Wachstum der Grenzen

Zukunft der Arbeit im Automobilsektor

Peter Strutynski

Der Verkehrssektor, insbesondere der motorisierte Individualverkehr und mithin auch die Automobilindustrie, ist wie kaum ein anderer Sektor der Volkswirtschaft Gegenstand heftigster öffentlicher Kontroversen. Dies hat damit zu tun, daß das Automobil in ganz besonderer Weise der Entwicklung einer umweltverträglicheren Zukunft entgegensteht. Daraus leiten viele Menschen, Umweltverbände, wissenschaftliche Institute, Kirchen, Gewerkschaften und Parteien Forderungen ab, die insgesamt auf eine mehr oder weniger starke Beschränkung seines Gebrauchs abzielen. Andere Menschen wiederum, etwa die Beschäftigten in der Automobilindustrie, Unternehmer und ihre Verbände, andere Parteien und bestimmte Teile der Gewerkschaften befürchten dagegen bei einer "Ökologisierung" des Verkehrs negative soziale Auswirkungen, die katastrophische Ausmaße annehmen könnten.

Zwischen den Kontrahenten der Debatte über den Autoverkehr gibt es kaum noch nennenswerte Differenzen in der Einschätzung der generellen Umweltbelastungen, die vom Autoverkehr ausgehen (vgl. UBA 1997, 86 ff.). Relativ gut abschätzbar bis meßbar sind etwa:

-- der Anteil des Verkehrs an den CO2-Emissionen (rund 20 %),

der Beitrag an der Bildung der bodennahen Ozonkonzentration (2/3 der Vorläufersubstanzen, der Stickoxide N0x und 40 Prozent der flüchtigen organischen Verbindungen VOC),

-- der große Anteil an den kanzerogenen Stoffen Dieselruß, polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) und Benzol (zu mehr als 80 %).

Nicht meßbar, aber von großer gesellschafts- und umweltpolitischer Bedeutung sind darüber hinaus:

-- die gesundheitsgefährdenden Lärmbelastungen durch den Autoverkehr sowie

-- die Verantwortung für erhebliche Natur- und Landschaftszerstörungen durch den Ausbau der autobezogenen Verkehrsinfrastruktur.

Die Reichweite der für notwendig gehaltenen Umweltziele und Maßnahmen sind indessen höchst unterschiedlich, je nach dem (vermeintlichen) Grad der Betroffenheit und/oder je nach Interessenstandpunkt. Ich möchte an dieser Stelle diesen Punkt nicht weiter verfolgen, da er wissenschaftlich nicht entscheidbar ist. Letztlich müssen diese Fragen politisch ausgetragen und entschieden werden. Da allerdings, und so verstehe ich die gutgemeinten und sorgfältig argumentierenden Beiträge des Umweltbundesamts, des Wuppertal Instituts, des Öko-Instituts, des Sachverständigenrats für Umweltfragen und vieler anderer Einrichtungen, kann wissenschaftlicher Sachverstand helfen, umwelt- und sozialverträgliche Wege aufzuzeigen.

Meine knapp gehaltenen Thesen gehen also unausgesprochen von der Notwendigkeit aus, den motorisierten Individualverkehr in seinem Umfang und vor allem in seinem Treibstoffverbrauch einzuschränken. Mein Schwerpunkt wird aber auf der Automobilindustrie und der Zukunft der Arbeit in diesem Bereich liegen.

Die wichtigste Größe in der Diskussion um die Zukunft des Autos und des Verkehrs ist die Größe des Automobilsektors selbst. Wirtschaftliche Prosperität und soziale Wohlfahrt waren in der bundesdeutschen Nachkriegsentwicklung in ganz entscheidendem Maß mit der Entwicklung der Automobilindustrie verbunden. Die prägende Kraft dieses Industriezweigs zeigte sich nicht nur in seiner Bedeutung für den Arbeitsmarkt oder für die Innovations- und Exportfähigkeit des "Standorts Deutschland". Sie zeigte sich ebenso für den Städte- und Siedlungsbau, die Gestaltung ... oder je nach Geschmack: die Verunstaltung ... von Landschaften, für das Mobilitätsverhalten der Menschen oder für die Konsumorientierung und Werthaltung einer ganzen Gesellschaft. Deswegen halte ich auch einen Streit darüber für wenig sinnvoll, ob vom Automobil jeder siebte Arbeitsplatz (wie vom VDA behauptet) oder jeder zehnte (wie es das DIW berechnete, vgl. DIW-Wochenbericht 6/1998), oder sogar nur jeder 23. Arbeitsplatz vom PKW abhängig sein soll (Cames u.a., Hauptgewinn Zukunft, 1998, 17). All diese Rechnereien können ja nicht die ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung des Autos und der ihm dienenden und von ihm lebenden Wirtschaftszweige ernsthaft relativieren. Die Automobilindustrie mit einem Jahresumsatz von 315 Milliarden DM (1997, vgl. VDA 1998, 56) und knapp 700.00 Beschäftigten ist und bleibt auf lange Sicht ein Schlüsselfaktor für Wirtschaft und Beschäftigung in Deutschland.

Es steht also auch sehr viel auf dem Spiel, wenn diese Leitbranche unter Veränderungsdruck gerät. Ein solcher Druck entsteht zur Zeit vor allem aus vier Richtungen: zum ersten gibt es weltweit ... gemessen an der Nachfrage ... erhebliche Überkapazitäten in der Automobilindustrie. Dies macht sich im Augenblick weniger in Deutschland bemerkbar. Dennoch kann es auch hier in absehbarer Zeit zu Standortbereinigungen und -zusammenfassungen kommen.

Zum zweiten sehen sich alle Autohersteller mit einem zunehmenden globalen Wettbewerb konfrontiert. Strategische Allianzen und Kooperationen in bestimmten Geschäftsfeldern gehören schon seit Jahren zu den Reaktionsformen auf diese Situation. Die Fusion von Daimler und Chrysler ist sicher nur ein Vorbote ähnlicher Bestrebungen anderer Branchenriesen. Die Kreditberatungsagentur Moody's Investors Service hat bereits im August 1996 in einer Studie darauf hingewiesen, daß die Weltautomobilindustrie auf eine "Konsolidierungsphase" zusteuere. Vor allem regionale Hersteller und Nischenproduzenten würden ihre Selbständigkeit verlieren. (Moody's Investors Service 1996) In diese Kategorie fällt auch die bevorstehende Übernahme von Rolls-Royce (Vickers) durch VW. Die deutschen Hersteller BMW, Mercedes-Benz und VW werden in derselben Studie eher zu den Konzernen gezählt, die ... wie Ford oder Toyota ... in dem Prozeß des "mergermania" zu den Gewinnern gehören.

Zum dritten kommen die "systemischen" Rationalisierungsprozesse, die mit der Lean-production-Welle über die Automobilindustrie geschwappt sind, noch lange nicht zum Stillstand. Im Gegenteil: Unter verstärkter Einbeziehung des innovativen und kreativen Humanpotentials und unter voller Anwendung der Flexibilisierungsspielräume führen diese Rationalisierungen auch künftig zu wahren "Quantensprüngen" bei der Entwicklung der Arbeitsproduktivität.

Und viertens schließlich ist ... auch ohne Weichenstellung auf eine grundlegende "Verkehrswende" (vgl. Hesse 1995) ... damit zu rechnen, daß verschiedene Umweltauflagen, -richtlinien und -grenzwerte sowie begrenzte Vermeidungs- oder Verminderungsgebote in Zukunft eher zunehmen dürften. Dies erfordert von der Automobilindustrie erhöhte Anstrengungen in Richtung auf Produkt- und Prozeßinnovationen.

Bevor man sich allzu düstere Gedanken macht über mögliche negative Arbeitsplatzeffekte aufgrund restriktiverer umweltpolitischer Ge- und Verbote, lohnt es, einen Blick auf die zurückliegende Entwicklung von Produktion und Beschäftigung in der deutschen Automobilindustrie zu werfen. Alle Autokrisen der Nachkriegszeit waren Folgen der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung. Sowohl die Neuzulassungen als auch in der Regel die Produktionszahlen steigen in "normalen" Zeiten fast kontinuierlich an, um in den Rezessionsjahren zum Teil dramatisch zurückzugehen. Dies war der Fall 1967, 1973/74, 1980 bis 1982 so und während des letzten großen Konjunktureinbruchs 1992 bis 1994. Da die Krisen aufgrund der weltweiten Wirtschaftsverflechtung immer auch die Tendenz haben, in vielen Industrieländern gleichzeitig aufzutreten, entfallen auch die Ausweichmöglichkeiten steigender Exporte. In der ersten Hälfte der 90er Jahre, genauer: von 1991 bis 1994, hat die deutsche Automobilindustrie 12<%10>0<%0>000 Beschäftigte verloren (Düe u.a. 1997, 8). Niemand wird behaupten können, eine autofeindliche Politik zu allem entschlossener Öko-Ideologen hätte diesen Aderlaß der Autoindustrie zuwege gebracht. Würden die vom Öko-Institut und vom VCD vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung durchgesetzt, dann gingen bis zum Jahr 2010 nur 74.00 Arbeitsplätze im Automobilsektor verloren (Cames u. a. 1998, 102). Ohne polemisch sein zu wollen: Das ist ... zumal über einen Zeitraum von zwölf Jahren ... ein behutsamerer Umgang mit den Automobilbeschäftigten, als es die Autoindustrie selbst in nur vier Jahren praktiziert hat. Hinzu kommt, daß in dem Positivszenario "MOVE" der Hauptgewinn Zukunft-Studie die Arbeitsplatzverluste im Automobilbereich durch stabile, dienstleistungsbezogene Arbeitsplätze in anderen Bereichen mehr als kompensiert werden, per saldo also ein ansehnliches Beschäftigungsplus herausspränge.

Aus Umweltgesichtspunkten ist die Entwicklung der Fahrleistung der PKWs von Interesse. Die Gesamtfahrleistung gibt Auskunft über den Gebrauch der Autos, wobei ein Anwachsen bei gegebenem Kraftstoffverbrauch erhöhte CO2-Emissionen bedeutet. Die durchschnittliche Fahrleistung pro PKW und Jahr sagt dagegen mehr über das Mobilitätsverhalten des einzelnen Fahrers aus. Im langfristigen Trend können wir zwei Beobachtungen machen (vgl. zum Folgenden: Verkehr in Zahlen, verschiedene Jahrgänge):

Einmal stieg die Gesamtfahrleistung in den vergangenen Jahrzehnten stark an. Seit den 70er Jahren verdoppelte sich die Gesamtfahrleistung in den alten Bundesländern. Die gesamtdeutschen Zahlen aus den 90er Jahren sind weniger eindeutig. Auch ohne Berücksichtigung des absoluten Rückgangs 1994 verringern sich in den letzten Jahren die Zuwachsraten der PKW-Fahrleistung. Ob dies ein langsam wachsendes Umweltbewußtsein anzeigt oder nur den rückläufigen Individualberufsverkehr infolge gestiegener Arbeitslosigkeit ausdrückt, kann noch nicht beantwortet werden.

Zum anderen ist festzustellen, daß die durchschnittliche Fahrleistung pro PKW keineswegs nur die Tendenz hat anzusteigen. Mitte der 70er Jahre legte ein PKW im Jahr noch 1<%10>3<%0>700 Kilometer zurück; 1993 waren es ... in den alten Bundesländern ... 700 Kilometer weniger. Die durchschnittliche Fahrleistung in Ostdeutschland liegt (noch?) etwas niedriger. Allerdings: Mitte der 80er Jahre war die Fahrleistung vorübergehend schon einmal auf rund 12.00 Kilometer zurückgegangen (1981 sogar auf nur 11.00 km).

Ein Vergleich der Fahrleistungsdaten mit den Entwicklungszahlen des PKW-/Kombi-Bestands zeigt auch, daß beide Größen sich nicht automatisch im Gleichschritt bewegen, eine Erhöhung des PKW-Bestands also nicht unbedingt eine Erhöhung der Fahrleistung zur Folge haben muß. Allerdings: Die Daten geben noch keinen Anlaß, etwa von einer Entkoppelung beider Trends zu sprechen, zu nah liegen die Werte noch beieinander. Von 1975 bis 1993 wuchs die Zahl der Autos in der alten Bundesrepublik um 82 Prozent, die Gesamtfahrleistung um 73 Prozent. Gesamtdeutsch wuchs die PKW-Flotte von 1993 bis 1996 um 7,6 Prozent, die Fahrleistung nur um 5,1 Prozent. Was also auch im MOVE-Szenario der Hauptgewinn Zukunft-Studie als partielle Entkoppelung von PKW-Bestand und Fahrleistung bis zum Jahr 2010 angenommen wird, ist heute bereits in der Realität vorfindbar. Übrigens schlägt sich diese Sichtweise auch in der letzten Shell-Prognose nieder. In beiden dort vorgestellten Szenarien verläuft bis zum Jahr 2010 die Fahrleistungszunahme gegenüber dem PKW-Zuwachs unterdurchschnittlich (Shell 1997, 5).

Ein erstes Fazit lautet also: Ein Wachstum der Automobilproduktion muß nicht in jedem Fall eine Zunahme des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) nach sich ziehen. Die Fahrleistung kann sogar unter bestimmten Voraussetzungen sinken. Schon heute gibt es Anhaltspunkte dafür, daß das Auto verantwortungsvoller, also durchschnittlich weniger benutzt wird als noch vor zwanzig Jahren. In Verbindung mit dem Einsatz kraftstoffsparender Technologien könnte also trotz zunehmender PKW-Zahlen die Umweltbelastung etwas vermindert werden. Um jedoch keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Das reicht bei weitem nicht aus, um die CO2-Reduktionsziele der Bundesregierung (25 % bis zum Jahr 2005) zu erfüllen. Wahrscheinlich wird die Bundesrepublik aber die völlig unzureichende Vereinbarung der Klima-Konferenz von Kyoto einhalten können (8 % bis 2008/10).

Von einer Entkoppelung ganz anderer Art möchte ich nun sprechen, und zwar von der Entkoppelung der Produktion und des wirtschaftlichen Erfolgs von der Beschäftigung in der Automobilindustrie. Ich habe bereits auf den Verlust von 120.00 Arbeitsplätzen in der ersten Hälfte der 90er Jahre hingewiesen. Ein großer Teil dieses Verlusts war konjunkturbedingt und im übrigen von einem starken Produktionsrückgang begleitet (vgl. Düe u.a. 1997, 8 ff.). Man mag dies also unter der Rubrik "Normaler kapitalistischer Krisenzyklus" abheften. Interessanter ist die Entwicklung nach dieser Rezession (die in Deutschland auch deshalb so dramatisch ausfiel, weil die Automobilindustrie zuvor eine einigungsbedingte Sonderkonjunktur mit einzigartigen Produktions- und Verkaufszahlen zu verzeichnen hatte). Von 1994 bis 1997 stieg die Produktion von Kraftwagen insgesamt und auch die von Personenwagen wieder rasch an. Sie dürfte, wenn nicht alles trügt, in diesem Jahr die Rekordzahlen von 1992 wieder erreichen. Konkreter gesagt: Die Kraftwagenproduktion in Deutschland wuchs von 1994 bis 1997 um 15 Prozent, der Zuwachs betrug in absoluten Zahlen pro Jahr rund 220.00 Kraftwagen (VDA 1998, 56). Noch erfreulicher aus Sicht der Autohersteller war die Entwicklung der Umsätze, die in dieser Zeit um 31 Prozent stiegen. Darin drückt sich die Tendenz zur Produktion immer höherwertiger Autos aus. 15 Prozent mehr Autos, 31 Prozent höherer Umsatz ... und wie schlug sich das nieder in der Beschäftigung? Sie nahm auch in der konjunkturellen Erholungsphase weiter ab, allerdings nur noch leicht. Mit der Herstellung von Kraftwagen und -motoren waren 1994 noch 404.00 Arbeiter und Angestellte beschäftigt, 1997 waren es 400.00, das entspricht einem Rückgang von rund einem Prozent (siehe Tabelle 1).

Tabelle

Kraftwagenproduktion, Umsatz und Beschäftigung in der Automobilindustrie 1994 bis 1997

(Herstellung von Kraftwagen und -motoren)

(Tabelle nur in der gedruckten Ausgabe)

Die Gründe für diese Entkoppelung von Produktionswachstum und Beschäftigung im Automobilbau liegen auf drei Ebenen:

1. Waren die letzten Jahre von einer durchgreifenden oder "systemischen" Rationalisierungs- und Restrukturierungswelle geprägt. Restrukturierung meint in erster Linie die Optimierung betrieblicher Abläufe (vom Materialfluß bis zur Vereinfachung bzw. Verflachung von Unternehmenshierarchien). Bei der Rationalisierung lag der Schwerpunkt eindeutig auf der stärkeren Mobilisierung der "Humanressourcen", das heißt der aktiven Einbeziehung der Beschäftigten, auch der Produktionsarbeiter, in den Verschlankungs- und Kostensenkungsprozeß der Unternehmen (vgl. Schumann u. a. 1994). Von früheren Rationalisierungsmustern unterscheidet sich die "systemische Rationalisierung" durch ihren ganzheitlichen Ansatz, daß heißt, es werden verschiedene, den Produktionsablauf als Ganzes betreffende, aufeinander abgestimmte Maßnahmen ergriffen. Im Werk Kassel der Volkswagen AG wurden beispielsweise effektivere Arbeitsstrukturen in der Getriebeproduktion dadurch erreicht, daß man sowohl den Getriebebau in vier produktlinienorientierte Cost-Center segmentierte als auch die Produktionsarbeit in Form von Gruppenarbeit neu organisierte. Im Ergebnis der flächendeckenden Einführung von Gruppenarbeit im Getriebebau ergaben sich Vorteile in bezug auf die Produktivität und die Qualität der Arbeit (Scheibe/Lacher 1997).

Zweitens wurden in den letzten Jahren die Betriebszeiten ausgedehnt. Dies geschah einmal durch die Ausweitung von Zwei- und Drei-Schicht-Modellen und zum anderen durch die Flexibilisierung der individuellen Arbeitszeiten. Alle Flexibilisierungskonzepte haben zum Ziel, die Produktion im Zeitverlauf besser mit der Auftragslage abzustimmen. Insofern handelt es sich um ein Mittel zur Erhöhung der Produktivität oder zur Senkung von Kosten. Nur in bestimmten Fällen führen flexible Arbeitszeitregelungen auch zu positiven Beschäftigungseffekten, etwa dann, wenn sie zu einem Abbau von Überstunden genutzt werden. In fast allen Werken der Autohersteller wurde in den letzten Jahren nicht nur eine verwirrend große Zahl von flexiblen Arbeitszeitregelungen vereinbart; diese Vereinbarungen wurden ... sozusagen als Gegenleistung für das Entgegenkommen der Beschäftigten ... meist auch mit Beschäftigungsgarantien honoriert (z.B. keine Entlassungen "aus betrieblichen Gründen" bis zum Jahr 2000 et cetera).

Drittens haben verstärkte Bemühungen stattgefunden, die Zulieferer noch enger auf die Produktions- und Qualitätsanforderungen sowie auf den Produktionsrhythmus der Hersteller einzustellen. Diese "Zulieferintegration" war aufgrund des bestehenden Machtgefälles mit zum Teil schmerzhaften Prozessen bei den Zulieferern selbst verbunden, die ihre betrieblichen Abläufe umstrukturieren mußten und gleichzeitig ihre Preise zu senken hatten (vgl. Koch/Strutynski 1996). Auf der anderen Seite profitierten manche von ihnen von der Verringerung der Fertigungstiefe bei den Herstellern, die in den 90er Jahren weitergegangen ist (Schneider/Strutynski 1998). Das dürfte ... in Verbindung mit der konjunkturellen Belebung seit 1994 ... zum Beschäftigungsplus in der Zulieferindustrie beigetragen haben. Die Statistik des verarbeitenden Gewerbes weist für den Bereich "Herstellung von Teilen für Kraftwagen" ein deutlich höheres Plus an Beschäftigung seit 1994 aus als für die Automobilhersteller (1994 bis 1997: + 9 %; VDA 1998, 56).

Im Ergebnis aller Maßnahmen konnte die Automobilindustrie einen mächtigen Produktivitätsschub realisieren. Während von 1980 bis 1990 die Arbeitsproduktivität lediglich um 12 Prozent zunahm, erhöhte sie sich bereits in der ersten Hälfte der 90er Jahre um mehr als 20 Prozent. Nach Auskunft von Insidern sind die Produktivitätsreserven der deutschen Autohersteller noch längst nicht ausgeschöpft. (Vgl. z.B. die Aussage von Bernd Pieschetsrieder, BMW: "Und da sind wir noch lange nicht am Ende. Uns fällt noch einiges ein", Handelsblatt, 18.8.97.)

Die augenblickliche Situation der Branche stellt sich in einem sehr guten Licht dar. Die Produktion geht bis an die Kapazitätsgrenzen, teilweise sogar darüber. Der Vorstandsvorsitzende von VW, Ferdinand Piëch, äußerte über die Absatzzahlen von VW in einem Interview: "Im Moment würde der Markt gern mehr haben, aber das ist nicht zu schaffen. Aber knappe Ware verdirbt auch nicht die Preise. Das halten wir durch" (Süddeutsche Zeitung, 4.6.98). Die Autokonjunktur brummt zur Zeit derart, daß in vielen Werken Sonderschichten gefahren werden und Samstag fast schon zum Regelarbeitstag geworden ist. Es gab auch Neueinstellungen, so etwa bei VW 1997 in Höhe von <%10>8<%0>600 Beschäftigten (Handelsblatt, 26.3.98). Daimler-Benz versprach zusätzliche Arbeitsplätze noch in diesem Jahr (FR, 8.5.98), und BMW will den Personalbestand bis Ende des Jahres wenigstens halten (Handelsblatt, 18.8.97).

Nicht ganz so optimistisch ist man bei Opel, wo zwar betriebsbedingte Kündigungen bis zum Jahr 2002 nicht möglich sind, dennoch die Zahl der Beschäftigten um 3.00 bis 4.00 abgespeckt werden soll (FR, 21.1.98). Ähnlich sehen die Vereinbarungen für die deutschen Ford-Standorte aus; die Beschäftigungsgarantie wurde hier allerdings mit erheblichen Zugeständnissen der Betriebsräte hinsichtlich der Kürzung übertariflicher Leistungen und der Abschaffung der Überstundenzuschläge erkauft (FR, 29.4.97).

Die guten Produktions- und Absatzzahlen der Automobilindustrie dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Konjunkturmotor hauptsächlich vom Export angetrieben wird. Die Binnennachfrage läßt weiter zu wünschen übrig. Die Exporterfolge der deutschen Hersteller (1997 wurden 26 % mehr Fahrzeuge ins Ausland geliefert als 1994) könnten dazu verleiten, der Entwicklung des Binnenmarkts, also der Binnennachfrage, künftig weniger Aufmerksamkeit zu schenken ... zumal weltweit große Nachfragepotentiale zu bestehen scheinen.

In der Tat scheinen die Perspektiven der Autobauer unbegrenzt zu sein. Die Automobilisierung vieler Länder und Regionen der Erde ist derart gering, daß hier ein erheblicher Nachholbedarf vermutet werden könnte.

Nimmt man etwa von den neun bevölkerungsreichsten Ländern der Erde die sieben heraus, die am motorisierungsschwächsten sind, so erhalten wir folgende Modellrechnung:

In China, Indien, Indonesien, Brasilien, Rußland, Pakistan und Nigeria mit einer Gesamtbevölkerung von 2,9 Milliarden Menschen sind zur Zeit rund 34 Millionen PKW zugelassen. Die PKW-Dichte dieser Länder (Anzahl der PKW je 1000 EW) beträgt zwischen 2,9 (Indien) und 77,5 (Rußland), im Durchschnitt all dieser Länder 8,6. Würde man diese Länder mit Autos so weit aufrüsten, daß sie westeuropäisches oder nordamerikanisches Niveau erreichten (also bis zu 500 PKW je 1000 EW), müßte ihr derzeitiger PKW-Bestand um 4.00 Prozent, also um den Faktor 42 erhöht werden. Statt 34 Millionen Autos führen dort dann 1,45 Milliarden Autos.

Eine solche Perspektive ist mit den CO2-Reduzierungszielen aller internationalen Organisationen natürlich nicht vereinbar. Aber auch sonst geben solche Gedankenspielereien für die Expansionsstrategien der Autohersteller, und erst recht für die Produktionsperspektiven am "Standort Deutschland" nicht viel her. Denn einmal reichen ... trotz weltweiter Überkapazitäten ... die vorhandenen Produktionseinrichtungen auf Jahre und Jahrzehnte nicht aus, um die entsprechenden Mengen zu produzieren. Zum zweiten würden es diese Länder vorziehen, ihren steigenden PKW-Bedarf im eigenen Land zu produzieren. Neue Märkte können allenfalls vorübergehend mit Exporten aufgeschlossen werden; erschlossen werden sie überwiegend mit Direktinvestitionen.

Übrigens zeigt die Entwicklung der letzten Jahre, daß die Produktion deutscher Autohersteller im Ausland einen immer größeren Umfang einnimmt. Die Menge der im Ausland gefertigten PKW (gemessen an der inländischen Produktion) betrug 1990 33 Prozent; 1997 betrug dieser Anteil schon 66 Prozent.

Kurzum: Auf positive Beschäftigungswirkungen durch das Forcieren der Exportorientierung und die Erschließung neuer Märkte zu hoffen ist auf mittlere bis lange Sicht trügerisch (siehe Tabelle 2).

Tabelle 2:

Aktuelle und mögliche PKW-Dichte in den bevölkerungsreichsten Staaten

(Tabelle nur in der gedruckten Ausgabe)

Eine auf Beschäftigungssicherung abzielende Strategie wird also auf mehreren Beinen stehen müssen:

Erstens muß endlich der Beitrag honoriert werden, den die Beschäftigten zu den Restrukturierungs- und Kostensenkungsprogrammen der Autohersteller in den letzten Jahren geleistet haben. Vor allem müssen die neuen Produktions- und Arbeitskonzepte, die überwiegend zu einer Verdichtung der Arbeit und zu mehr Streß für die Beschäftigten geführt haben, durch ausgleichende Humanisierungsmaßnahmen entschärft werden. Wo "Gruppenarbeit" drauf steht, muß auch Gruppenarbeit drin sein!

Zweitens muß einer ausufernden Flexibilisierung der Arbeitszeiten entgegengetreten werden. Empirische Untersuchungen belegen, daß sie immer zu einer besseren Auslastung der Kapazitäten und einer rationelleren Personaleinsatzplanung der Unternehmen führen (wogegen an sich ja noch nichts zu sagen wäre), daß sie aber nur in wenigen Fällen auch den Wünschen der Arbeitnehmer nach mehr Zeitsouveränität entgegenkommen (Klenner 1998). Erst wenn letzteres geschieht, wird das auch zu mehr Arbeitsplätzen führen.

Drittens sollte eine weitere Reduzierung der durchschnittlichen Arbeitszeit erreicht werden. Mit dem Abbau von Überstunden muß angefangen, mit einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung weitergemacht werden. Jede Stunde weniger Arbeit in der Woche schafft in der Automobilindustrie ... bei sonst gleichen Bedingungen ... 15.000 neue Arbeitsplätze.

Viertens sollten die Autohersteller die Einführung neuer, benzinsparender Autotypen forcieren. Dies könnte einen beschleunigten Ersatz alter Autos und damit ... zumindest vorübergehend ... eine Erhöhung der Produktion nach sich ziehen. Das Drei-Liter-Auto ist zwar technisch machbar, scheint aber wieder völlig aus dem Kalkül der Automobilindustrie verschwunden zu sein. Selbst VW setzt zur Zeit mehr Ehrgeiz in den Einstieg in die Luxusklasse denn in das Spar-Auto (vgl. Süddeutsche Zeitung, 4.6.98). Allerdings: Ohne politische Flankierung, also vor allem ohne eine spürbare Erhöhung der Kraftstoffbesteuerung, wird das Drei-Liter-Auto noch lange auf sich warten lassen.

Die gegenwärtig zu beobachtende Entkoppelung von Produktionswachstum und Beschäftigungszunahme muß aufgehoben werden. Hierzu müssen Maßnahmen ergriffen werden, die den Beschäftigten eine größere Teilhabe an den von ihnen erzielten Produktivitätssteigerungen sichern ... in Form humanerer Arbeitsbedingungen und sinkender Arbeitszeiten bei einem weiterhin angemessenen Lohnniveau. So können auch längerfristig Arbeitsplätze erhalten und neue geschaffen werden. Aus Umweltgründen sind darüber hinaus Maßnahmen zu ergreifen, die den Kraftstoffverbrauch drastisch minimieren. Ein Weg hierzu besteht in der Umsetzung der in der Studie von Öko-Institut und VCD beschriebenen Vorschläge einschließlich der Anstöße zu einer ... sehr zurückhaltend konzipierten ... ökologischen Steuerreform. Eine Innovations- und Produktionsoffensive der Automobilindustrie zugunsten des Drei-(oder weniger-)Liter-Autos könnte auch kurzfristig zu mehr Beschäftigung in der Branche führen.

Der Artikel beruht auf Thesen, die auf der Tagung des Öko-Instituts und des VCD am 5./6. Juni 1998 in Bonn vorgetragen wurden.

Literatur

Martin Cames, Frank Ebinger, Anke Herold, Uwe Ilgemann, Willi Loose, Arne Lüers (1998): Hauptgewinn Zukunft. Neue Arbeitsplätze durch umweltverträglichen Verkehr. Eine Studie des Öko-Instituts e.V. und des VCD, o. O.

Deutsche Shell AG (Hrsg.) (1997): Motorisierung ... Frauen geben Gas. Neue Techniken senken Verbrauch und Emissionen. Szenarien des PKW-Bestands und der Neuzulassungen in Deutschland bis zum Jahr 2020, Hamburg

Dietmar Düe, Ulrich Schneider, Peter Strutynski (1997): Zur regionalen Innovationsfähigkeit deutscher Automobilstandorte. Perspektiven für Wirtschaft und Beschäftigung, Eschborn (RKW)

Markus Hesse (1995): Verkehrswende. Ökologisch-ökonomische Perspektiven für Stadt und Region, Marburg

Christina Klenner (1998): Diktat der Ökonomie oder mehr Selbstbestimmung? In: Christina Klenner, Hartmut Seifert (Hrsg.), Zeitkonten ... Arbeit à la carte? Neue Modelle der Arbeitszeitgestaltung, Hamburg, S. 111...139

Wolfgang Koch, Peter Strutynski (1996): Bedeutung, Probleme und Perspektiven der hessischen Automobilzulieferer, Eschborn

Moody's Investors Service (1996): Global Automobil Industry, New York

Wolfram Scheibe, Michael Lacher (1997): Neue Arbeitsstrukturen in der Produktion ... Produktorientierte Cost-Center und Gruppenarbeit im Getriebebau bei Volkswagen; in: Ekkehart Frieling, Hans Martin, Franz Tikal (Hrsg.), Neue Ansätze für innovative Produktionsprozesse, Kassel, S. 401...408

Ulrich Schneider, Peter Strutynski (1998): Automobilzulieferer im Strukturwandel. Eine Bilanz der Hessischen Verbundinitiative MOBIL nach fünf Jahren, Eschborn (RKW)

Michael Schuhmann, Volker Baethge-Kinsky, Martin Kuhlmann, Constanze Kurz, Uwe Neumann (1994): Trendreport Rationalisierung. Automobilindustrie, Werkzeugmaschinenbau, Chemische Industrie, Berlin

UBA-Umweltbundesamt (1997): Nachhaltiges Deutschland. Wege zu einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung, Berlin

VDA-Verband der Automobilindustrie e.V. (1998): Daten zur Automobilwirtschaft. Ausgabe 1998

VDA-Verband der Automobilindustrie e.V. (1997): Tatsachen und Zahlen aus der Kraftverkehrswirtschaft, 61. Folge, Frankfurt a. M.

Verkehr in Zahlen (verschiedene Jahrgänge). Hrsg. vom Bundesminister für Verkehr, bearbeitet vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin