"Ich mag die Literatur, in der die Reflexion mit der Aktion eng verbunden ist"

Ein Gespräch mit Paco Ignacio Taibo II., Krimi-Autor aus Mexiko

Albert Sterr

Ihr jüngst in deutscher Übersetzung erschienener Roman Vier Hände ist ein Kriminalroman, der Züge des politischen Thrillers sowie des Abenteuerromans aufweist. Was hat Sie dazu bewogen, so verschiedene Stilelemente zu kombinieren?

Ich wollte mit einem Schema brechen, das ich erfolgreich in meinen "Neuen Kriminalromanen" umgesetzt hatte. Ich wollte mit neuen Formen experimentieren und die Begrenzungen des Genres aufbrechen. Ich wollte weitere literarische Elemente, darunter die erwähnten, einbauen, aber auch noch andere wie die des historischen Romans. Ich wollte einen Roman schreiben, der die Vorzüge der einzelnen Genres vereint.

Hat es Sie gelangweilt, weitere erfolgreiche Krimis mit Ihrem Helden Héctor Belascoarán Shayne zu schreiben?

Das nicht. Ich hatte aber genug davon, innerhalb einer Erzählstruktur zu schreiben, die ich ausprobiert hatte und die gut ankommt. Ich glaube, es ist die Pflicht eines Autors, weiter zu experimentieren.

Hat es auch damit zu tun, daß Sie sich in bestimmter Hinsicht weigern, als williger Lieferant für einen bestimmten kulturellen Markt zu fungieren?

Es ist eine Entscheidung, um dem Druck und der Anspannung zu entkommen, die der Erfolg mit sich bringt. Denn es kann sein, daß der Herausgeber sagt, die Sache läuft gut, mach weiter so. Da sage ich, nein, bis hierher und nicht weiter.

Die Rahmenhandlung Ihres Romans Vier Hände bewegt sich zwischen Parametern, die im weitesten Sinne die Ideen und Wertvorstellungen einer internationalistisch orientierten Linken widerspiegeln. Gelegentlich haben Sie sich als Staatsfeind zu erkennen gegeben. Ist Vier Hände eine Botschaft des mexikanischen Systemoppositionellen an die internationale Linke?

Zunächst ist es ein Buch, das sich an eine universelle Leserschaft wendet. Heutzutage schreibt man für eine Leserschaft jenseits der nationalen Grenzen und mit unterschiedlichen kulturellen Bezugsfeldern. Vier Hände ist meine Antwort auf zwei ganz unterschiedliche Generationen von Freunden, Kollegen und Schriftstellern, die alle Teil einer Bewegung gegen Autoritarismus, Repression und so weiter sind. Es stimmt, daß ein starker Strang dieses Buchs unsere Generation mit einer Vergangenheit, einer Mythologie und Passionen versieht.

Ich frage mich, warum Vier Hände in der Bundesrepublik von den Verlagen Schwarze Risse, Rote Straße und Verlag Libertäre Assoziation, also linken Kleinverlagen, gemeinsam herausgegeben wird. Warum wechselten sie von den großen Häusern wie Goldmann und Rowohlt, mit all ihren Möglichkeiten einen Autor zu pushen, zu finanziell schwachbrüstigen Miniverlagen?

Ich bin mit dieser Entscheidung sehr zufrieden. Ich hatte den Eindruck, daß ich dank dieser Verlage an eine Leserschaft gelangen kann, die meine Bücher bisher kaum kannte. Die Erfahrungen, die ich bei Lesungen in mehreren Städten der Bundesrepublik sammeln konnte, waren für mich sehr positiv. Ich traf mit Leserinnen und Lesern zusammen, die ich gerne kennenlernen wollte. Diejenigen, von denen ich möchte, daß sie Vier Hände lesen. Dazu kommt der gute Verkauf. Allein die Buchhandlung Schwarze Risse hat hier in ihrem Berliner Laden schon über 220 Exemplare verkauft. Höhere Zahlen habe ich nur in Paris und in Mexiko-Stadt in der Buchhandlung Gandhi, wo 400 bis 500 Exemplare über die Theke gingen. Es war eine gute Entscheidung, mit einem Verlag zusammenzuarbeiten, der zwar klein ist, jedoch sehr genau weiß, welche Ziele er sich setzt. Ich nehme an, daß das Buch, wenn es als Taschenbuch vorliegt, einen anderen Weg nimmt und dann an eine breitere Leserschaft gelangt. Selbstverständlich bin ich auch daran interessiert.

Vier Hände erinnert mehr als Ihre anderen Bücher an das Kino. Es kombiniert verschiedene Geschichten, wechselt häufig die Szenarien, es gibt eine Vielzahl von Darstellern und viele Schnitte. Ist dies Ihre schriftstellerische Antwort auf die Herausforderung durch Kino und Television?

(Lacht) Es ist genauso, wie Sie sagen.

Sind Sie Cineast?

Wenn mein Alltag normal verläuft, sehe ich mir jeden Abend einen Film an.

So wie Ihre anderen Bücher ist auch Vier Hände voller Spannung. Zum Ende hin fällt der Roman nicht ab, sondern die Spannung kulminiert in einer Explosion. So stellt sich beim Leser nicht wie sonst manchmal der Effekt ein, daß man sich nach einem guten Auftakt und einer sich in die Länge ziehenden Handlung zum Schluß etwas enttäuscht denkt, "So viel Handlung dafür?"

Das erinnert mich an eine Debatte, die ich in Italien vor einem Jahr mit einer bekannten marxistischen Literaturkritikerin hatte. Sie interviewte mich äußerst liebenswürdig, weil ihr der Roman, der zuvor in italienischer Übersetzung erschienen war, sehr gut gefallen hatte. Sie fragte, wer schuld habe, daß immer weniger gelesen werde. Sie wollte von mir hören, daß das TV schuld sei. Ich antwortete: Schuld haben die schlechten und pedantischen Schriftsteller, die elitären Romanciers, die zu Recht ihre Leser verlieren... Sie protestierte, aber ich widersprach ihr. In diesem Sinne stimme ich Ihrer Frage zu. Man muß als Autor mit der Geschwindigkeit des Kinos und des Fernsehens konkurrieren. Man muß die Literatur mit den literarischen Mitteln verteidigen. Es hat keinen Sinn, die audiovisuellen Medien zu dämonisieren. Man muß statt dessen die Möglichkeit, in die Tiefe zu gehen, anbieten, über die das Buch verfügt, woran Film und Fernsehen jedoch meist scheitern.

Ist die Spannung das Geheimnis Ihres Erfolgs?

Das Wechselspiel der Spannungen, Techniken, die aus dem Genre Abenteuerroman herkommen, faszinieren mich. Ich schreibe gerne so. Das liegt nicht zuletzt daran, weil ich so etwas auch gerne lese. Ich mag die Literatur, in der die Reflexion mit der Aktion eng verbunden ist. Reflektion, die um sich selbst kreist, interessiert mich weniger. Ich will Bücher, in denen etwas passiert, in denen die Szenarien mit den Handelnden ständig in Bewegung sind. Für mich ist es grundlegend, daß die Handelnden die Rahmenbedingungen immer wieder verändern. Ich lese gerne vitale Literatur und so schreibe ich auch.

Vier Hände zeichnet sich auch dadurch aus, daß bekannte Persönlichkeiten auftreten wie Stan Laurel oder Leo Trotzki. Sie tun jedoch Dinge, die wir nicht von ihnen erwarten würden.

Das ist ein Teil des Witzes, den der Roman hat. Ich nehme ziemlich abgegriffene kulturelle Referenzpunkte auf, modelliere und belebe sie jedoch neu. In Das Fahrrad von Leonardo, der Roman, der mir neben Vier Hände am besten gefällt, tritt Leonardo da Vinci auf. Ich beschreibe aber Leonardo da Vinci ganz anders, als er bekannt ist. Ich nähere mich gern historischen Persönlichkeiten an, um ein wenig das akademische Erscheinungsbild zu unterminieren, das ihnen zugeschrieben wird. In einer Erzählung, die ich in nächster Zeit schreiben will, möchte ich berichten, wie Freud seine Verlobte kokainabhängig machte.

Eine ganze Reihe der Figuren, die in Vier Hände auftreten, sind Prototypen ihrer Spezies. Der Drogenhändler ist brutal, der CIA-Agent ist ein neurotischer Psychopath...

Aber er ist doch auch sehr sympathisch. Er ist auf seine Weise genial und einfallsreich. Der Drogenhändler ist zwar einigermaßen verrückt, aber gleichzeitig tanzt er den Dazón. Trotz seiner Verrücktheit hat er etwas, das ihn interessant macht. Deshalb sehe ich beide nicht als Prototypen. Die Figuren, die in meinen Romanen für das Böse stehen, tanzen Rumba. Sie sind nicht schematisch. Auch der CIA-Agent Alex ist kein eindimensionaler Typ. Es ist aber richtig, daß ich starke Figuren für das Böse bevorzuge. Aber sie sind widersprüchlich, mehrdeutig, weisen exotische Züge auf und haben Rhythmus.

Da will ich noch einmal nachhaken. Für mich sind weder Alex und schon gar nicht der Drogenhändler starke Figuren. Übrigens auch nicht die beiden Hauptpersonen, die Journalisten Greg und Julio, die mit ihren vier Händen zusammenarbeiten. Sie sind zwar mit einer rudimentären Persönlichkeit versehen, aber sie können den beiden wirklich differenziert gezeichneten Personen, dem über 80jährigen spanischen Anarchisten Longoria und dem bulgarischen Altkommunisten Stojan das Wasser nicht reichen. Für mich ist die Person, die am besten getroffen ist, der Anarchist Longoria.

Das trifft den Nagel auf dem Kopf. Warum ist das so? Es sind die Figuren, die eine Botschaft weitervermitteln. Sie stellen die historische Kontinuität der Bewegung dar. Sie sind diejenigen, die nicht besiegt werden können, und zwar deshalb, weil sie ein intaktes moralisches Rückgrat haben. Das ist die Geschichte, die hinter dem Roman steht. Es ist die Geschichte der Freundschaft, der Desinformation aber auch der politischen Kontinuität.

Und der Solidarität einer internationalistischen Linken?

Der Staat glaubt von sich, daß er ewig sei. Aber das ist falsch. Der einzige ewige Wert ist die Solidarität!

Die Szene, in der Longoria wahrnimmt, daß er sein Gedächtnis zu verlieren beginnt, hat mich im ganzen Buch am meisten beeindruckt. An keiner anderen Stelle fand ich eine Figur derart dicht geschildert.

Deshalb spricht er auch mit dem Hund. Der Hund Longorias spielt eine wichtige Rolle. Er ist es nämlich, der wahrnimmt, daß Longoria das Gedächtnis verliert.

War es beabsichtigt, die positiven Helden, die für mich Stojan und Longoria sind, sehr differenziert und voller Leben zu zeichnen und ihnen negative Helden gegenüberzustellen, die um vieles schematischer geraten sind?

Wir sprechen über einen Roman, in dem 16 zentrale Figuren auftreten. Es ist unmöglich, alle 16 Personen zu vertiefen. Damit machst du den Roman kaputt. Deshalb vertiefte ich diejenigen, die die Schlüsselbotschaften zu überbringen hatten, also Stojan und Longoria.

Reden wir über Stojan. Er ist Kommunist, der in einer Vielzahl von Kämpfen dabei war. Zuerst in Südosteuropa, dann im spanischen Bürgerkrieg, dann im Kampf gegen die Nazi-Okkupation Bulgariens, um schließlich in den 50er Jahren als Abweichler im Rahmen einer stalinistischen Säuberung im Gefängnis zu landen. In einem bestimmten Moment im spanischen Bürgerkrieg gewann der Mensch Stojan gegenüber dem KP-Mitglied die Überhand, als er den US-Amerikaner Max, der von stalinistischen KP-Milizionären hingerichtet werden soll, mit der Pistole in der Hand befreit.

Nein, nicht der Mensch Stojan. Der konsequente Revolutionär und Kommunist Stojan rettet einen, der von gegenrevolutionären Stalinisten getötet werden soll.

Stojan steckt doch in einem tiefen Widerspruch. Er rettet Max, hört aber den Vorträgen des Polit-Kommissars widerspruchslos zu, der derartige Taten rechtfertigt.

Das ist die Tragödie der Kommunisten der 30er, 40er und 50er Jahre. Sie waren Leute, die in gutem Glauben handelten, aber von Apparaten beherrscht wurden. Apparaten, die im schlechten Glauben agierten. Ihre Tragödie besteht darin, daß sie diesen Apparaten bis zum letzten Moment gedient haben. Ich weiß nicht, ob Sie sich an die Szene erinnern, als Stojan im Gefängnis verhört wird. Stojan sagte, ihr täuscht mich nicht. Mit eurem Ruf "Es lebe Stalin!" kehrt die Monarchie zurück. Es ist paradox, daß nicht nur in Moskau viele mit dem Ruf auf den Lippen "Es lebe Stalin!" starben.

Sie beschreiben Stojan in jener Szene in Madrid als positiven Helden. Er setzt sich über politisch falsche und mörderische Parolen hinweg. Gleichzeitig stoßen sein revolutionäres Sein und sein Humanismus mit dem Stalinisten zusammen, der er gleichzeitig auch ist. Er schlägt sich aber auf die Seite des bedrohten Genossen.

Die Geschichte wiederholt sich! Sechzig Jahre später weigern sich Greg und Julio die Wahrheit, die scheinbare Wahrheit der CIA-Desinformationskampagne, zu akzeptieren. Sie kennen den nicaraguanischen Revolutionär, der des Drogenhandels beschuldigt wird. Sie wissen, daß es so nicht sein kann. Der Fluß der menschlichen Beziehungen entwertet die Lügen, die über den Sandinisten in Umlauf gebracht werden. Welche politische Reflexion stellen die Journalisten an? Sie sagen sich, und das ist für mich äußerst hellsichtig, ein Typ, der auf die Art und Weise des Nica-Kommandanten Chorizos, Würste, ißt, kann kein verdeckter Drogenhändler sein. Das ist keiner, der auf elegante Weise Geld abstaubt. Hier kommt eine tiefe Weisheit zum Ausdruck. Es geht um das Vertrauen zwischen Menschen, das durch Manipulationen nicht zu zerstören ist.

Ich habe den Eindruck, daß Sie ab einem bestimmten Punkt die Widersprüche Stojans nicht mehr weiter verfolgen. Stojan hat ja sehr lange mitgemacht, bevor er selbst inhaftiert wurde. Stojan war selbst Teil des stalinistischen Apparats. Der Apparat kam nicht nur von außen, er war auch in Stojan selbst.

Selbstverständlich. Aber das zu vertiefen wäre ein anderer Roman. Einer über die vierziger Jahre. In Vier Hände hatte ich schon verdammt viele Stränge drin, da wollte ich nicht noch mehr reinpacken. An Stojan interessierte mich besonders, wie er im Gefängnis den Roman von Salgari neu imaginiert. Er erfindet eine Parabel über das große Thema "Freiheit". Ein Mann, der ohne Bücher und ohne Papier im Gefängnis schmort, denkt sich einen Abenteuerroman aus. Dort versteckt sich die Parabel der Freiheit im Eigensinn. Ich will jedoch dazu an dieser Stelle nichts sagen, weil ich dazu den Schluß des Buches kommentieren müßte. Das macht man einfach nicht, den Schluß eines Buches in einem Interview zu kommentieren. Das wäre unter Atheisten eine schlimme Sünde. Nur soviel: Der Schluß des Buches ist keineswegs zufällig. Es ist auch nicht zufällig, daß die letzten Worte von einer phantastischen, verrückten und absurden Persönlichkeit gesprochen werden. Diese literarische und vollkommen unrealistische Figur stellt die Regeln auf, die in Zukunft gelten werden.

Mir fiel auf, daß Sie die innerlinken Probleme, den Stalinismus, am Beispiel eines Bulgaren darstellen. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen, Mexikaner auftreten zu lassen. Ich denke dabei besonders an die Szenen, als Trotzki seinen Krimi schreibt. Warum fehlen an diesen besonders kniffligen Stellen die Mexikaner?

Der Bulgare spielt unterschiedliche Rollen. Er steht nicht nur für linke Kontinuität sondern auch für das Exotische, das Unvorstellbare, das, was ganz weit weg ist. Der andere Grund ist, daß ich keine Literatur mache, die eine spezielle Funktion hat. Ich wollte einen Bulgaren haben und ich dachte mir einen aus, Punktum! Ich käme nie auf die Idee zu sagen, jetzt bräuchte ich aber einen Mexikaner, der diese oder jene Funktion zu erfüllen hätte.

Sie zeichnen Stojan sehr differenziert und beileibe nicht nur durchgängig positiv. So versehen Sie ihn mit einem Haß auf die Türken. Diesbezüglich sind die Züge Ihres Helden realistisch, da es in Bulgarien weitverbreitete Vorurteile gegen alles Türkische gibt.

Aus historischen Gründen hegen sie rassistische Vorurteile. Das hat antiimperiale Hintergründe. Sie widersetzten sich auf diese Weise dem türkischen Rassismus. Es gibt diese Gefühle. Man braucht sich auch bei den Armeniern nicht zu wundern, daß sie antitürkisch eingestellt sind. Es ist nicht überraschend, daß sich diese Gefühle auf die übelste Weise ausdrücken, nämlich in Form der Xenophobie. Das ist so. Damit sage ich weder, daß es gut, noch daß es schlecht ist. Das gibt es und ist Teil der Komposition meiner Persönlichkeiten.

Aber diese Elemente reflektieren auch reale Probleme der kommunistischen Linken Europas.

Der Probleme aller Menschen! Man muß den Mechanismen der Irrationalität, die Solidarität und die Rationalität entgegenstellen. Aber das ist nicht einfach. Ich kenne Kubaner, gute Freunde von mir, die gegenüber nordamerikanischen Durchschnittsbürgern absolut irrationale Standpunkte haben. Sie setzen einen US-Bürger, der einen Hamburger ißt, mit Ronald Reagan gleich. Es gibt nichts Absurderes und Dümmeres als das. Aber das gibt es, und es hat auch eine bestimmte Logik. Ein Land, das 25 Jahre lang blockiert wurde, bringt irrationale Momente hervor.

Wie wurde Vier Hände in Mexiko rezipiert?

Eigenartig. Zunächst gab es überhaupt keine Kritiken. In den ersten Monaten waren die Verkaufszahlen minimal. Im Laufe der Zeit nahm der Verkauf zu, wahrscheinlich durch Empfehlungen. Nach zwei Auflagen war das Buch drei Jahre lang vergriffen, weil der Verlag zu schwach war, um es auf dem Markt zu halten. Ein anderer, potenterer Verlag legt jetzt eine dritte Auflage vor. Auf der anderen Seite bekam ich für dieses Buch auch sehr viel Lob.

Wie erklären Sie sich diese Widersprüchlichkeit?

Nun, einige warfen mir vor, daß ich meinen Helden Belascoarán Shayne im Stich gelassen hätte.

Sie haben ein Buch mit Interviews über Che Guevaras Rolle im Kongo gemacht (siehe Seite 12 in dieser Ausgabe), und Sie arbeiten seit Monaten an einer Biographie Che Guevaras. Was zieht Sie an dieser Persönlichkeit so stark an, daß Sie sogar aufgehört haben Fiktion zu schreiben?

Das Manuskript der Biographie werde ich etwa im nächsten Monat abschließen. Ich arbeite seit vielen Jahren über den Che. Ich veröffentlichte schon ein Buch über ihn, das in Mexiko und Kuba erschien und La batailla de Santa Clara heißt. Die historische Persönlichkeit fasziniert mich. Gleichzeitig habe ich Angst, daß sein Bild trivialisiert wird. Meine und die folgenden Generationen hatten es mit einem Che ohne politische Inhalte zu tun. Es blieben drei oder vier Slogans, vier oder fünf Schemata und ein Bild. Außerdem wurden bestimmte taktische Vorgehensweisen im Guerillakampf überliefert. Mich interessierte an seiner Persönlichkeit deren ethische Kontinuität. Angesichts des Untergangs vieler Vorschläge der Linken hatte ich den Eindruck, daß Che Bestand hatte. Er steht vor allem für ethische Werte. Ich wollte überprüfen, ob das stimmt. Eine Biographie zu schreiben bedeutet sich in die Tiefe zu begeben. Das Buch ist im Grunde fertig. Ich glaube, daß ich ihn in einer Art präsentieren kann, die viele überraschen wird. Er ist derselbe und ist es doch nicht. Er ist in sich stimmig, macht aber Fehler. Er ist verschlossen, manchmal sektiererisch, ungeduldig, nicht besonders sympathisch, hat jedoch einen außerordentlich starken Willen. Er ist schrecklich, sogar teuflisch gerecht. Sein Denken der Gleichheit weist eine unglaubliche Tiefe auf. Jetzt lese ich das ganze Buch, und die vielen tausend Anekdoten, die ich sammelte, um es zu schreiben, bekommen langsam eine Form. In ihrer Gesamtheit sind sie sehr interessant zu lesen. Sie brechen das Bild des Che der T-Shirts auf.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Albert Sterr am 2. Juni 1996 in Berlin.