Die Ostlichterkette

69. Kerze

Wilhelm Pauli

Merkwürdige Koinzidenz der Ereignisse: Heute finde ich im Briefkasten ein Schreiben mit dem Absender "Bayerisches Münzkontor Göde", in dem mir Dr. Michael Göde versiegelt und verplombt versichert: "Sie wurden persönlich ausgewählt, die Jubiläums-Gedenkmünze, 300 Jahre Franckesche Stiftungen` zu erhalten", mehr noch: ich gehöre "zum kleinen Kreis von Bürgerinnen und Bürgern, die dieses begehrte Sammlerstück erwerben können". Ungeachtet der Gödeschen Spitzengrammatik wende ich den Auswahl-Scheck meines Reservierungs-Dokuments, um dort justament die Abbildung einer Münze vorzufinden, die mir am Abend zuvor in Vollhaptik durch die Finger geglitten war, dargeboten auf dem Präsentierbrett von ihren Schöpfern selbst, den Münz- und Medaillenschnitzern Sneschana Russewa-Hoyer und Heinz Hoyer...

Man stelle sich das heitere Treiben angehender Künstler und Lehrkräfte mit Niveau oder sozialistischer Tiefe Mitte der Siebziger auf dem Campus (?) der Kunsthochschule Weißensee vor. Ferner die bildhübsche, gar rassige Grafikgaststudentin Sneschana und den in Elxleben gebürtigen, so hoffnungsvollen wie pfiffigen Bildhauerstudenten Heinz - etwas abseits - beim Vertiefen der Völkerfreundschaft. Bald werden sie heiraten. Nach dem Studium muß, nach strengem Brauch, Sneschana für drei Arbeitsjahre zurück ins Heimatland Bulgarien, sonst wirkt die Stipendium-zurück-Garantie. Da sie dieses Geld nimmer auftreiben könnten, gehen beide. Nur gibt es keine Arbeit in Bulgarien. Also muß Sneschana suchen und suchen, bis sie in einem Verlag unterkommt, ab da wird dann gezählt. Heinz liegt unterdessen am Schwarzen Meer herum, bis er für die Stadt Baltschik eine dionysisches Denkmal in echtem Marmor hämmern darf. Zwei Jahre Arbeit am Marmor, an den er in der DDR nie gekommen wäre! Also wurden aus den drei Jahren vier.

Aber dann waren sie wieder hier. Beide hatten bereits den Hang zur kleinen Form, sie malte Briefmarken, er schabte und stößelte die Modelle für Medaillen und Münzen, die sie entwarf. Kämpfe waren es erst. Nie war Sneschana mit der kleinplastischen Umsetzung ihrer Entwürfe in der Mikrotiefe der Reliefoberfläche zufrieden. Aber sie rauften sich zusammen und haben nun den Vorteil, zügig ein Werk aus quasi einer Hand anbieten zu können. Heinz Hoyer lehrte an seiner alten Kunsthochschule, denn leben konnte man in der DDR nicht vom Münzschaffen. Sneschana Russewa-Hoyer illustrierte kleine Kinderbücher und bekam nebenher zwei kleine Leser. Was auch gewesen sein mag, das Leben für die Kunstschaffenden war in der DDR einfacher als heutzutage. Die Preise waren klar - Sneschana hat nie auch nur einen Vertrag gesehen, sagt sie -, die Verbindungen verbanden und waren trächtig, die Mieten waren kein Problem, und als sie aus Bulgarien zurückgekommen waren und von vorne anfangen mußten, da hat der Staat sich um sie gekümmert. Das muß ihm Frau Russewa-Hoyer heute noch danken. Dann bekamen sie die gar nicht so kleine Atelierwohnung hinterm Thälmann-Park, hoch oben über Teddy, in der sie auch heute noch wohnen, und fühlten sich wohl. Sie schupften das erste Tier auf eine deutsche Gedenkmünze, den Marabu, verewigten erstmals eine Schauspielerin auf harter Münze, die Neuberin, und machten sich einen Namen unter Münzexperten auch im anderen Teil Deutschlands. "Wir haben keine Transparente getragen", sagt Heinz Hoyer. Und setzt undurchsichtig hinterher: "Wir waren ja privilegiert."

Als dann die Wende kam und alles mit sich nahm, war er erst etwas muffig. Sie war, als die Mauer fiel, gerade auf Familienbesuch und sah es im Fernsehen. Was machen die da?, sind die verrückt?!, so die Schreie im bulgarischen Wohnzimmer, obgleich Frau Russewa, als Außenstehende, es nie verstanden hatte, daß ein Volk sich so willig teilen läßt, und immer damit rechnete, daß eines Tags Vereinigung stattfände. Aber gerade jetzt? Frau Russewa versuchte, zurückgekehrt, ausstehendes Geld einzutreiben und stieß allerorten auf ein Liquiditätsproblem. Herrn Hoyer war die Staatsbank vollständig abhanden gekommen. In Weißensee knirschte es, sein Vertrag verkümmerte. Während Frau Sneschana sich noch schockiert über die Frage eines neuen Auftraggebers zergrübelte: Was kosten Sie?, fiel Herrn Hoyer auf, daß es auch in der neuen Republik noch Münzen gibt. Also setzte er sich eines Tages in sein Auto, um durch den Wedding zu fahren, bis daß er auf eines Münzhändlers Laden treffen würde, um den guten Mann nach ihrer Herkunft zu befragen. Der wußte es auch nicht, gab aber den Rat, beim Finanzministerium vorstellig zu werden. Das verwies aufs Bauministerium, und eines Tages befand sich ihr Kreativkärtchen wieder in der einschlägigen Kartei. Sie wurden zu Wettbewerben für prächtige Gedenkmünzen eingeladen und hatten erste Erfolge im gänzlich freien Wettbewerb, weil: gekonnt ist halt gekonnt. Und das kommt dazu: Wieviel eiteltropfende Künstler, versessen auf raumfüllend brüllende Monsterinstallationen, bewegen sich schon in dieser kleinen Nische schier anonymen Schaffens? 100 Namen etwa umfaßt die Kartei. Da geht schon was. Aber natürlich kann man auch in der BRD nicht von den ein, zwei Münzgestaltungen leben, die pro Jahr rüberwachsen. Dafür gibt es felsengroße Länder mit Namen wie Nauru oder Vanuatu, die keine eigene Präge haben, aber 'ne Menge Geld, beispielsweise vom Vogelmistabbau. Die geben dann eine Serie "Expo 2000", oder "Segelschiffe der Welt" bei einem deutschen Wertmünzhändler in Auftrag, und der ruft die Hoyers an. Wer alles unser Geld im Hosensack hat, wo überall es in den Schmuckkästchen liegt!?, kauzt Heinz Hoyer in sich hinein. Gerade wird wieder eine Bach-Münze ausgelobt, da sind sie dabei, beim Wettbewerb, und Heinz freut sich drauf, denn er ist ja Thüringer. Wenn sie aber richtig künstlerfrei schaffen wollen, dann stellen sie sich in ihrem Verband ein Thema und gehen ans Schnitzen einer wunderbaren Medaillen-Kollektion, für die es ganz wenig Sammler gibt, aber manchmal eine Ausstellung und ein Museum, das sich interessiert.

Und jetzt? Jetzt kommt's! Kaum können die Hoyers und Konsorten echtes deutsches Geld richtig herausgeben, schon arbeiten sie an seiner Abschaffung: Gestalteten die jetzt glatt die nationale Seite von den Ein- und Zwei-Euro-Stückerln! Haben den Wettbewerb gewonnen!! Überholen ohne aufzuholen!!! Vom Ostdümpfl gleich zum vorbildlichen Eurobürger. "Naja, der Euro ist gut für uns. Wir verdienen jetzt dran", wehrt H. H. jeglichen Überschwang ab, und: "Wir hatten ja nie so eine enge Beziehung zur Demark."