Standortdebatte

Mythen, Fakten, Handlungsmöglichkeiten

Margareta Wolf/Werner Schulz

Mitte Oktober hatten Bündnis 90/Die Grünen einen Strategiekongreß zur Wirtschafts- und Sozialpolitik veranstaltet. Ausgehend vor allem von ökologischen und friedenspolitischen Konzeptionen und Intentionen nähern sie sich dem zentralen Kampfplatz von Gesellschaften auf Basis kapitalitischer Produktionsweise. Hier erscheinen die Zwangsgesetze des Kapitals nicht nur als Sachzwänge, sondern wirken immer umfassender tatsächlich als solche. Zugleich wird auf ökonomisch antagonistischer Grundlage um den politischen Konsens gestritten, der die Bundesrepublik bisher zusammenhält. Reformpolitik erweist sich in diesem Kernbereich als so beschränkt, wie sie ist, und Fundamentalismus als so hilflos, wie er verbohrt erscheint. Hier wird Politik, auch ökologische, gemacht oder nirgends. Margareta Wolf und Werner Schulz vom Vorstand der bündnisgrünen Bundestagsfraktion über Standortsanierung, Adalbert Evers über notwendige Arbeit in den Städten und Möglichkeiten ihrer Bezahlung.

Der Standortdebatte soziale und ökologische Orientierungen geben

Die Debatte um den Standort Deutschland hat ihre Berechtigung und eine Vielzahl von ernstzunehmenden Gründen. Im Rahmen veränderter geopolitischer Ausgangsbedingungen gehen viele Unternehmen daran, die bisherigen Dispositionen hinsichtlich der Produktionsstandorte und der Produktions- und Arbeitsorganisation zu überprüfen. Diese Entwicklung ist nicht neu, sie hat sich jedoch seit Anfang der 90er Jahre beschleunigt. Deshalb geht die "Standortdebatte" gegenwärtig in eine "Globalisierungsdebatte" über, in deren Zentrum folgende Befürchtungen und Fragen stehen:

-- Wird sich die Mehrheit der Deutschen ihren vergleichsweise hohen Lebensstandard auch künftig noch leisten können?

-- Welche Folgen für die Arbeitsmärkte haben die veränderten Dispositionsmöglichkeiten der Unternehmen und die Globalisierung der Finanzmärkte?

-- Sind die Abgabenbelastungen unter Gesichtspunkten eines zunehmend härter ausgetragenen (Preis-)Wettbewerbs noch tragbar?

-- Wie antwortet die Gesellschaft auf die zunehmende soziale Desintegration, wie geht sie mit der wachsenden Zahl von Menschen um, die auf die Solidarität der Gesellschaft angewiesen sind?

Diese Fragen werden von den dominierenden Akteuren in der Standortdebatte entweder nicht in der nötigen Klarheit gestellt oder damit beantwortet, daß sie perspektivlose Anpassung im Sinne eines "den Gürtel enger schnallen" und undifferenzierte "Verschlankung/Kostensenkung" fordern; so tut es auch die Bundesregierung in der Begründung ihres "Sparpakets".

Was wird geschehen, wenn diese Forderung keine Resonanz mehr findet, weil niemand mehr glaubt, daß die Einschränkungen vorübergehender Natur sind und Einsparungen kein greifbarer Gewinn gegenübersteht? Werden wir dann eine Streikwelle erleben, die letztendlich die Wirtschaft destabilisiert? Werden wir auf eine Entsolidarisierung der Gesellschaft hinsteuern, in der sich Kapitalbesitzer und Unternehmen zunehmend der inländischen Besteuerung entziehen können? Was wird aus unserem demokratischen Wohlfahrtsstaat, werden wir in die Situation der amerikanischen Gesellschaft geraten, in der nur vergleichsweise geringe Steuer- und Abgabenlasten zu tragen sind, gleichzeitig jedoch die öffentlichen Leistungen eingeschränkt werden, auf welche insbesondere die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen angewiesen sind?

Falsch wäre es, die Standortdebatte lediglich als eine interessengeleitete Debatte wahrzunehmen und statt dessen eine "andere Standortdebatte" zu führen, die ausschließlich die sozialen und ökologischen Begrenzungen unserer Art des Wirtschaftens thematisiert.1

Notwendig ist es jedoch, die Begründung des bisherigen Kurses der Wirtschaftspolitik und der Argumentationen der Wirtschaftsverbände zu hinterfragen:

-- So wird die Negativbilanz dieser Bundesregierung durch eine Massenarbeitslosigkeit wie zu Zeiten der Weimarer Republik bestimmt, obwohl die Abgabenquote der ArbeitnehmerInnen gestiegen und die Abgabenquote der UnternehmerInnen gesunken ist. Seit nunmehr dreizehn Jahren verkündet die Bundesregierung einen undifferenzierten Wachstumskurs als Lösung des Arbeitsmarktproblems, verweigert sich jedoch einer ernsthaften Antwort auf die Frage, wie denn - ohne eine entsprechende Änderung zentraler Rahmenbedingungen - dieses Wachstum ökologisch verträglich sein soll.

-- Auch Unternehmensverbände hüten ihre Betriebsgeheimnisse. Im Zuge der Globalisierung werden Investitionsort, Steuerort und Wohnort unabhängig voneinander gewählt. "Viele Unternehmen nutzen den niedrigen Steuerstandard der armen Staaten und genießen den hohen Lebensstandard der reichen Staaten. Sie zahlen die Steuern, wo es am billigsten ist, und leben, wo es am schönsten ist" (Ulrich Beck, Kapitalismus ohne Arbeit, Spiegel 20/96). Letztlich sägen sie an dem Ast, auf dem sie selber sitzen. Häufig erwecken sie den Eindruck, als würde eine geringere Steuerlast, niedrigere und flexiblere Löhne, eine Deregulierung der Arbeitszeit oder der Abbau von Arbeitnehmerrechten automatisch zu mehr Wachstum und Beschäftigung führen. Hier färbt ihre Interessenlage die Analyse erheblich ein.
ManagerInnen und UnternehmerInnen wären glaubwürdiger, würden sie mit derselben Ernsthaftigkeit thematisieren, daß auch der Markt für Unternehmerleistungen - nicht nur der Arbeitsmarkt - unvollkommen ist. Die Widerstände gegen Innovation nehmen zu, die Risikobereitschaft ist nicht hinreichend entwickelt. In Großkonzernen herrschen teilweise Subventions- und Rückversicherungsmentalitäten wie in den alten DDR-Kombinaten. Noch sind es viel zu wenige UnternehmerInnen, die in Sozialleistungen und Umweltschutz nicht nur Kosten sehen (was sie unzweifelhaft sind), sondern auch Nutzen in Form einer lebenswerten, sozial und ökologisch unbeschadeten Umwelt. Nachhaltige Auswirkungen, die sich nicht unmittelbar quantifizieren lassen, jedoch zu den positiven Faktoren des Standortes gehören. Sie überlassen es den BürgerInnen und Gewerkschaften, diese Aspekte einzufordern, und stehlen sich, so weit sie können, aus der Verantwortung.

"Die Angst vor dem Abstieg" breitet sich aus. Eine wachsende Zahl von Bürgerinnen und Bürgern fürchtet den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Solidarisch getragene Modelle wie bei VW, bei denen die Belegschaft ihre Arbeitszeit unter Einkommenseinbußen verringerte, damit möglichst viele ihren Arbeitsplatz behalten, werden dennoch von der regierenden Politik nicht aufgegriffen. Sie interessiert nicht, ob mit solchen Modellen nicht auch eine neue Art der Zufriedenheit einhergeht, weil anderer Wohlstand - Zeitgewinn und Zeitsouveränität - gewonnen wird. Die Bundesregierung finanziert millionenschwere Zukunftsforschungsprojekte zu neuen Technologien, überläßt es jedoch den Kirchen und Umweltverbänden zu thematisieren, ob unser Lebensstil überhaupt im Weltmaßstab übertragen werden kann. Sie weicht - im Einklang mit ihren Sachverständigen - der Frage aus, ob nicht auch solidarische Arbeitsumverteilung einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten kann.

Gegenwärtig herrscht - insbesondere in Westdeutschland - die Angst vor Veränderungen. In Ostdeutschland, wo Veränderungen bewältigt wurden, die die Vorstellungskraft der meisten Menschen in Westdeutschland übersteigt, breitet sich Unsicherheit aus. Die Ungewißheit in den neuen Bundesländern dreht sich um die Schicksalsfrage, ob sie den alten Bundesländern eine Wende voraus sind oder ob sie den nächsten Systemniedergang erleben und ihnen weitere Veränderungen bevorstehen. Die sozialen Unsicherheiten und unklaren Zukunftsaussichten untergraben das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft und die demokratischen Institutionen des Staates, dem sie ohne Wenn und Aber angehören wollten.

Nicht die Armut gefährdet die Demokratie, sondern die Angst davor, so wird in dem jüngst erschienenen Buch Die Globalisierungsfalle konstatiert (Martin/Schumann, 1996). Angst ist keine produktive Kraft. Ralf Dahrendorf warnte kürzlich davor, daß Angst "lebensgefährlich" werden könne, "weil sie eher zu Reaktionen führt, die zu allen Arten der Abschließung drängen ... Man will um ziemlich jeden Preis bewahren, was man noch hat" (Dahrendorf, 1996).

Keine guten Voraussetzungen für eine Politik, die auf die positive Gestaltung der Lebensbedingungen setzt. Die wirtschafts- und ökologiepolitischen Konzeptionen von Bündnis 90/Die Grünen fordern die Reformfähigkeit unserer Gesellschaft heraus. Veränderungen werden allen wirtschaftlichen Akteuren, ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen, UnternehmerInnen abverlangt, wenn wir das Ziel einer solidarischen und ökologischen (Welt-)Wirtschaft erreichen wollen. Auch bei unseren Konzeptionen wird es Gewinner und Verlierer geben. Entscheidend wird jedoch bleiben, daß mit unseren Vorschlägen nicht nur der überfällige ökologische Strukturwandel in Gang kommt, sondern daß damit gleichzeitig mehr Arbeitsplätze zu schaffen sind als mit dem ohnmächtigen "Weiter so!" der Bundesregierung. Zugleich müssen wir aber ehrlicherweise eingestehen, daß es eine Vollbeschäftigung wie in den Aufbaujahren der Bundesrepublik auf absehbare Zeit nicht mehr geben wird.

Die Bündnisgrünen dürfen es sich nicht zu einfach machen. Die Konzentration auf soziale und ökologische Fragen reicht nicht aus, um in der Standortdebatte zu bestehen. Heute geht es darum, die Faktoren Kapital, Arbeit, Wissen, soziale Gerechtigkeit und Ökologie in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Die Akzeptanz unserer Partei wird auch davon abhängen, wie wir mit dem Problem der Massenarbeitslosigkeit umgehen und mit der Erkenntnis, daß es keine Vollbeschäftigung im klassischen Sinne mehr geben wird. Dabei wird die Trag- und Reichweite unserer Antworten davon bestimmt, inwieweit wir reflektieren, daß seit 1989/90 eine veränderte deutschland- wie auch weltpolitische Situation vorliegt. Hinzu kommt, daß die Zweifel an der Fähigkeit jedweder nationalen oder regionalen Regierung wachsen, wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse gestaltend beeinflussen zu können. Vom "Ende der Volkswirtschaften" und vom "Ende der Nationalökonomie" ist die Rede.

Egalisierung greift um sich. Stimmt es also, daß es keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, daß es nur noch moderne Wirtschaftspolitik gibt, wie der selbsternannte "Automann" aus Niedersachsen (Gerhard Schröder) zitiert wird?

Diese "moderne Wirtschaftspolitik" besteht offensichtlich darin, sich bedingungslos dem Trend der Weltwirtschaft anzupassen - wie es die Bundesregierung in ihrem Aktionsprogramm für Wachstum und Beschäftigung und ihrem Jahreswirtschaftsbericht plant. Wir halten diese Entwicklung nicht für zwangsläufig und alternativlos. Trotz, oder sogar wegen der Globalisierung verbleiben Spielräume für eine sozial gerechte und ökologische Wirtschaftspolitik (unsere Definition einer modernen Wirtschaftspolitik), die bislang nicht hinreichend genutzt werden.

Wir können noch kein komplettes Alternativprogramm vorlegen. Auch wir haben nicht die alles umfassenden Antworten, aber wir arbeiten an den entscheidenden Fragen. Wir wollen Hinweise geben, in welche Richtung die Standortdebatte - die im Kern auch eine Zukunftsdebatte ist - gelenkt werden sollte. Wir sind davon überzeugt, daß wir mit der defensiven Position nicht weiterkommen, die lediglich den Stand der erreichten sozialen und umweltpolitischen Fortschritte verteidigen will und meint, daß das eigentliche Standortproblem in der zunehmenden verteilungspolitischen Schieflage zugunsten der Vermögenden dieser Gesellschaft liegt.2

Mythen und Fakten - zur Standortdebatte im Westen Deutschlands

Eine Kernaussage in der Standortdebatte lautet: Der Standort Deutschland habe eine Kostenkrise, er sei daher nicht mehr wettbewerbsfähig genug. Schlußfolgerung: Die Kosten für den Faktor Arbeit und die Umweltkosten sollten sinken, staatliche Vorschriften zur Einhaltung sozialer und ökologischer Standards zurückgedrängt werden.

Nun könnten wir es uns einfach machen und in Erinnerung rufen,

-- daß ein Ausfuhrüberschuß von annähernd 100 Milliarden DM, den die Bundesrepublik in diesem Jahr voraussichtlich erreichen wird, nicht als Indikator für Wettbewerbsschwäche, sondern im Gegenteil als Indikator für Wettbewerbsstärke gewertet werden muß.

-- Mit dieser Hypothese könnten wir auch zeigen, daß ein derart hoher Ausfuhrüberschuß die Währung eines Landes immer wieder unter Aufwertungsdruck setzt, was letztendlich wieder die Exporte verteuert und in seiner Negativauswirkung von Wirtschaftswissenschaftlern wesentlich höher eingeschätzt wird als Lohnerhöhungen.

-- Und schließlich können wir auch darauf verweisen, daß nicht die Nominallöhne entscheiden, sondern die Lohnstückkosten3 und daß diese im Zeitraum zwischen 1973 und 1994 in der Bundesrepublik deutlich geringer anstiegen als in den meisten anderen G-7-Staaten. Hohe Stundenlöhne rechtfertigen sich also durch hohe Produktivität.

-- Und daß Umweltschutzkosten sich im westdeutschen produzierenden Gewerbe 1993 auf lediglich 0,7 Prozent des Bruttoproduktionswertes beliefen und damit noch unterhalb des Anteils für Mieten und Pachten lagen, läßt sich ebenfalls nicht als Standortschwäche auslegen. Deutschlands Schrittmacherrolle im Umweltschutz hat gerade der bundesdeutschen "Umweltschutzindustrie" Wettbewerbsvorteile im Sinne des "first-mover-advantage" gebracht.4

-- Schließlich: Selbst wenn Deutschland in Teilen als Hochsteuerland gilt, so ist doch eine spezifische Steuerquote nicht allein Ausdruck einer Belastung, sondern kann als "Miete für die Standortnutzung" und Preis für eine gute öffentliche Infrastruktur angesehen werden. Hohen Steuersätzen steht dann eine "Standortrente" gegenüber, die die Unternehmen aufgrund der positiven Standortfaktoren erwirtschaften können.

Weniger einfach ist die pauschale Zurückweisung der These von der Kostenkrise, wenn wir eine differenzierte Analyse der wichtigsten Branchen vornehmen. Drei Gruppen, die in der Standortdebatte spezifische Positionen vertreten und auf die die Strategien der Bundesregierung ausgerichtet sind, lassen sich idealtypisch unterscheiden:

-- Die erste Gruppe umfaßt die altindustriellen Branchen, dies sind unter anderem der Steinkohlebergbau und in Teilen der Schiffsbau. Sie hängen am Subventionstropf. Hier trifft die Bundesregierung die lakonische Feststellung: "Die Ausgaben für die Erhaltung unrentabler Wirtschaftsstrukturen binden gesamtwirtschaftliche Ressourcen zu Lasten wichtiger Zukunftsaufgaben" (Bundesregierung 1993, 12). Das politische Ziel ist deshalb die Streichung der direkten und indirekten Subventionen. Daß diese Branchen vor allem ihre Standorte in Bundesländern haben, die über lange Zeit sozialdemokratisch regiert wurden, kommt dieser politischen Absicht entgegen, deshalb ist die Absicht jedoch nicht falsch. Die Streichung solcher Subventionen müßte auch im Interesse all jener liegen, die ein Interesse am ökologischen Umbau haben (siehe auch Kristin Heyne/Oswald Metzger, "Solidarisch sparen"5). Dieser Gruppe würde auch eine Strategie der Kostensenkung nicht dauerhaft helfen.

-- Die zweite Gruppe beinhaltet solche Industriebranchen, die durch die Konjunkturkrise 1992/93 lernen mußten, daß sie ernsthafte Strukturprobleme haben. Hierzu gehört der Automobilbau, die Chemie-Industrie und teilweise der Maschinenbau. Dies sind gleichzeitig die Schlüsselbranchen der deutschen Wirtschaft, auf die annähernd 70 Prozent des Exportvolumens entfallen. Da die Unternehmen in diesen Zweigen durch den Druck des Weltmarktes von einer Qualitätskonkurrenz in Richtung einer Preiskonkurrenz gezwungen worden sind, bezieht sich der folgende Befund der Bundesregierung vor allem auf sie: "Andere Länder erreichen inzwischen eine ähnliche oder sogar höhere Attraktivität als Deutschland. Sie können häufig durch niedrigere Lohnkosten, geringere staatliche Abgaben und Auflagen sowie größere Technikoffenheit Nachteile in anderen Branchen ausgleichen" (Bundesregierung 1993, 9). Im Umkehrschluß läßt sich folgern, daß eine Politik, die auf niedrigere Lohnkosten, geringere staatliche Abgaben und Auflagen und eine größere Technikoffenheit abzielt, diesen Branchen zugute kommen soll. Dies sind auch die Branchen, die - im Unterschied etwa zum Einzelhandel - jetzt darangehen, die tarifvertraglich geregelte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall aufzukündigen. Wir werden genauer prüfen müssen, inwieweit in diesen Branchen tatsächlich eine generelle Kostenkrise existiert. Und falls dies der Fall ist, ob sich dieser Kostenwettbewerb überhaupt gewinnen läßt und welche - auch ökologischen - Innovationschancen in diesen Branchen verpaßt werden, schließlich, welche Rolle Vermachtung in diesen Branchen spielt.

-- Die dritte Gruppe kann als Modernisierungsflügel charakterisiert werden. Dies sind diejenigen Industriezweige und Unternehmen, die ausreichend große Technologievorsprünge haben und deren Produkte wegen ihrer spezifischen Qualität und nicht in erster Linie wegen ihres niedrigen Preises gekauft werden. Dazu zählen Bereiche der Elektronikindustrie, des Maschinenbaus, bestimmte Dienstleister und Kommunikationstechnologien, wenn auch längst nicht mehr alle. Auf diese Gruppe zielt die Bundesregierung vor allem, wenn sie formuliert: "Ähnlich wie in den 80er Jahren ist ein erneuter technologischer Aufbruch der Unternehmen dringend erforderlich. Die Wirtschaft muß deshalb ihre Strategien überprüfen und die Forschungsaufwendungen steigern" (Bundesregierung 1993, 16). Durch die Entwicklung von Zukunftstechnologien soll das wirtschaftliche Fundament der modernen Industriezweige vergrößert werden, dazu zählen aus der Sicht der Bundesregierung vor allem: "Biotechnologie, Informationstechnik, Hochleistungswerkstoffe, Umwelttechnologien". Offensichtlich ist das politische Gewicht dieser Gruppe ziemlich schwach. Denn wie anders wäre es zu erklären, daß ausgerechnet Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie von der Bundesregierung sträflich vernachlässigt werden und der sogenannte "Zukunftsminister" auch in diesem Jahr erhebliche Kürzungen in seinem Haushalt hinnehmen muß. Diese Kürzungen erfolgten auch und vor allen Dingen bei den Zukunftstechnologien Informationstechnik und Umwelttechnik, während gesellschaftlich umstrittene Technologielinien wie die Gentechnik in besonders hohem Maße gefördert werden. Unabhängig von der Bewertung dieser Technologien ist hier festzustellen: Diesen Branchengruppen würden weniger allgemeine Kostensenkungen helfen als vielmehr eine gezielte Industriestrukturpolitik. Innovationsfreundliche Rahmenbedingungen, die Einführung von Ökosteuern und hohe Umweltstandards sind bei dieser Gruppe eher positive Wettbewerbsfaktoren.

Interessant ist auch, welche Branchen und Wirtschaftszweige in der Standortdebatte kaum zu Wort kommen oder nicht der Erwähnung wert scheinen. Da ist zum ersten die sogenannte Umwelttechnikindustrie (Maschinenbau, Meß- und Regeltechnik, Elektroindustrie, Chemieindustrie, regenerative Energieerzeugung) zu nennen. Sie ist in Deutschland eine Wachstumsbranche par excellence, die durch einen kostenmotivierten Abbau von Umweltstandards eher Verluste denn Gewinne erleiden würde. Übertönt werden auch andere ökologienahe Branchen, wie beispielsweise der Waggonbau, die Gas- und Wasserwirtschaft, Teile des Handwerks, Umweltdienstleister und viele andere eher für den Binnenmarkt produzierende kleine und mittlere Unternehmen. Ihrer Stimme muß nicht zuletzt aus beschäftigungspolitischen Gründen mehr Gewicht verliehen werden. Auch deshalb hat die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen einen Schwerpunkt ihrer Wirtschaftspolitik auf die Thematisierung von Problemen in diesen Branchen und Betriebsgrößen gelegt.

Völlig unterbelichtet bleibt in der Standortdebatte, welche Chancen ein "Bündnis für Arbeit und Umwelt" bieten würde. Wir haben als Fraktion versucht, diesen Aspekt in den Frühjahrsdebatten unterzubringen, müssen jedoch feststellen, daß wir mit unserer Botschaft nicht durchgedrungen sind. Und obgleich wir mittlerweile mit den Gewerkschaften in Fragen einer ökologisch-sozialen Steuerrefom an einem Strang ziehen (siehe die gemeinsame Erklärung der Bundestagsfraktion und der IG Agrar-Bauen-und Umwelt), werden alternative Wege vielfach überlagert von interessengeleitetem Getöse in der Standortdebatte.

Ostdeutschland - in der Standortdebatte verdrängt

Die Ergebnisse der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zu den Fragen der Standortdebatte sind widersprüchlich und eignen sich nicht zur Legitimation der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Sie geben allerdings auch wenig zur Beantwortung der eingangs genannten Zukunftsfragen her. Kaum beachtet wird, daß beinahe alle Industriestaaten vergleichbare Standortdebatten führen.6 Ein offenkundiger Mangel ist jedoch, daß bei diesem Diskurs zumeist die erheblichen Standortschwächen der ostdeutschen Bundesländer kaum Erwähnung finden. Die Standortdebatte hat Westdeutschland fest im Blick.

Dabei macht sie gerade für Ostdeutschland Sinn. Wenn angebotsorientierte Einflußfaktoren für die Erklärung dauerhafter Entwicklungsschwächen herangezogen werden können, dann für Ostdeutschland. Dies wird leider auch in der bündnisgrünen Debatte häufig vergessen.

Trotz massiven Arbeitsplatzabbaus in allen Sektoren und immer noch deutlich niedrigerer Reallöhne der ostdeutschen im Vergleich zu den westdeutschen Beschäftigten, haben die ostdeutschen Unternehmen das Problem der Lohnkosten bislang nicht in den Griff bekommen. Gemessen an den Lohnstückkosten hat es sich seit 1993 in einigen Bereichen sogar wieder verschärft. Die Lohnstückkosten waren im Vergleich zu 1993 im Jahr 1995 im verarbeitenden Gewerbe auf 91,2 Prozent (1994: 89,8%) gesunken, im Handel auf 88,1 Prozent (1994: 85,6%). Im gleichen Zeitraum ist es den vergleichbaren westdeutschen Sektoren gelungen, ausgehend von erheblich niedrigerem Niveau die Lohnstückkosten deutlich stärker zu senken, im verarbeitenden Gewerbe auf 68,7 und im Handel auf 70,3 Prozent. Gemessen an diesem Kriterium hat sich die Wettbewerbsfähigkeit wichtiger ostdeutscher Sektoren gegenüber westdeutschen Konkurrenten in den vergangenen Jahren wieder verschlechtert.

Die in der öffentlichen Debatte häufig geäußerte Behauptung, hierfür seien allein zu hohe Lohnsteigerungen im Osten verantwortlich, verzerrt die Tatsachen. Genauso wie die Erhöhung von Lohnkosten die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen kann, so kann auch eine schwache Wettbewerbsposition (aufgrund mangelnden Eigenkapitals, hoher Konjunkturanfälligkeit, zu geringer Innovation etc.) mit der Folge geringer Kapazitätsauslastung die Lohnstückkosten in die Höhe treiben. Einseitige Schuldzuweisungen an die Arbeitnehmer sind also fehl am Platze. Dennoch sind die hohen Lohnstückkosten Indikator einer nach wie vor bestehenden und sich teilweise sogar verschärfenden Wettbewerbsschwäche der ostdeutschen Wirtschaft. Hinzu kommt, daß die Betriebskosten in Ostdeutschland auch durch höhere Energie-, Wasser- und Abwasserkosten in die Höhe getrieben werden. Ohne verbesserte Kostenstrukturen ist also eine wirtschaftliche Angleichung Ostdeutschlands nicht zu erreichen.

Die ostdeutschen Unternehmen leiden unter einem besonderen Mangel an Eigenkapital. Dies hat eine Beschränkung ihrer Fähigkeit zur Aufnahme von Fremdkapital und damit insgesamt eine eklatante Finanzierungsschwäche zur Folge. Die im Eckpunktepapier der Fraktion zur Mittelstandspolitik getroffenen Feststellungen und entwickelten Konzeptionen sind für die ostdeutsche Wirtschaft daher von besonderer Bedeutung. Der Aufbau funktionsfähiger Märkte für Risiko- und Beteiligungskapital wird jedoch nur dann zu einem ausreichenden Zufluß von Kapital in die neuen Länder führen, wenn dort die Gewinnaussichten auf längere Sicht signifikant besser sind als an anderen Standorten. Dies ist derzeit nicht der Fall. Ein Abbau eigenkapitalersetzender Kreditprogramme zugunsten des Aufbaus privater Beteiligungsmärkte könnte unter dieser Voraussetzung durchaus auch zu Lasten Ostdeutschlands gehen.

Die ostdeutsche Wirtschaft liegt nach dem drastischen Abbau der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten (F&E) in den vergangenen Jahren auf einem gefährlich niedrigen Niveau. So lag die ostdeutsche Wirtschaft 1993 in ihrer F&E-Intensität mit Abstand hinter der westdeutschen zurück: Von 100 Erwerbstätigen waren 1993 in ostdeutschen Unternehmen 0,5 Prozent mit F&E-Tätigkeiten beschäftigt (Westdeutschland: 1,2 %). Bezogen auf die Bruttowertschöpfung betrugen die F&E-Aufwendungen in ostdeutschen Unternehmen im gleichen Jahr 0,9 Prozent (Westdeutschland: 2,3%). Entsprechend niedrig ist die Zahl ostdeutscher Patentanmeldungen. Pro 10<%10>0<%0>000 Einwohner wurden im Jahr 1995 von ostdeutschen Antragstellern 16,7 und von westdeutschen 54,0 Patente angemeldet.

Die Ursachen hierfür liegen sicherlich teilweise in Problemen der Finanzierung von besonders risikobehafteten Forschungsinvestitionen. Mitverantwortlich ist allerdings auch die Konzentration ostdeutscher Anbieter auf Erzeugnisse mit niedrigem F&E-Anteil.

Der Osten Deutschlands hat eindeutig ein akutes Standortproblem. Die Kosten sind zu hoch, die Produktivität ist zu niedrig, Innovationspotentiale sind weitgehend abgewickelt. Die Wirtschaft wird mit massiven finanziellen Transfers am Leben erhalten und ist dennoch zumeist nicht fähig, im überregionalen Wettbewerb mitzuhalten.

Mehr und mehr scheint sich allerdings die Sichtweise durchzusetzen, der Osten sei ein Standortproblem. Die jährlichen Transfers von etwa 150 Milliarden DM belasten die deutsche Volkswirtschaft insgesamt. Was anfangs ein gigantisches Konjunkturprogramm für den Westen war, verwandelte sich binnen kurzem in ein drückendes Abgaben- und Schuldenproblem. Deshalb liegt der Aufbau Ost auch im vitalen Interesse des Westens. Der Abbau des Solidaritätszuschlages - das Wahlgeschenk an die FDP - ist daher das falsche Zeichen.

Der wichtigste Markt für ostdeutsche Unternehmen ist immer noch Ostdeutschland selbst. Die Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes haben erhebliche Schwierigkeiten, auf den westdeutschen und den internationalen Märkten Fuß zu fassen. Ein besonderes Problem stellen hierbei die hohen Anforderungen von Großabnehmern dar. Den meisten ostdeutschen Unternehmen fehlen nach wie vor die notwendige Größe und Leistungsfähigkeit, um diesen Ansprüchen zu genügen. Verstärkt stellt sich - angesichts weithin ungenügender Wettbewerbskontrolle - das Problem auf vermachteten Märkten.

Es liegt auf der Hand, daß eine Volkswirtschaft nicht in allen Bereichen und für jeden Produktionszweck gute Standortbedingungen aufweisen kann. Für welchen konkreten Standort sich ein Unternehmen entscheidet, hängt, jenseits von konkreten Kosten- oder Absatzerwägungen, auch von den Wechselwirkungen zwischen Stärken und Schwächen ab. Nicht jeder Standort weist in allen Bereichen die gleichen Stärken auf. Häufig kann eine Schwäche in dem einen durch eine Stärke in einem anderen Bereich ausgeglichen werden. Wichtig sind auch die "weichen Standortfaktoren": Wohnqualität, Umweltqualität, Freizeit- und Kulturangebot sind Faktoren, die sehr wohl die Standortentscheidungen von Unternehmen beeinflussen. Fehlt es an "weichen Standortfaktoren", wird es eine Region schwerer haben, im Konkurrenzkampf um Ansiedlungen zu bestehen. Dies hat nicht zuletzt der mäßige Erfolg der fünf neuen Bundesländer bei der Unternehmensansiedlung gezeigt.

Die Phase der Transformation der DDR-Wirtschaft und ihrer Unternehmensstrukturen geht zu Ende. Jetzt geht es darum, daß aus den neu entstandenen Unternehmen eine genügend große Anzahl innovativer und überregional wettbewerbsfähiger Unternehmen erwächst. Eine Schlüsselrolle kommt dabei den exportorientierten Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes zu.

Für Ostdeutschland kommt gegenwärtig in erster Linie eine angebotsorientierte Wirtschaftsförderung in Frage. Eine weitere Verbesserung der Infrastrukturbasis auch im Sinne der Verbesserung "weicher Standortfaktoren", Strategien der Bestandspflege und -sicherung sowie Förderung weiterer Unternehmensgründungen sind die richtigen Ansatzpunkte. Dabei sollte sich die Wirtschaftsförderung auf die Förderung des verarbeitenden Gewerbes und produktionsnaher Dienstleistungen konzentrieren.

Wichtig ist dabei, daß die Wirtschaftsförderung auch in den wirtschaftlich aussichtsreicheren Räumen mit vergleichsweise guter Infrastruktur und großer wirtschaftlicher Aktivität auf hohem Niveau weitergeführt wird.

Der Gedanke des interregionalen Nachteilsausgleichs innerhalb der neuen Länder muß gegen die Zielsetzung einer Angleichung von Leistungsfähigkeit und Lebensbedingungen der neuen Länder insgesamt gegenüber den alten Ländern abgewogen werden. Folgt man der bisher gültigen Förderkonzeption der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, so wird ab dem kommenden Jahr die Förderpräferenz für die leistungsfähigsten ostdeutschen Regionen gegenüber den besonders schwachen Regionen Ostdeutschlands abgesenkt. Damit würden die Förderpräferenzen den schwächeren westdeutschen Regionen angenähert. Soll jedoch Ostdeutschland als ganze Großregion Anschluß an den Westen bekommen, muß beispielsweise der Raum Halle/Leipzig am Rhein-Main-Gebiet oder Berlin an Hamburg gemessen werden.

Mit dieser Überlegung werden Konfliktlinien angesprochen, die wir thematisieren und nicht zudecken sollten. Sie verlaufen sowohl zwischen den Regionen im Osten als auch zwischen dem Osten Deutschlands insgesamt und jenen westdeutschen Regionen, die ebenfalls stark negativ durch wirtschaftlichen Strukturwandel beeinflußt werden.

Es ist an der Zeit, diese Konflikte zu thematisieren mit dem Ziel, die regionale Wirtschaftsförderung auf eine neue Grundlage zu stellen. In diesem Zusammenhang ist auch zu überlegen, ob und wie die Strategie der ökologischen Modernisierung insbesondere auch für Ostdeutschland mit der räumlichen Nähe zu den mittel- und osteuropäischen Staaten eine Chance sein kann.

Handlungsspielräume der Wirtschaftspolitik in einer globalisierten Welt

Global denken - lokal handeln. Diese Devise wirkt angesichts der Globalisierungsdebatte etwas anachronistisch. Sitzen wir in der Globalisierungsfalle, beschränkt auf vornehmlich lokale und nationale Handlungsmöglichkeiten? Muß es nicht heute heißen: Lokal handeln - global mitwirken und die dafür notwendigen Handlungsräume gestalten?

Globalisierung ist keine gänzlich neue Entwicklung, sie hat sich jedoch seit Ende der 80er/Anfang der 90erJahre beschleunigt. Die Ausgangsbedingungen für neue räumliche Orientierungen in der internationalen Arbeitsteilung Anfang der 90er Jahre unterscheiden sich deutlich von jenen Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre. Durch die Umbruchsituation in den mittel- und osteuropäischen Staaten (MOE-Staaten) sind die westeuropäischen Länder, vor allem jedoch die Bundesrepublik heute mit einer Situation konfrontiert, in der in unmittelbarer räumlicher Nähe ein großes Potential ausgebildeter Arbeitskräfte verfügbar ist. Hinzu kommt, daß wir auf eine bereits entwickelte Industrietradition treffen. Die kulturellen Muster - wenn auch in Teilen unterschiedlich - entsprechen denen Westeuropas stärker, als dies bei den südostasiatischen Schwellenländern und der sogenannten "Dritten Welt" in den 70er Jahren der Fall war.

Wirklich problematisch ist nicht der internationale Handel, sondern die Internationalisierung der Finanzmärkte7, da diese die makroökonomischen Steuerungsmöglichkeiten der Nationalstaaten einschränkt. Deshalb ist es auch richtig, daß wir uns verstärkt mit den Möglichkeiten und Grenzen internationaler Kooperation als einem Mittel zur Wiedergewinnung wirtschaftspolitischer Steuerungsmöglichkeiten auseinandersetzen. Damit ist jedoch noch nichts darüber ausgesagt, welche Richtung wir dabei einschlagen. Die unterschiedlichen Auffassungen zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, die von einigen Mitgliedern der Europafraktion vorgetragene Skepsis gegenüber dem Termin für die Einführung des Euro, sollten jedoch Gegenstand von Positionsklärungen der nächsten Monate sein. Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Europäischen Union gerade in wirtschaftspolitischen Fragen ist es auch erforderlich, daß sich die Wirtschaftspolitik der Bundestagsfraktion verstärkt des Themas Europäische Wirtschaftspolitik annimmt.

Die Behauptungen der Bundesregierung, nach denen Arbeitslosigkeit mit dem "Auftreten neuer leistungsfähiger Nationen auf dem Weltmarkt" erklärt werden könne, wird nicht bewiesen und ist wohl auch nicht beweisbar. Immerhin sind diese Nationen die besten Kunden gerade der westdeutschen Investitionsgüterhersteller. Hinter dieser Argumentation steht das Konzept "der Wettbewerbsfähigkeit von Nationen". Zu Recht warnt der amerikanische Ökonom Paul Krugmann davor, daß eine unreflektierte Verwendung dieses Begriffes zu einer "gefährlichen Wahnvorstellung" werden könne (Krugmann, 1996). Er weist darauf hin, daß die meisten Verfechter dieses Konzepts wollen, daß ihr Land im globalen Handelsspiel gewinnt und wirft die Frage auf:

"Was aber geschieht, wenn ein Land trotz aller Anstrengungen nicht zu gewinnen scheint bzw. nicht mehr an einen möglichen Sieg glaubt? Dann folgt aus der Theorie der Wettbewerbsfähigkeit unweigerlich, daß es besser ist, die Grenzen zu schließen als das Risiko einzugehen, daß Ausländer in hochbezahlte Jobs und Bereiche mit hoher Wertschöpfung eindringen."

Ergänzend zu den von Krugmann beschworenen Gefahren könnte man eine weitere nennen: Die Wahrnehmung anderer Wirtschaftsregionen als Konkurrenten um einen begrenzten Weltmarktkuchen und knappes Investitionskapital (hier wird offenbar die Weltwirtschaft als Nullsummenspiel verstanden) führt dazu, daß ein Steuersenkungs- und Subventionswettlauf um dieselben Kapitalgeber und dieselben Märkte und Technologien stattfindet, bei dem Milliarden von Steuergeldern zu Lasten der Einkommen breiter Bevölkerungsschichten heute und zu Lasten der künftigen Generationen vergeudet werden. Diesen - sehr praktischen - "Wahnwitz" müssen wir in der Tat zum Thema machen und nach geeigneten Instrumenten zur Begrenzung dieser Entwicklung suchen.

Die Handlungsmöglichkeiten hierfür - vor allem innerhalb der EU - sind beileibe nicht ausgeschöpft. Nach der Öffnung des europäischen Binnenmarktes und mit der Einführung des Euro müssen nun endlich auch die Defizite europäischer Wirtschafts- und Steuerpolitik geschlossen werden. Auf der Maastricht-II-Konferenz müssen die Weichen in diese Richtung gestellt werden.

Es wäre verfehlt, die mittel- und osteuropäischen Staaten - zum großen Teil EU-Beitrittskandidaten - vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der "Niedriglohnkonkurrenz" wahrzunehmen. Zwar sind lohnkostenbedingte Produktionsverlagerungen durch Direktinvestitionen, Lohnveredlung oder global sourcing in der Regel direkt mit einem Arbeitsplatzabbau in Deutschland verbunden. Vermeidbar wäre dieser Arbeitsplatzexport jedoch nur dann, wenn die Produktion alternativ auch im Inland rentabel, also zu den im Inland geltenden Löhnen durchgeführt werden könnte und die damit einhergehende Produktivitätssteigerung nicht ebenfalls von den sogenannten Niedriglohnländern nachvollzogen werden könnte.

Für viele Menschen in den Transformationsökonomien bedeutet diese Entwicklung, daß sie in die Lage versetzt werden, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Ihren Volkswirtschaften erwächst hieraus der Vorteil der Devisenerwirtschaftung, die wiederum für den Kauf benötigter Investitionsgüter aus den kapitalexportierenden Staaten genutzt werden kann. Auch für die VerbraucherInnen bringt dieser Trend zunächst einmal Vorteile, weil Massenerzeugnisse billiger produziert und angeboten werden.

Das Problem dabei ist jedoch, daß häufig der Abbau in den nicht wettbewerbsfähigen Bereichen viel schneller vorangeht als die Expansion in den anderen Teilen der Wirtschaft. Hinzu kommt, daß in den expandierenden Sektoren nicht unbedingt Verwendung besteht für die in den traditionellen Bereichen Beschäftigten oder daß es zu regionalen Ungleichgewichten zwischen schrumpfenden und wachsenden Bereichen kommt. Problematisch ist dieser Trend vor allen Dingen dann, wenn formal niedrig qualifizierte Arbeitskräfte betroffen sind, weil diese zunehmend weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhalten und weil eine Strategie der Höherqualifizierung nicht für alle gleichermaßen geeignet ist.

Damit kommen wir zurück zu den Handlungsmöglichkeiten auf nationaler Ebene. Es wäre fatal, wollten wir jetzt nur noch internationale Wirtschaftspolitik diskutieren. Die Aufgabe besteht vielmehr auch darin, bislang unterbelichtete Aspekte in der Globalisierungsdebatte hervorzuheben und unter Beschäftigungsaspekten auch den Blick auf die vernachlässigten Bereiche einer binnenmarktorientierten Wirtschaftsentwicklung zu richten.

Neben dem Trend zur Globalisierung sollten wir den Trend zur Regionalisierung verstärken. Dieser zeichnet sich vor allem durch Qualitätsproduktion langlebiger, reparierbarer, wiederverwertbarer und entsorgungsfreundlicher Produkte aus. Ihm wollen wir mit der ökologisch-sozialen Steuerreform zusätzliche Schubkraft verleihen. Auch die Umweltgesetzgebung beispielsweise im Bereich der Abfallgesetzgebung könnte Regionalisierungstendenzen unterstützen. Denn Reparaturen, Wiederverwertung und Entsorgung hängen von Netzwerken und Synergien ab, die sich bevorzugt dort bilden, wo auch Bedarf vorhanden ist. Die räumliche Nähe von Produktion, Distribution und Entsorgung ist günstig für die Herausbildung regionaler Wirtschaftskreisläufe. Mehrweg- und Rücknahmesysteme verlangen Angebote in räumlicher Nähe zum Verbrauch. Die VerbraucherInnen sind zunehmend sensibilisiert für die Folgen eines (Straßen-)Transportes frischer Waren über längere Strecken hinweg, weshalb die Entwicklungschancen regionaler Produzenten zusätzlich von der Nachfrageseite verbessert werden. Ohnehin sind der Globalisierung des Warenverkehrs Grenzen gesetzt, beispielsweise durch den Zeitfaktor (Frische von verderblichen Waren und Lebensmitteln, Lieferzeiten und -pünktlichkeit usw.), durch ungünstige Gewichts-/Volumen-Wert-Verhältnisse oder allseitige Verfügbarkeit (Kies lohnt weite Transporte nicht, Wasser und Luft ist fast überall vorhanden) oder durch die Standortbindung von Produktionsfaktoren (Arbeitskräfte, Rohstoffe, Energiequellen). Und schließlich gibt es eine ganze Reihe von Dienstleistungen, die niemals internationalisiert werden können. Die Arbeit im öffentlichen Personennahverkehr beispielsweise oder andere personengebundene Dienstleistungen. Der Entwicklung des ortsgebundenen Dienstleistungssektors muß deshalb in wirtschaftspolitischen Konzeptionen eine wesentlich größere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

Der Wettbewerb der Nationen findet praktisch längst statt. Die Standortdebatte liefert hierzu die Begleitmusik. Die Entwicklungen in den USA und Großbritannien zeigen, wo die Strategien ungezügelter Deregulierung und Kostensenkung hinführen: zur Aufkündigung von Sozialstaatlichkeit und Umweltverantwortung. Sie zeigen aber auch, wo sie nicht hinführen. Sie führen nicht zu nachhaltig verbesserter Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und schon gar nicht von Volkswirtschaften.

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Um Mißverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich wissen wir um die Begrenztheit der Tragfähigkeit der ökologischen Systeme und selbstverständlich muß sie bei der Formulierung bündnisgrüner Wirtschaftspolitik mitbedacht werden.

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Dessen ungeachtet sind die Proteste gegen die einseitige Wirtschaftspolitik der Bundesregierung richtig und wichtig. Wir kritisieren deshalb die zunehmende verteilungspolitische Schieflage, die nicht zuletzt durch die verfehlte Finanzpolitik der Bundesregierung ausgelöst wurde. Auch aus diesem Grund arbeitet die Bundestagsfraktion an Modellen einer sozial gerechten und familienfreundlichen Einkommensteuerreform und einer bedarfsorientierten Grundsicherung.

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Lohnstückkosten sind die umfassendste Meßgröße für die Veränderung der Kostenbelastung einer Wirtschaft. Sie berücksichtigen sowohl die gesamten Arbeitskosten als auch die Arbeitsproduktivität. Sie werden definiert als Einkommen aus unselbständiger Arbeit je Beschäftigten und dividiert durch die reale Bruttowertschöpfung je Beschäftigten (= Arbeitsproduktivität).

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Unter dem "first-mover-advantage" verstehen wir hier die in den Wirtschaftswissenschaften häufig vertretene These, derzufolge sich jene Unternehmen einen Wettbewerbsvorsprung auf den Weltmärkten verschaffen, die bereits auf ihrem Heimatmarkt erfolgreich unter Beweis gestellt haben, daß sie für neuartige Probleme neue Lösungsmöglichkeiten anzubieten haben.

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Kristin Heyne: Solidarisch Sparen - Grundlagen für eine nachhaltige Haushalts- und Finanzpolitik, in: Infobrief Nr. 3 des AK I der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Debattenbeiträge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik, Ausgabe zum Strategiekongreß "Perspektiven grüner Wirtschafts und Sozialpolitik".

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So läßt in Japan die Aufwertung des Yen gegenüber den meisten anderen Währungen die Befürchtung aufkommen, daß die Wettbewerbsfähigkeit japanischer Unternehmen auf dem Weltmarkt nachlassen könnte. In den USA hingegen, die ein bemerkenswertes "Beschäftigungswunder" verzeichnen konnten, läßt die schlechte Ausbildung der Arbeitskräfte, die vergleichsweise geringe Arbeitsproduktivität und die Binnenmarktorientierung amerikanischer Unternehmen die Befürchtung aufkommen, dem internationalen Wettbewerb nicht gewachsen zu sein.

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Zwischen der Internationalisierung der Produktion und der Internationalisierung der Finanzbeziehungen besteht allerdings ein enger Zusammenhang, der jedoch an dieser Stelle nicht behandelt werden kann.