Bemühungen um einen Perspektivenwechsel
Die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Monika Weimar/Böttcher (V.)

Eva Horn

Im Juni 1996 hat vor der 6. Strafkammer des Gießener Landgerichts das Wiederaufnahmeverfahren gegen die des Mordes an ihren Kindern angeklagte Monika Böttcher, geschiedene Weimar, begonnen.

Am 4. September 1986 waren in dem kleinen Ortsteil Nippe, nahe Philippsthal, zwei Kinder als vermißt gemeldet worden, nachdem sie zuvor getötet und ihre Leichen an zwei verschiedenen Parkplätzen der Umgebung versteckt worden waren. Frau Weimar gab seinerzeit an, die Kinder seien am Vormittag vom Spielplatz am Hause verschwunden, nachdem sie zuvor mit ihnen gefrühstückt, beziehungsweise Kakao getrunken habe. Eine breit angelegte Suche blieb tagelang vergeblich, bis schließlich ein Busfahrer die Leiche des einen Kindes entdeckte. In der Folgezeit stellte man etliche Widersprüche in den Angaben der Mutter fest, und Ende August änderte Frau Weimar ihre Aussage dann dahingehend, daß die Kinder am Vormittag nicht mehr gelebt, sondern bereits in der Nacht, als sie von einem Zusammensein mit ihrem Freund nach Hause kam, tot in ihren Betten gelegen hätten. Ihr Mann habe am Bettrand der jüngeren Tochter gesessen und geweint. Sie habe damals die Situation nicht verstanden, nicht gewußt, was sie tun sollte, und sich gleich darauf ins Bett gelegt und vor sich hingedämmert. Aus dem Geräusch eines wegfahrenden Fahrzeugs habe sie geschlossen, daß ihr Mann die toten Kinder wegbringt. Daß sie die Tat, die sie ihrem Mann zuschrieb, deckte, indem sie den Tod der Kinder verschwieg, erklärte sie mit ihren heftigen Schuldgefühlen. Sie habe nicht diejenige sein wollen, die ihn preisgibt.

Nach neunmonatiger Verhandlungsdauer war Monika Weimar Anfang 1988 vom Landgericht Fulda des Mordes an ihren Kindern für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Tat hat sie stets bestritten und ist bis heute bei ihrer "Nachtversion" geblieben. Im Wiederaufnahmeverfahren äußert sie sich zur Sache nicht, ebenso wie der inzwischen von ihr geschiedene Mann, der, wie schon in Fulda, als Nebenkläger zugelassen ist. In der Kommune wurde in den Ausgaben 7, 10, 11/96 u. 1/97 berichtet.

Nach den Faserspezialisten kommen die Mageninhaltsspezialisten. Aufgabe der letzteren ist es zu klären, wie lange nach dem letzten Essen und Trinken der Kinder ihr Tod eingetreten war. Es ist da von Verweildauer die Rede, von Enzymen, von verdauungsfördernden und verdauungshindernden Prozessen und von vielem, was für einen Laien nur schwer zu verstehen ist.

Die Zeiten zwischen der letzten Nahrungsaufnahme und dem Tod, die, streng wissenschaftlich, ermittelt wurden, reichen von einer halben bis zu drei Stunden. Der Spekulation ist da Tür und Tor geöffnet. Allerdings lag die Häufung der wissenschaftlichen Meinungen bei ein bis eineinhalb Stunden. Der Milchexperte legte sich auf eine halbe bis höchstens eine Stunde fest, eher weniger.

Das Fuldaer Gericht ging in seinem Urteil vom Frühstück um 9.30 Uhr aus und einer Tötungszeit zwischen 11.30 und 11.40 Uhr. Das wären mindestens zwei Stunden nach dem letzten Essen und Trinken. Die Beweiskraft liegt da ähnlich wie die der Fasergutachten: nichts Genaues weiß man nicht. Daß die Kinder am späten Vormittag, länger als zwei Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme, getötet wurden, scheint ebenso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wie die Möglichkeit, daß sie in der Nacht eine halbe oder eine Stunde vor ihrem Tod noch etwas getrunken oder gegessen haben. Denn in der Nacht, so gegen halb drei, war die jüngere Schwester von Monika Weimar zusammen mit ihrem Mann nach unten in die Weimarsche Wohnung gekommen. Lautes Schreien und Weinen hatte zunächst den Mann geweckt und nachdem er festgestellt hatte, daß es von einem der Kinder stammte, machte er seine Frau wach, um mit ihr nach unten zu gehen. Das weinende Kind ließ die beiden dann in die Wohnung herein, die Tante tröstete das Mädchen, wechselte ihm das nasse Höschen und brachte es wieder ins Kinderzimmer, wo seine ältere Schwester schlafend im Bett lag. Auch das jüngere Mädchen schlief, nachdem es versorgt worden war, gleich wieder ein. - Wann also sollten die beiden Kinder gegessen und getrunken haben, wenn sie kurz darauf getötet wurden?

Es spricht einiges dafür, daß die Kinder weder in der Nacht getötet wurden, wie Frau Weimar seinerzeit in Fulda angab - allerdings hatte sie sich zur genauen Tötungszeit nicht geäußert, sondern nur dazu, wann sie den Tod festgestellt hatte -, noch am späten Vormittag kurz nach halb zwölf, wie das Fuldaer Gericht es annahm.

Legt man eine Zeitspanne von ein bis eineinhalb Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme zugrunde und berücksichtigt, daß Zeugen angeben, die Kinder um kurz vor elf am Rande der kleinen Nebenstraße vor den Häusern an der Nippe gesehen zu haben, in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihrem Elternhaus, dann liegt nahe, daß sie kurz darauf getötet wurden, also gegen 11 Uhr. Zu dieser Zeit allerdings war Monika Weimar bei Post und Sparkasse, um Einzahlungen zu machen. Reinhard Weimar hatte in Fulda angegeben, so gegen 11 Uhr aufgestanden zu sein. Die Kinder habe er nicht gesehen. Eine Nachbarin hatte seinerzeit in Fulda ausgesagt, sie habe Herrn Weimar gegen halb zwölf hinterm Haus an einem kleinen Teich stehen und hineinstarren sehen. Dieser Frau glaubte damals allerdings niemand.

Was zu Beginn des Gießener Wiederaufnahmeverfahrens als Manko erschien, daß nämlich weder Frau Böttcher, geschiedene Weimar, noch Herr Weimar sich in diesem Prozeß zur Sache äußern, erweist sich mittlerweile als wahrer Segen. Da von beiden ein Beitrag zur Wahrheitsfindung kaum zu erwarten ist, liegen die Beweise heute vom Sammelsurium der Einlassungen beider Eltern befreit da, und es zeigt sich ihre ungeheuerliche Dürftigkeit. Allein die Tatsache, daß man in alle Richtungen wild herumspekulieren kann, ohne an Grenzen zu stoßen, die gesicherte Beweise setzen, zeigt, wie sehr das auch in Fulda schon bruchstückhafte Beweisskelett eher von der Vorstellung und Wahrscheinlichkeit als von Handfestem aufgespeckt war.

Nachdem nun die Gutachten vorgetragen sind - bis auf das psychologische und psychiatrische, die kommen erst ganz zum Schluß - und die Zeugen, soweit erreichbar, vernommen, neigt sich das Wiederaufnahmeverfahren seinem Ende entgegen. Zumindest könnte es sich seinem Ende zuneigen, wäre da nicht die äußerst schmerzhafte Tatsache, daß ein Urteil gefällt werden muß, welches unweigerlich einer Seite der heftig kämpfenden Kontrahenten eine Niederlage bescheren wird. - Daß es auch um das zukünftige Leben der Angeklagten geht und darum, ob sie weitere Jahre hinter Gittern oder, zumindest äußerlich, in Freiheit verbringen kann, sei nur am Rande erwähnt. Am Rande deshalb, weil das genau dem Eindruck entspricht, der sich aufdrängt, wenn man Woche um Woche in Gießen im Gerichtssaal sitzt. - Das Ende nähert sich also unaufhaltsam, gleichzeitig geht der Kampf erst richtig los.

Es ist ein Kampf zwischen Verteidigung und Nebenklage, also zwischen den Stellvertretern der geschiedenen Eheleute. Und es geht dabei, zumindest vordergründig, um zweierlei. Einmal um die Verlesung der Protokolle, die von der Telefonüberwachung angefertigt worden waren. Abgehört hatte man den Apparat in der Weimarschen Wohnung und ebenso in der Wohnung des Bruders von Reinhard Weimar, bei dem dieser damals nach der Tötung der Kinder wohnte.

Zum andern geht es um die Vernehmung des damaligen Liebhabers von Frau Weimar, des Amerikaners Kevin Pratt. Der heute wieder in den USA ansässige Mann war vom Gericht geladen worden, hatte aber die Annahme dieser Ladung verweigert.

Das Gießener Gericht hat die Entscheidung über das weitere Procedere in beiden Fragen wochen- und monatelang vor sich hergeschoben, vermutlich in der Hoffnung, daß sich beide Probleme mangels weiteren Aufklärungsbedarfs von selbst erledigen. Dazu kam es aber nicht. Die Nebenklage rückte von ihrer Anregung, die Protokolle zu verlesen, nicht ab, und die Staatsanwaltschaft besteht darauf, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, Kevin Pratt doch noch zu vernehmen. Die Verteidigung möchte die Verlesung der Abhörprotokolle verhindern und hat an der Vernehmung des Kevin Pratt kein Interesse mehr.

Um die Brisanz des Konfliktes zwischen Verteidigung und Nebenklage zu verstehen, muß man sich vergegenwärtigen, daß die Interessen der Parteien, die beide vertreten, unvereinbar sind. Denn geht man davon aus, daß die Kinder von einem der beiden Elternteile getötet wurden, kann die Entlastung der einen Seite nur zu Lasten der anderen gehen.

Wenn der Vertreter des Nebenklägers Reinhard Weimar zu Beginn des Gießener Wiederaufnahmeverfahrens erklärte, daß er an der Aufklärung des Falles interessiert sei, klang das zwar sehr überzeugend, lief aber damals schon Gefahr, sich sehr schnell als Makulatur zu erweisen. Denn Aufklärung bedeutet in diesem Fall, das Risiko einzugehen, daß auch der eigene Mandant hinterher als Täter dastehen kann. Wie beschränkt das Aufklärungsbedürfnis des Nebenklägervertreters tatsächlich war, zeigte sich dann bei der Frage, wie weit die Nebenklage bei der Überprüfung der Angaben jener Zeugin zur Mithilfe bereit war, die angab, Reinhard Weimar habe ihr die Tat bei einem gemeinsamen Aufenthalt in der Psychiatrie gestanden und anschließend einen Selbstmordversuch unternommen. Mühsam mußte das Gericht, ohne Mithilfe der Nebenklage, die Übereinstimmung von Aufenthaltszeiten prüfen. Was den Suizidversuch anging, behalf es sich damit, gegen den Protest der Nebenklage, eine psychiatrische Stellungnahme zu verlesen, aus der zumindest allgemein hervorging, daß Reinhard Weimar mehrere Selbstmordversuche unternommen hatte und daß er unter Wahnvorstellungen leidet.

Man kann also davon ausgehen, daß es der Nebenklage in diesem Falle nur insoweit um Aufklärung geht, als das nicht mit den Interessen ihres Mandanten kollidiert. Und die Verlesung der Protokolle der Telefonüberwachung kollidiert mit diesen Interessen nicht, denn Reinhard Weimar wußte, wie aus dem Protokoll der abgehörten Gespräche hervorgeht, daß sein Apparat abgehört wurde.

Der Nebenklage geht es bei der Verlesung dieser Protokolle nicht darum, neue Fakten ans Licht zu bringen, sondern um Interpretationen. Die abgehörten Gespräche zwischen Frau Weimar und Kevin Pratt sollen die übergroße Abhängigkeit der Monika Weimar von ihrem Liebhaber dokumentieren und damit ein Tatmotiv erhärten, daß sie nämlich aus Angst, ihren Liebhaber zu verlieren, die Kinder getötet habe. Eine dahin gehende Interpretation erhofft sich die Nebenklage von den beiden psychologischen beziehungsweise psychiatrischen Gutachtern, die während des gesamten Verfahrens anwesend sind.

Die Originalbänder, die den Protokollen zugrunde liegen, existieren nicht mehr. Die Einführung der Protokolle in die Verhandlung ist eher das Ergebnis eines Betriebsunfalles und eine Geschichte für sich. Bei der zeugenschaftlichen Vernehmung eines Kripobeamten vorm Gießener Gericht stieß die Verteidigung auf Angaben, die sich in den Gerichtsakten nirgends finden ließen. Erst nach tagelangem Suchen fand die Bad Hersfelder Kripo die entsprechenden Unterlagen, die seinerzeit nicht, wie es sich gehört hätte, zu den Prozeßakten gelangt waren, und bei diesen Unterlagen fanden sich dann auch die Protokolle. Um dem Verbleib der Originalbänder auf die Spur zu kommen, wurden eigens die Richter aus dem Fuldaer Verfahren geladen. Der damalige Vorsitzende erinnerte sich nicht, mit den "Dingern" befaßt gewesen zu sein. Er habe sich ihnen damals nur mit "spitzen Fingern" genähert. Die Tatsache, daß auch Gespräche mit den Anwälten verzeichnet waren, habe ihn angewidert, und nachdem ihm der damalige Staatsanwalt versichert habe, daß nichts von Bedeutung darin zu finden sei, habe er sie ganz einfach ignoriert. Er war verblüfft, als ihm anhand seiner eigenen Unterschrift gezeigt wurde, daß er über den weiteren Verbleib der Bänder durchaus Anweisungen gegeben hatte und versicherte mehrmals, er könne sich an nichts erinnern. Ihm war das Ganze schleierhaft, es machte ihn ratlos. Freundlich grinsend erklärte der psychiatrische Gutachter dann dem als Zeuge geladenen Vorsitzenden des Fuldaer Verfahrens, es gebe eine schlüssige Begründung für sein Nicht-Erinnern, er selbst habe sie gerade angeführt: "nur mit spitzen Fingern" habe er die "Dinger" angefaßt, sie seien ihm "widerlich" gewesen. Man nenne das affektives Vergessen.

Da schwieg der Fuldaer Richter einen Augenblick verblüfft. Dann meinte er, das sei das erste Mal, daß ihm jemand affektives Vergessen nachweise (Selbsterkenntnis gehört sicher nicht zu den Stärken dieses Mannes). Und nachdem sich sein verblüfftes Erstaunen gelegt hatte, meinte er zum Gutachter: "Und wie ist das mit Ihnen? Sie haben doch auch vergessen, daß Sie mit ihnen befaßt waren?" "Ja sicher", meinte der Gutachter da, "aber bei mir ist das wieder eine andere Geschichte." - Da konnte wenigstens einmal im Gerichtssaal gemeinsam gelacht werden.

Man hatte in Fulda also beschlossen, von diesen "Dingern" keinen Gebrauch zu machen - nur einmal kamen sie während des Verfahrens damals zur Sprache, als eine der Hauptbelastungszeuginnen ("ich hab die Kinder doch grad noch gesehen") bei falschen Angaben erwischt wurde. - Und man kann sich ohne weiteres vorstellen, was die Verlesung von zwei Aktenordnern voll engbeschriebenen Papiers im Gerichtssaal bewirken wird: eine Mischung aus Peinlichkeit und Langeweile wird sich breitmachen und an allen, die zuhören (ganz zu schweigen von denen, die vorlesen müssen), wird ein übler (voyeuristischer) Schmodder hängenbleiben; man wird sich fühlen, als habe man in anderer Leute Dreckwäsche gestöbert.

Einen Vorgeschmack auf das zu Erwartende lieferte inzwischen die Verteidigung, die diesen Verlesungsvorgang aus verständlichen Gründen verhindern möchte.

Das Gericht hatte zwecks Klärung der Frage, wie zuverlässig die Bänder protokolliert wurden, bereits die beiden Schreibdamen geladen. Nun wurde auch der Dolmetscher gehört, der für die Übertragung der in englisch/deutschem Kauderwelsch geführten Gespräche von Frau Weimar und Kevin Pratt zuständig war. Der Mann präsentierte sich als kompetenter und erfahrener Übersetzer, solcher Dinge durchaus mächtig und zuverlässig arbeitend, und das Gericht nahm ihm diese Selbstdarstellung auch bereitwillig ab. Die Verteidigung mit ihrer untrüglichen Witterung für die menschlichen Schwächen und Unvollkommenheiten nahm sich nun genüßlich einige Protokollabschnitte vor, von denen nicht nur die Übersetzungsversion des Dolmetschers, sondern auch die eines Polizeibeamten vorlag. Und siehe da, es fanden sich zahlreiche Abweichungen, und nicht nur das. Der Polizeibeamte hatte neben den verbalen auch die emotionalen Äußerungen notiert; nicht so der Übersetzer. Der beschränkte sich auf die reine Textwiedergabe. Jeder weiß, daß selbst die scheinbar eindeutige Erklärung "ich liebe dich" vom Verführerischen bis zum Erpresserischen in der ganzen Bandbreite der Tonlagen vorgetragen werden kann, so daß in ein schriftliches Protokoll nahezu alles hineininterpretierbar ist. Der Übersetzerzeuge wurde also von der Verteidigung nach Kräften geschlachtet, gerade so, als ob es der Nebenkläger persönlich wäre. Und das, nachdem das Gericht kurz zuvor entschieden hatte, die Protokolle zu verlesen. - Begonnen wurde damit allerdings noch nicht. Vielleicht überlegt es sich das Gericht ja doch noch mal - so wie es auch seine Entscheidung, auf die Vernehmung Kevin Pratts ganz zu verzichten und sich statt dessen mit der Verlesung der Vernehmungsprotokolle zu begnügen, erst einmal revidieren mußte. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Beschluß protestiert und Zweifel daran angemeldet, ob Kevin Pratt, als er die Annahme der Ladung verweigerte, überhaupt den Inhalt des Schreibens kannte, das er nicht annehmen wollte.

Inzwischen hat Kevin Pratt in einem Telefongespräch mit dem zuständigen deutschen Konsulatsbeamten seine prinzipielle Bereitschaft, in Gießen vor Gericht zu erscheinen, erklärt. Allerdings gibt es da einige Hürden zu überwinden. Er ist, so gibt er an, auf einen Rollstuhl angewiesen, wegen einer Knochenkrankheit; bekommt regelmäßig Morphium und andere Tabletten, braucht als Begleitung die Krankenschwester, die ihn regelmäßig betreut, außerdem muß die Versorgung seiner drei halbwüchsigen Kinder gesichert sein. Dazu kommt noch, daß weder er noch die Krankenschwester einen Reisepaß haben, den auszustellen mindestens vier bis sechs Wochen beansprucht. Das allein sind schon etliche, eher organisatorische Unwägbarkeiten. Dazu kommt noch, daß Kevin Pratt bereits im Sommer vergangenen Jahres, nach Beginn des Prozesses, von Spiegel-TV in einem mehrstündigen Interview ausgeschlachtet wurde. Von den Angaben, die aus diesem Interview bekannt wurden, vertragen sich einige nur schwer mit seiner Aussage vorm Fuldaer Landgericht 1987. So hatte er seinerzeit angegeben, er habe seine Freundin Monika auch deswegen zur Scheidung gedrängt, weil er von den tätlichen Auseinandersetzungen der Eheleute wußte, das habe er regelmäßig an den blauen Flecken erkannt. Auch habe ihn gestört, daß sie nach dem Zusammensein mit ihm regelmäßig ins eheliche Bett zurückkehrte. Solche Angaben sind nur schwer mit Äußerungen vereinbar, wie sie im Spiegel jetzt nachzulesen waren, nämlich, er habe erst nach dem Tod der Kinder erfahren, daß die Eheleute Weimar in der Zeit seines Liebesverhältnisses mit Monika noch zusammenlebten.

Das Gericht hat inzwischen aufgrund "der prinzipiellen Bereitschaft" des Kevin Pratt, zu erscheinen, neu disponiert. Ein Verhandlungstag pro Woche wurde gestrichen, von Anfang Februar bis Anfang März wird eine 30tägige Unterbrechung eingelegt und die Vernehmung des ehemaligen Soldaten auf den 12. und 13. März anberaumt. - Wahrscheinlicher als das Erscheinen des Kevin Pratt ist allerdings, daß auch im April nur seine "prinzipielle Bereitschaft" im Raume schwebt.

Auf diese Weise ist die von der Nebenklage ganz offensichtlich gefürchtete Entscheidung über das Urteil erst mal in weite Ferne gerückt, der Konflikt um "Sieg oder Niederlage" erst mal aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Man kann gespannt sein, was sich die Kontrahenten noch alles einfallen lassen werden, um sich das Leben gegenseitig schwer zu machen. Mit Wahrheitsfindung hat das alles nur wenig zu tun. Aber wie heißt es bei Dostojewskij in Verbrechen und Strafe:

...aber verbürgen Sie sich nie für Dinge, die sich zwischen Ehegatten oder dem Liebhaber und der Geliebten abspielen. Da gibt es immer einen kleinen Winkel, der der ganzen Welt ewig verborgen bleibt und nur den beiden bekannt ist."