"Wonderful Danmark"?

Das Steuersystem und die Steuer- und Sozialreform in Dänemark - Folgerungen für eine grüne Reformpolitik

Karl-Martin Hentschel

Man stelle sich vor, es gibt 1998 in Bonn einen Regierungswechsel. Fünf Monate später wird eine ökologische Steuerreform beschlossen, verbunden mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen für Beschäftigung - und vier Jahre später ist die Arbeitslosigkeit halbiert, alle Auszubildenden bekommen eine Lehrstelle, der Staatshaushalt erwirtschaftet Überschüsse und die Wirtschaft boomt. Unwahrscheinlich? Genau das ist in Dänemark in den letzten Jahren passiert.

Erstaunliche Eckdaten 1993 beschloß die neue Mitte-links-Regierung unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Poul Nyrup Rasmussen nach nur fünf Monaten Amtszeit(!) eine Ökologische Steuerreform. Parallel dazu wurden eine ganze Reihe von Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und für Beschäftigung ergriffen. Diese Politik wurde in den letzten Jahren mehrfach ergänzt und modifiziert - eine Art Feinabstimmungsprozeß.

Die Ergebnisse sind bemerkenswert: In knapp fünf Jahren sank die Arbeitslosigkeit von fast 13 Prozent auf mittlerweile etwa 7 Prozent und die Wachstumsraten lagen in den letzten Jahren regelmäßig mit 2,5 bis 3 Prozent über den anderer EU-Staaten.2

Gleichzeitig liegt Dänemark bei der Neuverschuldung nicht nur unterhalb des Maastricht-Kriteriums von 3 Prozent des Bruttosozialproduktes - sondern Dänemark ist mit vorraussichtlich 1,8 Prozent Plus im Haushalt 1997 mittlerweile das einzige EU-Land neben Luxemburg, in dem der Staat Überschüsse erwirtschaftet! (Siehe: Schaubild "Kennzahlen Dänemark 1992-1997.)

Vorangegangen war der Regierung Rasmussen eine Phase starker Sparpolitik unter dem konservativen Amtsvorgänger Poul Schlüter. Sie hatte zwar zur Verbesserung der Handelsbilanz, aber zugleich zu ständig wachsender Arbeitslosigkeit und chronischen Defiziten im Staatshaushalt geführt.

Trotz aller Warnungen war die Steuerreform auch für die Exportwirtschaft ein voller Erfolg. Hatte Dänemark noch 1986 ein Außenhandelsdefizit von 5 Prozent des Bruttosozialproduktes, so ist zehn Jahre später daraus ein Plus von 1 Prozent entstanden.

Mittlerweile läuft die Konjunktur bei unseren nördlichen Nachbarn so gut, daß die Regierung im April 1997 öffentliche Bauvorhaben im Wert von 800 Millionen dkr gestrichen hat mit der erstaunlichen Begründung, daß die Arbeitslosigkeit im Bau unter 4 Prozent gefallen sei und man nun die Konjunktur bremsen wolle, damit die Löhne nicht zu schnell steigen.

Dies alles war möglich bei einer progressiv steigenden Ökosteuer, einer Staatsquote von über 50 Prozent und einem Arbeitslosengeld von 90 Prozent über fünf Jahre. Es macht den Anschein, daß Dänemark die gängige volkswirtschaftliche Logik außer Kraft setzt, nach der nur niedrige Staatsquoten und sinkende Löhne auf unqualifizierte Arbeit ein Garant für Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung sind.

Die öffentliche Resonanz der Reform Es ist bemerkenswert, daß die Reformen in Dänemark ausgerechnet von einer Minderheitsregierung eingebracht wurden. Minderheitsregierungen haben in Skandinavien im Gegensatz zu Deutschland allerdings Tradition und kommen häufig vor. Sie führen in der Regel sogar zu einem größeren Konsens in der Politik, da sich die Regierung jeweils der Mitwirkung einer oder mehrerer anderer Parteien versichern muß.

Die Reformen der letzten Jahre wurden überwiegend in einer Art großer Koalition der Mitte-links-Regierung mit den oppositionellen Konservativen verabschiedet, meist gegen die Stimmen der kleinen Parteien links von der Regierung und die Parteien am ganz rechten Spektrum. In einigen Fällen, wie bei der Nachbesserung der Ökosteuern für die Wirtschaft, gab es aber auch eine Linkskoalition mit der Linksunion und den Volkssozialisten.

Die Klimaschutzpolitik und die Ökosteuerreform in Dänemark waren in einem ersten Schritt bereits unter der konservativen Regierung 1992 eingeleitet worden und genießen bis heute eine hohe Zustimmung.

Von Wirtschaftsfachleuten sowohl in der dänischen wie der deutschen Presse wurden 1993/94 die Reformen allerdings heftig kritisiert. "Praktisch einstimmig protestieren die dänischen Wirtschaftsverbände gegen die Absicht der Kopenhagener Regierung, die Sätze für die Kohlendioxid-Steuer zu versechsfachen", schrieb das Handelsblatt am 19.8.94. Die Verbände prognostizierten den Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen und Einbrüche bei der Exportindustrie. Die Arbeitsmarktmaßnahmen, wie die Job-Rotation, das Sabbat-Jahr und die Arbeitsmarktumlage, wurden zur "Schwindelnummer" erklärt.

Bereits ein Jahr später beginnt sich der Tenor aufgrund der guten Konjunktur langsam zu wandeln. "Die Kritik der Industrie wird leiser", heißt es in einem Kommentar für die Stuttgarter Zeitung aus Kopenhagen am 3.1.96. Im April 1996 stellt dann das Handelsblatt erstaunt fest: "Die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ist kaum negativ beeinträchtigt."

Seit 1997 wird nun Dänemark geradezu als Vorbild gepriesen: "Das Jobwunder im Norden" verkündet die Zeit (21.2.97); im April berichtet dann schon das Handelsblatt: "Dänemark gilt als Musterschüler" (8.4.97) und erwähnt sogar: "Autoverkehr und Flugreisen werden härter besteuert". Schließlich folgt dann auch die FAZ: "Die OECD lobt Dänemarks Wirtschaftspolitik" (15.7.97).

Je positiver allerdings die Schlagzeilen, desto schweigsamer wurden Kommentare der Wirtschaftsforscher zur Ökosteuer. Zwar wird Dänemark als Vorbild für einen strikten Konsolidierungskurs gepriesen, die Ökosteuern werden aber in den Kommentaren schlicht ausgeblendet. Der hohe Staatsanteil wird zwar weiter kritisiert, ohne zu erklären, warum er Dänemark entgegen den Warnungen aller renommierten Wirtschaftsforschungsinstitute nicht erdrückt.

Die Staatseinnahmen aus den Erdgasvorkommen in der Nordsee (Peder Andersen, Danish Economic Council, GPB-Report, 97/2) machen nur 1 Prozent des BSP aus und können, da trotz kräftiger Gewinne aufgrund der hohen Erschließungskosten nur ein Teil beim Staat landet, lediglich die Verbesserung der Staatseinnahmen um 1 bis 2 Prozent, nicht aber die Entwicklung der dänischen Wirtschaft in den letzten Jahren erklären. Es paßt aber einfach nicht in das Schema der aktuellen volkwirtschaftswissenschaftlichen Diskussion, daß ein Hochsteuer-Land, das zudem Vorreiter bei der Einführung von Ökosteuern ist, wirtschaftlich erfolgreich ist. Um so mehr lohnt es sich, die Ursachen zu ergründen und zu prüfen, was übertragbar ist und was nicht.

Steuern und Abgaben Die Besonderheit Dänemarks - auch im Vergleich zu Schweden - besteht darin, daß das Sozialsystem fast ausschließlich aus Steuern finanziert wird. Das ist auch der Grund dafür, daß Dänemark von allen entwickelten Ländern der Erde die höchste Steuerquote hat, nämlich 50,4 Prozent des Bruttosozialproduktes in 1996. Dagegen ist Deutschland aufgrund der dramatischen Steuergeschenke der letzten Jahre (vor allem Ostabschreibungen) mit einer Steuerquote von 23,3 Prozent (1996) geradezu ein Niedrigsteuerparadies geworden und liegt nur noch knapp vor Großbritannien (22,6 % in 1994).

Ganz anders sieht es bei den Sozialabgaben aus. Diese betragen in Dänemark lediglich 1,7 Prozent des BSP, das ist der niedrigste Wert aller Industriestaaten. Selbst in den Staaten mit traditionell niedrigen Sozialabgaben wie die USA und Japan liegen diese mit 13,8 Prozent und 13,2 Prozent bei mehr als dem Siebenfachen. In Deutschland lagen die Sozialabgaben 1994 sogar bei mehr als 20 Prozent des BSP, ein Wert, der nur von Frankreich übertroffen wird, das ja auch ähnliche Probleme wie Deutschland hat.

Die Kehrseite der niedrigen Lohnnebenkosten sind die Mehrwertsteuer von 25 Prozent und neuerdings die Ökosteuern, die zur Senkung der Einkommenssteuern genutzt werden.

Die Deutschen Sozialleistungen verteuern die Löhne, belasten die Exporte und vernichten so Arbeitsplätze. Die keineswegs schlechteren dänischen gehen dagegen vom allgemeinen Konsum ab, wirken sich aber vergleichsweise weniger auf die Arbeitsplätze und auf den Export aus.

Die Steuerreform von 1994 Nach mehreren Jahren eines scharfen Sparkurses durch seinen konservativen Vorgänger Schlüter entschloß sich der sozialdemokratische Ministerpräsident Rasmussen nach der Regierungsübernahme 1993 zu einer großen Steuerreform. Diese Steuerreform verband die Einführung von Ökosteuern auf Wasser, Elektrizität, Kohle, Kraftfahrzeuge, Abfall, Abwasser und Plastiktüten mit einer sprunghaften Senkung der Einkommenssteuersätze auf 38 bis 58 Prozent (bisher 52 bis 68 Prozent). Die Ökosteuern trafen kaum die Betriebe, wenn diese entsprechende Investitionen nachweisen konnten. Mittlerweile werden aber auch die Betriebe stärker einbezogen. Dazu kommt neuerdings die Besteuerung von Flugreisen.

Diese Steuersätze erscheinen immer noch hoch im Vergleich zu deutschen Steuersätzen. Rechne ich aber auf die deutschen Sätze jeweils 40 Prozent Sozialversicherungsabgaben dazu, dann liegt die Abgaben- und Lohnbelastung in Dänemark weit unter der in Deutschland. Insbesondere niedrige Einkommen sind aufgrund des Steuerfreibetrages sehr wenig belastet.

Beispiel: Ein/e deutsche/r Angestellte/r mit zwei Kindern (Steuerklasse III) mit 4.200 DM Nettoeinkommen zahlt etwa 2.800 DM Sozialabgaben (einschließlich Arbeitgeberanteil) und 1200 DM Steuern, zusammen sind das 4.000 DM oder 100 Prozent Aufschlag. Die/der dänische Angestellte mit gleichem Einkommen zahlt lediglich etwa 2100 DM Steuern und Abgaben (2.600 vor der Steuerreform von 1994).

Ein/e Teilzeitbeschäftigte/r mit 1.000 DM netto zahlt in Deutschland keine Steuern, aber es fallen trotzdem etwa 500 DM Sozialabgaben an. In Dänemark liegt die Steuer unter 300 DM. Ergo kostet der Arbeitsplatz den Arbeitgeber in Deutschland mehr als 15 Prozent mehr.

Um die Umstellung nicht zu radikal zu gestalten, war die Reform von vornherein schrittweise auf fünf Jahre angelegt, so daß seitdem jedes Jahr die Einkommenssteuern sinken und die Ökosteuern wachsen.

Verbunden war die Reform mit dem Schließen von Steuerschlupflöchern und Abschreibungsmöglichkeiten. Dazu gehörte auch die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer für Firmenvermögen, die Einschränkung des Handels mit verlustbringenden Firmen und die Reduzierung der Abschreibungsmöglichkeiten für Wohnungsbesitzer.

Die Wirkung auf den Außenhandel Das traditionell hohe Gesamtsteuerniveau in Dänemark müßte normalerweise katastrophale Wirkungen auf die dänische Exportwirtschaft haben. Das wäre auch so, wenn die gesamte Steuerlast für den Export zum Tragen käme. Das ist aber nicht der Fall (siehe: Schaubild "Steuern und Abgaben").

Relevant für den Export sind der Teil der Steuern, die auf den Lohn aufgeschlagen werden, und die indirekten Steuern, die auch für Exportprodukte relevant werden. Und genau hier unterscheiden sich die Systeme.

In Dänemark werden die direkten Steuern abgebaut und die Sozialabgaben sind eh gering. Die indirekten Steuern bestehen dagegen in Dänemark überwiegend aus der Mehrwertsteuer und aus Ökosteuern. Die Mehrwertsteuer wird nicht auf Exportwaren erhoben, wohl aber auf Importe - sie ist also außenhandelsneutral.

Die sonstigen Verbrauchs- und insbesondere die umweltrelevanten Steuern wurden in Dänemark schon seit jeher so gestaltet, daß sie überwiegend nur in geringem Umfang Exportgüter belasten. Dies gilt zum Beispiel für die Mineralölsteuern, Alkoholsteuern und spezielle Steuern auf PKWs, die alle überwiegend den inländischen Konsum und in besonderer Weise den Import betreffen. Die Energiesteuern wurden bewußt so gestaltet, daß es für Exportindustrien mit hohem Energieverbrauch Ausnahmeregelungen gibt.

Hier lohnt sich ein Vergleich mit den USA. Obwohl die USA traditionell ein Niedrigsteuerland sind, sind große Teile der US-Industrie auf den Weltmärkten nicht konkurrenzfähig. Tatsächlich konzentriert sich der Export der USA auf sehr wenige Wirtschaftszweige, wie etwa die hochsubventionierte Flugzeugindustrie. Ihr traditionell hohes Außenhandelsdefizit können sich die USA nur leisten, weil der Dollar eine Art Weltwährung ist.

Der Grund für diese Situation ist die ungünstige Konstruktion der Steuern. Fast alle Steuern in den USA sind in voller Höhe exportwirksam. Dies liegt insbesondere daran, daß der Anteil der indirekten Steuern gering ist. Und auch diese indirekten Steuern schlagen voll auf den Export durch, da es keine Mehrwertsteuern gibt und die meisten Verbrauchssteuern von den Bundesstaaten erhoben werden.

Das verblüffende Ergebnis dieser Analyse besteht darin, daß trotz der mehr als doppelt so hohen Steuerlast in Dänemark die Belastungen des Exports ähnlich hoch wie in anderen Industrieländern sind. Die Einführung der Ökosteuer und die damit verbundene Senkung der direkten Steuern hat sogar dazu geführt, daß die Exportbelastung in Dänemark geringer ist als in den meisten anderen Ländern, wie etwa den USA, Japan oder Deutschland (siehe: Tabelle "Steuern in verschiedenen Ländern").

Entlastung der unteren Einkommen - Sozialsystem Aber das dänische System sorgt nicht nur für stabile Exporte, es belastet auch die Arbeitsplätze vergleichsweise weniger. Insbesondere die niedrigen Einkommensgruppen, die wegen der Progression in Dänemark wie in Deutschland kaum Steuern zahlen, werden in Dänemark bevorteilt, da es fast keine Sozialabgaben gibt.

Während in Deutschland aufgrund wachsender Sozialabgaben gerade die Niedrigverdiener in Scharen vor den Belastungen in die Schwarzarbeit, in Scheinselbständigkeit oder in sozialversicherungsfreie 610-Mark-Verträge fliehen, besteht in Dänemark für Niedrigverdiener umgekehrt ein Anreiz, legal zu arbeiten, weil sie damit Rentenansprüche erwerben.

Damit erreicht das dänische System partiell die gleichen Effekte, wie sie in den USA und Großbritannien nur mit gravierenden sozialen Einschnitten erreicht wurden. Es erleichtert die Schaffung von Arbeitsplätzen gerade in den Wachstumsbranchen des Dienstleistungssektors, im Handwerk und in den kleinen Technologiebetrieben, in denen die Lohnkostenquote überproportional hoch ist. Es ist also nicht erstaunlich, daß Dänemark eine sehr hohe Erwerbstätigenquote hat. Sie liegt mit 73,4 Prozent um mehr als 8 Prozent über der in Deutschland (65,1).

Im Unterschied zu den USA und England gibt es aber in Dänemark keinen typischen Niedriglohnsektor - zum einen aufgrund des hohen Arbeitslosengeldes, zum anderen aufgrund des relativ hohen Mindestlohnes. Daß Dänemark trotzdem in der Lage ist, eine vergleichbar hohe Beschäftigungsquote zu erreichen, spricht eindeutig für das dänische System (siehe: Schaubild "Erwerbstätigenquoten 1995")!

Arbeitsmarktpolitik und Maßnahmen zur Eingliederung von Arbeitslosen Parallel zur Steuerreform ergriff die dänische Regierung eine Reihe von Maßnahmen, um die Arbeitslosigkeit abzubauen. - Kennzeichnend für das dänische System war schon immer eine sehr hohe Absicherung aller Lebensrisiken. Während aber in Deutschland das soziale Netz immer grobere Maschen hat, ist Dänemark eher einen anderen Weg gegangen. Auf der Basis einer guten sozialen Absicherung hat Dänemark begonnen, den Arbeitsmarkt drastisch zu liberalisieren. So bekommen dänische Arbeitslose weiterhin fünf Jahre lang 90 Prozent ihres Lohnes als Arbeitslosengeld (vorher sogar sieben Jahre) - allerdings nur bis maximal 3.100 DM/Monat.

Nur auf dem Hintergrund dieser hohen sozialen Absicherung ist die Zustimmung auch der Gewerkschaften zu der in den letzten Jahren erfolgten Flexibilisierung und die Einführung von Zwangsmaßnahmen durch eine sozialdemokratisch geführte Regierung zu verstehen.

So gibt es in Dänemark praktisch keinen Kündigungsschutz mehr. Auch die Tarifverhandlungen sind seit zehn Jahren im Einvernehmen mit den Gewerkschaften weitgehend regionalisiert worden. Trotzdem liegen die Löhne, auch wegen der guten Absicherung, höher als in Deutschland. Insbesondere einfache Arbeiten werden besser bezahlt (kosten den Arbeitgeber aber weniger wegen der geringen Sozialabgaben - s.o.). Es gibt einen Mindestlohn von circa 21 DM/Stunde.

Glanzstücke der dänischen Arbeitsmarktpolitik sind die Maßnahmen zur Lebensarbeitszeitverkürzung: 1995 befanden sich 2 Prozent aller Beschäftigten in einem Frühverrentungsprogramm für Beschäftigte ab 50 Jahren. Darüber hinaus wurden weitere Maßnahmen zur Entlastung des Arbeitsmarktes ergriffen, wie Kinderurlaub, Weiterbildungsurlaub und Sabbatjahr. 1995 umfaßten allein diese Freistellungen 3 Prozent aller Beschäftigten.

Beim freiwilligen Sabbatjahr bekommen Beschäftigte 60 Prozent des Einkommens vom Arbeitsamt. Es wird überwiegend von gut qualifizierten Angestellten wahrgenommen. Deshalb wird es zunehmend kritisch gesehen, verursacht es dem Staat doch erhebliche Kosten.

Als besonders erfolgreich gilt das Programm zur Job-Rotation. Dabei können Arbeitnehmer in Umschulung geschickt werden und bekommen Arbeitslosengeld, wenn der Betrieb dafür Arbeitslose zeitweilig einstellt, die vorher qualifiziert werden. Dies wird intensiv auch von Betrieben genutzt, die sonst entlassen müßten, und so Teile der Belegschaft abwechselnd arbeiten lassen und zugleich für neue Berufsfelder qualifizieren.

Während diese Maßnahmen sicher auch bei uns breiten Beifall finden könnten, würden andere dänische "Erfindungen" sicher ganz anders gesehen.

Um Schwarzarbeit im privaten Sektor zu verhindern, wird Hausarbeit und Gartenarbeit vom Staat mit 50 Prozent subventioniert.

Sozialhilfeempfänger bekommen, soweit sie erwerbsfähig sind, nach spätestens 13 Wochen Arbeit von den Kommunen angeboten. Für Arbeitslose gilt dies spätestens nach 24 Monaten. Nach einem Jahr müssen Arbeitslose auch berufsfremde Jobs annehmen. Wer sich weigert, angebotene Arbeiten oder Umschulungen anzunehmen, dem können die Leistungen gestrichen werden, was in der Praxis aber nur selten vorkommt.

Ein gesondertes Programm soll die hohe Jugend-Arbeitslosigkeit senken: Für Arbeitslose unter 25 Jahren wird nun bereits nach drei Monaten ein individueller Handlungsplan erstellt. Jugendliche Arbeitslose, die eine Ausbildung oder ein Studium beginnen, bekommen für 18 Monate das Lehrlingsgeld oder das Stipendium in Höhe des Arbeitslosengeldes aufgestockt.

Arbeitslose unter 25 Jahren, die nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit weder eine Arbeit gefunden haben noch eine Weiterbildung oder ein Studium begonnen haben, wird das Arbeitslosengeld auf die Hälfte gekürzt und sie bekommen eine Weiterbildungsmaßnahme angeboten. Dies ist aber nur bei drei von zehn Jugendlichen, die ein halbes Jahr arbeitslos sind, der Fall. Weitere drei von zehn machen eine selbstgesuchte Weiterbildung und die restlichen vier finden doch noch rechtzeitig einen Job.

Auch mit der Ausbildungsplatzabgabe, die bei uns von der Wirtschaft vehement abgelehnt wird, wurde in Dänemark experimentiert. Als viele Jugendliche Anfang der 90er Jahre keinen Ausbildungsplatz bekamen, wurde eine betriebliche Umlage zur Finanzierung eines Fonds mit großem Erfolg eingeführt. Jeder Jugendliche bekommt nun einen Ausbildungsplatz. Mittlerweile wurde die Abgabe wieder abgeschafft, weil sie ihr Ziel erreicht hat. Allerdings soll das Ausbildungsniveau insgesamt noch schlechter sein als in Deutschland.

Während die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen aufgrund der geschilderten Maßnahmen auf unter die Hälfte zurückging, gelingt die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen nur schwer. Die Wiedereingliederungsquote bei Langzeitarbeitslosen nach einer Weiterbildungsmaßnahme liegt mit 25 Prozent auch in Dänemark niedrig. Gerade deshalb ist es aber das Bestreben der Maßnahmen, eine solche Situation gar nicht erst entstehen zu lassen.

Dänemark als Vorbild Auch in Dänemark sind längst nicht alle Probleme gelöst. Eine wenn auch um die Hälfte verringerte Arbeitslosenquote (Kohls aufgegebenes Ziel für 2000) von 7 Prozent kann noch nicht befriedigen. Außerdem ist jede Betrachtung eine Momentaufnahme. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation in unserem Nachbarland weiter entwickelt. Sie ist auch nicht einfach kopierbar.

Es ist kaum denkbar, daß in kurzer oder mittlerer Frist das traditionelle Sozialversicherungssystem in Deutschland durch eine Steuerfinanzierung des Gesundheitssystems oder der Renten abgelöst wird. Insbesondere eine steuerfinanzierte Grundrente stößt in Deutschland auf massive Widerstände in beiden großen Parteien, den Gewerkschaften und Sozialverbänden. Dies hat auch die Reaktion auf die Vorschläge von Kurt Biedenkopf und Heide Simonis deutlich gemacht.

Dänemark hat sich als kleines Land in der internationalen Arbeitsteilung ziemlich stark spezialisiert. Zum Beispiel gibt es in Dänemark keine PKW-Produktion, die in Deutschland eine der wichtigsten Exportindustrien ist. Deshalb ist eine hohe Besteuerung der PKWs, wie sie in Dänemark traditionell praktiziert wird, in Deutschland kaum denkbar.

Trotzdem kann man der Analyse eine Reihe Anregungen für die bei uns notwendigen Reformen entnehmen. Es kommt offensichtlich nicht auf die absolute Höhe der Staatsquote oder der Steuern an, vielmehr allein darauf, wie hoch die Steuern und Abgaben sind, die auf die Löhne aufgeschlagen werden, und wie hoch die Steuern und Abgaben auf den Export sind. Mehrwertsteuer und zum Teil auch die Ökosteuern sind nach beiden Seiten wirkungsneutral.

Obwohl Dänemark, im Gegensatz zu Großbritannien und den USA, ein Hochsteuerland ist, ist die Belastung der unteren Einkommen auch dort sehr niedrig - im Gegensatz zu Deutschland oder Frankreich, die die Schaffung von Arbeitsplätzen durch hohe Abgaben und Steuern geradezu "bestrafen".

Auch bei der Liberalisierung des Arbeitsmarktes und bei Kriterien für die Auszahlung von Arbeitslosengeld ist Dänemark einen ähnlichen Weg gegangen wie die USA, England oder auch die Niederlande, allerdings unter Beibehaltung eines hohen sozialen Niveaus.

Es ist deshalb nur auf den ersten Blick erstaunlich, daß Dänemark in der Konsequenz ähnliche Ergebnisse vorweisen kann, wie diese oft als vorbildlich dargestellten Länder. Ähnlich wie dort werden auch in Dänemark im Dienstleistungssektor über 10 Prozent mehr Arbeitsplätze bereitgestellt als in Deutschland. Ein entsprechender Zuwachs im Dienstleistungssektor in Deutschland würde ausreichen, um die Arbeitslosigkeit auf Null zurückzuführen.

Dabei kommt es vor allem auf die sogenannten lokalen Dienstleistungen an (siehe: Schaubild "Anteil der Beschäftigten in lokalen Dienstleistungen"), in denen der internationale Wettbewerb keine Rolle spielt.

Dagegen spielen die Arbeitsplätze im produzierenden Sektor eine zunehmend geringere Rolle für die Vollbeschäftigung. In allen Industriestaaten nimmt die Zahl der Arbeitsplätze in der Produktion rapide ab. Im kommenden Jahrhundert wird die Massengüterproduktion wahrscheinlich einen ähnlichen Weg gehen, wie zuvor schon die Landwirtschaft. Sie wird weiterhin wichtig sein, aber nur noch relativ wenig Menschen beschäftigen - vermutlich unter 20 Prozent der Erwerbstätigen.

Deutschland hat den höchsten Anteil von Beschäftigten im produzierenden Sektor (siehe: Schaubild "Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe"). Dies dürfte darauf hinweisen, daß Deutschland im Strukturwandel von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft gegenüber anderen Staaten hinterherhinkt. Vollbeschäftigung ist nur möglich, wenn neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor geschaffen werden. Da dieser Sektor aber personalintensiv ist, sind hohe Lohnnebenkosten besonders hier für die Schaffung von Arbeitsplätzen Gift.

Der Hauptunterschied zwischen den USA und Großbritannien einerseits und Dänemark andererseits besteht darin, daß die hohen Beschäftigungszahlen im Dienstleistungssektor in Dänemark mehr als die Hälfte der Beschäftigten in lokalen Dienstleistungen über den öffentlichen Sektor finanziert wird. Da diese Dienstleistungen aber kaum überregionaler Konkurrenz ausgesetzt sind, ist es offensichtlich volkswirtschaftlich keineswegs nachteilig, wenn sie öffentlich finanziert werden.

Allerdings bestätigt auch das dänische Beispiel die in den USA und England gemachten Erfahrungen, daß es eines gewissen Drucks bedarf, damit sich nicht eine wachsende Zahl von Menschen aus dem Arbeitsmarkt in die Sozialsysteme zurückzieht und sich in der Folge der Gesellschaft entfremdet.

Während jedoch die USA und England diesen Druck durch Kürzung von Sozialleistungen erzeugen, mit teilweise erschreckenden sozialen Folgen und einem ausgedehnten Niedriglohnsektor, erzwingt Dänemark die Annahme öffentlicher kommunaler Arbeiten. Dies ist offensichtlich die Kehrseite der Schaffung von Arbeitsplätzen, ohne zugleich das Lohnniveau für einfache Arbeiten und das Arbeitslosengeld drastisch abzusenken.

1 Titel eines Artikels von Peder Andersen, Danish Economic Council, in CPB-Report 97/2. - Ich stütze mich überwiegend auf Zeitungsartikel und Aufsätze aus deutschen und dänischen Zeitungen, die ich im Archiv des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel und im Internet ausgewertet habe, sowie auf das interessante Buch von Klaus Peter Möller: Nichts produzieren und trotzdem gut leben, Edition Pestel, 1997.

2 Auch diese erfolgreiche Politik hat nicht verhindern können, daß bei der Kommunalwahl im November 1997 über 6 Prozent rechtsradikal gewählt haben, zwar weniger als befürchtet, aber trotzdem bedrückend.

Konstruktion eines idealtypischen Steuersystems

Ein brauchbares, gerechtes und sachdienliches Steuersystem solte folgende Komponenten haben:

Schaubild nur im Heft

Dabei kommt es darauf an, die Steuerlasten möglichst gleichmäßig auf die verschiedenen Steuerarten zu verteilen, um die reale und psychologische Belastung auf einen Steuertatbestand nicht zu hoch werden zu lassen und dadurch Steuerfluchtmechanismen in Gang zu setzen.

Die Einkommenssteuer sollte auf ihre Umverteilungsfunktion reduziert werden, niedrige Einkommen also gänzlich von Steuern und Abgaben befreit werden.

Das bedeutet auch, daß keine Sozialabgaben erhoben, sondern durch Verbrauchssteuern oder betriebliche Wertschöpfungssteuern ersetzt werden sollten. Dadurch werden steuerliche Anreize, Arbeitsplätze wegzurationalisieren, vermieden.

Häufig wird für Sozialabgaben das Argument gebracht, daß sie besser geeignet sind, um Lenkungseffekte zu erzielen (etwa für bestimmte Leistungen im Gesundheitswesen). Sinnvoller ist es wohl, zwischen einem allgemeinen, gesetzlich definierten Standard (Grundversorgung), der über Steuern finanziert wird, und freiwilligen Zusatzleistungen, die dann auch privatisiert werden können, zu trennen.

Eine demokratische Gesellschaft braucht auf jeden Fall eine hohe Vermögens- und Erbschaftssteuer, um der ständigen Akkumulation von Vermögen entgegenzuwirken. Auch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts kann hier nicht das letzte Wort sein. Notfalls muß die Verfassung geändert werden. Hier ist auch daran zu erinnern, daß Anfang der 50er Jahre in der BRD noch ein Drittel der Staatseinnahmen aus Steuern auf Gewinn und Vermögen bestanden. Den größten Anteil davon machte der Lastenausgleich aus. Heute liegt der entsprechende Anteil an allen Steuern nur noch bei 10 Prozent.

Als Alternative und Ergänzung zu Erbschaftssteuern kommen auch Maßnahmen zur Verwandlung von großen Vermögen in Stiftungen in Frage - also eine Art zweckgebundene Vergesellschaftung.

Verbrauchssteuern wie Ökosteuern und Mehrwertsteuern müssen einen wesentlich höheren Anteil am Steueraufkommen tragen. Dabei erfolgen die Einnahmen bei den Ökosteuern überwiegend aus dem Verkehr (Mineralöl, Kerosin, Maut) und aus dem Energieverbrauch.

Mehrwertsteuern eignen sich entgegen verbreiteten Vorurteilen auch zur sozialen Staffelung (Freistellung von Mieten, geringere Sätze für [Grund-]Nahrungsmittel, hohe Steuersätze für "Luxusgüter", usw.). Ihr entscheidender Vorteil ist die Außenhandelsneutralität, die Steuerdumping verhindert.

Es kommt allemal weniger auf die absolute Gesamthöhe der Steuern einer Gesellschaft als auf die intelligente Konstruktion des Steuersystems an, damit es die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Lenkungseffekte zeitigt, die politisch gewollt sind.

Alle erwähnten Schaubilder und Tabellen nur im gedruckten Heft!