Kommunizierende Röhren

Makedonien, die albanische Frage und der Kosovo-Konflikt

Stefan Troebst

Der Zerfall des föderalistischen Jugoslawien hat einige der großen Territorialfragen des Balkans, wie sie die orientalischen Fragen des 19. Jahrhunderts charakterisierten, wiederbelebt: Mit militärischer Macht stellte Belgrad erneut die serbische Frage, also den Anspruch auf ein ethnisch und territorial konsolidiertes Großserbien, woraus Beobachter auf eine baldige Wiederkehr auch der makedonischen Frage schlossen: Wenn Serbien sein Prätentionen auf Vardar-Makedonien beziehungsweise "Südserbien" realisiere, so diese Sichtweise, dann könnten auch die übrigen Akteure der makedonischen Frage und Anrainer der neuen Republik Makedonien, also Bulgarien, Griechenland und Albanien, ihre Aspirationen mit machtpolitischem Druck durchzusetzen versuchen. Diese Prognose hat sich nicht bewahrheitet, da die makedonische Frage, wie sich durch den Lackmustest der Staatsgründung von 1991 zeigte, durch die Republikgründung von 1944 nicht lediglich eingefroren, sondern regelrecht beantwortet war. Allerdings kam es im Zuge des 1989 serbischerseits vom Zaune gebrochenen Kosovo-Konflikts zu einer dramatischen Aktualisierung der albanischen Frage samt erheblichen Wirkungen auf Makedonien.

Die erste Runde des Krieges um Kosovo im Jahr 1998 und noch mehr die zweite von 1999 ließen augenfällig werden, daß beide Fragen, die beantwortete makedonische und die noch offene albanische, kommunizierenden Röhren gleich miteinander verbunden sind: Zum einen definieren sich makedonischen Albaner in ethnischem Sinne als Diaspora der Titularnation der benachbarten Republik Albanien, und zum anderen verstehen sie sich in einem kulturellem Sinne als Peripherie des Kosovo.

Der genannten Verschränkung der makedonischen und der albanischen Frage wegen ist Makedonien in deutlich höherem Maße als die übrigen Anrainer Kosovos in den Kosovo-Konflikt involviert und von dessen Auswirkungen betroffen. An aktuellen wie strukturellen Bestimmungsfaktoren sind hierbei zu nennen:

-- Die gemeinsame, im Terrain nicht markierte und in ihrem Verlauf teilweise umstrittene 158 Kilometer lange Grenze zwischen Makedonien und dem Protektoratsgebiet Kosovo, mit den beiden Grenzübergängen Jazince und Blace (Hani i Hotit/Djeneral Jankovic), die auf ihrer gesamten Länge beidseitig albanische Siedlungen aufweist.

-- Die zentrale Funktion, die Makedonien als einzig sicherer Nachschubbasis einschließlich Bahn- und Straßenverbindungen für das internationale Protektorat über Kosovo zukommt.

-- Der hohe Grad wirtschaftlicher Verflechtung von Bergbau und Industrie Makedoniens mit --- Die eklatante militärische Unterlegenheit Makedoniens mit seinem 11.000-Mann-Wehrpflichtigenheer gegenüber der noch immer schlagkräftigen Armee Jugoslawiens.

Die Funktion Makedoniens als periodisch bis zu 15.000 Mann starke, wichtigste zentralbalkanische Basis für NATO-Truppen, wie sie de facto seit dem Juli 1993, de jure seit dem November 1998 besteht.

Der hohe Anteil autochthoner Albaner am Staatsvolk Makedoniens, der gemäß der letzten – international überwachten – Volkszählung von 1994 22,9 Prozent (gegenüber 66,5 Prozent Makedoniern) betrug, darunter bis zu 5.0000 aus Kosovo stammende Albaner, welche die 15jährige Residenzfrist des makedonischen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1992 nicht erfüllen und seitdem entweder geduldet werden oder sich illegal im Lande aufhalten.

-- Die Anwesenheit von etwa 19.000 mehrheitlich albanischen Flüchtlingen, die die Nachhut der 335.000 Personen starken Flüchtlingswoge der Monate März-Juni 1999 darstellen, und die bislang nicht repatriiert wurden oder sich – wie die Roma innerhalb dieser Gruppe – gegen eine Rückführung sperren.

-- Die Infrastruktur unbekannter Dichte, welche die UCK mittels ihrer mutmaßlichen west- und nordmakedonischen Sympathisanten in ihrer "Zone 2" (Makedonien) unterhält.

-- Die Anwesenheit einer 33.000 Personen starken (2 %) und teils autochthonen, teils allochthonen serbischen Minderheit in Makedonien, die partiell ebenfalls im Grenzgebiet zum Kosovo siedelt – hier vor allem im nahe der Hauptstadt gelegenen Skopska-Crna-Gora-Gebirge.

-- Die Anwesenheit einer kleinen makedonischen Minderheit in der Teilrepublik Serbien, die allerdings nur zu einem kleinen Teil jenseits der 105 km langen serbisch-makedonischen Grenze siedelt.

-- Das panslawische, "jugo-nostalgische" und partiell proserbische Sentiment der vormaligen Parteielite des in mehrere postkommunistischen Parteien aufgegangenen "Bundes der Kommunisten Makedoniens" (BdKM), das heißt des älteren Teils der makedonischen, urbanen Bevölkerung.

-- Die abschreckende Wirkung, die die geographische Nähe des Kosovo auf ausländische Investitionen in Makedonien sowie auf den internationalen Tourismus in dem in der Außensicht als Krisengebiet geltenden Land hat.

Interethnische Beziehungen in Makedonien

Um die Möglichkeiten und Chancen Makedoniens zur Bewältigung der direkten wie indirekten Folgen des Krieges um Kosovo beurteilen zu können, erscheint ein Blick auf die bisherige Problemlösungsbilanz im Verhältnis zwischen makedonischer Titularnation und Nationalstaat auf der einen Seite und dem albanischer Bevölkerungsviertel auf der anderen angebracht. Über die Lage der albanischen Minderheit in Makedonien gibt es eine umfangreiche Literatur. Vereinzelten Hervorbringungen von "Berufsoptimisten" stehen dabei zahlreiche Publikationen gegenüber, welche die albanische Minderheit als "eingepflanztes Selbstzerstörungs-Gen" (Walter Mayr) des neuen Makedonien sehen und mehrheitlich zu entsprechend düsteren Zukunftsprognosen gelangen. Allerdings stehen diese Einschätzungen durchgängig auf schwachem Quellenfundament. Auf aktuellen Informationen basierende, gründliche Analysen, die – bezeichnenderweise? – zu partiell günstigeren Schlüssen gelangen, sind die Ausnahme. Gemäß dieser letztgenannten Gattung herrscht seit der Staatsgründung 1991 zwar durchgängig interethnische Spannung mittlerer Intensität, doch funktioniert selbst in Momenten krisenhafter Zuspitzung das Krisenmanagement von Makedoniern und Albanern. Belegt wird dies mit der erfolgreichen Bewältigung einer ganzen Serie von mittelschweren bis gravierenden Konflikten und Zusammenstößen zwischen Vertretern der albanischen Minderheit auf der einen Seite und dem die makedonische Titularnation vertretenden Staat und seinen Organen:

-- Das Unabhängigkeitsreferendum in der Sozialistischen Republik Makedonien innerhalb der zerfallenden Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien vom 8. September 1991 wurde von einem Teil der albanischen Minderheit boykottiert, um die Option eines Anschlusses Westmakedoniens an das gleichfalls nach Unabhängigkeit strebende Kosovo oder an die Republik Albanien offenzuhalten – beide Themen sind mittlerweile vom Tisch.

-- Auf albanische Proteste stieß auch die Präambel der am 17. November 1991 verabschiedeten Verfassung der neuen Republik Makedonien, derzufolge diese "als ein Nationalstaat des makedonischen Volkes konstituiert ist, in dem eine vollständige bürgerliche Gleichberechtigung und dauerhafte Koexistenz des makedonischen Volkes mit den Albanern, Türken, Walachen, Roma und anderen Minderheiten, die in der Republik leben, gesichert ist" – dennoch ging die parlamentarische Arbeit unter Beteiligung der albanischen Abgeordneten ungehindert weiter.

-- Als Reaktion auf die Einstufung nicht als konstituierende Nation, sondern bloß als nationale Minderheit organisierten am 11. Januar 1992 albanische Radikale im Westen Makedoniens ein Referendum über eine autonome "Republik Illyrien" – ein Schritt, der seitens Staat und Titularnation zwar als Verrat gewertet wurde, indes keine strafrechtlichen Folgen hatte.

-- Im November 1992 kam es auf dem offenen Markt der Hauptstadt Skopje zu einem schweren Zusammenstoß zwischen jungen Albanern und makedonischer Polizei, der im Tod von drei Albanern und einer Makedonierin resultierte – der rasch aufgedeckten wirtschaftskriminellen Hintergründe wegen konnte eine Eskalation vermieden werden.

-- Im November 1993 wurde eine Verschwörergruppe albanischer Offiziere der Armee Makedoniens aufgedeckt, die elektronische Personaldaten sowie Waffen zum Aufbau einer "All-Albanischen Armee" entwendet hatte – der Fall wurde staatlicherseits auf bloßen Waffenschmuggel heruntergespielt.

-- Im Februar 1995 kam es im Zusammenhang mit der Gründung einer privaten, aber staatlicherseits nicht genehmigten albanischen Universität in Tetovo zu Zusammenstößen zwischen albanischen Demonstranten und makedonischer Polizei, bei denen ein Albaner getötet wurde – dank intensiven internationalen Engagements seitens der US-Diplomatie und der OSZE wurde das Problem auf die lange Bank geschoben.

-- Im Juli 1997 verstießen die albanischen Bürgermeister von Gostivar und Tetovo bewußt gegen das rigide makedonische Flaggengesetz, indem sie die albanische Adlerflagge unvorschriftsmäßig ohne die makedonische Sonnenflagge aufzogen; beim folgenden massiven Polizeieinsatz wurden in Gostivar drei Albaner getötet – nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten griff das Krisenmanagement innerhalb der makedonisch-albanischen Koalitionsregierung.

Staat und Gesellschaft im in mehrfacher Hinsicht ungeschützten Makedonien sind also in den kritischen Jahren seit 1991 in auffälligem Maße zur konstruktiven Bearbeitung von Spannungen und Konflikten der beschriebenen Art fähig gewesen – ein Umstand, der auf einen hohen Grad an common sense der politischen Eliten sowohl von Makedoniern wie Albanern in der Republik hindeutet. Dabei wird die Einstellung der makedonischen Albaner zu Staat und Titularnation Makedonien weder von einem großalbanischen Programm des Zusammenschlusses aller albanischen Siedlungsgebiet des Balkans noch von einer kleinalbanischen und gleichsam postjugoslawischen Lösung des Zusammengehens der Albaner Montenegros, Serbiens, Kosovos und Makedoniens bestimmt. Selbst die Forderung nach Autonomie für die albanischen Siedlungsschwerpunkte Makedoniens steht seit dem Schicksalsjahr 1992 nicht mehr auf der politischen Tagesordnung. Wie ist dieser auffällig spannungsarme Zustand angesichts der unverkennbaren Tatsache einer tiefen gesellschaftlichen Kluft zwischen albanischer Minderheit und makedonischer Titularnation, der weiterhin bestehenden Ausgrenzung der Albaner aus weiten Bereichen des öffentlichen Lebens Makedoniens, der unmittelbaren Nachbarschaft der albanischen Siedlungsgebiete an den Nationalstaat der Albaner, das heißt der Republik Albanien, sowie schließlich des Vonstattengehens des in Sichtweite befindlichen Kosovo-Konflikts zu erklären?

Die Antwort ist nur zum Teil in der politischen Sphäre zu suchen: "Die Albaner in Makedonien", so die albanische Sozialwissenschaftlerin Teuta Arifi von der Universität Skopje, "haben wenig politische Erfahrung ..., weil sie nie Teil des makedonischen politischen Systems waren." Für die "ethnischen Unternehmer" dieser Gruppe gilt dieses  Erfahrungs- und Professionalitätsdefizit um so mehr. Entscheidend für das Scheitern der Versuche ethnopolitischer Polarisierung, Mobilisierung und Radikalisierung ist aber die individuelle Ebene. Als Faktoren für den – von außen betrachtet überraschenden – "Zufriedenheitsgrad" der makedonischen Albaner im neuen Staat Makedonien sind vor allem anzuführen:

-- Die beträchtliche Attraktivität Makedoniens als ein Staat, der Albanern politische Partizipationsrechte sowie Handlungsfreiheit im wirtschaftlichen Bereich gewährt und dessen Paß leidliche Reisemöglichkeiten auf dem Balkan und im übrigen Europa bietet.

-- Die niedrige Attraktivität der albanischen "Mutternation" in Gestalt der Republik Albanien, verursacht durch die im Kalten Krieg von Tirana herbeiadministrierte Rückständigkeit und Isolation sowie anschließend endemischer Parteienhader, anämische staatliche Strukturen und politische Anarchie.

-- Die abschreckende Wirkung des Kosovo-Beispiels bezüglich innerer Selbstbestimmung, das heißt der 1974 von Belgrad gewährten, 1989 indes kassierten Autonomie, wie auch der noch unvollendeten äußeren Selbstbestimmung, deren Preis ethnische Säuberungen gigantischen Ausmaßes, Massenmord und Zerstörung der Infrastruktur, wenn nicht gar der Lebensgrundlagen, war.

Der geringe Relevanzgrad religiöser Differenz zwischen muslimischen Albanern und orthodoxer Titularnation in Makedonien, der durch den generell geringen Religiositätsgrad der Albaner jedweder Religionszugehörigkeit bedingt ist.

-- Der nur mittlere Relevanzgrad sprachlicher Differenz zwischen albanischsprachigen Albanern und ostsüdslawischsprachigen Makedoniern, der dem Umstand geschuldet ist, daß makedonischen Albanern neben dem eigenen Grund- und Mittelschulwesen bis 1991 und erneut wieder seit 1999 die Universität Pristina offensteht und daß – anders als seit 1989 im Kosovo – die slawischen Sprachkenntnisse sämtlicher Altersgruppen der makedonischen Albaner relativ hoch waren und sind, entsprechend ein Großteil der Palette von Verdienst- und Karrieremöglichkeiten im neuen Makedonien auch dieser Minderheit zugänglich ist. Zwar ist aus der Sicht der makedonischen Albaner die Zugehörigkeit zur Republik Makedonien sicherlich nicht das Ziel aller Wünsche, doch das kleinste in einer ganzen Reihe denkbarer und sämtlich erheblich größerer Übel ist sie allemal.

Das parteipolitische Koordinatenkreuz Makedoniens

Das Parteiensystem Makedoniens besteht aus den beiden großen politischen Lagern der Post-Kommunisten und der Nationalisten, die "cross-cutting cleavages" gleich beide von der ethnischen Trennungslinie Makedonier/Albaner durchschnitten werden.

Entsprechend wird die politische Landschaft von vier Parteien oder Parteigruppierungen bestimmt

(1) Das post-kommunistisch-makedonische Lager mit dem "Sozialdemokratischen Bund Makedoniens" (SDSM) an der Spitze war im Zeitraum 1992-1998 als Seniorpartner einer makedonisch-albanischen Koalitionsregierung die dominierende Kraft im Lande.

(2) Das nationalistisch-makedonische Lager stellt mit der "Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation – Bewegung für Nationale Einheit Makedoniens" (VMRO-DPMNE) seit dem Wahlsieg vom Oktober 1998 die stärkste Regierungspartei in einer Koalition mit der liberalen makedonischen "Demokratischen Alternative" (DA) und mit der nationalistisch-albanischen "Demokratischen Partei der Albaner" (DPA).

(3) Die post-kommunistisch-albanische "Partei der Demokratischen Prosperität" (PDP) ist seit den Wahlen von 1998 gemeinsam mit ihrem langjährigen Regierungspartner SDSM in der Opposition.

(4) Die genannte DPA hat 1998 innerhalb des albanischen Elektorats der PDP erfolgreich den Rang abgelaufen und sich im Zuge des Kosovo-Kriegs von 1999 Respekt auch unter den nicht-albanischen Wählern verschafft.

Das albanische Parteienspektrum in Makedonien entwickelte sich 1990, gleich dem zeitlich parallel entstehenden makedonischen, durch Ausgliederung aus dem "Bund der Kommunisten Makedoniens". Anders als im Falle der Makedonier, deren zahlreiche neugebildete Parteien von Anfang an in ideologisch-programmatischer Hinsicht klar unterscheidbar waren, war dies bei den Parteien der Albaner in den ersten Jahren nicht der Fall.

Im April 1990 kam es zur Gründung der PDP, die unter der Führung des Englischlehrers Nevzat Halili sorgsam bemüht war, allfällige innerparteiliche Gegensätze nicht nach außen dringen zu lassen und daher den Charakter eine albanischen Einheitspartei annahm. Die kurz danach gegründete und deutlich kleinere "Nationaldemokratische Partei" (NDP) unter Führung von Iljaz Halimi gab sich zwar deutlich nationalistischer als die PDP, bildete jedoch ein Wahlbündnis mit dieser sowie anschließend eine gemeinsame Fraktion. In den ersten freien Wahlen von 1990 errangen die beiden albanischen Parteien 22 von 120 Parlamentssitzen (18,4 Prozent), wovon 17 an die PDP und 5 an die NDP gingen. 1992 traten dann beide Parteien in die post-kommunistisch-liberale Koalitionsregierung Branko Crvenkovskis ein, in der sie vier Minister stellten. Diese Einbindung in die Regierungsverantwortung führte Ende 1993 zu einem Riß durch die PDP, der im Februar 1994 in der Entstehung eines oppositionellen Flügels mit der Bezeichnung "Partei der Demokratischen Prosperität der Albaner" (PDPA) resultierte. Unter der Führung des Journalisten Arben Xhaferi opponierte diese Partei in der Partei sowohl gegen die in ihrer Sicht albanerfeindliche Politik der Koalitionsregierung wie gegen den "Opportunismus" der jetzt von dem Juristen Abdurrahman Aliti (auch Haliti) geleiteten PDP-Mehrheitsfraktion.

In den Wahlen von 1994 errangen die zerrissene PDP nur noch 10 und die jetzt separat agierende NDP 4 Sitze (11,6 Prozent), aber dennoch erhielt die PDP auch in der Neuauflage der post-kommunistischen Koalitionsregierung wieder vier Ministersessel. Die Zuspitzung des interethnischen Klimas durch das drängende Problem der Universität Tetovo, dem Economist zufolge "das Nervenzentrum des albanischen Nationalismus in Makedonien", sowie der heftige Flaggenstreit von 1997 ließen die albanischen Parteien des Landes wieder näher zusammenrücken.

Im Juli 1997 vereinigten sich PDPA und NDP zur "Demokratischen Partei der Albaner" (DPA), und im September 1998 schloßen DPA und PDP ein Wahlbündnis. Das dem deutschen Albanien- und Albanerexperten Michael Schmidt-Neke zufolge gleichsam gesamtalbanische Kalkül einer "Ausschöpfung des albanischen Wählerpotentials durch albanische Parteien und damit eine möglichst hohe Zahl albanischer Abgeordneter im neuen Parlament, eine Bündelung dieser Abgeordneten in möglichst wenig Gruppierungen (sowie) die Möglichkeit, je nach Wahlausgang die künftige Regierungsbildung beeinflussen zu können", ging auf: Der albanische Stimmenanteil von 19,3 Prozent in den Wahlen vom Oktober 1998 resultierte in der Rekordzahl von 25 Parlamentssitzen (PDP 14, DPA 11). Im Zuge der Regierungsbildung trat die DPA in die neue Koalitionsregierung von VMRO-DPMNE und DA mit dem 33jährigen Ljubo Georgievski an der Spitze ein, wohingegen die PDP die Ministersessel mit der Oppositionsbank vertauschen mußte. Als politischer Kitt der neuen Koalition fungierte die strikt anti-kommunistische, anti-serbische und anti-zentralistische Ausrichtung von VMRO-DPMNE und DPA. Groteskerweise war es ausgerechnet der bis dahin als interethnischer Moderator fungierende, politisch jedoch den makedonisch-post-kommunistischen Wahlverlierern nahestehende Präsident Kiro Gligorov, der ein Amnestiegesetz der neuen Regierung mit einem Veto belegte, welches auf die Freilassung aus politischen Gründen verurteilter Albaner zielte. Ungeachtet ihrer Rollenverteilung als Koalitionspartner und Oppositionspartei stimmen sich DPA und PDP auch weiterhin in allen Fragen ab, die das Verhältnis der Albaner des Landes zu Staat und Nicht-Albanern berühren. Dies fällt um so leichter, als die programmatischen Gemeinsamkeiten beider Parteien auffällig groß sind. Die Hauptforderung von DPA und PDP ist dabei eine Verfassungsänderung, durch die Makedonien als "Staat seiner Bürger", das heißt nicht länger als Nationalstaat der makedonischen Titularnation definiert wird. Weitere Kernpunkte sind Proporzregelungen für den öffentlichen Dienst, die Ausweitung des albanischen Bildungswesens einschließlich der Anerkennung der Universität Tetovo, Regelungen zum Gebrauch der albanischen Sprache im öffentlichen Leben einschließlich des Parlaments sowie die Zurückdrängung des Zentralismus durch Stärkung kommunaler Selbstverwaltung. Selbst mit Blick auf spezifische Probleme der eigenen Gemeinschaft ziehen DPA und PDP am selben Strang, etwa wenn es um die Befreiung von Frauen und Mädchen aus patriarchalischer Vormundschaft geht.

Die Unterschiede zwischen den albanischen Parteibildungen sind im Kern weniger programmatischer Art, sondern leiten sich aus Generations- und Sozialisationsunterschieden ab. Die Anhängerschaft der post-kommunistischen PDP rekrutiert sich aus dem altersmäßig älteren Segment lokaler Wirtschafts- und Verwaltungseliten, wohingegen Führung und Gefolgschaft der in mehrfacher Hinsicht radikaleren NDP, PDPA und jetzt DPA aus jüngeren Angehörigen der urbanen Intelligenz bestehen, die zu einem Großteil in der Kosovo-Hauptstadt Pristina ihre akademische Ausbildung erfahren haben. "Kosovo", so einer von ihnen, "ist unser kulturelles und intellektuelles Fundament". Das Hauptinteresse der Klientele beider politischen Lager der Albaner Makedoniens richtet sich auf Positionen im öffentlichen Dienst des Landes, und dies nicht nur auf kommunaler, sondern auch nationaler Ebene – einschließlich Polizei, staatlich kontrollierten Medien, Post, diplomatischem Dienst unter anderem. Begreiflicherweise kommt es hier zu den heftigsten Konflikten zwischen den verschiedenen albanischen Parteien. Bemerkenswert ist, daß die in PDPA und DPA bis 1997 dominierende Gruppe "ethnischer Unternehmer", die durch gezieltes Ersetzen gesamtstaatlicher durch albanisch-nationale Symbole die weitere Polarisierung der beiden Teilgesellschaften von Albanern und Makedoniern betrieb, durch pragmatische Berufspolitiker abgelöst wurde, welche ihre Interessen nicht auf offener Straße, sondern hinter den geschlossenen Türen des Regierungskabinetts durchzusetzen bemüht ist. Während in der bis 1998 regierenden post-kommunistischen Koalition interethnische Interessenkonflikte offensichtlich nicht offen auf den Kabinettstisch gelegt, sondern überwiegend in Gesprächen mit dem Präsidenten geregelt wurden, betreibt die neue, "nationalistische" Koalition einen offeneren Politikstil. Die makedonischen Minister und ihre sechs albanischen Kollegen tragen Konflikte direkt im Kabinett aus, wobei sich beide Seiten bislang als überaus konsensfähig erwiesen haben. Im Falle medialen Vorpreschens subalterner Parteioffizieller ist es die eigene Parteiführung, nicht diejenige des Koalitionspartners, die die Kabinettsdisziplin wiederherstellt. Augenfälliges Beispiel hierfür war eine Äußerung der DPA-Sprecherin Adelina Marku, die am 30. Mai 1999 – also auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise – eine verfassungsmäßige Umstrukturierung Makedoniens zu "einem multiethnischen Staat des albanischen und des makedonischen Volkes" forderte. Diese Äußerung wurde umgehend vom Parteivorsitzenden Xhaferi als "eine alte These" disqualifziert, die "nicht bedeutet, daß dieses Thema als politische Frage an die Regierungskoalition gestellt wird". Entsprechend reagierte der Koalitionspartner VMRO-DPMNE überaus zurückhaltend und verzichtete auf ausführliche Kommentierung dieser in den Worten des Parteisprechers "ziemlich verunglückten" Äußerung. So effizient also das innerparteilich-interethnische Konfliktmanagement zwischen den Koalitionspartnern in Skopje auch war, so unverkennbar gravierend waren die multiplen Auswirkungen der Flüchtlingskrise – und um so ernstzunehmender etliche ihrer Begleitumstände.

Die Flüchtlingskrise 1999

Die zweite Runde im Kosovo-Krieg, wie sie die Armee Jugoslawiens und die serbischen Sicherheitskräfte an Weihnachten 1998 eingeläutet hatten, ließ sich – anders als die erste – mit diplomatischen Mitteln nicht stoppen. Am 23. März 1999 ordnete die NATO für den Folgetag ihre beschränkte Luftkriegsoperation in Form einer Luftkriegsphasenkampagne (Operation "Allied Force") an, wie sie seit dem 24. September 1998 mit der Ziel der Umsetzung der UN-Sicherheitsratsresolution 1199 angedroht worden war. Im westlichen Kalkül nicht enthalten war – und das ist schwer erklärbar – die Reaktion Belgrads auf diese Entscheidung, nämlich die rasche und vollständige Austreibung der Albaner aus dem Kosovo. Nach Angaben des UNHCR gelangten 335.000 von ihnen, das heißt mehr als ein Drittel der insgesamt 960.000 Ausgetriebenen, nach Makedonien. Die Flüchtlingswoge vom Frühjahr 1999 traf die Regierung in Skopje sowie die dort ansässigen internationalen Flüchtlingshilfsorganisationen zwar weitgehend unvorbereitet, jedoch mitnichten unerwartet. Denn bereits im Herbst 1992 hatte der Zustrom von über 30.000 Kriegsflüchtlingen aus Bosnien-Hercegovina die makedonische Regierung veranlaßt, gemeinsam mit dem makedonischen Roten Kreuz sowie mit der soeben eröffneten UNHCR-Vertretung Notfallpläne zur Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Kosovo im Falle eines Krieges dort aufzustellen. Die beiden Varianten eines "contingency plan" sahen damals die vorübergehende Unterbringung von 50.000 oder 100.000 Flüchtlingen vor. Eine UNHCR-Anfrage bei den Mitgliedsregierungen der UNO ergab seinerzeit, daß lediglich Pakistan und Neuseeland zur Aufnahme kleinerer Kontingente an Kosovo-Flüchtlingen bereit waren. Die Eskalation des Kosovo-Konflikts vom Herbst 1997 führte zu einer Intensivierung der makedonischen Flüchtlingsdiskussion.

Ende Januar 1998 trat Präsident Kiro Gligorov überraschend mit dem Plan der Errichtung eines "Korridors" für allfällige Flüchtlingswellen aus dem Kosovo an die internationale Öffentlichkeit. Sein Land, so sein Argument, sei zu klein und beherberge bereits zu viele autochthone Albaner wie Kosovoflüchtlinge, als daß zusätzlich mehr als 2<%10>0<%0>000 Albaner aus dem Kosovo aufgenommen werden könnten. Aus diesem Grund schlug er einen exterritorialen Fluchtweg für eine von ihm auf 200.000 bis 400.000 Kosovo-Albaner geschätzte Flüchtlingswelle durch Makedonien hindurch nach Albanien vor. Zwar stieß er damit in Tirana auf Zustimmung, doch im eigenen Land erhob sich lautstarker Protest: Die Regierung hielt an ihrem Konzept hermetisch geschlossener Grenzen zum Kosovo fest, wohingegen die DPA hinter der "faschistischen Idee" des Präsidenten Schützenhilfe für die serbische Politik ethnischer Säuberung mutmaßte. Während der ersten Runde des Kosovo-Krieges, also vom Drenica-Massaker Anfang März 1998 bis zur Holbrooke-Milosevic-Absprache samt informellem Waffenstillstand vom 12. Oktober 1998, war die Aufmerksamkeit der politischen Klasse Makedoniens stark durch die Parlamentswahlen vom 18. Oktober und 1. November und den zu erwartenden Machtwechsel in Anspruch genommen.

Obwohl die postkommunistische Koalitionsregierung eine Rolle Makedoniens als NATO-Aufmarschbasis gegen Belgrad ausschloß, gestattete sie dem Bündnis, am 15. Juni den makedonischen Luftraum für eine als Manöver bezeichnete Drohgebärde zu nutzen (Exercise "Determined Falcon"). Als günstige Voraussetzung hierfür wirkte sich der Umstand aus, daß Makedonien bereits seit dem 15. November 1995 Mitglied des NATO-Programms "Partnerschaft für den Frieden" war. Kaum war der Machtwechsel in Skopje erfolgt, gestaltete sich die Kooperation der NATO mit Skopje deutlich enger: Am 26. November 1998 inaugurierte die NATO im nordmakedonischen Kumanovo das "Kosovo Verification Coordination Center", dessen Aufgabe die Koordinierung der von makedonischem Territorium aus operierenden unbewaffneten "NATO Air Verification Mission for Kosovo" (Operation "Eagle Eye") mit einer noch zu stationierenden, schwer bewaffneten und etwa 1700 Mann starken "NATO Extraction Force" (Operation "Joint Guarantor") war. Deren Aufgabe wiederum war es, der seit Oktober 1998 im Kosovo stationierten "OSCE Kosovo Verification Mission" mit ihren 1200 Mitgliedern im Notfall zu Hilfe zu eilen.

Bereits unmittelbar zu Beginn der zweiten Kriegsrunde wurde Makedonien mit voller Wucht von den Kriegsfolgen getroffen. Allein in der ersten Kriegswoche strömten 115.000 Flüchtlinge über die Grenzen. Am 2. April begann dann die serbische Soldateska mit der Deportation ganzer Stadtteile Pristinas, deren Einwohner mit Zügen zum makedonischen Grenzübergang Blace transportiert wurden oder mit eigenen Fahrzeugen dorthin getrieben wurden. Etwa 65.000 Albaner wurden so am Osterwochenende über die Grenze nach Makedonien abgeschoben. Auf der nur vermeintlich sicheren Seite kampierten die Flüchtlinge unter strenger Abriegelung der makedonischen Polizei im "Dreck-Schlamm-Urin-Loch" Blace (Rupert Neudeck) mehrere Tage unter verheerenden Bedingungen, was nach offiziellen Angaben neun, nach inoffiziellen jedoch mindestens zwanzig Tote kostete. Die Regierung in Skopje verschleppte die Erfassung und Verteilung der Flüchtlinge, um diese als Druckmittel auf die Staatengemeinschaft zu instrumentalisieren. Ziel war dabei zum einen, die EU-Staaten zur Übernahme der Flüchtlinge zu zwingen, sowie zum anderen, sicherheitspolitische wie finanzielle Zuwendungen zu erwirken – ein Kalkül, das zumindest partiell aufging. Entsprechend kam es am 7. April zur plötzlichen Evakuierung des improvisierten Lagers: Die Mehrzahl der Flüchtlinge wurde im rasch errichteten Auffanglager Stenkovec untergebracht, während etwa 10.000 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Albanien weitergeschleust wurden. Zu einer neuerlichen Zuspitzung des Flüchtlingsdramas kam es am 5. Mai 1999, als die makedonische Regierung die Grenze zum Kosovo schloß und ankündigte, künftig nur noch so viele Flüchtlinge ins Land zu lassen, wie in Drittländer ausreisen konnten. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich bereits rund 250.000 Kosovo-Albaner in Makedonien – ein Achtel der Bevölkerung des Landes. Die Grenzschließung löste einen geharnischten Protest von "Amnesty International" aus, der harte Kritik am Verhalten der makedonischen Polizei gegenüber den Flüchtlingen einschloß. Mittlerweile hatten makedonische Behörden mit Hilfe von Bundeswehr und anderen NATO-Einheiten Auffanglager für mehr als 200.000 Flüchtlinge geschaffen (Stenkovec I und II, Blace, Bojane, Neprosteno, Radusa, Cegrane I und II sowie Senokos). Die übrigen waren bei Familien makedonischer Albaner untergekommen, und überdies hatte Albanien dem Nachbarstaat weitere 50.000 geflohene Kosovoalbaner abgenommen.

Am 3. Juni, als Belgrad die Bedingungen der NATO annahm, hielten sich noch immer 260.000 Flüchtlinge aus dem Kosovo in Makedonien auf – nur etwas mehr als 75.000 hatten das Land in Richtung EU oder Albanien verlassen. Weitere 14.000 wurden im Verlaufe des Juni nach Deutschland und in die Türkei evakuiert. Die große Mehrheit, etwa 220.000 Personen, kehrte umgehend in ihre Heimatorte zurück.

Der eigentliche Härtetest für die interethnischen Beziehungen in Makedonien war indes nicht die Flüchtlingskrise an sich, sondern deren innenpolitische wie wirtschaftliche und soziale Weiterungen. So demonstrierten am 25. März circa 3.000 pro-serbische Demonstranten, darunter Angehörige der serbischen Minderheit im Lande, aber auch zahlreiche Makedonier, in gewalttätiger Form gegen die NATO-Luftschläge gegen die jugoslawische Teilrepublik Serbien. Dabei beschädigten sie die Gebäude der Botschaften der USA, Deutschlands und Großbritanniens und versuchten, Quartiere von NATO- und der OSZE-Beobachtern zu stürmen. Unter den von der makedonischen Bereitschaftspolizei Verhafteten befand sich auch der Vorsitzende der "Demokratischen Partei der Serben in Makedonien", Dragisa Miletic. In den folgenden Wochen verstummte der politische Protest der makedonischen Serben, doch örtlich gerann er zu sabotageähnlichen Handlungen. So wurde beispielsweise am 29. April in der serbisch besiedelten Grenzregion bei Kumanovo eine Panzerabwehrrakete auf ein leicht gepanzertes NATO-Fahrzeug französischer Herkunft abgefeuert, die ihr Ziel nur knapp verfehlte. Eine Woche zuvor hatte die makedonische Polizei in Kumanovo selbst einen Traktoranhänger kontrolliert, der mit Kriegsmaterial beladen war. Anschließend wurde in der Nähe ein Waffenlager mit 4,5 Tonnen Minen, Handgranaten, Gewehren und Munition ausgehoben. Aufgrund der chinesischen Herkunft der Waffen wurde auf einen Zusammenhang mit der UCK geschlossen.

Eine innenpolitische Krise mit parteipolitischem Beigeschmack löste der Vorschlag von Präsident Gligorov von Ende März aus, den Ausnahmezustand zu verhängen, da das Land unmittelbar von Krieg bedroht sei. Der von der VMRO-DPMNE majorisierte Nationale Sicherheitsrat lehnte dies jedoch als unangemessen ab. Dahinter stand möglicherweise die Befürchtung, der Präsident könnte den Ausnahmezustand mittels seiner dann erweiterten Kompetenzen dazu nutzen, die von ihm ungeliebte Koalitionsregierung zu entlassen und ein Kabinett nach eigenem Zuschnitt einzusetzen.

Die Reaktionen auf Kosovo-Krieg und Flüchtlingswelle seitens der drei Regierungsparteien fielen stark unterschiedlich aus: Während die DA sich mit öffentlichen Äußerungen zurückhielt und Xhaferis DPA naheliegenderweise für die vollständige Aufnahme aller Flüchtlinge und deren private Unterbringung in Westmakedonien optierte, folgte die maßgebliche VMRO-DPMNE einem Zick-Zack-Kurs und lieferte sich regelrechte Propagandagefechte mit den im Lande befindlichen Vertretern internationaler Organisationen. Protagonist dabei war der VMRO-DPMNE-Politiker Boris Trajkovski, der dem von der DA gestellten Außenminister Aleksandar Dimitrov als Stellvertreter beigeordnet war. So verständlich der makedonische Unmut über die Staatengemeinschaft in den kritischen Tagen von März bis Juni 1999 auch gewesen sein mag, so schädlich wirkte sich diese Haltung bezüglich des makedonischen Anteils an der finanziellen und symbolischen Entschädigung der Kosovo-Anrainer aus. Daher erhielt das Land auf der internationalen Geberkonferenz von Paris am 5. Mai 1999 Zusagen für nur 252 statt geforderter 450 Millionen US-Dollar Entschädigungszahlungen, von denen zwei Monate später gerade 10 Prozent überwiesen waren. Auch ging Skopje als Standort der Internationalen Agentur für den Wiederaufbau Kosovos, des Regionalzentrums für den Wiederaufbau Südosteuropas sowie des Sekretariats für den Stabilitätspakt für Südosteuropa leer aus.

Der bei weitem dramatischste unter den Langzeitschäden, die der Kosovo-Krieg in Makedonien verursacht hat, ist indes der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts. Statt einer für 1999 prognostizierten Zunahme um etwa sechs Prozent wird es um vier bis zehn Prozent, nach pessimistischen Schätzungen sogar noch stärker, sinken. Die ohnehin katastrophale Arbeitsmarktlage sowie die Krise des Sozialsystems Makedoniens werden dadurch drastisch verschärft.

Bilanz nach dem Kosovo-Krieg

Das Krisenmanagement der politischen Elite Makedoniens, das heißt von Makedoniern wie von Albanern, wie es sich seit 1992 eingespielt hat, hat selbst angesichts der 1999 kulminierenden Herausforderungen im großen und ganzen gut funktioniert:

-- Sowohl die Gefahren, die sich durch die zwangsläufige Einbeziehung des Landes in den heraufziehenden militärischen Konflikt zwischen der jugoslawischen Teilrepublik Serbien und der NATO ergaben, als auch die Risiken der aus eben diesem Konflikt resultierenden gewaltigen Flüchtlingswelle wurden gemeistert, die unmittelbaren Spillover-Effekte des Kosovo-Kriegs auf Makedonien erfolgreich eingedämmt, ja minimal gehalten.

-- Den beiden politischen Hauptakteuren in Makedonien, also den Regierungsparteien von Makedoniern und Albanern, ist es gelungen, die Extremisten im jeweils eigenen Lager unter Kontrolle zu halten. Dies galt für die UCK-Sympathisanten innerhalb der Minderheit ebenso wie für die teils "orthodox-slawisch", teils "jugo-nostalgisch" argumentierenden Milosevic-Sympathisanten im Mehrheitslager.

-- Die bislang erfolgreiche Bewältigung von Auswirkungen und Folgen des Kosovo-Kriegs kommt, so kann mit Fug und Recht behauptet werden, einer zweiten, "inneren" Staatsgründung der Republik Makedonien gleich. Sowohl die politischen Eliten der beiden ethnischen Großgruppen des Landes als auch große Teile ihrer Gefolgschaft haben den Mißtrauensmalus gegenüber der jeweils anderen Seite deutlich reduziert. Aus Sicht der Mehrheit hat sich die Minderheit dem gemeinsamen Staat gegenüber loyal verhalten, indem sie den Kosovo-Krieg und die sich abzeichnende Protektoratslösung nördlich der Staatsgrenze nicht zum Anlaß für autonomistische oder gar separatistische Forderungen nahm. Und in der Perspektive der Albaner sind die makedonische Titularnation und der makedonische Staat – ungeachtet gewisser Schwankungen – ihren Nachbarschaftspflichten gegenüber dem Kosovo und seiner albanischen Bevölkerungsmehrheit umfassend nachgekommen. Der bis 1999 überaus bescheidene Grad an Vertrauen zwischen Albanern und Makedoniern in Makedonien ist im Zuge des Kosovo-Krieges also beträchtlich gestiegen.

Dieser innermakedonische Vertrauensschub wird auf subregionaler Ebene durch zwei weitere Folgen der Protektoratslösung für Kosovo verstärkt:

-- Durch die Wiedereröffnung der albanischen Universität Pristina im August 1999 ist die Makedonien und seine interethnischen Beziehungen seit 1994 so stark belastende Frage der Universität Tetovo, wenn nicht gelöst, so doch in ihrer Brisanz gedämpft. Wie vor 1991, dem Jahr der Schließung der Kosovo-Alma-Mater, können albanische Studierende aus Makedonien demnächst wieder nach Pristina zum Studium gehen, wie auch das damals nach Makedonien geflohene Lehrpersonal in die Kosovo-Kapitale zurückkehren kann. Das konfliktträchtige Provisorium im Tetovoer Stadteil Mala Recica hat damit seine primäre Schuldigkeit getan. Diese Entschärfung der Universitätfrage wiederum ermöglicht es der makedonischen Mehrheit, ohne Gesichtsverlust einen großen Schritt auf die albanische Minderheit zuzugehen – etwa durch die Gründung einer gemischt international-albanischen Universität in Tetovo oder durch Ausweitung und Aufwertung der albanisch(sprachig)en Untergliederungen der Universitäten in Skopje und Bitola.

-- Der Skopjoter Machtwechsel von den Postkommunisten zu den geläuterten Nationalisten zwischen den beiden Runden des Kosovo-Kriegs hat das Lager der pragmatisch denkenden "young leaders on the Balkans" um Pandeli Majko in Albanien und Milo Djukanovic in Montenegro oder das Projekt eines "Benelux auf dem Balkan" gestärkt. Die Herstellung direkter Kontakte zwischen dem jugendlichen makedonischen Regierungschef Georgievski zu dem noch jüngeren UCK-Führer Hashim Thaci kann gleichfalls in diesem Zusammenhang gesehen werden. Ungeachtet ihrer ethnischen, sozialen und ökonomischen Zerrissenheit, so scheint es, gewinnt die Balkanregion an politischem Profil.

-- Der Kosovo-Krieg hat Makedonien, seine instabile, da sozial wie ethnisch zerklüftete Gesellschaft und seine gebeutelte Wirtschaft schwer getroffen. Paradoxerweise hat er aber die Voraussetzungen zur Lösung des Hauptproblems dieses Landes, nämlich der anhaltenden Spannungen in den Beziehungen zwischen den beiden großen ethnischen Gruppen von Makedoniern und Albanern, deutlich verbessert. Nach der äußeren Konsolidierung der Republik Makedonien – von der Souveränitätserklärung 1991 über die Aufnahme in die Vereinten Nationen 1993 und den Kompromissen mit Griechenland 1995 und Rest-Jugoslawien 1996 bis zur Beilegung des Sprachenstreits mit Bulgarien 1999 – hat nun deren innere Konsolidierung eingesetzt. Bleibt zu hoffen, daß die – diesmal positiven – Spillover-Effekte des ökonomischen und infrastrukturellen Wiederaufbaus des Kosovo durch die internationale Gemeinschaft Makedonien bei der Überwindung seiner tiefen wirtschaftlichen Krise samt sozialen Weiterungen helfen.

Stefan Troebst schrieb in Kommune 3/99 über Politik und Geschichte in Makedonien: "IMRO + 100 = FYROM?"