Soll man die NPD verbieten?

Thesen zu den Vor- und Nachteilen eines solchen Schrittes

Armin Pfahl-Traughber

An einer systematischen Erörterung der Argumente für und gegen ein NPD-Verbot mangelt es in einer häufig unklaren Debatte. Eine pauschale Zustimmung nur zu einem Votum könnte kaum Anspruch auf eine differenzierte Bewertung erheben. Nach der Erörterung des Nutzens eines NPD-Verbotes durch Uwe Günther in Kommune 9/00 nun ein weiterer Beitrag.

Der Staatsrechtler Karl Loewenstein beschrieb es vor Jahren wie folgt: "Entschließt (der Staat) sich, Feuer mit Feuer zu bekämpfen und den totalitären Angreifern den Gebrauch der demokratischen Freiheiten zur letztlichen Zerstörung aller Freiheiten zu verwehren, handelt er gerade den Grundsätzen der Freiheit und Gleichheit zuwider, auf denen er selbst beruht. Hält er aber an den demokratischen Grundwahrheiten auch zugunsten ihrer geschworenen Feinde fest, setzt er seine eigene Existenz aufs Spiel."

In der Bundesrepublik Deutschland versucht man diesem Dilemma, dem "demokratischen Dilemma", durch die Konzeption der "streitbaren Demokratie" zu entkommen. Sie setzt weder auf die werterelativistische noch auf die autoritäre Variante des Demokratieschutzes. Primäres Mittel zur Wahrung eines auf den Menschenrechten gründenden demokratischen Verfassungsstaates soll das diskursive Vorgehen im Sinne einer geistig-politischen Auseinandersetzung sein. Erst danach wäre mit rechtsstaatlich legitimen Mitteln repressiv gegen die Feinde der Demokratie vorzugehen. Extremisten können somit durchaus ihre Rechte zur politischen Betätigung wahrnehmen, verfügen aber über "keine Freiheit zur Beseitigung der Freiheit" (Eckhard Jesse).

Eine repressive Maßnahme zur Bekämpfung des Extremismus besteht in der Möglichkeit des Verbotes von Parteien. Neben der juristischen Möglichkeit gibt es noch den Gesichtspunkt der sachlichen Angemessenheit, der hier allein Gegenstand der Erörterung ist.

Dabei stellen sich mehrere Fragen zu den unterschiedlichsten Aspekten: Welche Folgen hätte das Verbot für die NPD als Organisation? Wie würden ihre Mitglieder reagieren? Welche Auswirkungen hätte ein solcher Schritt für die anderen rechtsextremistischen Organisationen? Würde mit einem Verbot ein nachhaltiger Beitrag zur Eindämmung der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten geleistet? Oder wächst das militante Potenzial aufgrund des Fehlens einer organisatorischen Hülle? Setzt der demokratische Rechtsstaat mit einem Verbot ein souveränes Zeichen gegen seine Feinde? Schwächt und überlagert der repressive Akt die Perspektive der politischen Aufklärung? Allein durch die verschiedenen Ausrichtungen dieser Fragen zeigt sich, dass eine differenzierte Position zur Diskussion um die sachliche Angemessenheit des Verbots der NPD keineswegs einfach zu formulieren ist. Daher soll der vorgetragene Fragen-Katalog hier in sieben Thesen systematisch abgearbeitet werden:

Ein Verbot der NPD würde einem bestimmten Lager des Rechtsextremismus die Strukturen zur politischen Arbeit nehmen. Weder könnte es zu Wahlen antreten, noch die Vorteile des Partei-Status etwa bei der Anmeldung von Demonstrationen nutzen und auch nicht mehr wie bisher gezielte Agitation betreiben. Darüber hinaus wäre es nicht mehr möglich, nach Achtungserfolgen bei Wahlen an der staatlichen Parteienfinanzierung zu partizipieren. Und schließlich würde auf den legalistischen Teil des Rechtsextremismus insoweit politischer Druck ausgeübt, dass man sich verbal distanziert und mäßigt (was bereits angesichts der Diskussion um ein Verbot feststellbar ist).

Ein Verbot würde gerade jene eng mit der NPD verbundene Möglichkeit des öffentlichen Agierens längerfristig einschränken: die Durchführung von größeren Aufmärschen und Versammlungen. Der Partei gelang es in den letzten Jahren mehrmals, damit ihre Mobilisierungsfähigkeit zu dokumentieren. Immerhin handelte es sich bei diesen Demonstrationen um die größten derartigen Versammlungen von Rechtsextremisten seit Beginn der Siebzigerjahre. Die nachhaltige Schwächung der Aktionsfähigkeit durch Verbote belegt auch der vergleichende Blick auf die Folgen der Verbote von neonazistischen Organisationen in den Neunzigerjahren, konnten die Anhänger dieser Szene des Rechtsextremismus danach doch nicht mehr ihre frühere Kampagnenfähigkeit zurückerlangen.

Ein Verbot träfe zwar die Parteistruktur – aber nur eingeschränkt die Parteimitglieder. Menschen mit ihren Meinungen lassen sich in einer pluralistischen Gesellschaft nicht verbieten. Wie würde das in der NPD organisierte Personenpotenzial also reagieren? Ein gewisser Teil dürfte sicherlich resignieren und sich zurückziehen. Ein anderer Teil würde anderen rechtsextremistischen Parteien und Organisationen beitreten, dort aber aus Angst vor einem weiteren Verbot zunächst Vorbehalten begegnen. Ein weiterer Teil dürfte versuchen, eine neue Partei oder Organisation zu gründen. Sie stünde als Nachfolgeorganisation allerdings ständig unter dem Damoklesschwert eines weiteren Verbots, es sei denn, man mäßigt sich in der politischen Artikulation.

Dies wären die Handlungsoptionen insbesondere für die in den westlichen Bundesländern organisierten NPD-Mitglieder, die meist der älteren Generation angehören. In den östlichen Bundesländern bilden demgegenüber jüngere Männer das Gros der Partei. Sie haben eine stärkere Aktionsorientierung, was sich nicht nur an regelmäßigen öffentlichen Aufmärschen, sondern auch an der Zusammenarbeit mit Neonazis und Skinheads zeigt. Nach einem Verbot dürfte sich ein gewichtiger Teil des ostdeutschen NPD-Potenzials stärker auf diese Bereiche des Rechtsextremismus zubewegen. Sie organisieren sich als Reaktion auf die Welle der Verbotsmaßnahmen in den Neunzigerjahren nicht mehr in festen Strukturen, sondern in regional verankerten "Kameradschaften" und Klein-Gruppen. Ein NPD-Verbot würde daher zu deren personellem Anwachsen führen, aber auch zur Radikalisierung der bisherigen Parteimitglieder in den neuen Zusammenhängen beitragen.

An diesem Punkt stellt sich die Frage, welche Auswirkungen ein mögliches Verbot für die Entwicklung rechtsextremistischer Gewalttaten haben könnte? Es besteht die nicht zu ignorierende Gefahr, dass einige NPD-Mitglieder in das militante Milieu abdriften. Da ihnen das Verbot die Möglichkeit zur legalen Betätigung nimmt, dürften sie immer stärker illegalen Praktiken zuneigen. Die in der Neonazi-Szene in den letzten Jahren aufkommenden Tendenzen, systematische Gewaltanwendung als politisches Mittel zu akzeptieren, könnten hier ein weiteres Potenzial finden. Gegenüber solchen Entwicklungen wirkte die NPD aus taktischen Gründen bis zu einem gewissen Grade disziplinierend, wollte sie doch um ihres öffentlichen Erscheinungsbildes willen nicht mit Gewalt in Verbindung gebracht werden.

Auf das Gros der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten dürfte ein NPD-Verbot keine gravierenden Auswirkungen haben, lässt sich doch zwischen beidem kein unmittelbarer Zusammenhang herstellen. Zwar finden sich unter den Gewalttätern immer wieder auch NPD-Mitglieder, ihre Taten sind in der Regel aber nicht von der Partei angeordnet und gesteuert. Der überwiegende Teil rechtsextremistischer Gewalttaten erfolgt relativ spontan und mit geringer Planungsintensität. Gerade das macht auch deren besondere Gefährlichkeit und Willkürlichkeit aus. Von daher dürfte mit einer Verbotsmaßnahme nicht automatisch ein Rückgang der Gewalttaten einhergehen.

Und schließlich muss noch die Ebene der Politik ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. Ein Verbot würde den demokratischen Rechtsstaat als entschlossen und handlungsfähig erscheinen lassen. Zweifellos ließe sich dadurch im In- wie im Ausland ein politisches Zeichen setzen. Allerdings handelt es sich bei einem Verbot um einen repressiven Akt, der nur eine Ausdrucksform, aber nicht die Ursachen des Rechtsextremismus angeht. Fixiert und orientiert sich Politik einseitig auf solches Vorgehen, so bleiben Beschwörungen der Priorität geistig-politischer Auseinandersetzung Gegenstand von Sonntagsreden. Maßnahmen zur politischen Aufklärung über rechtsextremistische Ideologie und Organisationen geraten dadurch aus dem Blickfeld. Der repressive Demokratieschutz droht, den diskursiven Demokratieschutz zu überlagern.

Lässt man abschließend die Argumente für und gegen ein Verbot Revue passieren, so kann ein eindeutiges und klares Votum in eine Richtung daraus nicht abgeleitet werden. In der Gewichtung überwiegen – bei aller Berücksichtigung der dafür sprechenden Gründe – allerdings die Argumente gegen ein Verbot. Grundsätzlich würde es allein kaum zu einer gravierenden Veränderung in der Entwicklung des deutschen Rechtsextremismus führen, sieht man einmal von einer kurzfristigen Verängstigung und Verunsicherung der Angehörigen dieses Lagers ab. Bedacht werden müssen darüber hinaus die möglichen kontraproduktiven Wirkungen eines Verbotes, die ein neues Gefahrenpotenzial entstehen lassen könnten. Die Gewährung von Wahlkampfkosten-Rückerstattung ist zwar mehr als ärgerlich, muss aber aufgrund von gesetzlichen Vorgaben wie ab einer gewissen Prozentzahl der Wählerzustimmung zugestanden werden.

Bestärkt wird das Votum gegen ein Verbot noch durch die geringe gesamtgesellschaftliche Bedeutung der NPD. Bei den letzten Wahlen auf Bundes- und Landesebene erhielt sie lediglich zwischen 0,2 und 1,4 Prozent der Stimmen und verfügt somit nur über geringe Unterstützung in der Bevölkerung. Mit 6000 Mitgliedern gehört die NPD bundesweit zu den kleineren Parteien und macht damit lediglich knapp über zehn Prozent des organisierten rechtsextremistischen Personenpotenzials aus. Hinzu kommt, dass innerhalb der Partei hinsichtlich ideologischer und strategischer Fragen ein nicht zu unterschätzendes latentes Konfliktpotenzial besteht, was etwa 1999 schon zu Abspaltungen und Austritten führte. Auch das Ausmaß öffentlichkeitswirksamer Aufmärsche ging zurück. Möglicherweise hat die Partei 1999 nach ihrem zeitweiligen Aufschwung 1996 bis 1998 schon ihr Entwicklungspotenzial ausgeschöpft.

Insgesamt stellt sich auch die Frage, was mit einem Verbot der NPD konkret erreicht werden soll und ob ein Verbot für ein solches Ziel das geeignete Mittel ist. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass ein Verbot in einer Demokratie grundsätzlich ein problematischer Akt ist und nicht leichtfertig initiiert werden sollte. Von einer Gefahr für die Existenz des demokratischen Rechtsstaates kann angesichts der politischen Bedeutung der NPD noch nicht einmal in Ansätzen gesprochen werden. Ratsamer als ein Verbot wäre eine kontinuierliche öffentliche Aufmerksamkeit für die Entwicklung der Partei und die Intensivierung der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Positionen von Rechtsextremisten. An beidem mangelte es in den letzten Jahren. Politische Aufklärung im Sinne einer differenzierten und kontinuierlichen Beobachtung und Einschätzung dieses politischen Milieues, fern von Dramatisierung und Verharmlosung, wäre ein aufwendigerer, aber lohnenderer Weg.

 

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Zeitschrift Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur.

Kühl-Verlag (Frankfurt/Main)

Ausgabe November 2000 (18. Jg., Heft 11/2000)