Wahrlich nicht arm an hervorragenden Erzählern ist die tschechische Literatur - an Namen wie Jaroslav Hasek, Karel Capek, Jíri Weil, Bohumil Hrabal, Milan Kundera und Jáchym Topol sei hier erinnert. In diese Reihe gehört auch der 1924 im ostböhmischen Náchod geborene und 1969 nach Kanada emigrierte Josef Skvorecky. Bisher schrieb er elf große Romane, zahlreiche Erzählungen, Detektivgeschichten, Theaterstücke und Essays, ein Werk, das inzwischen mit vielen Preisen ausgezeichnet und für den Nobelpreis vorgeschlagen worden ist. Im deutschen Sprachraum ist Skvorecky jedoch bisher weitgehend unbekannt geblieben. Zwar brachte Luchterhand 1969 und 1971 den Roman Feiglinge und die Kriminalstory Junge Löwin (späterer Titel: Die Moldau) - das war's dann für lange Zeit. Beide Bücher wurden 1986 noch einmal aufgelegt, aber erst viel später, 1997, ging der Wiener Deuticke-Verlag daran, weitere Werke zu übersetzen: Eine prima Saison und nunmehr Der Seeleningenieur, eines der Hauptwerke Skvoreckys aus den siebziger Jahren.
Ein 1924 in Böhmen Geborener hatte folgendes mitzuerleben: die Erste Republik mit dem Philosophenpräsidenten Masaryk, die Weltwirtschaftskrise und die Massenarbeitslosigkeit, die Regierung Benes, das Münchner Abkommen und die Okkupation des Sudetenlandes, die Annektion der CSR durch Hitlerdeutschland, Fremdherrschaft und Weltkrieg Zwei mit Kollaboration und Widerstand, die Befreiung durch die Rote Armee, die kurze Zweite Republik und die Aussiedlung der Deutschen, die kommunistische Machtergreifung im Februar 1948, die stalinistische Phase mit den Prager Schauprozessen, das Tauwetter und den Prager Frühling, die brüderliche Hilfe der Sowjetunion und die nachfolgende "Normalisierung" - wer also 1969, beim Verlassen des Landes eben 45 Jahre alt war, der hatte einiges zu erzählen.
Was aber erzählt Skvorecky? Sein erster Roman, Feiglinge, handelt von den Frauenproblemen des nach- (und vermutlich Dauer-)pubertierenden Danny Smiricky. Und vom Jazz. Denn das Alter Ego des Autors ist wie der Autor selbst ein Jazzliebhaber, der in Kostelec, der Hauptstadt Mitteleuropas, bei einer Schülercombo das Tenorsax bläst. Eine Irena ist seine große Liebe, trotz aller Konkurrenz, trotz allen anderwärtigen Landeversuchen, wie aus weiteren Romanen zu erfahren ist. Insgesamt, zählt man das Frauenkontingent in Eine prima Saison zusammen, sind es 23 Annäherungsversuche im Lauf eines Jahres, ohne daß es ihm gelingt, seine Unschuld zu verlieren. Angesichts dieser Quote des Mißerfolgs ist es kein Wunder, daß die Frage der Liebe die Hauptfrage in Dannys Leben ist. Sie wird es bleiben, ohne die süßen Leiden der Liebe hätte doch die Jugend gar keinen Sinn. Hätte das ganze Leben keinen Sinn, denn die große Frage begleitet Skvoreckys ganzes Schaffen hindurch. Wirklich wunderbar ist das dann in Der Seeleningenieur zu lesen, wenn er als 50-jähriger wohlsituierter Professor an einer kanadischen Universität wieder einer Irena begegnet, die ihn an seine Jugendliebe erinnert, wenigstens vom Namen her. Gleich kreisen wieder die Säfte, zwar schon mit einer gewissen Abgeklärtheit, die man als Altherrenerotik bezeichnen könnte oder auch als ewige Pubertät. Denn bei Skvorecky scheint Pubertät ein Synonym für Aufbruch, Zukunft, Hoffnung, Sehnsucht zu sein, kurz, nur dafür lohnt sich es zu leben. In Feiglinge geht es auf Seite zwölf los, da betrachtet er ein "verflucht hübsches" Mädchen im prima dünnen Kleid und denkt an Irena. Dann spielt er Sax und denkt, Seite 16, an Judy Garland und an Irena, denkt auf Seite 21 wieder an sie und ihren Liebhaber, sodaß sein Tenorsax so richtig aufschluchzt. Blättert man blind herum, so stößt man bestimmt auf vier von fünf Seiten auf die Angebetete. In Eine prima Saison ist er noch schneller bei der Sache, nämlich auf Seite acht, und auf Seite zehn erklärt er Irena bereits seine Liebe.
Aber man wird gewarnt. Eines der Motti zu diesem Buch, es stammt von Milos Forman, lautet nämlich: "... Der Mensch erzählt sein ganzes Leben lang ein und dasselbe in verschiedenen Abwandlungen." Dabei lügt Mensch wie gedruckt, was er dann, weil man sich nicht alles genau merken kann, verklärende Erinnerung nennt.
Eines kann man ihm bei seiner Hochachtung vor der Liebe bestimmt nicht vorhalten: Er idealisiert sein Personal nicht, die Menschen in seinem theatrum mundi sind keine Typen, keine Auserwählten, die eine bestimmte Situation zu bewältigen haben, keine Kaninchen für eine Versuchsanordnung, keine Stellvertretermasken. Seine Irena ist alles andere denn ein Engel, ebensowenig wie Danny ein Held ist - die paar heroischen Anläufe sind, genauer betrachtet, nur Akte des Angebens, um irgendwelchen Bräuten zu imponieren.
Also doch keine zeit- und weltabgehobenen Liebesromanzen. Das ist wohl angesichts des bereits angedeuteten Lebenshintergrundes auch gar nicht möglich. Denn Danny Smiricky gehört einer Jugend an, die unter dem Ausnahmezustand von Krieg und Okkupation heranwächst, einer Jugend, die ihre Ansprüche gegen Ausgehverbote und Spießerregeln einer Besatzermacht durchsetzen muß, einer Jugend, in der viel spontaner Widerstandsgeist steckt, die aber auch erleben muß, wie manche ihrer Eltern kollaborieren. So entsteht, hinter allen verrückten Jazz- und Liebesgeschichten, ein gestochen scharfes Bild der Kleinstadt und seiner Bewohner, die sich mit den Verhältnissen irgendwie arrangieren und tausend Gründe für ihr Arrangement haben - bis hin zu jenen, die plötzlich deutsches Blut in ihren tschechischen Adern entdecken. Und gegen die sofort nach dem Krieg einsetzende Glorifizierung des Widerstands schreibt Skvorecky seine Feiglinge, weil er berichten will, wie es wirklich war. Keinesfalls denunziert er, sondern schreibt von den gemischten Gefühlen, die die Befreiung durch die Rote Armee in ihm weckt: "Die Luft füllte sich mit ihrem Geruch, wie nach Tundra oder Taiga, und ich ... wollte nicht glauben, daß sie tatsächlich existieren, diese Menschen dort, die nichts vom Jazz wußten und wahrscheinlich nicht mal was von Mädchen, die einfach dahin zogen, die Relvolver überm speckigen Hosenboden..., siegreich, ohne an die Dinge zu denken, an die ich dachte, ganz anders als ich und schrecklich fremd, dennoch anziehend, ich bewunderte sie; also das war die Rote Armee, sie jagte vorwärts, staubbedeckt..., und ich wußte nicht, ob hier nicht wirklich etwas Neues begann, etwas wie eine Revolution, und ob das mit mir und meiner Welt zu tun hatte. Ich wußte es nicht. ... Gegen den Kommunismus hatte ich nichts. Ich hatte von ihm keine Ahnung... Ich hatte nichts gegen etwas, solange ich mit dem Saxophon Jazz spielen konnte, denn ... ich hätte für nichts sein können, was gegen den Jazz war."
Skvorecky schreibt dieses Buch 1948/49, erst zehn Jahre später kann es erscheinen - freilich nur aus dem Grund, weil die Stalinisten ein Exempel statuieren wollen, in welchen bürgerlichen Sumpf eine weitere Liberalisierung des Landes führt. Denn wer Bücher über den Krieg schreibt, in denen es nur um Jazz und Liebe geht und die den heroischen Widerstand in den Dreck zerren, der konnte nur ein Volksschädling sein. Das Buch wird in allen Rezensionen verdammt, der Autor verliert seinen Posten in einem Verlag, Präsident Novotny höchstpersönlich rüffelt ihn auf einer Parteikonferenz. Sein Glück: die Stalinisten können das Tauwetter nicht aufhalten. Und Skvorecky läßt sich in seine Schreibe, trotz aller Schwierigkeiten, nicht hineinspucken. So unterschreibt sein Alter Ego Danny während des Prager Frühlings im Roman Mirákl (1972; engl.: The Miracle Game, 1991) irgendeinen Protest gegen die Parteiführung, obwohl er wahrlich kein Protagonist des Bürgerwillens ist, im Gegenteil, er ist der "Feigling" von früher geblieben, der sich vorgenommen hat, politischen Bewegungen, erst recht solchen, deren böses Ende er ahnt, fernzubleiben. Während Petr Pithart angesichts der Augustereignisse und der sowjetischen Intervention vom "Verrat der Parteiführung" spricht, die die heldenhaften Bürgerbewegungen in Stich gelassen habe, spricht Skvorecky vom Opportunismus in seinen vielfältigen Formen. Er erzählt von "kleinen Tschechen" (Jan Patocka), die mit dramatischem Gestus während großer Ereignisse die Helden mimen, ohne die Konsequenzen ihres Heldentums tragen zu wollen - wieviele Protestierer haben doch nach 1968 Ergebenheitsadressen unterschrieben. Und er erzählt von jenen, die es immer schon verstanden haben, zwischen den Linien zu lavieren und sich einzurichten. In Die Moldau schildert er die Zusammensetzung einer Redaktionssitzung:
"Neben ihr, in Uhrzeigerrichtung, ein nicht weniger populärer Mann, der während der Besatzung Drehbücher zu deutschen Kitschfilmen verzapft hatte; in einem davon spielte eine Schauspielerin, die ich als Student aus der Ferne veehrte. Jene hörte deswegen nach dem Krieg zu spielen auf; dieser - jetzt Laureat - begann Filme über die Helden des Widerstandes zu produzieren, über ungeheuer heldenhafte Helden, von deren Winnetou-Aureole auch an ihm etwas haften blieb. Und weiter: der Theoretiker, dessen Interessen im Laufe der Jahre von Blut- und Bodenromanen über Marienmotive in der modernen tschechischen Lyrik bis zur Theorie der Widerspiegelung in den Werken der marxistischen Ästhetiker reichten. Die beliebte Schriftstellerin, die aufgrund der Cowgirl-Erfahrung in der Jugend ihr Leben lang das einfache Volk an den felsigen Hängen des Adlergebirges besang und dafür periodisch Lorbeer erntete, denn die Regime wechseln, aber die Liebe der Regime zum einfachen Volk in den felsigen Bergen besitzt Dauer. Und neben ihr der einstige Surrealist, nun fließend Glut-Blut-Revolution reimend, während seine Kollegen... Uranerz schürften."
In seinem zuletzt übersetzten (allerdings auch bereits 1977 erschienenen) Roman Der Seeleningenieur ist Danny Smiricky dreißig Jahre älter als in Feiglinge. Er lebt seit 1969 im Exil in Toronto, wo er eine Professur für englische Literatur erhalten hat. Der Seeleningenieur - eine ironische Anspielung auf Stalins Bezeichnung für die Intellektuellen und Schriftsteller und ihre Funktion beim Aufbau des Sozialismus - ist inzwischen ein komplizierter Gelehrter mit einem beeindruckenden Zitatenschatz für alle Lebenslagen. Außerdem pflegt er eine Liebschaft zu einer verheirateten Exilantin und träumt davon, mit der Studentin Irena, in der er Parallelen zur unerfüllten Jugendliebe sieht, ein Verhältnis anzufangen. Insgesamt, so stellt er gleich eingangs fest, geht es ihm gut, verdammt gut eigentlich. Die grünen Sonnenuntergänge am Ontario-See sind fabelhaft, keine wadelbeißenden tschechischen Literaturkritiker begeifern seine Romane als bourgeoise Elaborate, keine Zensurbeamte, lediglich dann und wann ein armseliger Spitzel, der die Exilszene aushorchen soll, auf der Uni liebe, lernbegeisterte Präriekinder, am Abend gepflegte Alkoholika, und die Vorkommnisse unter den Exilanten sind zwar manchmal etwas anstrengend, aber auch ziemlich amüsant, vor allem was die Frauen betrifft. Ein behagliches, ein rundes Leben - oder?
Aber eben auch ein Leben im goldenen Käfig, auf dem dünnen Boden des Exils. Während eines Gesprächs erklärt er einmal: Emigranten könnten heimkehren, Exilanten jedoch nicht, sie sind Heimatlose. Und die Heimat nimmt denn auch den größeren Teil des Buches ein.
Da sind die Briefe, die ihm seine Freundinnen und Freunde aus der Tschechoslowakei und aus anderen Exilen schreiben. Manche der Schreiber sind jene Jugendfreunde, denen man bereits in Feiglinge begegnet ist, Menschen, mit denen Danny durch gemeinsame Erfahrungen verbunden ist. Da ist sein Freund Prema, der einst spektakuläre Aktionen gegen die Nazis gesetzt hatte, dennoch abhauen mußte, weil die Kommunisten mit den Leuten aus dem bürgerlichen Widerstand nicht zimperlich umgingen. Ihn verschlägt es bis nach Australien, ein Versuch, in der CSSR wieder Fuß zu fassen, mißlingt. Aus den Briefen anderer Freunde wiederum erfährt er über Karrieren und Rückschläge jener, die in der CSSR geblieben sind, ganz unterschiedliche Typen, Arbeiter ebenso wie Intellektuelle, Anhänger des Sozialismus wie Kritiker. Die Briefe sind wichtig, sie sind die einzige aktuelle Verbindung zur alten Heimat, zugleich setzen sie sich zu einem teilweise grotesken Panoptikum des Realsozialismus zusammen.
Im Kern des Buches aber steht die Jugend, eine Jugend, in der, trotz der widrigen Umstände, alles noch irgendwie zusammengehört, Schule, Freundschaften, Musik, die Jazzband, die hunderttausend Lieben. Auch die Arbeit im Messerschmittwerk, zu der die Nazis alle Arbeitsfähigen heranziehen. Sie hebt sich von dieser kleinen Welt erst dann bedrohlich ab, als Danny einen Sabotageakt unternimmt, um der Arbeiterin zu imponieren, mit der er gemeinsam an der Maschine steht und in die er, na klar. Er fliegt auf, doch der Meister gehört selbst einer Widerstandsgruppe an und deckt ihn.
Während Skvorecky auf der aktuellen Ebene eine mit Motiven englischer Erzähler spielende kunstvoll gestrickte Geschichte entwirft, sehr distanziert, sehr ironisch, manchmal überheblich wirkend (die Lebensreife?), ist der Blick auf die Vergangenheit, bei aller Erzähllust, sehnsüchtig. Dabei baut er auf seine subtile Beobachtungsgabe und seine großartige und facettenreiche Dialogkunst, dank der er unglaubliches Erzähltempo machen und zugleich die kniffligsten Fragen des Lebens diskutieren kann. Wie im wirklichen Leben kippt manche bierernste Begebenheit in umwerfende Komik um, wie umgekehrt aus banalen Vorgängen Existenzielles hervorbricht. Und wieder hat man den Eindruck, hier schreibt einer Weltgeschichte und Kleinstadtchronik in Romanform, spannend, witzig und erschütternd. Obwohl in jeder Faser des Romans ein Ich-Erzähler im Zentrum steht mit seiner jahrzehntelangen Riesensehnsucht nach Freundschaft und Liebe: "Der Maiabend wehte mir die Maihexe in meinen Kopf hinein, nichts hatte sich geändert, auch ich hatte mich nicht verändert, ich verharrte hartnäckig physisch wie psychisch in einer beständigen, wunderschönen Pubertät..."
Ins Deutsche übersetzte Bücher von Josef Skvorecky:
Feiglinge. Roman. Aus dem Tschechischen von Karl-Heinz Jähn, Nördlingen (Franz Greno), 1986 (472 S.)
Die Moldau. Eine politische Liebesgeschichte. Aus dem Tschechischen von Ludmilla Sass, Reinbek (Rowohlt), 1986 (254 S.)
Eine prima Saison. Ein Roman über die wichtigsten Dinge des Lebens. Aus dem Tschechischen von Marcela Euler, Wien (Deuticke), 1997 (288 S.)
Der Seeleningenieur. Roman. Aus dem Tschechischen von Marcela Euler, Wien (Deuticke), 1998 (768 S.)