Die Macht der Banken und die Macht der Öffentlichkeit

Ein aufklärender Konflikt in Rußland

Erhard Stölting

Im August und September 1997 war es zum Kampf der Giganten gekommen: Die Ankündigung der Regierung, sie wolle 25 Prozent des russischen Telekommunikations-Unternehmens "Swjasinvest" privatisieren, hatte ihn ausgelöst: Kontrahenten waren Wladimir Potanin, der Direktor und Teilhaber der "Oneksimbank" auf der einen Seite, seine Konkurrenten und ehemaligen Mitstreiter von den übrigen Großbanken auf der anderen Seite, vor allem die Finanz- und Medienkönige Boris Beresowskij und Wladimir Gusinskij. Potanin fühlte sich mächtig genug, der verbündeten Kraft der anderen zu trotzen.

Bisher hatten die Bankenriesen große Privatisierungen in aller Stille und freundschaftlicher Kooperation oder stillem Haß miteinander ausgehandelt. Das dahinter steckende Prinzip bestand darin, einen privilegierten Zugang zu staatlichen Geldern zu suchen, Märkte so aufzuteilen, daß sie störungsfrei konstanten Gewinn abwerfen. Wirtschaftliche Aktivität besteht nicht in Produktion, Transport und Verkauf, sondern im Abzocken.

Dimensionen dieser Marktförmigkeit lassen sich etwa am Autohandel Beresowskijs verdeutlichen. Seit 1970 produziert die Firma AwtoWAS in Togliatti Ladas. 1996 waren es 670.000 Stück. Das Werk ist zu 98 Prozent ausgelastet. Das Auto verkauft sich nicht deswegen gut, weil es ein technisches Meisterwerk wäre, sondern weil es erstens dem russischen Klima und den russischen Straßen angepaßt ist und weil zweitens Zölle auf Importwagen extrem hoch sind. Dennoch hat die Firma etwa drei Milliarden Dollar Schulden. Das liegt nicht nur am konfiskatorischen Steuersystem; ohne es wären die Schulden nur um eine Milliarde niedriger.

Der Grund ist eine spezifische Art der Privatisierung: Seit Beginn der Wirtschaftsreformen ist AwtoWAS systematisch ausgeplündert worden. Die Schulden der Firma wuchsen gigantisch an, während Manager, Autohändler, Mafiosi und Politiker an der Firma reich wurden. Einer der klügsten Absahner war Beresowskij. Seine Autohandelsfirma LogoWAS ist eine privatisierte ehemalige Tochter von AwtoWAS. LogoWAS erhielt Autos, hatte aber dreißig bis neunzig Tage Zeit, seine Rechnungen zu begleichen. Manchmal zahlte Beresowskij nicht einmal in dieser Zeit. Überdies hatte er Sonderkonditionen. Er verkaufte so preisgünstig, daß andere Großhändler bei ihm und nicht mehr beim Werk einkauften. Das kann nicht ohne saftige Schmiergelder für die gefälligen Manager geklappt haben.

LogoWAS war nicht die einzige Firma, die an dem gigantischen Karussell von Vergeudung, Ineffizienz und Korruption verdiente. Aber sie machte Beresowskij zu einem der reichsten Männer Rußlands.

Der Reichtum des 36jährigen Wladimir Potanin war nicht nach grundsätzlich anderen Prinzipien zustande gekommen. Sein Studium hatte er an dem Moskauer Institut für Internationale Beziehungen absolviert, eine Elite-Institution, die ihm auch in sowjetischer Zeit eine gute Karriere garantiert hätte. 1992 gründete er seine eigene Bank, die Internationale Finanzgesellschaft (MFK). Als Präsident der MFK beteiligte er sich ein Jahr später an der Gründung der Oneksimbank (Objedinjonnyj eksportno-importnyj bank - Vereinigte Import-Export-Bank). Er wurde auch deren Präsident. Sein eigener Aktienanteil liegt zwischen fünf und zehn Prozent, in einer Größenordnung von etwa 40 Millionen Dollar. Unterstützt wurde die Gründung der Oneksimbank vom damaligen Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Finanzminister Boris Fjodorow und angeblich auch von Ministerpräsident Tschernomyrdin. Die Oneksimbank wuchs rasch. 1995 verdoppelte sich die Zahl der Aktionäre. Anteile erwarb die staatliche Firma Roswoorushenije, die den größten Teil der offiziellen Rüstungsexporte abwickelt, der Konzern Norilsk Nikel und die sibirische Öl- und Gasgesellschaft Surgutneftgas.

Im März 1995 erfand Potanin die sogenannten "Pfand-Auktionen": Die Regierung ließ Aktienpakete von Staatsbetrieben versteigern. Sie kamen dann als Pfand zu den Geschäftsbanken, die dem Staat Kredite gewährt hatten. Konnte der Staat die Kredite nicht zurückzahlen, fielen die Aktienpakete den Geschäftsbanken zu. Auf diese Weise erwarb die Oneksim-Bank im Dezember 1995 mehr als 38 Prozent der Norisk-Nikel-Aktien als Pfand und wenig später 34 Prozent der Aktien der sibirischen Ölgesellschaft Sidanko. Oneksim war seither sehr staatsnahe: Sie verwaltete bis September 1997 die Konten der staatlichen Zollverwaltung. So erhöhte sie ihre Liquidität und konnte Kredite vergeben, vor allem auch an die russische Regierung selbst. Darüber hinaus erhielt sie Lizenzen für die Betreuung von Spezialexporteuren von Waffen, Buntmetallen, Öl und anderen Rohstoffen. Über die Oneksimbank soll auch der Verkauf von MiG-29-Kampfjägern an Malaysia abgewickelt worden sein. Siebzig Millionen Dollar aus diesem Vertrag trafen angeblich niemals in Rußland ein.

Nach der Wiederwahl Jelzins war Potanin Stellvertretender Ministerpräsident geworden. Das Amt eines stellvertretenden Ministerpräsidenten ist offenbar nützlich, weil es hilft, einflußreiche Beziehungen zu knüpfen. Auch der Lada-Chef Kadannikow war Stellvertretender Ministerpräsident. Nachdem Potanin im Frühjahr 1997 wieder aus der Regierung ausgeschieden war, kehrte er auf seinen Chefsessel bei der Oneksimbank zurück. Sein Reichtum und seine Macht waren so weit angewachsen, daß er glaubte, den Kampf um die Vorherrschaft wagen zu können. Beide Seiten waren vorbereitet. Die Bühne waren die Medien, die den Beteiligten gehörten. So konnte das interessierte Publikum zuschauen.

Die Kampfansage von Potanin bestand darin, daß die Versteigerung der Swjasinvest-Aktien diesmal öffentlich und ohne geheime Absprachen geschehen sollte. Das war ein Bruch mit den lukrativen Gewohnheiten der Großbanken.

Dieser Bruch paßte zu den Bemühungen der Regierung, der Öffentlichkeit einen moralischen Aufbruch zu demonstrieren. Der Eindruck, der sich verstärkt seit 1993 eingestellt hatte, daß die Grenzen zwischen Regierung, privaten Absahnern und mafiosen Strukturen zuweilen fließend sind, sollte bekämpft werden. Eine moralische Wende war vorzuzeigen.

Symbolisch wichtig dafür war vor allem die Berufung des jungen Gouverneurs von Nishnij Nowgorod, Boris Nemzow, der seine Stadt und sein Gebiet in ein prosperierendes kapitalistisches Wunderland verwandelt hatte, als nichtkorrupt galt und über jenen Charme relativ junger Politiker verfügte, der oft eine neue Ära herbeiführen soll. Politische Unterstützung erhielt er vor allem von seiten der Hochfinanz und der Großunternehmer. Nemzow hatte sich 1989 erstmals in ökologischen Belangen politisch engagiert und sich dann erfolgreich bemüht, die liberalen wirtschaftlichen Konzeptionen von Grigorij Jawlinskij in Nishnij Nowgorod umzusetzen.

Nemzow verkündete öffentlich in Moskau, daß die Zeit der wilden Akkumulation vorbei sei, daß die neuen Reichen und die Bankiers inzwischen so gut abgesichert seien, daß sie, um ihren Reichtum zu sichern, selbst eine politische und wirtschaftliche Zivilisierung des Landes wünschten. Zu dieser Zivilisierung gehöre auch die Entflechtung der Monopole, etwa von Tschernomyrdins Gasprom. Es gehöre aber auch die Öffentlichkeit staatlicher Maßnahmen dazu, wie der Verkauf von Staatsbesitz.

Eine von Nemzows Maßnahmen war die Offenlegung der Gehälter. Sie zeigte rasch die Grenzen möglicher Offenheit. Jelzin gab ein Vermögen von umgerechnet 200.000 Dollar an und ein Einkommen im Jahr 1996 von 46.000 Dollar. Da er nicht in den üblichen Läden einkaufen muß, umsonst reisen kann und umsonst wohnt, vermehrt sich sein Vermögen immer weiter. Der stellvertretende Ministerpräsident Tschubajs gab ein Gehalt von 7.000 Dollar an, dazu kamen 300.000 aus Wertpapiergeschäften, Vortragshonoraren et cetera.

Armselig hingegen lebte, folgt man seinen Angaben, Ministerpräsident Tschernomyrdin. Er verdiente 1996 angeblich nur 8000 Dollar. Zusammen mit seiner Ehefrau besaß er ein Vermögen von 46.000 Dollar. Die Hälfte davon stecke in seinem Häuschen bei Moskau und seinem japanischen Geländewagen. Er besitze auch keine Aktien und habe nichts im Ausland investiert. Damit waren böswillige Gerüchte scheinbar widerlegt, er besitze 1 Prozent des russischen Gasgiganten Gasprom und sei damit der reichste Mann Rußlands; vielleicht war er aber doch nicht ganz offen.

Zur neuen Offenheit und Transparenz gehörte nach Nemzow schließlich auch die Versteigerung der "Swjasinvest". So sah es auch der Erste Stellvertretende Ministerpräsident Anatolij Tschubajs. Wer in offener Auktion am meisten biete, bekomme die Anteile. So komme das Geld zusammen, das der Staat brauche, um unter anderem seine Rückstände bei der Armee zu bezahlen.

Potanin kam die neue Offenheit recht. Seine Oneksimbank schuf das Konsortium "Mustcom Ltd." - mit dem Firmensitz in Zypern. Teilnehmer an diesem Konsortium waren unter anderem die Deutsche Morgan Greenfell, eine Tochter der Deutschen Bank, und der Investmentfonds Quantum, der George Soros gehört. Nemzow wertete den Verkauf als einen Beweis, daß in Rußland nun zivilisierte Geschäftsmethoden Einzug hielten. Staatseigentum werde künftig nicht mehr zu Schleuderpreisen verkauft. Immerhin war damit festgestellt, daß es bislang zu Schleuderpreisen verkauft worden war.

Dem ersten Schlag der Oneksimbank folgte ein zweiter. Anfang August ersteigerte die Gesellschaft "Swift", die die Interessen der Oneksimbank vertrat, für 250 Millionen Dollar 38 Prozent von Norilsk Nikel, einem der größten Nickelproduzenten der Welt.

Die abgedrängten Bankiers hatten zunächst mit einer Medienkampagne gedroht. Tschubajs hatte als Gegendrohung staatliches Eingreifen in Aussicht gestellt. Schließlich zerbrach die Allianz, die sich im Frühjahr 1996 in Davos gebildet hatte. Damals hatten die sieben größten Bankiers auf Betreiben von Tschubajs beschlossen, einen Sieg der Kommunisten bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen zu verhindern. Ihrer geballten Finanz- und Medienmacht war es dann tatsächlich gelungen, Präsident Jelzin wieder zum russischen Präsidenten wählen zu lassen, obwohl seine Chancen eben noch hoffnungslos klein gewesen waren.

Die Allianz von Davos hatte Tschubajs ins politische Rampenlicht und an die Hebel der Macht zurückgeholt. Für die sieben Großbankiers hatte sich der Einsatz bald ausgezahlt. Sie setzten einerseits die Entlassung des einflußreichen Leibwächters Korshakow durch und betrieben die Wiederaufnahme der liberalen Privatisierungspolitik der Epoche von Jegor Gajdar. Andererseits hatten sie nun direkten Zugang zur Regierung: Ihr Vertrauensmann war Anatolij Tschubajs, der bald zum Ersten Stellvertretenden Ministerpräsidenten avancierte. Aber einige drängten selbst in Ämter. Boris Beresowskij etwa wurde stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates und leitete erfolgreich die Waffenstillstandsverhandlungen mit den Tschetschenen. Es war klar, daß die neuen Bankiers ein eigenständiger Machtfaktor geworden waren. Auch Potanin wurde im August 1996 Stellvertretender Ministerpräsident. Als er das Amt 1997 wieder verließ, hatte er seine Einflußfähigkeit erheblich ausbauen können.

Gerade die enge Verflechtung von neuen Reichen und Regierung hatte aber bei der Bevölkerung den Eindruck erweckt, daß die Staatsspitze korrupt sei; der Eindruck war auch nicht in jedem Falle falsch. Aber Informationen dazu gab es in der Presse nur teilweise. Die russischen Bürger mußten, was an Informationen fehlte, wie zu Sowjetzeiten durch Gerüchte ersetzen.

Rußland ist nicht mehr totalitär, aber es ist auch nicht demokratisch. Die oligarchische Herrschaft durchdringt auch die Medien. Aber an den Bruchstellen, die in Konflikten entstehen, werden Rückschlüsse und Einblicke möglich.

Der Umbruch in Rußland hatte auch mit einem schrittweisen Wandel der öffentlichen Berichterstattung seit den späten achtziger Jahren begonnen. Schritt für Schritt mehrten sich kritische Artikel, die zunächst als mutig galten und die den Freiheitsspielraum immer weiter ausdehnten. Schließlich setzten sich in vielen Zeitungen und Zeitschriften liberale und demokratische Journalisten durch. Die Presse wurde lesenswert. Bis 1993 war sie es in besonderem Maße, dann setzten sich die Finanziers durch.

Der Wunsch der liberalen Demokraten waren Zeitungen, die nicht mehr durch außenstehende Mächte zensiert und kontrolliert würden. Die öffentliche politische Rolle der Presse wurde meist sehr ernst genommen. Als Einfluß von außen galt vielfach nicht nur jene Gängelung und Zensur, die in sozialistischer Zeit üblich gewesen war. Es war klar, daß auch die Kontrolle und Einflußnahme durch Privatpersonen die notwendige politische Freiheit einschränken könnte. Die schreibenden Journalisten beanspruchten nun vielfach auch inhaltlich eine weitgehende Freiheit. Ein typisches Phänomen im sowjetischen Pressewesen wurde so die Migration von Redakteursgruppen von einer Zeitung zur nächsten. Immer wieder tauchten neue Zeitungen auf, deren Lebensdauer nicht selten sehr kurz war. Nach 1993 wurden die Zeiten besonders schwer.

Die Konstellation, die in die Enttäuschung führte und sie spiegelte, läßt sich besonders gut an der Nesawisimaja Gaseta ("Unabhängige Zeitung") zeigen, die Ende 1989 von demokratischen Journalisten gegründet worden war. Sie sollte zu der großen liberalen Zeitung Rußlands werden. Ein besonderes Gewicht hatte die beanspruchte Unabhängigkeit. Die Zeitung sollte sich von herrschenden Moden freihalten, und sie sollte ganz unterschiedlichen Ansichten, sofern sie nur mit dem demokratischen Spektrum vereinbar wären, ein Forum bieten. Sie sollte sich nicht nur keiner Partei zuordnen, sondern auch keine spezifischen intellektuellen und politischen Richtungen im Inneren dominant werden lassen. Nesawisimaja Gaseta sollte auch gegensätzliche Meinungen und Interpretationen drucken. Um sich gegenüber privaten Interessen unabhängig zu halten, verzichtete die Zeitung sogar auf Reklame und damit auf eine wichtige Einnahmequelle.

Der Enthusiasmus und die Unterstützung waren zunächst sehr groß. Das Moskauer Stadtparlament, der Mossowjet, gab eine Anschubfinanzierung in Form eines nicht rückzahlbaren Darlehens. Die demokratische Intelligenz spendete. Cheforganisator der Zeitung war Witalij Tretjakow, der innerhalb des Blattes eine rigorose demokratische Diktatur errichtete und so den Widerspruch der anderen Redakteure weckte.

Zunächst war die Nesawisimaja Gaseta erfolgreich und erreichte eine Auflage von 200.000 Exemplaren. Aber die Hoffnungen auf weitere Steigerung und darauf, die liberale Zeitung Rußlands schlechthin zu werden, erfüllten sich nicht. Bis 1997 war die Auflage auf 50.000 geschrumpft. Die Gründe für das nachlassende Interesse hingen mit einer wachsenden politischen Apathie der potentiellen Leserschaft zusammen. Sicherlich gab es auch wirtschaftliche Gründe, die die Existenz der Zeitung gefährdeten. Am wichtigsten aber war sicherlich die politische Ernüchterung, die dem Überschwang gefolgt war, der Eindruck einer vielfach und dunkel verflochtenen Oligarchie ausgesetzt zu sein, die Ohnmachtsgefühle weckte, das politische Interesse erlahmen ließ und zum Rückgang der Leserzahlen führte.

Angesichts der sinkenden Auflage wollten viele Redakteure das Reklameverbot lockern, aber Chefredakteur Tretjakow blieb beharrlich. Fast alle Redakteure für Politik, Wirtschaft und Kultur verließen daher diese Zeitung und gründeten mit der Segodnja ("Heute") eine Konkurrenzzeitung. Gesponsert wurde diese Zeitung durch einen der neuen Finanzmoguln, den Besitzer der Most-Bank, Wladimir Gusinskij. Gusinskij finanzierte auch die Zeitschrift Itogi ("Bilanz"), ein Magazin in der Art von Newsweek, die Boulevardzeitschrift Sem' Dnej ("Sieben Tage"), vor allem aber den Radiosender Echo Moskwy und den Fernsehsender NTW mit seiner Tochter NTW-Plus. Mit Gusinskij wurde schon erkennbar, daß Sponsoren die Unabhängigkeit einschränken. Kritik an der von Gusinskij unterstützten Regierung war nicht mehr möglich. Viele Redakteure, die ursprünglich schon die Nesawisimaja Gaseta verlassen hatten, wanderten nun weiter.

Tretjakow versuchte zunächst, der alten Linie seiner Zeitung treu zu bleiben und lehnte mehrere Sponsorenangebote ab. Schließlich, nachdem die Nesawisimaja Gaseta 1995 vier Monate lang nicht mehr erschienen war, gab auch Tretjakow dem Druck nach. Neuer Sponsor wurde Gusinskijs Konkurrent, Boris Beresowskij, dem auch der Fernsehsender ORT und die Illustrierte Ogonjok gehören.

Auch wenn einige ihrer Redakteure inzwischen nationalistisch argumentieren, ist die Nesawisimaja Gaseta ein Organ der demokratischen Intelligenz geblieben, beziehungsweise jenes Spektrums, das Jelzin, Tschubajs und Nemzow kritisiert. Kritik am Sponsor Beresowskij und seinen Firmen ist allerdings ausgeschlossen. Zu den Pressekonferenzen der Regierung wird die Zeitung nicht mehr zugelassen.

Auch die dritte große Finanzgruppe, die Potanins, hält ihre eigene Presse. Letztlich können sich nur zwei Zeitungen, das Regenbogenblatt Moskowskij Komsomolez ("Moskauer Komsomolze") und die Wochenzeitung Argumenty i Fakty über ihre Einnahmen finanzieren.

Die demokratische Presse Rußlands wird mithin überwiegend von den großen Finanzgruppen am Leben gehalten, die damit einer Kritik weitgehend entzogen sind. Die geringe Transparenz der politischen Entscheidungsprozesse, der Eindruck einer Verquickung politischer, unternehmerischer und krimineller oligarchischer Gruppen ist kaum zu vermeiden. Daß hinter dem Sponsoring ein politischer Wille steht, wird daran deutlich, daß die unterstützten Zeitungen keinen Gewinn abwerfen. Es ist mithin die Möglichkeit der politischen Einflußnahme, also auch der Machtsicherung, die das Geld in die Presse lockt.

Das kann in der Bevölkerung das Gefühl der Hilflosigkeit steigern, zumal auch das Fernsehen den großen Bankiers gehört. Wie überall ist auch in Rußland die Bedeutung des Fernsehens schon deswegen so groß, weil es die meisten Menschen in besonders eindrücklicher Weise erreicht. Eine Regenbogenpresse, wie in westlichen Ländern hingegen, gibt es bislang kaum. Die westliche Tendenz, die Texte zugunsten großer Bilder auf kleine Häppchen zu reduzieren, kontrastiert selbst in populären Zeitungen mit der sich erst langsam auflösenden russischen Tradition langer Artikel.

Die Herrschaft über das Fernsehen hat weitgehend Jelzins Wiederwahl 1996 ermöglicht und seine Interessen mit jenen der großen Finanzgruppen verknüpft. Gegen die geballte Fernseh- und Finanzmacht glauben nur wenige, von unten her etwas ausrichten zu können. Das würde im übrigen rechtsstaatliche Verhältnisse voraussetzen. Der Konflikt um die Swjasinvest war deshalb kein Konflikt zwischen Unten und Oben, sondern einer zwischen Gleichen um die besten Stücke der Torte.

Für einen Augenblick brach die Solidarität der großen Finanziers zusammen. Potanin hatte sich auf solch eine Auseinandersetzung vorbereitet. Seine Oneksimbank hatte zuvor die immer noch bedeutende ehemalige Regierungszeitung Iswestija aufgekauft und störrische Redakteure gefeuert, er hatte sich die Kontrolle über die Komsomolskaja Prawda verschafft und eine neue große Wirtschaftszeitung, den Russkij Telegraf, gegründet.

Gegen Potanin und Nemzow, die für den Verkauf der Swjasinvest-Aktien die Öffentlichkeit und damit die Legalität gegen die bisherigen verdeckten Praktiken hervorgehoben hatten, brachten Gusinskij und Beresowskij ihrerseits die Waffe Öffentlichkeit in Stellung. Die von ihnen kontrollierten Medien griffen nun Potanin und Nemzow frontal an. Der Fernsehsender ORT (Beresowskij) behauptete, daß der Vorsitzende des staatlichen Privatisierungskommitees, Alfred Koch, es zugelassen habe, daß die Swjasinvest-Aktien einer Gesellschaft verkauft würden, hinter denen Personen zweifelhafter Reputation stünden, wie etwa Potanin. Potanin bereite sich sogar schon auf das Präsidentenamt vor, so Beresowskijs Nesawisimaja Gaseta.

Nemzow wehrte sich in der Komsomolskaja Prawda, die zu 20 Prozent der Oneksimbank gehört. Die Besitzer der Fernsehsender ORT und NTV, Beresowskij und Gusinskij, hätten ein Viertel der russischen Telekommunikation aufkaufen wollen. Die russische Regierung wolle aber keine solchen aufgrund von persönlichen Beziehungen ausgehandelten Privatisierungen mehr.

Nun brachten die Gegner Potanins und Nemzows mehr "Kompromat" (kompromittierendes Material) ins Spiel. Der Journalist Sergej Dorenko, vom Fernsehsender ORT (Beresowskij), bezichtigte die Oneksimbank, staatliche Gelder veruntreut zu haben, die für die Sanierung eines Stahlkombinats bestimmt waren. Die Oneksimbank wolle überdies mit ihrem Engagement bei Swjasinvest nur spekulieren und nicht das Telefonnetz ausbauen. Diesem Tenor folgten die anderen Medien, wie der Sender NTV und die Zeitung Segodnja (beide Gusinskij). Auch gegen den Vorsitzenden des Staatlichen Privatisierungskomitees, Alfred Koch, wurde weiteres "Kompromat" veröffentlicht. Es bewies, daß Koch bestechlich war. Er mußte gehen.

Auf der anderen Seite kam es auch zu einem großen Rückschlag für die Oneksimbank. Die beiden Stellvertretenden Ministerpräsidenten, Tschubajs und Nemzow, regten an, alle Konten der staatlichen Zollverwaltung ab Mitte September 1997 in die Nationalbank zu transferieren. Der Oneksimbank standen damit 7,6 Milliarden Dollar weniger für die tägliche Arbeit zur Verfügung. Kredite an den Staat hatte sie teilweise gerade mit diesen Einlagen finanziert und so einen guten Zinsgewinn erzielen können.

Wichtig an dem Zwist der Großbanken, ihrer Medien und ihrer Politiker war, daß gerade in dieser Situation die Kriterien der politischen Öffentlichkeit gestärkt wurden - auch wenn keine der beteiligten Seiten den Konflikt unversehrt überstand.

Überdies war das öffentlich ausgebreitete "Kompromat" authentisch und beweiskräftig. Die Krise machte so einen Teil der großen Korruption des russischen Staates erkennbar.

Trotz aller politischen Apathie der Bevölkerung zeigte sich die Kraft des Prinzips der Öffentlichkeit, in der Entscheidungen sich als gemeinwohlorientiert ausweisen müssen. So sehr sich darin eine Stärkung demokratischer Positionen sehen läßt, so sehr wurde in den überzeugenden Enthüllungen auch erkennbar, wie stark die politischen, die wirtschaftlichen und die kriminellen Oligarchien miteinander verfilzt sind.

Bis in die Details der Argumentationen enthüllte der Konflikt wichtige Aspekte der politischen Herrschaft im heutigen Rußland. Die Gegner von Tschubajs und Potanin kritisierten etwa, die Gefahr bestehe, daß an die Stelle der alten Oligarchie der sieben Großbanken nun ein einziges Monopol trete. Immerhin war das auch ein Eingeständnis, daß es Absprachen zum Zwecke der Bereicherung gegeben hatte. Potanin und seine Medien jubelten darüber, daß nun das System der geheimen Absprachen beendet worden sei.

Der Konflikt zwischen den großen Finanziers kann jederzeit aufflammen, aber bei Gefahr für die Macht auch wieder beigelegt werden. Deshalb sind die oligarchischen Strukturen kaum angreifbar, auch wenn sie in Verteilungskämpfen deutlicher als sonst Konturen gewinnen.

Die kunstvolle Architektur der Macht ist kaum beschädigt worden. Nemzow ist durch die Versuche der Presse von Gusinskij und Beresowskij, ihm Korruption nachzuweisen, kaum beschädigt worden. Neben dem unbeliebten Tschubajs fungiert Nemzow als der Gute, fast Unbefleckte, der Loyalität binden und im Notfall Wählerstimmen mobilisieren soll.

Tschubajs steuert auch weiterhin die Wirtschafts- und Finanzpolitik, Nemzow führt den Rotstift und versucht, den Energiesektor zu entflechten. Beide sind seit dem Sommer Mitglieder des Sicherheitsrats und haben damit die Oberaufsicht über die Armee, das Innenministerium und die Geheimdienste. Beresowskij hatte die Beziehungen zu diesen Gewaltorganisationen schon 1996 als Stellvertretender Sekretär des Sicherheitsrates aufgenommen. Jewgenij Sawostjanow, ein Vertrauensmann der Bankiers aus dem ehemaligen KGB, wurde zum Chefkoordinator der Geheimdienste. Die Finanzelite hat damit Zugang zum russischen Aufklärungsdienst, zur Wirtschafts- und Gegenspionage.

Das bindet die Geheimdienste und die Ordnungsmächte an die Bankiers, und es stärkt deren Macht weiter. Schließlich hat Beresowskij in diesem Jahr sein Imperium weiter vergrößert, er hat sibirische und zentralrussische Ölkonzerne gekauft, sich beträchtliche Mitsprache beim Export kaspischen Erdöls gesichert.

Das Zusammenwachsen der Machteliten kann in der Tat die Verhältnisse in Rußland weiter stabilisieren und ordnen. Tschubajs und Nemzow haben an die Hochfinanz appelliert, den Kampf gegen die Kapitalflucht zu unterstützen und sich für mehr Investitionen in die russische Wirtschaft einzusetzen. Das ist ein Appell zur Zusammenarbeit. Und doch sollen die Großbanken dulden, daß die staatlichen Einkünfte und das staatliche Vermögen nicht mehr von Geschäftsbanken verwaltet werden. Die Konfliktmöglichkeiten sind da. Nur wirkliche Konflikte ermöglichen der Bevölkerung, sich zu informieren. Ohne sie bleibt es bei einem immer dichteren Netz von Vermutungen über das Zusammenspiel von Geheimdienst, kriminellem Filz, Geldmacht, Presse und politischem Einfluß.