In die Schluchten des Balkan - mit Rückfahrschein

Notizen beim Lesen von Noel Malcolms "Kosovo - A short history"

Nenad Stefanov

 

"Immer wieder bleiben wir in der Hauptstraße stehen und schauen westwärts; hinter diesem nahen Geflecht von Hochalpen liegt die Wildnis, die Urzeit, das Chaos, das große Unbekannte."

 

So blickt Hermann Wendel, Frankfurter Unabhängiger Sozialdemokrat und Verfechter der "südslawischen Sache", 1920 während einer Makedonienreise in Richtung Albanien. Dieser Blick auf Albanien könnte ebenso auf das Kosovo geworfen werden, ist dieses doch, mehr noch als andere Gegenden des Balkan, Inbegriff orientalischer Wildheit, urzeitlicher Stämme und vor allem - unbekannt. Hermann Wendel, Publizist im Wilhelminischen Deutschland und der Weimarer Republik, der die Vereinigung der Südslawen vor allem in der Frankfurter Zeitung der Öffentlichkeit als großen Fortschritt hin zur Zivilisierung des Balkan nahebringen will, hat nicht allzu große Sympathie für jene Albaner/Arnauten, die ihm in Westmakedonien begegnen. Die Beobachtungen der geringschätzigen Umgangsweise seitens der Vertreter der serbischen Staatsmacht in den wiedergewonnenen "südlichen Gebieten" mit der dort lebenden albanischen Bevölkerung entlocken ihm kaum Mitleid. In ihnen personifiziert sich die osmanische Hinterlassenschaft von Chaos und archaischer Wildheit, welche notwendigerweise dem Fortschritt Platz zu machen hat, dessen Protagonisten in der Vorstellungswelt des Sozialdemokraten Ingenieure und Armee sind. Ein schlechtes Gewissen braucht Wendel nicht zu haben, den er kann sich dabei auf Friedrich Engels berufen:

Die Albaner "sind ein abgehärtetes, ursprüngliches Gebirgsvolk (...). Sie sind teils Moslems, teils griechische Christen, und nach allem, was wir von ihnen wissen, noch sehr wenig für die Zivilisation vorbereitet. Ihre räuberischen Gewohnheiten werden jede Regierung eines Nachbarlandes zwingen, sie in strengster militärischer Unterwerfung zu halten, bis der industrielle Fortschritt in den umgebenden Gebieten ihnen Beschäftigung als Holzhauer oder Wasserschöpfer geben wird (...)"

So sieht Wendel, vital und optimistisch, allein den Fortschritt der Geschichte am Werk, wenn er mit den blutigen Konflikten zwischen neuen Herrschern und der albanischen Bevölkerung konfrontiert wird.

Neben diesem unternehmenden und fortschrittsgläubigen Blick auf den Balkan, vor allem aber auf Albanien, Kosovo und Makedonien, existiert noch ein zweiter Blick, der sich an der "rohen Kraft der Balkanesen", ihrer altertümlichen Lebensweise weiden kann. Im ausgehenden Zeitalter des Kolonialismus, der Begeisterung für die eigene kulturtragende Mission gegenüber noch unzivilisierten Stämmen, ist der Balkan als exotisches Territorium vergleichsweise nah und einigermaßen erreichbar. Gerade in der von militärischen Tugenden und Offiziersgeist geprägten Gesellschaft des Deutschen Reiches üben die patriarchalen Gemeinschaften der tapferen und unbeugsamen Heiduckenkrieger große Anziehungskraft aus. Spiridon Gopcevic, Deutsch-Österreicher montenegrinischer Abstammung, kann stellvertretend für eine solche sich an Karl May anlehnende Wahrnehmung genannt werden. Verfasser von Groschenromanen, anspruchslosen historistischen Theaterstücken, Berichterstatter für deutsche Zeitungen auf den "Kriegsschauplätzen des Balkan", Lobbyist für die Österreichisch-Serbische Freundschaft, inszeniert er für das Publikum diese "wildromantische" Seite des Balkan mit einem Haufen von Verschwörungen montenegrinischer Fürsten und albanischen Häuptlingen, Scharmützeln zwischen albanesischen Stämmen und sich in der Hauptrolle.

Neben den unterschiedlichen Bildern, die vom Balkan gezeichnet werden, besteht aber eine Gemeinsamkeit darin, daß sich beide Autoren als Sprecher der politischen Interessen jener Völker sehen, zu deren Anwälten sie sich in der europäischen Öffentlichkeit machen. Ihre publizistische Arbeit soll die politischen Forderungen unbekannter Völker nach nationaler Unabhängigkeit vermitteln, begründen und Solidarität (Wendel) oder Sympathie (Gopcevic) wecken. Neben Reisebeschreibungen erfüllen vor allem historisch angelegte Publikationen diesen Zweck. Solche Schriften sind zumeist unterteilt in die Darstellung von Geographie, dem "Volkstum" und seiner Geschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart, diese bilden ein besonderes Genre politischer Literatur. Geschichte besteht allerdings in beiden Fällen aus dem dumpfen Andauern ein und desselben Zustandes.

Auch Noel Malcolms Kurze Geschichte des Kosovo steht in dieser Tradition. Zum einen folgt die Gliederung des Buches dem erwähnten Muster, zum anderen ist sein Buch nicht aus den Notwendigkeiten des Wissenschaftsbetriebes gespeist, wo forschungsstrategisch eine weitere Lücke geschlossen wird. Diese Arbeit ist ebenso wie seine Geschichte Bosniens aus einem konkreten Konflikt, der drohenden Zerstörung der bosnischen Gesellschaft, motiviert und versteht sich als aufklärerischer Versuch, über die Darstellung der Geschichte des Kosovo, ein differenziertes Verhältnis zur gegenwärtigen Auseinandersetzung zu ermöglichen. Das kann natürlich diesen Zugang von den beiden oben erwähnten unterscheiden, die sich vor allem in der Produktion von Stereotypen auszeichnen, indem hier die Vielschichtigkeit, die Komplexität einer Gesellschaft vergegenwärtigt werden soll, was auch ein Engagement gegen deren gewaltsame ethnizistische Einebnung darstellt.

 

Geschichte und Mythos

Gerade im Fall des Kosovo bündeln sich bestimmte Widersprüche, wenn es um den Stellenwert der Vergangenheit geht, die im Verlauf des Zerfalls Jugoslawiens vor allem in Serbien zum Vorschein gekommen sind. Diese könnten als drei verschiedene Momente gefaßt werden, wenn es um die Art und Weise der Entstehung und Verfestigung von Vorurteilen geht, die entscheidend waren in der Mobilisierung ethnizistischer Wahrnehmungen: Das erste betrifft die Geschichte der Institutionalisierung einer multinationalen Republik und der Konsequenzen, einerseits für den Stellenwert ethnischer Gemeinschaften als wesentlichem gesellschaftlichen Orientierungsmuster und andererseits, daraus hervorgehend, dem Verhältnis zu anderen ethnischen Gruppen. Auf diese Frage wird in diesem Beitrag später, am Beispiel des Verhältnisses des serbischen Staates zu Albanern und Türken noch eingegangen werden. Das zweite Moment ist die Omnipräsenz des Wortes Geschichte, gerade in der Auseinandersetzung mit dem Kosovo-Konflikt als dessen unmittelbar einleuchtende Erklärung. Geht es um das dritte Moment, den Mythos, so kann gesagt werden, daß Geschichte als eindeutige Erzählung und Mythos miteinander verschmelzen. Ist von der Geschichte des Kosovo die Rede, so wird in Serbien, was auch andernorts bereitwillig angenommen wird - wenn man die Feuilletons deutscher Tageszeitungen betrachtet -, als erster und einziger Zugang der Mythos der Schlacht auf dem Kosovo-Polje 1389 gewählt.

Der Mythos vom Kosovo-Polje enthält die Geschichte dieses Gebiets und dieser Gesellschaft, und diese ist nur noch Mythologie. Demnach ist Geschichte allein die schicksalhafte Wiederholung des einen Geschehens, des ewigen Kampfes zwischen den rechtgläubigen Serben mit den ungläubigen Osmanen und deren Erben, den Albanern. Der einzig mögliche Ausgang dieses außerhalb der historischen Zeit liegenden Kampfes ist allein die Opferung für etwas Jenseitiges, nicht aber die Möglichkeit, das Kontinuum des mythischen Geschehens zu durchbrechen und in eine historische Zeit einzutreten. So, wie sich in der Schlacht auf dem Kosovo-Polje Fürst Lazar im Kampf gegen die Türken "für sein Volk" und ein "himmlisches jenseitiges - Serbien" opferte, so kann letztendlich eine Auflösung dieses ewigen Kampfes, in dem Geschichte in jeweils neuen Varianten und Verkleidungen besteht, auch in der Gegenwart nur als Opfer gedacht werden. Am Beispiel des Kosovo wird die Litanei der serbischen Nationalisten von den Serben als einem ewigen Opfer der Geschichte in seinen Konsequenzen besonders anschaulich und legt dabei auch ein katastrophisches Ende nahe.

 

Geschichte von Nationen oder Geschichte der Gesellschaft?

Seinen Schwerpunkt legt Noel Malcolm auf den Versuch, die nationalistischen Deutungsmuster der Geschichte des Kosovo zu durchbrechen, seine Darstellung der Geschichte des Kosovo ist deshalb auch von der Polemik gegen in der nationalistischen Strömung der serbischen Geschichtswissenschaft gängige Thesen geprägt. So beschäftigt sich ein zentrales Kapitel des Buches mit "The Battle and the myth". In eifriger Detailarbeit wird jenem in den serbischen Heldenepen erzählten Mythos von der Schlacht die historische Rekonstruktion dieses Ereignisses gegenübergestellt. Auf der ereignisgeschichtlichen Ebene betont Malcolm, daß nicht diese Schlacht den Wendepunkt zugunsten der endgültigen osmanischen Eroberung des Balkan darstellt, sondern eine vorhergehende (1371) den Weg zur weiteren Dominanz in Europa ebnet. Außerdem kämpften auf dem Amselfeld nicht Serben gegen Türken, vielmehr fanden sich auch im osmanischen Heer serbische Vasallen des Sultans, wie auch albanische Fürsten auf der serbischen Seite. Im folgenden versucht er, den mythischen Helden des Epos historische Persönlichkeiten, gegenüberzustellen, die deutlich machen wie wenig es dabei um ethnische Zuschreibungen bei diesen Figuren gehen kann, die ohnehin für das Mittelalter fragwürdig erscheinen. Es drängt sich allerdings dabei der Eindruck auf, daß für Malcolm vor allem das falsche Bild von den Ereignissen ausschlaggebend ist, wenn es um die Bedeutung der Schlacht auf dem Kosovo Polje in der Wahrnehmung der Gegenwart geht. Dies legt ein positivistisches Verständnis von Aufklärung bei Malcolm nahe, wonach das Wissen um die historische Wahrheit die Wirkung solcher Mythen entscheidend in Frage stellen könnte. Vor allem aber wird der Eindruck vermittelt, die Schlacht auf dem Amselfeld hätte schon immer den gegenwärtigen Stellenwert gehabt, was das Selbstverständnis der serbischen Gesellschaft betrifft. Mit dessen "Wirkungsgeschichte" beschäftigt sich Malcolm aber nur andeutungsweise, wobei ein solcher geschichtswissenschaftlicher Zugang par excellence einen Hinweis geben kann, wie wenig es dabei um "uralte Traditionen und Traumata" gehen kann. Vergegenwärtigt man sich die Konjunkturen des Kosovo-Mythos, so wird deutlich, daß der Bezug auf diesen lange "randständig" bleibt, bis zum fünfhundertjährigen Jubiläum 1889, wo es aber vor allem um das herrscherliche Selbstverständnis der serbischen Königsdynastie geht, die sich im klassischen Sinne einer "Invention of tradition" mit einem national-historischen Ornament schmücken will. Das Amselfeld ist damit ein wichtiger Mosaikstein in dem Selbstverständnis der konservativen nationalen Elite, auch bei der Formulierung territorialer Ansprüche.

Erst in den achtziger Jahren dieses Jahrhunderts, im realsozialistischen Jugoslawien, wird das Kosovo zum Schlagwort, setzt sich als ausschließlicher Zugang in der Wahrnehmung und Interpretation gesellschaftlicher Konflikte durch. In einer der vorangegangenen Ausgaben der Kommune wurde, anhand des Aufsatzes von Drinka Gojkovic, darauf hingewiesen, wie sich der nationalistische Diskurs in der serbischen Öffentlichkeit durch dieses Schlagwort konstituiert. "Kosovo" wird zur maßgeblichen Formel, mit der die Individuen in der serbischen Gesellschaft versuchen, sich einen Reim auf die disparate und bedrohliche Wirklichkeit zu machen. Die Bedeutung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Krise für eine "Mythenbildung" bleibt bei Malcolm ausgespart und kann kaum allein mit einem historischen Ansatz erschlossen werden, wenn es um die gesellschaftliche Genese von Vorurteilen geht. Allerdings macht Malcolm mit seinem Buch auf die Verdrängung der Geschichte des Kosovo als die Geschichte der Kosovo-Albaner aufmerksam und nennt damit eine der Bedingungen für die im wahrsten Sinne des Wortes durchgreifende Macht solcher Mythologisierung.

Die Schwierigkeiten und Widersprüche, die mit der Entstehung eines multinationalen südslawischen Staates verbunden und die für die Zerstörung der Föderativen Republik Jugoslawien von Bedeutung sind, kristallisieren sich in dem Verhältnis des serbischen Staates, später der serbischen Republik innerhalb Jugoslawiens zu der albanischen Bevölkerung. Vor der Gründung eines multinationalen jugoslawischen Staates bezog sich die Erfahrung Serbiens, als einer auch von unterschiedlichen nationalen und konfessionellen Gruppen geprägte Gesellschaft, vor allem auf Türken und Albaner. Die zu befreienden serbischen und südslawischen Brüder blieben dagegen abstrakt und fristeten ihr Dasein vor allem in politischen Programmen und Sonntagsreden. Diese konkrete Differenziertheit der serbischen Gesellschaft wurde von dem größten Teil der politischen Elite, aus der Perspektive nationaler Homogenität als grundlegendem Prinzip staatlicher Organisation, nicht anerkannt. Die Konsequenz solcher Nichtanerkennung ist, wie auch in den beiden anderen balkanischen Nationalstaaten, Griechenland und Bulgarien, Gewalt gegen Gruppen, die nicht ins ethnisch-homogene Konzept passen. Die Konstitution und Expansion des serbischen Staates bedeutete immer auch die Vertreibung von Türken und auch Albanern, ebenso wie die Expansion des bulgarischen oder die des griechischen mit der Umerziehung oder Vertreibung von Makedoniern einherging.

Allerdings setzte sich dies im Staatsverständnis als allgemeine Praktik gegenüber den anderen nationalen Gruppen (vor allem im ersten) Jugoslawien durch: Von südslawischen Brüdern und Schwestern war immer nur so lange die Rede, wie sich diese mit Serbien identifizierten und unterordneten. Sobald aber Gleichberechtigung gefordert wurde, reagierte der darin geübte Staatsapparat, ebenso wie gegenüber den "Resten der Fremdherrschaft", mit Unterdrückung. In der Geschichte des serbischen Königreiches, wie auch des ersten Jugoslawien läßt sich auf staatlicher politischer Ebene ein anderer, differenzierter Umgang mit den "Fremden" nicht ausmachen. Die Erfahrungen bestanden vor allem in einvernehmlicher Aussiedlung (Verträge mit dem osmanischen Reich), Vertreibung und "Bekämpfung" von Irredenta-Gruppen. Diese Verdrängung der Realität Serbiens als balkanische Gesellschaft seitens der jeweiligen herrschenden Elite, die gewaltsam durchgesetzt wurde und immer noch vollzogen wird, hat ihren Teil dazu beigetragen, daß der nationalistischen Hysterie und deren Feindbildproduktion Ende der achtziger Jahre wenig Widerstand entgegengesetzt wurde.

Eine Auseinandersetzung mit dieser Verdrängung kann in diesem Zusammenhang aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive vor allem bedeuten, sich mit der Geschichte der staatlichen Herrschaft Serbiens über das Kosovo zu beschäftigen. Die Tatsache, daß in den durch die Balkankriege 1912/13 hinzugekommenen Territorien des Kosovo und Makedoniens nicht allein Serben lebten, wurde ignoriert, was bedeutete, daß die gewünschten Verhältnisse mit Gewalt hergestellt werden sollten. Die serbischen sozialdemokratischen Zeitungen dieser Zeit sind voll von empörten Briefen und Berichten sozialdemokratischer Frontkämpfer über das Vorgehen gegen die albanische Bevölkerung, die sich nicht bedingungslos der neuen Herrschaft unterwarf: Dörfer wurden verwüstet, die Einwohner vertrieben. Trotzki, als Berichterstatter russischer Zeitungen aus dem Kampfgebiet, war, trotz seiner anfänglichen Sympathie für den Befreiungskampf gegen die Osmanen, erschüttert von dem Vorgehen der Armeen gegen die einheimische Zivilbevölkerung. So konnte sich die neue Herrschaft nur als koloniale etablieren, was zur Folge hatte, daß das Kosovo bis Ende der zwanziger Jahre permanentes Kampfgebiet blieb. Als nach dem Ersten Weltkrieg die serbische Herrschaft über das Kosovo erneut installiert wurde, entfaltete sich in der Drenica-Region ein Aufstand, der bis 1925 andauerte und erst durch den Wegfall der Unterstützung durch Tirana zusammenbrach. Über die Darstellung dieser konkreten Geschichte der Durchsetzung kolonialistischer Herrschaft auf dem Kosovo erschließt sich der Prozeß der zwangsweisen Herausbildung zweier isolierter nationaler Kollektive auf dem Kosovo. Diese sind eben nicht "historisches" Merkmal dieser Region.

Diesen Prozeß übergeht Malcolm auch insofern, als die Konturen der Protagonisten des Aufstandes von Kacanik unscharf bleiben, und dieser pauschal als albanischer nationaler Widerstand bezeichnet wird. Dabei ist es gerade in diesem Fall bezeichnend, wie stark diese Bewegung oszilliert, von Widerstandsgruppen, die auf traditionalen Stammesorganisationen basieren und die sich gegen jede Art zentralistischer staatlicher Herrschaft wehren, sei es osmanische, serbische oder griechische, bis zu osmanisch ausgerichteten Feudalherren, die ihren Machtbereich sichern wollen.

In Malcolms Darstellung verschwimmen diese notwendigen Differenzen, die Voraussetzung dafür sind, eben nicht die Geschichte zweier antagonistischer Kollektive zu schreiben, sondern die der Gesellschaft des Kosovo. Am Ende bleibt vor allem der Eindruck, Malcolm verfahre als Punktrichter gegenüber den "beiden verfeindeten Seiten" am Ende eines jeden in sich geschlossenen Kapitels und bewerte angemessenes oder unangemessenes Vorgehen der jeweiligen Seite. In dieser Hinsicht löst sich der Autor nicht von dem Bild der Geschichte des Kosovo als einer verhängnisvollen Wiederkehr des immer Gleichen, da er derart lediglich eine Chronik der wichtigsten Ereignisse der letzten neunhundert Jahre im Kosovo verfaßt. Nimmt man seinen im Vorwort formulierten Anspruch ernst, sich mit der Geschichte balkanischer Gesellschaften jenseits eines unbedingten Apriori ethnischer Zuordnungen zu konfrontieren, so stößt dabei ein ereignisgeschichtlicher Zugang an seine Grenzen, insbesondere dann, wenn dieses Interesse aus dem konkreten gegenwärtigen Konflikt motiviert ist.

Gerade im Kosovo besteht die Herausforderung für eine historische Darstellung darin, die im Grunde unwidersprochen gebliebene Rede von zwei immer schon separierten nationalen Kollektiven zu hinterfragen und sich mit deren ambivalenter und gewaltsamer Konstitution auseinanderzusetzen. So könnte auch deutlich werden, wie wenig unabhängige Nationalstaaten eine Lösung darstellen, sondern eine schlechte Konsequenz der Unterdrückung der Differenziertheit balkanischer Gesellschaften.

 

1 Es ging dabei um den serbischen Schriftstellerverband, als einem wichtigen Protagonisten in der Ethnisierung und Mythologisierung der Auseinandersetzung ums Kosovo.

 

Literatur

Noel Malcolm, Kosovo a short history, London, 1998, Papermac, Paperback, 10.00 Pfund

Hermann Wendel, Von Marburg bis Monastir, Frankfurt, 1921

Spiridon Gopcevic, Das Fürstentum Albanien, Berlin, 1914

Spiridon Gopcevic, Oberalbanien und seine Liga, Leipzig, 1889