriebe seien nicht "schlank", sondern "mager". Ihnen werden nur noch niederrangige Produktions- oder Dienstleistungsaufträge zugewiesen. Die Forschungsabteilung wird geschlossen, eine Produktentwicklung findet nicht mehr statt, Kunden werden von der Konzernmutter selbst akquiriert. Der Zweigbetrieb hat alle wesentlichen Funktionen abgegeben, die seine Überlebensfähigkeit sichern sollten. Das Paradox, daß man einem Unternehmen, das man doch retten will, als erstes die Forschungsabteilung und damit die Zukunftsinvestionen kappt, findet hier seine Erklärung.

Kein Wunder, daß an dieser Art gesamtdeutscher Wirtschaftspolitik harsche Kritik geäußert wurde. So etwa vom Vorstandsvorsitzenden der Jenoptik AG, Lothar Späth. Statt Ausverkauf an Westunternehmen forderte er die Förderung des Mittelstandes, statt Auflösung der Forschungsabteilungen mehr Geld für Forschung und Entwicklung, statt Tarifangleichung Entlohnung nach dem Stand der Produktivität.

Die Ausnahme von der Regel: die "Kruppianer des Ostens" Doch die von Bonn vorgegebene Wirtschaftspolitik sah anders aus. Und so gibt es denn nur wenige Beispiele von Betrieben, die versuchten, dem Schicksal einer untergeordneten Konzerntochter zu entgehen. Eines davon ist das Schwermaschinenbau-Kombinat Ernst Thälmann, heute nur noch unter der Abkürzung "Sket" bekannt.

Ursprünglich galten die Magdeburger als "Kruppianer". Denn Ende des letzten Jahrhunderts übernahm Krupp die damaligen Gruson-Werke, die für ihre extrem belastbaren Metallprodukte bekannt waren. Während Krupp die Granaten herstellte, fertigte Gruson Gußpanzerplatten. Einmal im Jahr traf man sich zum Wettbewerb: Krupp-Granaten contra Gruson-Panzerplatten.

Die Zeiten, in denen es in der ehemaligen Waffenschmiede so gemütlich zuging, sind lange vorbei. Doch die Kruppianer waren schon immer etwas Besseres, auch zu DDR-Zeiten fühlten sich die Mitarbeiter von Sket privilegiert. Hohe Besucher wie die Bürgerrechtlerin Angela Davis oder der DDR-Kosmonaut Sigurd Jähn - sie alle mußten die Besichtigungstour durch das Vorzeigeunternehmen über sich ergehen lassen.

Als das Kombinat 1990 der Treuhandanstalt unterstellt wurde, ging es dieser - getreu ihrer Grundsatzentscheidung - um "Privatisierung vor Sanierung". Zwar gab es bei Sket zahlreiche "Sanierungskonzepte", doch der Eindruck täuscht: Denn welcher Geschäftsführer und welche Beratungsfirma auch immer tätig waren, die Treuhand hielt an ihrem klassischen Zerlegungskonzept fest. Nur stieß sie damit auf erheblichen Widerstand bei Belegschaft und Betriebsrat. Denn die wußten: wenn das Unternehmen erst einmal in Einzelteile zerlegt ist, ist das Ende nahe.

An Kaufinteressenten mangelte es auch bei Sket nicht. Einer saß sogar im Aufsichtsrat: Heiner Weiss, der Vorstandsvorsitzende von Schloemann-Siemag. "Es ist doch unüblich, daß der Hauptkonkurrent im Aufsichtsrat sitzt", empört sich Gewerkschafter Matecki, "Weiss hat angemeldet, interessiert zu sein. Er sah sich die ganzen Innereien an, bis dahin, daß im Aufsichtsrat die Frage gestellt wurde, zu welchen Preisen welche Aufträge angenommen werden. Ich glaube, jedes Unternehmen ist gut beraten, dem Hauptkonkurrenten das nicht mitzuteilen."

Geschichte eines angekündigten Todes Eine riesige Wunde klafft in Magdeburg: es ist eine industrielle Wüste mitten in der Stadt. Kilometerweit sind Gebäude abgerissen und dem Erdboden gleichgemacht. Man könnte an eine unwirtliche Mondlandschaft denken, wenn da nicht der alte Schornstein des Thälmann-Werkes wäre, der verlassen in der Einöde herumsteht. Im Jahr 1990 waren im Magdeburger Stammwerk 13.000 Arbeitnehmer beschäftigt, heute sind es 425.

Der "Verein der Thälmann-Werker und -Freunde" will die aus ihren sozialen Beziehungen gerissenen Menschen wieder zusammenbringen. Hermann Rink vom Thälmann-Verein mußte mit 55 Jahren aus dem Werk ausscheiden, die ganze Familie war seit Generationen bei Sket tätig: "Die Berater, die hier ankamen, Mc Kinsey, Berger und Co., haben eine Milchmädchenrechnung aufgemacht. Das ging nach dem Muster: Pro Kopf in der Schwerindustrie rechnet man mit 220.000 DM Umsatz. Man teilt also den tatsächlichen Umsatz durch diese Zahl und erhält die gewünschte Anzahl der Beschäftigten. Wenn mehr da sind, heißt es: ,bitte abbauen`."

Die Abmagerungsstrategie hatte zur Konsequenz, daß große Aufträge, wie etwa der Bau eines Stahlwerks, von dem immer weiter geschrumpften Unternehmen nicht mehr übernommen werden konnten. Aus dem Anlagenbauer Sket wurde ein mittelgroßer Maschinenbaubetrieb.

Den Konkurrenten am Markt blieb der Schwächezustand von Sket nicht verborgen: Sie nützten ihn als Chance, die eigene Position durchzusetzen. Siemens etwa war an einem Großauftrag über 100 Millionen beteiligt, den Sket ergattert hatte. Sket hatte die Leitung im Konsortium, Siemens war Co-Partner auf Teilgebieten. "Dann forderte jedoch Siemens von Sket eine Bürgschaft über 100 Millionen DM," so berichtet Hermann Rink, "die Banken weigerten sich, die Treuhand weigerte sich, doch Siemens ließ nicht locker und verlangte die Federführung des Auftrags." Am Ende waren die Rollen vertauscht: der Anteil von Sket betrug 30 Millionen, der von Siemens 70 Millionen.

Ein Rettungsversuch: die offensive Sanierung Doch der Fall Sket ist mehr als die "Geschichte eines angekündigten Todes": es ist das verzweifelte Ringen, den üblichen Folgen der Zerteilung zu entgehen. Ein einziges Mal in der langen Privatisierungsgeschichte wurde der Versuch eines eigenständigen Weges gewagt. Es ist diese Abweichung von der Treuhand-Strategie, die den Magdeburger Anlagenbauer interessant macht.

Kurz vor den Landtagswahlen im Juni 1994 suchte die Treuhandanstalt mal wieder Investoren für Sket. Sie hatte auch zwei Interessenten an der Hand: Der eine wollte aufteilen und den Fertigungsbereich eventuell an Mannesmann weiterreichen. Wieviel Arbeitsplätze dabei übrig geblieben wären, blieb ungewiß.

Da der Interessent gerade SKL, also einen anderen Magdeburger Schwermaschinenbauer, aufgekauft, zersplittert und in den Untergang getrieben hatte, war es nur verständlich, daß ein solcher Investor bei den Sket-Beschäftigten nicht gerade mit offenen Armen empfangen wurde.

Es gab jedoch noch eine zweite Investorengruppe, ein Unternehmer-Duo aus Salzgitter, Carsten Oestmann und Helmut Borchert. Die beiden hatten gerade die schwer angeschlagene Salzgitter Maschinenbau GmbH saniert und warben mit dem Konzept, Sket als Ganzes, das heißt als Anlagenbauer, zu erhalten. Die Vorstellung, einen ostdeutschen Großbetrieb offensiv zu sanieren, fand viel Zustimmung in Magdeburg.

Die Treuhand ihrerseits war die ewigen Scherereien um Sket leid und willigte - kurz vor dem Wahltermin - ein. Die beiden Investoren konnten erstaunliche Anfangserfolge, insbesondere im Asien-Geschäft, aufweisen. Der schnelle Erfolg ist so rätselhaft nicht: zunächst setzte Oestmann darauf, mit Mannesmann zu einer Kooperation zu kommen. Als er dort auf Granit biß, änderte er seine Taktik. Er warb mehreren Konkurrenten am Weltmarkt fitte Vertriebsexperten ab; freilich stellte er die Sache nicht ganz so auffällig an wie Lopez bei VW.

Sein Pech war die Treuhand-Bürokratie. "Wir sind hemdsärmelige Unternehmer und halten nicht viel von Hierarchiedenken", meint Carsten Oestmann, "so einen Typ wie mich bezeichnen viele als Paradiesvogel. Daß ich mehr Farbe in den Aufsichtsrat gebracht habe, war mein größter Fehler." Zwar konnten die beiden Investoren schneller Aufträge an Land ziehen als ursprünglich gedacht, andererseits waren diese äußerst knapp kalkuliert. Nun rächte sich der schnelle Erfolg. Die "Markteinführungsgebühren", also die Differenz zwischen den mageren Erlösen und den erforderlichen Einnahmen, waren zwar im Vertrag zwischen Oestmann und der Treuhand verabredet worden, aber sie fielen nun überraschend schnell an. Die Schulden von Sket stiegen steil nach oben, anstatt erst im darauffolgenden Jahr aufzutauchen.

Obwohl Oestmann mit der IG Metall oft nicht einer Meinung war, stimmt Claus Matecki ihm in der Strategie der Markterweiterung zu: "Es ist doch auch in Westdeutschland nicht unüblich, daß Unternehmen mit einem Auftrag den anderen ausgleichen. Wenn man beispielsweise eine Referenzanlage in einem Land aufstellt, um dort Fuß zu fassen, dann wird man nicht den besten Preis erzielen. Das gab es auch bei Sket, wie im übrigen auch bei westdeutschen Unternehmen. Diese sind nur nicht von der Treuhand abhängig."

Der Treuhandanstalt ging der expansive Sanierungskurs von Oestmann/Borchert wider den Strich, stellte er doch das Gegenteil der von ihr ansonsten betriebenen Zerlegungsmethode dar. Mehr als knapp eineinhalb Jahren gestand sie den Salzgitter Unternehmern nicht zu; dann zwang sie die beiden zum Rücktritt. Der Privatisierungsvertrag wurde rückgängig gemacht.

Sicher war ihr Sanierungsweg riskant, er war jedoch nicht unsinnig. Und er war in sieben Jahren der einzige Versuch, einen eigenständigen Weg zu gehen. Erstaunlicherweise zeigte sich dabei etwas, was viele nicht wahrhaben wollten, daß Sket nämlich im weltweiten Verdrängungswettbewerb durchaus eine Chance gehabt hätte.

"Hängt den Geschäftsführer auf!" Der neue Geschäftsführer betrieb die Strategie des Zerschneidens konsequent. Am 1. Januar 1997 trat die Gesamtvollstreckung, die ostdeutsche Form des Konkurses, in Kraft. Die bisherige Aktiengesellschaft wurde in fünf Einzel-GmbHs "filetiert", wie der Fachausdruck heißt. Seitdem werden Investoren für die Filets gesucht, an die zwanzig haben Interesse bekundet.

Wenige Tage vor dem offiziellen Ende von Sket findet die letzte Betriebsversammlung statt. Geschäftsführer Werner Kirchgässer, ehemals Vorstandsvorsitzender von Klöckner-Humboldt-Deutz in Köln, traut sich noch nicht einmal, vor den 1000 Versammelten das Wort zu ergreifen. Aus den Reihen der künftig Arbeitslosen sind Drohungen zu hören: "Hängt den Geschäftsführer auf! Hängt ihn auf!"

Die Ruhe in Magdeburg ist trügerisch. Enttäuschung, Ohnmacht, Ressentiments, dazu ein gehöriger Haß, auf wen auch immer, vor allem auf von außen Kommende - die Mischung ist ungut. Von über 50.000 Magdeburger Metallarbeitern sind heute noch 1000 beschäftigt. Im Februar 97 wird ein junger Punk auf offener Straße mit Messerstichen gelyncht. Anschließend treten die Täter auf dem Kopf des am Boden liegenden Opfers so lange herum, bis die Schädeldecke mehrfach gebrochen ist.

Natürlich ist es ein gedanklicher Kurzschluß, die zutage getretenen Aggressionen, gar den Mord, direkt mit der Verzweiflung der aus der Industrie Ausgeschlossenen in Verbindung zu bringen. Andererseits, man sollte auch nicht unterschätzen: die Gefühle, gedemütigt und unnütz geworden zu sein, erfahren Jugendliche rasch von ihren Eltern. Und ziehen ihre eigenen Konsequenzen daraus.

Die zunächst zerschnittene und dann zusammengebrochene Industrie lastet schwer auf der Region. Die Zulieferer ringsum müssen Mitarbeiter entlassen. Die zarten Pflänzchen eines tatsächlichen Mittelstandes - von Handwerk, kleinen Läden und Existenzgründungen - tun sich schwer. Die Hoffnung der Jahre 1990/91, der ostdeutsche Mittelstand könne als Auffangbecken für Entlassungen in der Industrie wirken, ist geplatzt. Immer und immer wieder wurden falsche Parallelen zum Westen Deutschlands, und insbesondere zu den fünfziger Jahren, gezogen. Dabei ist der Vergleich historisch abwegig: Die deutsche Vereinigung fand nicht während einer zwanzig Jahre andauernden Hochkonjunktur statt, sondern zeitgleich mit einer Wirtschaftskrise im Westen.

Neue Abhängigkeiten Welches Resümee läßt sich aus der Privatisierung der ostdeutschen Betriebe ziehen? Die BvS rechnet damit, die restlichen 40.000 Privatisierungs-Verträge bis Ende 1998 abzuschließen. Doch so fleißig sie auch ist, hat sie doch bislang ihr Ziel verfehlt, das sie damit bezweckte: einen autonomen, technologisch selbständigen Unternehmensbereich und damit einen selbsttragenden Aufschwung.

Die Wirtschaftspolitik der Nachwendezeit hat zu neuartigen, strukturellen Unterschieden zwischen den beiden Teilen Deutschlands geführt: Ostdeutsche Betriebe befinden sich überwiegend im Eigentum anderer, nämlich westlicher Unternehmen. Die Konzentration des Eigentums am produktiven Vermögen ist deshalb im Osten Deutschlands höher als im Westen. Die neuen Länder sind - wenn man so will - "kapitalistischer" als der Westen.

Große ostdeutsche Betriebe gibt es kaum noch; aber je größer ein Betrieb, desto wahrscheinlich ist es, daß er einen West-Eigentümer hat und daß dieser Eigentümer ein anderes Unternehmen ist. Die dominanten Beziehungen verlaufen von West nach Ost. Das "Land der Zweigstellen" dürfte aufgrund dieses Abhängigkeitsverhältnisses in seiner Entwicklung noch lange Zeit hinter dem Westen hinterherhinken.

Die Treuhandanstalt als ausführendes Organ der Bonner Wirtschaftspolitik traute es den westlichen Konzernen noch am ehesten zu, das Überleben der zurechtgeschnittenen Filetstücke zu garantieren. Eigenständige Wege - wie bei Sket oder Foron - waren nicht gefragt. So entstanden weitgehend abgemagerte Zweigbetriebe, die an der mehr oder weniger langen Leine westlicher Konzerne hängen. Die Politik der Nachwendezeit hat neue strukturelle Abhängigkeiten geschaffen. Günstige Startbedingungen für einen Aufbruch in bessere Zeiten sind dies nicht.

1 Paul Windolf, Manager in Ostdeutschland. Eine Untersuchung der Trierer Universität, finanziert durch die Volkswagenstiftung. - Kurzfassung: "Die Transformation der ostdeutschen Betriebe", in: Journal für Soziologie, 6/96, S. 467 ff.