Italien:

Kardinal unter Verdacht

Annemarie Nikolaus

Da gab es doch die biblische Geschichte von dem guten Knecht, den der Herr lobte, weil er das ihm anvertraute Geld mehrte und nicht bloß hütete...

Kredite, die mit Zinsen von vierhundert bis tausend Prozent zurückzuzahlen sind, sind aber doch zuviel des Guten. Staatsanwälte in der Provinz Potenza ermitteln gegen den Erzbischof von Neapel wegen Beteiligung an Wuchergeschäften und Erpressung; Monsignore Giordano soll gar Kirchengelder dafür benutzt haben.

Als Hauptakteure gelten bislang der Bruder des Kardinals und der ehemalige Direktor der Filiale der Banca di Napoli in Sant'Arcangelo (Man kann es kaum glauben: Der Ort heißt auch noch "Heiliger Erzengel"), der seine verzweifelten, überschuldeten Kunden zu den Wucherkrediten genötigt haben soll. Und natürlich - wir sind im Süden - gibt es auch Aussagen Geschädigter, die zur n'drangheta führen, die klammen Bankkunden schmutziges Geld zu günstigen Preisen angeboten haben soll.

Bankdirektor und Kardinalsbruder sind festgenommen worden. Der Kardinal hat eine Vorladung erhalten; seine Telefongespräche sind abgehört worden; die Ermittler sind mit einem Durchsuchungsbefehl bei ihm aufmarschiert und haben eine Reihe von Bankunterlagen beschlagnahmt (die er freiwillig herausgegeben hat). 400 Millionen Lire, die die Kirche ihm geliehen hat, hat er auf ein Konto bei der Banca di Napoli eingezahlt, und dieses war seinem Bruder zugänglich. Die Staatsanwälte meinen, daß dieses Geld in die Wuchergeschäfte des Bruders geflossen sei; der Kardinal sagt, damit habe er seinem Bruder geholfen, Schulden zu begleichen und ging zum Gegenangriff über: Er protestierte gegen "Unregelmäßigkeiten" bei den Ermittlungen, und überhaupt sei das Vorgehen der Staatsanwaltschaft ein Verstoß gegen das Konkordat.

Der Papst lud als Zeichen seines Vertrauens und seiner Wertschätzung Monsignore Giordano zum Mittagessen ein - und sorgte dafür, daß es publik wurde. Außerdem übergab der Vatikan dem italienischen Botschafter eine Protestnote, denn nach dem Vertrag zwischen Vatikan und Italien von 1984 seien vor strafrechtlichen Maßnahmen die jeweiligen Kirchenvorgesetzten zu informieren. Aber eine Voruntersuchung, entgegnete die italienische Regierung, sei noch keine Maßnahme in diesem Sinne. Auch die Beschlagnahmungen und das Abhören seien kein Verstoß, sondern bewegten sich im Rahmen üblicher Ermittlungspraxis. Doch sicherlich werfe der Fall Fragen der Interpretation und der Übereinstimmung zwischen Konkordat und den Vorschriften des Strafrechts auf. Romano Prodi einigte sich mit dem Vatikan auf eine bilaterale Kommission, die diese Fragen generell klären solle.

Delikat ist allerdings, daß der Vatikan erst aus der Presse von der Tätigkeit der Justiz erfuhr. Kardinal oder nicht; ein weiterer Anlaß zur Justizschelte nicht nur von seiten der Opposition: Die Entscheidungen seien oftmals von politischen Motivationen diktiert und nicht von den Notwendigkeiten effektiver Ermittlungstätigkeit; insbesondere, was den Zeitpunkt betrifft - etwa einst die Vorladungen an Berlusconi und Di Pietro. Eine publik gewordene Vorladung diskreditiert; gilt fast als Synonym für "schuldig".

DS-Senator Giovanni Pellegrino meint, daß das Gesetz durchaus Spielräume für Opportunitätsentscheidung-en ließe und man daher gegen den Kardinal nicht zwangsläufig wie gegen einen gemeinen Bürger hätte vorgehen müssen. Antonio Di Pietro hält dem zwar entgegen, daß vor dem Gesetz alle gleich seien. Aber aus seinen eigenen leidvollen Erfahrungen heraus empört er sich über die "skandalöse Praxis", Vorladungen gewissermaßen "via Presse" zuzustellen. Das aktuelle System schütze die Vertraulichkeit von Informationen über die BürgerInnen nur mangelhaft. Die Veröffentlichung einer vertraulichen Information kostet die Medien höchstens 25<%10>0<%0>000 Lire Strafe, und den Informanten kriegt man nie, weil sich die Journalisten auf ihr Berufsgeheimnis berufen können.

Viele empfehlen dem Kardinal jetzt, im Interesse der Kirche die Ermittlungen in aller Stille abzuwarten. Auch scheint es die ersten Absetzbewegungen von seiten einzelner Amtsbrüder zu geben: Statt "Solidarität und Vertrauen" heißt es jetzt "Solidarität, aber wenn auch nur eine Lira...".

Ganz nebenbei ist auch bekanntgeworden, daß zwei Neffen des Kardinals von der neapolitanischen Kurie 200 Millionen Lire für "Beratungstätigkeiten" erhalten haben. Kommentar des AN-Abgeordneten Nicola Miraglia, zuvor Staatsanwalt in Neapel: "Wenn Giordano nicht Kardinal wäre, sondern irgendein Angestellter der öffentlichen Verwaltung, hätte ich wegen Unterschlagung öffentlicher Gelder gegen ihn ermittelt. Wahrscheinlich wäre er im Knast gelandet."

All dies könnte Zweifel über das Verhalten der Kirchenmänner in Geldangelegenheiten wecken. Der Vatikan ist daher über den ganzen Wirbel höchst besorgt. In Italien nämlich gibt es keine obligate Kirchensteuer wie immer noch in Deutschland. Statt dessen gibt es eine "Kultursteuer" in Höhe von 8 Prozent der Lohn-/Einkommenssteuer und die SteuerbürgerInnen dürfen selber entscheiden, wem diese zugute kommen soll; der Kirche oder den Parteien oder sonstigen kulturellen/gesellschaftlichen Institutionen. Die katholische Kirche macht jedes Jahr im Mai mächtig Reklame für ihre Leistungen, die sie mit den 8 Prozent finanziert. Gleich, wie am Ende der Geschichte ihr Kardinal dasteht; die Kirche fürchtet, daß es Rückwirkungen auf diese Einnahmequelle hat.