Arbeit in den Städten gibt es genug - Wer bezahlt sie?

Vorschläge zur Entwicklung einer lokalen Dienstleistungspolitik
Adalbert Evers

Was soll eine lokale Dienstleistungspolitik?
Mittlerweile hat sich herumgesprochen, daß Politiken im industriellen und speziell im High-Tech-Bereich unverzichtbar sein mögen für die Sicherung des Industriestandorts Deutschland sowie für Steueraufkommen und private Einkommen, aber nichts beizutragen vermögen zur Schaffung zusätzlicher Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Damit richten sich alle Augen auf den Dienstleistungsbereich. Üblicherweise konzentriert sich dabei die Diskussion auf Dienste in Bereichen, in denen der Markt Angebot und Nachfrage regelt und gleichzeitig bislang ungesättigte oder durch kluges Marketing zu weckende Bedarfe vermutet werden. Bei den unternehmensbezogenen Dienstleistungen können das qualifizierte Beratungs-, aber auch einfache Bewachungsdienste sein, bei den haushaltsbezogenen Diensten komplementäre und verbesserte Serviceleistungen beim Verkauf von Konsumgütern, aber auch das Revival von Kinderfrauen, Hausmädchen und Gepäckträgern. Die entsprechenden Vorschläge sind nicht ohne Logik und Realismus, was die Rolle von Politik und Politikern angeht: man denkt gar nicht daran, daß diese Instanzen - etwa durch mehr Sozialausgaben - zusätzliche Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst schaffen sollen und verlangt lediglich Entscheidungen, die sie nichts kosten, nämlich mitzuhelfen, daß die Lohnskala nach unten offener wird, so daß Dienste mit Billigarbeit sich stärker lohnen.

Im folgenden soll ein Vorschlag skizziert werden, der von der Politik grundsätzlich mehr verlangt. Die Kommunen sollten beim Ausbau persönlicher Dienstleistungen für Bürger und Haushalte neue Wege beschreiten. Es geht um Hilfen und Förderungsmaßnahmen, die die öffentliche Hand doch nicht zum Hauptfinanzier machen. Vorgeschlagen wird, den nicht direkt öffentlich finanzierten und getragenen Bereich mit seiner Vielfalt an Trägerformen und Leistungsbeziehungen auszubauen. Dazu gehören kommerzielle Angebote, Dienste von freien Trägern und Einrichtungen, die sich teils über Gebühren refinanzieren, aber auch Solidarlösungen und Arrangements, bei denen private Unternehmen als Finanziers und Nachfrager eine größere Rolle als bisher spielen. Die vorgeschlagenen Ansätze wären vor allem in dem Sinne sozial verpflichtet, als es um die Mobilisierung von nichtöffentlichen Geldern für Angebot und Nachfrage nach solchen Dienstleistungsangeboten gehen sollte, an deren Entwicklung auch ein sozialpolitisches Interesse besteht. Das gilt für Einrichtungen zur Kinderbetreuung eher als für Pizzadienste. Die hier vorgeschlagene staatliche Förderung und Moderation einer gesellschaftlichen Angebots-Nachfrage-Dynamik statt der Fortschreibung einer bloßen Politik der Finanzierung von öffentlichen Versorgungseinrichtungen bräuchte jedoch auch andere als die gewohnten Mittel und Methoden politischen und administrativen Handelns.

Vier Prämissen

Dieser etwas andere Vorschlag zu einer Dienstleistungspolitik mit Beschäftigungseffekten geht von einigen Prämissen aus, die hier nicht im einzelnen erläutert werden können, aber des besseren Verständnisses halber gleich vorausgeschickt werden sollen:

1. Beschäftigung hat sich in den letzten Jahrzehnten nirgendwo als ein gutes Argument zur Stabilisierung alter oder zur Einrichtung neuer Tätigkeits- und Aufgabenbereiche erwiesen; entscheidend ist vielmehr, was in Zukunft an Gütern und Diensten tatsächlich gebraucht wird; wenn also im folgenden für den Ausbau persönlicher Dienste argumentiert wird, dann in erster Linie um des individuellen und gesellschaftlichen Bedarfes und Nutzens willen und nicht so sehr wegen der Arbeitsplätze. Das bedeutet auch, eine derartige Politik in Relation zu anderen Optionen zu setzen, anstatt sie zu verabsolutieren. Deshalb ist auch die Maxime unsinnig, die Herr Miegel kürzlich in einem Interview formulierte: "Wer wirtschaftlich in der Lage ist, Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen und es nicht tut, verhält sich unsozial". Politik sollte Familien vielmehr in ihrer Fähigkeit unterstützen, viele Dinge auch selbst zu tun und anderes beispielsweise über Nachbarschaftshilfe oder bürgerschaftliches Engagement zu organisieren - Wege, die zwar nicht unmittelbar mehr Service-Jobs schaffen, aber unser soziales Kapital mehren.

2. Die Überlegungen sollen sich auf solche Bereiche persönlicher Dienstleistungen konzentrieren, an deren Entwicklung nicht nur von seiten Betroffener und potentieller Konsumenten, sondern auch der Politik als Vertretung des Gemeinwohls Interesse besteht. Sicherlich läßt sich nicht bezweifeln, daß auch mehr Gepäckträger, Schuhputzer und Servierkräfte Beschäftigung schaffen. Aber die Bedarfe an Arbeit und Unterstützung von Betroffenen, Familien und der Gesellschaft liegen doch wohl nicht gerade in diesen Tätigkeitsbereichen. Die Politik sollte also bei der Bestimmung der Bereiche, in denen vorrangig Dienste und Beschäftigung auszubauen sind, ein Wort mitreden, anstatt das allein den Marketingstrategien großer Unternehmen, den Überlebensstrategien einzelner Betroffener auf Job- und Einkommenssuche und individuellen Präferenzen in einer sich hierarchisierenden Gesellschaft zu überlassen. Deshalb auch die Konzentration auf Schlüsselbereiche dessen, was man wegen der herkömmlich dort besonders großen Verantwortung sozialstaatlicher Politik als die sozialen persönlichen Dienstleistungen bezeichnet.

3. Jede Politik zur Entwicklung, Förderung und Erneuerung dieses Dienstleistungsbereichs wird notwendigerweise die gegenwärtige Balance von Trägerstrukturen, Größenordnungen und Formen der Beschäftigung verändern. Sie sollte allerdings als beschäftigungswirksame Modernisierungspolitik diese Vielfalt gewachsener Bestände achten und deren Wert anerkennen und sie nicht als bloße Merkmale von Rückständigkeit abqualifizieren. Jede einseitige Übertragung von Modernisierungslogiken aus sonstigen Marktbereichen droht sonst, wertvolle Qualitätsmerkmale wie Vielfalt von Angeboten und Trägerstrukturen, lokale Orientierung und Einbindung, hohes Gewicht professioneller gegenüber rein manageriellen Orientierungen und Beiträge ehrenamtlichen Engagements zu beschädigen. Der besondere Wert kleinteiliger "lokaler" Ökonomien und die politische Herausforderung, sie zu pflegen, ist erst jüngst im Rahmen der OECD (1996) als kommende politische Aufgabe herausgestellt worden.

4. Die Aufhebung tariflicher Vereinbarungen zur weiteren Verbilligung von Arbeit (zu unterscheiden von der Verringerung der auf den Faktor Arbeit konzentrierten Abgabenlast) ist kontraproduktiv. Pragmatisch könnte man argumentieren, daß bereits heute in vielen Bereichen persönlicher Dienstleistungen die Einkommen kaum zum Leben reichen; eine etwas grundsätzlichere Argumentation könnte mit der Frage umschrieben werden: wenn Billigjobs die Antwort sind, was war eigentlich die Frage? Gefragt wird nach Chancen auf soziale Anerkennung, Integration und selbständige Lebensführung. In Hinblick darauf bietet aber nicht jede Art von Beschäftigung zu gleich welchem Lohn eine Antwort.

In Deutschland bieten persönliche soziale Dienstleistungen ganz besondere beschäftigungspolitische Chancen

Ganz allgemein gilt, daß in allen Industrieländern der Dienstleistungsbereich überproportional zur Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten beigetragen hat. Dabei lag der Teilbereich der haushaltsbezogenen persönlichen Dienste zwar nicht an der Spitze, aber er bildete auch nicht das Schlußlicht. Im internationalen Vergleich sind aber gerade hier die Angebote in Deutschland eher unterentwickelt (dazu immer noch grundlegend: Scharpf 1986). Während wir innerhalb der OECD-Länder in Hinblick auf das Ausmaß sozialer Transferleistungen zumeist Plätze im oberen Mittelfeld einnehmen, zählen wir im Bereich der persönlichen Dienstleistungen in sozialer Trägerschaft ganz überwiegend zu den westeuropäischen Schlußlichtern. Im Bereich der Pflegehilfen arbeiten zum Beispiel in Dänemark 33, in Deutschland nicht einmal drei Vollzeitkräfte pro 1000 älterer Menschen; Dänemark kennt seit 1995 eine Garantie für die Kinderbetreuung zwischen ein und sechs Jahren und wird hier bald 275.000 Plätze anbieten bei einer Bevölkerung von etwa fünf Millionen Einwohnern; in Rheinland-Pfalz mit vier Millionen Einwohnern sind es nicht einmal 12.000 Ganztagsplätze in Horten oder Kindergärten. In Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf liegt hier ein Schlüsselproblem. Viele Frauen und Familien sind immer noch zu Entweder-oder-Lösungen gezwungen, statt ein Sowohl-Als-auch leben zu können. Eine interne Umfrage der Stadtsparkasse Düsseldorf ergab zum Beispiel, daß 70 Prozent der Betroffenen mit Kindern unter drei Jahren eine Betreuungsmöglichkeit suchen.

Denkt man nun angesichts leerer Kassen über den Bereich persönlicher sozialer Dienstleistungen einmal nicht als staatlich refinanzierten Sektor, sondern als Förderungsbereich nach, dann wird schnell deutlich, daß er unter Beschäftigungsaspekten einige einzigartige Vorzüge aufweist. Einige davon teilt er mit dem gesamten persönlichen Dienstleistungsbereich. Jede in diesem Bereich ausgegebene oder investierte Mark ist hier im Unterschied zum Industriesektor nicht mit fünf oder zehn, sondern zumeist mit siebzig bis neunzig Prozent unmittelbar beschäftigungswirksam. Außerdem gibt es noch ein vorteilhaftes Charakteristikum speziell im Bereich der sozialen persönlichen Dienstleistungen. Wir haben es hier bei Altenpflegediensten oder Kindertagesstätten mit einer vergleichsweise kleinteiligen und sehr stark in die lokalen Sozialverhältnisse eingebetteten Trägerstruktur zu tun. So etwas befördert nicht nur die Akzeptanz und Qualität von Diensten, bei denen ja aufgrund ihres persönlichen Charakters Vertrauen besonders wichtig ist. Wachstum und Beschäftigungszuwächse schlagen sich auch auf dem lokalen Arbeitsmarkt nieder und aufgrund der lokalen Bindungen bedeutet Förderungspolitik hier nicht wie im Industrie- und High-Tech-Bereich, in der Konkurrenz zu anderen Standorten Unternehmen im Rahmen eines Nullsummenspiels zu prämieren.

Lokale Dienstleistungspolitik: Vielfalt an Wirtschafts- und Trägerformen weiter entwickeln und dynamisieren

Drei mögliche Schwerpunktbereiche für ungesättigte Nachfrage bei haushaltsbezogenen persönlichen Dienstleistungen sind allen, die sich um soziale Belange in den Städten und Gemeinden kümmern, gut bekannt:

-- der Bereich der Kindertagesbetreuung; vor allem im Krippen- und Schulbereich haben wir es in Deutschland mit einem im internationalen Vergleich zum Teil grotesken Entwicklungsrückstand zu tun;

-- dasselbe gilt für den Bereich von Diensten und Unterstützungsangeboten bei Hilfe und Pflege, wie sie ganz überwiegend von alten Menschen benötigt werden;

-- ein dritter strategisch wichtiger Bereich sind Angebote, die sich an die Privathaushalte als Arbeitgeber richten - von den üblichen Haushaltshilfen bis hin zu Aufgaben, die stärker mit Wartung und Beratung zu tun haben.

Anhand der genannten Hauptbereiche lassen sich bereits die Dilemmata der bisherigen Ansätze illustrieren, die normalerweise dazu führen, daß die Politik beim Thema soziale Dienste und Beschäftigung abschaltet.

-- Entweder man denkt wie im Kindergartenbereich und Teilbereichen der Altenpflege ausschließlich in Kategorien öffentlicher Finanzierung und Versorgung - dann bewirkt die Finanzknappheit sehr rasch Denk- und Handlungsblockaden in Hinblick auf die Ausweitung von Beschäftigungsmöglichkeiten im sozialen Dienstleistungsbereich;

-- oder man denkt wie im Bereich der häuslichen Hilfen ausschließlich in Kategorien von Märkten und privater Nachfrage; dann werden besondere Aufgaben öffentlicher Förderung dieses Wirtschafts- und Beschäftigungsbereichs, insbesondere auf kommunaler Ebene nur schwer erkennbar; sie bleiben - etwa in Hinblick auf steuer- und beschäftigungspolitische Regelungen - allein dem zentralstaatlichen Gesetzgeber vorbehalten.

Tatsächlich scheint es mir jedoch notwendig, das Schwarzweißschema des Entweder-Oder von staatlicher Versorgung bzw. sich selbst überlassener Marktdynamik zu überwinden, an die breite Skala von halböffentlichen, halbprivaten Zwischenbereichen zu erinnern und über Wechselbeziehungen und Kooperationsformen zwischen allen drei Sektoren - staatlich kommunalem, privatwirtschaftlichem und freigemeinnützigem Bereich - nachzudenken. Gerade im Bereich persönlicher sozialer Dienstleistungen ergibt sich nämlich eine Angebots-Nachfrage-Dynamik oft erst dann, wenn diese Sektoren miteinander verschränkt werden, statt lediglich als konkurrierende oder alternative Angebotsformen zu funktionieren. So zumindestens argumentiert auch eine im Auftrag der EU-Kommission (1993) erstellte Studie zu "Lokalen Initiativen zur wirtschaftlichen Entwicklung und Beschäftigung". An drei Beispielen läßt sich das illustrieren.

1. Kommunales Handeln ist gefragt im Sinne von Unterstützungsleistungen, die Vertrauen und Bereitschaft zur Nutzung persönlicher Dienste herstellen und den Status dieses Beschäftigungsbereichs aufwerten. Es ist wohl kaum bestreitbar, daß an zusätzlichen Hilfen in Haushalten Interesse besteht und dafür grundsätzlich in den meisten Fällen auch Geld vorhanden ist. Man sollte zum Beispiel mit Blick auf Hilfe und Pflege im Alter nicht vergessen, daß die Durchschnittsrenten und Pensionen inzwischen in Deutschland fast das Niveau der Durchschnittseinkommen erreicht haben. Oft werden entsprechende Angebote jedoch gerade denen nicht nahegebracht, die besonders darauf angewiesen wären, und überdies droht die Gefahr, daß in einem öffentlich nicht einsehbaren Bereich erneut die negativen Merkmale der Dienstbotenkultur ins Kraut schießen. Hier kann kommunale Politik beides tun: Mut machen zur Inanspruchnahme von Diensten und Angeboten und helfen, ihnen einen sozial vertretbaren Status zu geben. So läßt sich die Bereitschaft, für Hilfe und Pflege im Alter jenseits dessen, was man als soziale Sockelleistung erhält, auch privat Geld auszugeben, nicht einfach durch individuelle Werbung der Anbieter fördern und freisetzen. Die Bereitschaft, sich auf Hilfe von außen einzulassen, ist hier nämlich in hohem Maße Vertrauenssache, eine Frage eingelebter Verhaltensformen und Wertmuster. Das heißt aber, daß unabhängigen, öffentlichen Instanzen eine zentrale und unverzichtbare Rolle zukommt, beispielsweise Beratungsstellen in freier oder kommunaler Trägerschaft, die unbürokratisch denen helfen, die sich ansonsten (etwa mit der Wahl der Geldleistung in der Pflegeversicherung) defensiv für ein ganz auf die eigenen familialen Kräfte gestütztes Hilfe- und Pflegearrangement entscheiden. Ein weiteres Beispiel für Möglichkeiten, durch öffentliche Förderung Anstoß für eine Dynamisierung von Angeboten und Nachfrage im Bereich haushaltsnaher Dienste zu geben, bietet die wachsende Zahl von Dienstleistungspools (Weinkopf 1996) und Vermittlungszentralen für Hilfen rund um den Haushalt. Das Land Niedersachsen fördert z.B. unter Zuhilfenahme von EU-Geldern derartige Ansätze, mit denen (so eine Pressemitteilung des Frauenministeriums) "kooperative Existenzgründungen und neue Beschäftigungsformen initiiert und erprobt werden" sollen und von denen man sich "auch Lösungsansätze zum Abbau geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse, etwa in hauswirtschaftlich- und betreuungsbezogenen Dienstleistungen" erhofft. Sie vermitteln unter anderem unbürokratisch Haushaltshilfen, geben gleichzeitig aber soziale Absicherung und einen Rückhalt, so daß zum Vorteil beider Seiten, der Haushalte und der Hilfen, Transparenz, Struktur und Status dieser Dienstleistungen verbessert werden. Das hilft zusammengenommen wieder, Akzeptanz und Bereitschaft zur Nutzung solcher Angebote zu erhöhen. Persönliche Dienste müssen mehr als bisher konkurrenzfähig werden zu Alternativen der Verwendung privater Haushaltseinkommen, wie Statusgüter oder -dienste und Angebote im Bereich der Touristik- und Freizeit-Industrie.

2. Kommunales Handeln ist gefragt, wenn es darum geht, freie Träger und Initiativen vor Ort bei der Schaffung und Weiterentwicklung von Angeboten zu unterstützen. Im Bereich der Kindertagesbetreuung hat es sich bereits erwiesen, daß Eigeninitiativen Betroffener öffentliche Haushalte bei der Schaffung und Finanzierung von Angeboten und damit verbundenen Beschäftigungsmöglichkeiten entlasten können. Statt des einfachen Rückbaus im herkömmlichen, weitgehend staatlich refinanzierten Bereich gibt es durchaus Möglichkeiten der Aufrechterhaltung oder gar des Ausbaus, wenn es gelingt, andere Träger und Interessenten grundsätzlich stärker an Finanzierungen zu beteiligen. Ich gehe davon aus, daß solche Möglichkeiten bislang nicht ausgeschöpft wurden und auch nicht die nötige Aufmerksamkeit erhielten. Die Frage nach Engagement und Vereinsbildung Betroffener und Interessierter stellt sich auch jenseits des bekannten Bereichs der Kinderbetreuung. Soziale Infrastrukturen wie Schwimmbäder, Sporthallen oder auch Schulen werden ohne die Übernahme durch sie nutzende Vereine schließen müssen. Kommunale Politik kann für das finanzielle, zeitliche und organisatorische Engagement derartiger Solidarinitiativen Hilfen und Ermutigungen geben; je größer die Rolle dieser Faktoren, desto mehr Bewegung kommt in eine oft statisch konstruierte Versorgungslandschaft.

3. Kommunales Handeln ist gefragt bei der Förderung von Verbundlösungen, die auch Unternehmen als mögliche Mitträger von Einrichtungen und Angeboten aktivieren. Vorrangig ist hier sicherlich das Feld der Dienste zur Kindertagesbetreuung. Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Beispielen für Verbundlösungen, die etwa folgendes vorsehen: Einzelne oder mehrere Unternehmen beteiligen sich an der Einrichtung und Finanzierung von Hortplätzen oder einer Kindertagesstätte; eine Elterninitiative bildet möglicherweise einen Trägerverein; die Stadt hilft bei der Suche nach Räumen sowie bei der Finanzierung und bringt die Beteiligten an einen Tisch. Angesichts der veränderten Position von Frauen in der Arbeitswelt kommen immer mehr Betriebe und Unternehmen zu der Überzeugung, daß sich für sie organisatorische und finanzielle Beteiligungen an Diensten und Angeboten, die den Frauen bei der Vereinbarkeit von Familie und beruflicher Tätigkeit helfen, auch rechnen (Erler 1995).

Die gerade skizzierten Beispiele sollten dreierlei illustrieren: (a) angesichts der Unmöglichkeit, Bedarfslücken im Bereich haushaltsbezogener persönlicher Dienste allein mit den klassischen Politiken öffentlicher Refinanzierung zu schließen, muß man nicht resignieren; (b) eine Haltung, die in immer größeren Bereichen sozial wichtiger Dienste einfach dem Markt und der Kommerzialisierung das Feld überläßt, ist nicht nur sozial fragwürdig, sondern auch wirtschaftlich nicht unbedingt erfolgversprechend; (c) es gibt Alternativen zu einem Konzept öffentlicher Förderung im Dienstleistungsbereich, das mittels Marketing, Subventionspraktiken und den üblichen Mitteln kommunaler Wirtschaftsförderungspolitik die persönlichen Dienste so zu modernisieren gedenkt, daß sie zu einer Markt- und Wachstumbranche wie jede andere werden. Was hier vorgeschlagen wird, ist ein Konzept der beschäftigungswirksamen Dynamisierung von Angebots- und Nachfrage-Beziehungen, das einerseits in klassischen öffentlich geprägten Versorgungsbereichen mehr Platz für unternehmerisches und solidarisches Engagement schafft und andererseits in solchen Bereichen, die bisher einfach der Privatinitiative überlassen blieben, förderliche und zugleich sozial moderierende Rahmenbedingungen schafft. Schlüsselbegriffe sind dabei: Kooperation, Moderation, Verbundlösungen, verschiedene Formen von public-private partnerships. Es geht bei der Entwicklung, Trägerschaft und Finanzierung von Diensten um einen Wohlfahrtspluralismus (Evers/Olk 1996), der die vorhandene Vielfalt an Beteiligungs- und Trägerformen, aber auch die lokale Bindung und die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement zu nutzen und weiterzuentwickeln versucht, statt sie lediglich als hinderliche Merkmale von "Rückständigkeit" zu betrachten.

Vorrangige Bereiche und Ansatzpunkte einer lokalen Dienstleistungspolitik - einige Beispiele und Anregungen

1. Kinderbetreuung Bei grundsätzlich begrenzten kommunalen Mitteln stellt sich die Frage ihrer Beschäftigungswirksamkeit vor allem auf der Ebene der Wahl angemessener Träger und Organisationsformen, der Ansprache interessierter Unternehmen und Elternvereine. Ich denke hier an Initiativen wie die des Kreises junger Unternehmer in der Region Iserlohn, wo zwanzig kleine und mittlere Unternehmen zusammen den Verein Regenbogen Kinderbetreuung betreiben. Der Verzicht auf überzogene bauliche Standards und die Einschaltung von interessierten Initiativen bei der Suche nach Räumlichkeiten im Bestand statt Neubaulösungen im öffentlichen Auftrag können dabei helfen, daß mit demselben Geld vergleichsweise mehr Dienste, mehr Betreuungsqualität und Beschäftigung entstehen. Für den Kreis Gießen wurde argumentiert, daß sich bei entsprechenden Arrangements und Trägerformen die Kosten um bis zu 40 Prozent verringern können. Kooperationsbereitschaft, Nutzbarkeit lokaler Angebotsmärkte und Zahlungsbereitschaften können dabei durch Einrichtungen wie die lokalen Familienservicebüros erhöht werden; gegen eine Grundgebühr pro Vermittlungsfall helfen sie Unternehmen, für MitarbeiterInnen eine Kinderbetreuung zu finden - sei es nun eine Kinderfrau, Tagesmutter oder ein Platz in einem Kindergarten oder Kinderhort. Kommunen sollten an einem solchen Service in ihrem Stadtgebiet interessiert sein und aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen entsprechende Angebote machen und Initiativen zur Ansiedlung betreiben.

2. Tagesbetreuung in Schulen Eltern, die zuvor lange Jahre beträchtliche Kindergartengebühren bezahlt haben, sollten grundsätzlich auch bereit sein, zu einem erheblichen Teil die Kosten von Tagesbetreuungsangeboten an Schulen zu übernehmen, Kosten, die ja aufgrund bereits vorhandener Einrichtungen und anderer Personalschlüssel pro Kind erheblich unter denen von Kindergärten liegen können. Warum macht es sich nicht jede Gemeinde zur Aufgabe, Schulleitungen, aber auch Eltern, an derartigen Projekten der Entwicklung von Hilfen und Diensten zu interessieren und zwar nicht nur mit Blick auf Zahlungsbereitschaft und Beschäftigung, sondern auch in Hinblick auf die Weckung von bürgerschaftlichem Engagement ?

3. Hilfen in und um den Haushalt Die Gemeinden sollten anregen, daß etablierte freie Träger oder auch neue Vereine Serviceagenturen einrichten, bei denen Privatleute ihr Personal abrufen können, wie es oben mit Verweis auf Modelle in Niedersachsen beschrieben wurde. Auszuwerten wären hier die Erfahrungen, die man in Frankreich mit dem Ende 1994 eingeführten System der Dienstleistungsschecks gemacht hat. Auf den Schecks notieren die Haushalte die geleisteten Arbeitsstunden, so daß dann der Hilfskraft nach Auszahlung des Nettolohns und Einreichung dieses Schecks bei einer staatlichen Stelle Sozialversicherungsleistungen zukommen, deren Arbeitgeberanteil diese Stelle dem jeweiligen Haushalt vom Konto abzieht. Am Jahresende kann der Haushalt die Hälfte des Gesamtaufwandes von der Steuerschuld abziehen. Diese Kombination staatlicher Absicherung und Förderung einer ansonsten dezentral, dereguliert und damit flexibel bleibenden Beschäftigungsform könnte zu einem bloßen Revival von Hauspersonal und der Verlängerung des "Dienstmädchenprivilegs" (Odierna 1995) Alternativen bieten. Regierung und Opposition in Deutschland haben ähnliche Gesetzesentwürfe in der Schublade (Die Zeit, 14.6.96). Unmittelbare Betätigungsfelder lassen sich insbesondere in Kooperation mit den Einrichtungen und Trägern der ambulanten Altenpflege erschließen. Dabei könnte auch bewiesen werden, daß vergleichsweise niedrige Löhne nicht - wie bei vielen rein kommerziellen Unternehmen - gleichbedeutend sein müssen mit entwürdigenden Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen.

4. Dienste und Angebote im Bereich der Hilfe- und Pflege Die Leistungskataloge der meisten Anbieter bewegen sich gegenwärtig im wesentlichen entlang der Refinanzierungsregeln von Kranken- und Pflegekassen. Angesichts dessen geht es darum, der Bereitschaft, sich auch darüber hinaus helfen und sich das auch etwas kosten zu lassen, den Weg zu bereiten und gleichzeitig die lokalen Dienste zu entsprechenden Angeboten zu ermuntern. Kommunal zu fördernde Schlüsselangebote wären hier Einrichtungen einer zugehenden Beratung bei Fragen der Unterstützung und Hilfe im Alter, wo vertrauenswürdige und unabhängige Instanzen hilfebedürftigen Menschen die Wege ebnen - sowohl zu Angeboten, auf die sie ein soziales Anspruchsrecht haben, aber möglicherweise auch zu solchen, die sie eventuell ergänzend auf eigene Rechnung nutzen wollen. In den Niederlanden haben Anlaufstellen, die in allen Fragen der Hilfe im Alter an einer Stelle und aus einer Hand beraten, eine wichtige Rolle gespielt. In Städten wie Delft kümmert sich aber eine kleine kommunale Entwicklungs- und Beratungseinheit auch darum, die lokalen Anbieter für die Nutzung der Chancen zu sensibilisieren, jenseits dessen, was öffentlich refinanziert wird, auch zusätzliche Leistungen anzubieten und zu verkaufen.

Alles in allem geht es in den genannten vier Bereichen um eine lokale Dienstleistungs- und Beschäftigungspolitik, die die erwähnte Studie der EU-Kommission (1993) mit Stichworten wie "gemeinsames Engagement (staatlich/privat) auf längere Sicht,... Nutzung des lokalen endogenen Potentials,... Betreuung, Stimulierung, Vielseitigkeit" umschreibt.

Trotz aller Chancen für eine lokale Dienstleistungspolitik gibt es zahlreiche Blockaden

Die lokale Verwaltung ist traditionell schlecht vorbereitet auf die hier skizzierte neue Aufgabe, in den Dialog zu treten mit anderen Instanzen und auf ihre Entscheidungen als Anbieter, Träger oder Nachfrager von persönlichen Diensten Einfluß zu nehmen. Das erfordert die Entwicklung eines anderen politischen und planerischen Handlungsrepertoires, eine weniger auf Regelsetzung und Finanzierungsfragen als auf Dialog orientierte Politik. Die Schaffung entsprechender Kommunikationsformen und Öffentlichkeiten verlangt Organisationsgeschick, soziale Kompetenz und Phantasie.

Zwischen den zwei Kulturen des Sozialversorgungs- und Wirtschaftsförderungsbereichs gibt es erhebliche Barrieren. Lokale Wirtschaftsförderung ist allzu lange auf den industriellen Bereich, auf unternehmensnahe Dienstleister und den Handel eingeschränkt und zugeschnitten gewesen. Maßgebliche Zielgröße war die kommunale Steuerkraft und nicht so sehr der lokale Beschäftigungs- und Integrationseffekt.

Blockierend wirkt auch die vielfach vertretene sozialpolitische Auffassung, daß Lösungen, die auf die Entwicklung privaten Dienstleistungskonsums und Möglichkeiten zur Zuwahl von selbst zu bezahlenden Leistungen im Sozialbereich setzen, grundsätzlich abzulehnen sind. Es wird schwierig sein, in den Kategorien ergänzender Arrangements denken zu lernen, wo der Staat einen Sockel oder Teil von Leistungen garantiert, die in gewissem Umfang durch Gemeinschaftsinitiativen familiale Leistungen oder individuellen Konsum ergänzt werden.

Viele der hier besprochenen haushaltsnahen Dienste gelten als eine Art Schmuddelbereich; die Arbeiten werden gering bewertet, nicht zuletzt deshalb, weil sie traditionell vor allem von Frauen ausgeführt werden und nur geringe formale Qualifikationen voraussetzen; hinzu kommen Vorbehalte gegenüber der unübersichtlichen Szene kleiner Träger und Anbieter, die trotz ihrer bereits in den letzten Jahren erheblichen beschäftigungspolitischen Beiträge (etwa im Pflegebereich) sich bislang nicht als Adressaten lokaler Wirtschaftsförderung qualifizieren konnten.

Außerdem ist zu berücksichtigen, daß viele der Beschäftigungsverhältnisse in den Bereichen, von denen hier die Rede war, konzeptionell zwar oberhalb der "freien" Vereinbarungen eines weitgehend deregulierten Dienstleistungsmarktes angesiedelt sind, aber doch auch unterhalb des ÖTV-Niveaus bisheriger Prägung. Initiativen für einen solchen Zwischenbereich stoßen deshalb nicht selten auf Widerstände bei beiden Seiten - Unternehmensvertretern und Gewerkschaften.

Das möglicherweise stärkste Hindernis liegt jedoch in einer Kultur des Rückzugs auf einen Typus von individuellen, Gruppen- und Organisationsinteressen, in dessen Definition weder Gemeinwohlbelange noch Kooperations- und Solidaritätserwartungen eingehen. Tatsächlich übersteigen Konzepte wie die eben beschriebenen das, was im Horizont einer klugen Verfolgung von Eigeninteressen möglich erscheint. Zumeist sind wir konfrontiert mit einer Situation, wo beide, kommunale Politik und Bürger, eigentlich nurmehr wenig voneinander erwarten und deshalb auch nicht viel voneinander verlangen.

Überarbeiteter Text eines Vortrags bei der Bundesdelegiertenversammlung der SGK (Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik) Mai 1996 in Böblingen

Literatur

Bandemer, Stephan/Hilbert, Josef (1996): Soziale Dienste und Gesundheit als Wachstumsbranche - Chancen und Gestaltungsherausforderungen, in: Zeitschrift für Sozialreform, Heft 12 (Dezember).

Erler, Gisela Anna (1995): Der "Familienservice" bzw. das "Kinderbüro" - ein Angebot privater Kinderbetreuung im Haushalt, in: Gräbe, Sylvia (Hg.): Private Haushalte und Neue Arbeitsmodelle, Campus Verlag, Frankfurt.

Europäische Kommission (1993): Lokale Initiativen zur wirtschaftlichen Entwicklung und Beschäftigung, KOM (93) 551, Brüssel.

Evers, Adalbert/Olk, Thomas (1996): Wohlfahrtspluralismus. Westdeutscher Verlag, Opladen

Odierna, Simone (1995): Private Haushalte als Arbeitgeber oder: die Rückkehr der Dienstmädchen durch die Hintertür, in: Gräbe, op. cit.

OECD (Hg.) (1996): Reconciling Economy and Society. Towards a Plural Economy, OECD, Paris.

Scharpf, Fritz W. (1986): Strukturen der post-industriellen Gesellschaft, oder: Verschwindet die Massenarbeitslosigkeit in der Dienstleistungs- und Informations-Ökonomie?, in: Soziale Welt, Heft 1, S. 3-24.

Weinkopf, Claudia (1996): Dienstleistungspools - ein Ansatz zur Professionalisierung von Dienstleistungen in Privathaushalten?, in: WSI-Mitteilungen, Heft 1, S. 36-43.