Fötalgewebetherapie

Was spricht gegen die Nutzung von Föten?

Harry Kunz

Andrea P.1 ist ungewollt schwanger. Ungewollt vom Vater, einem albanischen Asylbewerber, ungewollt von Andreas Familie, die unter bedrückenden Verhältnissen in einem abgelegenen Eifeldorf wohnt, ständig durch den despotischen Vater von Andrea bedroht. Andrea, 18 Jahre alt und ohne Schulabschluß, jobbt für 200 DM im Monat in einem Hotel. Wahrlich schlechte Voraussetzungen für ein Leben mit einem Kind. Für ihren Frauenarzt ist der Schwangerschaftsabbruch daher nur eine Formsache. Klar auch, daß der Fötus "für die Medizin verwendet" wird. Was soll er mit Andrea über die Anwendungsfelder der Fötalgewebemedizin diskutieren, gar über daraus erwachsende ethische Probleme?

Depressivität, erlahmende Eigeninitiative und fehlende Selbstbeherrschung, die bis zur Unfähigkeit reicht, begonnene Bewegungsabläufe zu stoppen, - die Symptome der Parkinsonschen Krankheit zerstören all jene Attribute, die für die moderne Kultur das Menschsein ausmachen. Bei dieser Erkrankung gehen bestimmte Hirnzellen zugrunde. Die Verpflanzung fötalen Hirngewebes, aus Schwangerschaftsabbrüchen zwischen dem dritten und fünften Schwangerschaftsmonat gewonnen, eröffnet erstmals die faszinierende Perspektive einer grundlegenden Behandlung der Krankheit.2 Auch bei Chorea Huntington ("Veitstanz"), bei Schizophrenie oder bei Epilepsie werden versuchsweise Fötalgewebetransplantationen durchgeführt. Nicht zuletzt bedeuten sie einen Hoffnungsschimmer für die rund 320.000 Menschen in der Bundesrepublik, die unter kindlicher Diabetes leiden. Schon ein Siegeszug als Regeltherapie bei Parkinson würde tiefgreifende Änderungen in der Praxis der Schwangerschaftsabbrüche zur Folge haben: Denn für eine Zell-Transplantation in beide Hirnhälften wird Gewebe von mehr als zehn Föten benötigt. Bei einer Neuerkrankungsrate von 16.000 Menschen in jedem Jahr kann der potentielle Bedarf an Fötalgewebe durch die aktuelle Abtreibungspraxis nicht gedeckt werden, 1993 wurden insgesamt 111.236 Abbrüche statistisch erfaßt.3

Von Interesse sind jeweils nur Föten in ausgewählten Schwangerschaftsstadien. Für Parkinson-Patienten sind es solche in den ersten zehn Schwangerschaftswochen, bei Diabetes Föten im zweiten Schwangerschaftsdrittel, bei der Transplantation von Leberzellen Föten bis zur 16. Woche.4 Zugleich ist die Fötalgewebetransplantation an bestimmte Abbruchmethoden gebunden. Zur Beschaffung des benötigten Fötalgewebes wäre folglich eine weitgehende Anpassung von Zeitpunkt und Methoden des Schwangerschaftsabbruchs an die Anforderungen der Fötalgewebemedizin ebenso erforderlich wie ein schwunghafter Fötenimport.

Das die Fötalgewebetransplantation leitende Verständnis ungeborenen Lebens als einem Rohstoff der experimentellen und angewandten Medizin ist Teil einer Entwicklung, die das ehedem "natürliche" Kinder Bekommen zu einem Herstellungsprozeß verwandelt. Techniken künstlicher Befruchtung verlagern die Zeugung in die Petrischale, nicht benötigte Embryonen können weggekippt, für eine spätere Verwendung tiefgefroren oder für eine "verbrauchende" Embryonenforschung genutzt werden. Die Fötenzahl der bei Verfahren künstlicher Befruchtung gehäuft auftretenden Mehrlingsschwangerschaften wird durch intrauterine Abtötung oder selektive Abtreibung "reduziert", das heißt, es werden im Namen der Befriedigung des elterlichen Kinderwunsches Abtreibungen durchgeführt.

Gleichzeitig wird die Idee eines vom Körper der Frau getrennten Fötus zunehmend technische Realität: Leihmutterschaften verwandeln den Uterus der Frau zu einer austauschbaren Produktionsstätte, welchen Föten in einem immer früheren Schwangerschaftstadium (derzeit etwa ab der 23. Schwangerschaftswoche) wieder verlassen können. Am Ende der Entwicklung steht die Ektogenese, die Ersetzung der Gebärmutter durch eine entsprechende Maschine.

Fötale Gespenster

Die namentlich in der neueren französischen Philosophie betriebene Kritik am Humanismus begreift das Menschliche als Ergebnis klassifizierenden Denkens und nicht unter Bezug auf eine Natur oder eine sonstige Wesenheit. Was als Mensch gelte, sei Ergebnis einer gesellschaftlichen Konvention. Für diese konstruktivistische Überlegung stellt die Menschwerdung des Fötus ein eindrucksvolles Beispiel dar. Rechtlich kommt diese Konstruktion im Urteil des bundesdeutschen Verfassungsgerichts zu einem vorläufigen Höhepunkt, wo seit 1975 Embryonen und Föten als "selbständige menschliche Wesen" definiert werden. Die Menschwerdung des Fötus ist freilich eine gebrochene: Fötalmedizin heißt bisweilen zwischen einem Schwangerschaftsabbruch und einer Fötalgewebetransplantation im Mutterleib zu wählen, wo aus Abtreibungen gewonnene fötale Zellen anderen Föten, die an einer Immunschwäche leiden, injiziert werden.

Solches Oszillieren des Fötus zwischen Subjekthaftigkeit und Verdinglichung wird wesentlich durch die naturwissenschaftlichen Deutungen hervorgebracht, artikuliert und verstärkt. Denn die Wahrnehmung der Humanwissenschaften ist perspektivisch, sie erfassen nur bestimmte Aspekte des Menschen, ohne an einen Konsens über dessen Wesen gebunden zu sein. Einerseits wird vorgeburtliches Leben als medizinischer Rohstoff und bloßer Zellhaufen, in der Abtreibungspraxis als zu entsorgender Klinikabfall definiert. Andererseits bestreiten medizinische Fortschritte in der Behandlung von "Frühchen" zunehmend die frühere lebenskulturell-praktische Relevanz der Differenz zwischen ungeborenem und geborenem Leben. Die Geburt bildet eine wesentliche Zäsur im Leben des Menschen, aber sie kann heute weder in biologischer noch in ethisch-sozialer Hinsicht als Beginn des Menschseins begriffen werden. Für die Humanembryologie entwickelt sich nicht erst aus Ei und Embryo ein Mensch, sondern menschliche Individualität ist mit der Befruchtung existent. Die pränatale Psychologie untersucht das Verhalten fötalen Lebens, die Psychoanalyse spürt Zusammenhängen zwischen vorgeburtlichem Erleben und späteren Persönlichkeitsmerkmalen nach.

Anders als andere Menschen ist das vorgeburtliche Leben aber zur eigenen Artikulation von Wünschen und Interessen unfähig, seine Emanzipation bedarf technischer Hilfen: Allein mittels Ultraschall ist der Fötus, in einem frühen Entwicklungsstadium auf einen Bildschirm gebannt, in den Bereich des Sichtbaren zu rücken. Lange vor der ersten Regung im Mutterbauch kann die Schwangere den pulsierenden Herzschlag auf dem Monitor betrachten. Seine Einzigartigkeit läßt sich nur mit der Entschlüsselung des genetischen Codes entdecken.

Die Implosion des Humanen

Gegen allein pragmatische Bestimmungsversuche des Menschen suchen Theologie und Philosophie in der Moderne eigene Begründungswege, die neben der biologischen auch die soziale und ethische Natur des Menschen berücksichtigen. Begreifen sie die menschliche Fähigkeit zur Selbstbestimmung als Verantwortlichkeit gegenüber allem, was biologisch als Homo sapiens zu fassen ist, so kommt es sowohl in der feministischen wie in der personalistisch-bioethischen Debatte zu einer Verkehrung: Mensch zu sein wird zu einem Prädikat für jene, die über die Fähigkeit zur Selbstbestimmung verfügen. Dabei gilt das Definitionsrecht des Stärkeren.5

Die in der Abtreibungsdebatte entwickelte feministische Position, für die der Fötus nur ist, was frauliche Selbstbestimmung in ihm sehen will, bildet in ihren kulturellen Auswirkungen den idealen Nährboden einer wuchernden Fötalgewebemedizin. Wer Abbrüche als Ende "ungeplanter Probeschwangerschaften" oder als Chance zur "kompetenten Gestaltung der persönlichen Biographie" begreift, zerstört die Möglichkeit einer ethischen Kritik der medizinischen Weiterverwendung von Föten.6 So läßt sich die Fötalgewebenutzung nicht unter Bezug auf eine Wahrung der Totenruhe, der Pietät und des Gedenkens an Verstorbene eingrenzen. Denn pietätvolles Gedenken an einen Verstorbenen ist in der westlichen Kultur nicht an dessen leibliche Integrität gebunden, sondern basiert auf einem symbolischen Bezug.7

Andere Kritiken, die kommerzielle Interessen oder die Profilierung einzelner Wissenschaftler als leitende Handlungsmotive der Fötalgewebemedizin unterstellen, weisen zwar auf problematische Entwicklungstendenzen hin. Wird der Fötus aber als bloßes Abtreibungsgewebe ohne eigene Dignität verstanden, ist seine Verwendung als Hilfe für andere - ungeachtet der diese Hilfe auch leitenden Motive - nicht grundlegend in Frage zu stellen. Selbst jene Probleme, die die Fötalgewebetransplantation für die Inanspruchnehmenden mit sich bringt - bei Parkinson-Patienten etwa Persönlichkeitsveränderungen oder Identitätsprobleme - greifen dann nicht, wenn diese Risiken eingrenzbar sind oder von den Betroffenen akzeptiert werden.

Die feministische Kritik behauptet einen durchgängigen Interessenwiderspruch zwischen der neue Gängelungen bewirkenden Fötalmedizin und den zur Abtreibung entschlossenen Frauen. Sie begreift die Entscheidung zur Abtreibung als Emanzipationsakt von externen Rollenerwartungen, als Ausdruck von Authentizität und von fraulichem Selbstsein.8 Deshalb muß sie die Ambivalenzkonflikte, die vor, während und nach der Entscheidungsphase zum Schwangerschaftsabbruch gegeben sind, entweder leugnen oder als Indiz fehlender Ich-Stärke umdeuten.9 Mit den Forderungen nach Entkriminalisierung und weiteren Erleichterungen des Schwangerschaftsabbruchs wird die Annahme verbunden, Erfahrungen von Schuld, Reue und Trauer könnten ausgeschaltet werden. Der Psychoanalytiker Peter Petersen weist hingegen in einer Zusammenfassung entsprechender Untersuchungen darauf hin, daß gerade reife Persönlichkeiten mit ausgeprägter Sensitivität wahrscheinlicher unter negativen seelischen Folgen nach legalem Abbruch zu leiden hätten, als etwa infantile, unreife Personen. Negative seelische Wirkungen für die Frau nach einer Abtreibung resultieren nicht einfach aus psychischer Labilität, sondern sind entscheidend abhängig vom Grade fraulicher Beziehungsfähigkeit.10 Damit dürfte eine "Fötalgewebespende" als eine Weise, dem Abbruch einen (zusätzlichen) Sinn zu geben, die psychische Verarbeitung von Trauer und innerer Leere bei sehr vielen Frauen erleichtern. Studien belegen denn auch, daß rund 85 bis 90 Prozent der befragten Frauen bereit sind, Föten nach einem Schwangerschaftsabbruch zu "spenden".11 Die feministische Kritik an der Fötalgewebemedizin zielt ins Leere, wo Frauen nach einem Abbruch selbst zur Spende bereit sind.

Ein als Selbstbestimmungsrecht der Frau daherkommendes Verfügungsverhältnis über ihren Fötus ist Teil des Verdinglichungsprozesses der sozialen und körperlichen Erfahrung von Schwangerschaft und der Nivellierung der Eltern-Kind-Beziehung. Entsprechend widersinnig ist die Vorstellung, die politische Bewertung der Vernutzung abgetriebener Föten könnte von der ethisch-kulturellen Einordnung und faktischen Praxis der Abtreibung entkoppelt werden.

Wo der Fötus als bloßer Abarbeitungsgegenstand fraulicher Selbstfindungsversuche begriffen wird, nähern sich feministische Positionen gegen die Personalisierung und Vermenschlichung des Fötus jenen bioethischen Argumentationslinien, die das Menschsein an Bewußtsein, Bedürfnis- und Vernunftfähigkeit binden. In der Logik der beschriebenen feministischen Argumentation liegt, was personalistische Bioethiker wie Norbert Hoerster oder Michael Tooley offen aussprechen: Weil sich ein Ich-Bewußtsein frühestens in den ersten Lebensmonaten entwickle, sei auch eine Tötung geborener Kleinstkinder prinzipiell ethisch zu rechtfertigen, wenn dies den rational begründbaren Interessen Dritter entspreche.12 Ein Daseinsanspruch für Kinder, die bei einem Schwangerschaftsabbruch lebendgeboren werden, läßt sich wie derjenige von "unerwünschten" Kleinstkindern unter den Annahmen der feministischen wie der personalistisch-bioethischen Argumentation nicht begründen. Ist damit vor dem Hintergrund der medizinischen Entwicklung der Weg geebnet für eine selbstbestimmte Entscheidung über das Wann eines bestimmten Kindes, inklusive eines Rückgaberechts bei Nichtgefallen in den ersten Lebensmonaten - in Form einer Spende für den guten Zweck der Fötalgewebemedizin?

In dieser Zuspitzung wird die Vermessenheit der rationalistischen und feministischen Hoffnung offensichtlich, allein mit einem Minimalbestand an Grundüberzeugungen ethische Konflikte in pluralistischen Gesellschaften allgemeinverbindlich entscheiden zu können. Unser Verhältnis zu Kindern unterliegt nicht nur einem Zweckkalkül, sondern ist auch durch geschichtlich gewordene Lebenskonzeptionen, mythische Erzählungen und das kulturell-religiöse Erbe bestimmt. Die unter dem Stichwort des Wertewandels beschriebenen Veränderungen unserer Beziehungen zu Kindern (weg von materiellen hin zu psychischen Gratifikationen des Kindes für seine Eltern) eröffnen obendrein neue Emanzipationschancen. Was gebietet uns, Kindern Selbstbestimmungsrechte zu geben, uns über das "Liegenlassen" behinderter Neugeborener zu empören, angesichts des Ultraschallbildes von Föten diesen ein Lebensrecht zuzusprechen? Woher rührt die Anteilnahme angesichts seelischer oder körperlicher Mißhandlungen an Kindern?

Ist ein anderer Begriff des Humanen erforderlich, um der Reduzierung des Menschlichen auf das Personhafte entgegenzuwirken? Muß wieder an den Wert jeden Lebens erinnert werden?

Zur Verwertung des Lebens

Das populäre Einklagen "unbedingter" Werte sieht sich in der philosophischen Debatte allerdings einem prinzipiellen Einwand gegenüber. Für Nietzsche und Heidegger erwachsen Werte in einer Welt, die den Menschen nicht mehr aus dem Bezug auf eine Allgemeinverbindlichkeit beanspruchende göttliche Ordnung begreift, immer aus dem menschlichen Anspruch nach Selbstbehauptung und -ermächtigung. Werte sind immer Nutz- und Vergleichswerte, die etwas im Hinblick auf den Nutzen für die eigene Selbstbehauptung festlegen. Der Fortschritt der Medizin, der auch eine Instrumentalisierung des Menschen bewirkt, ist Teil einer Kultur, die den Menschen zum höchsten Wert erhebt. Das Räsonieren um die Nutzung von Föten für einen guten Zweck ist Teil eines Daseinsverständnisses, dessen Dignität mit seinem Nutzwert zusammenfällt. Mag es sich dabei um den Wunsch, Parkinson-Kranke zu heilen, den elterlichen Wunsch, ohne Kind leben zu wollen oder um das narzißtische Streben nach einer Selbstverwirklichung im eigenen Wunschkind handeln. Die kontextabhängigen Bewertungen vorgeburtlichen Lebens sind somit in sich zusammenhängende Bestandteile des Wertdenkens einer pluralistischen Kultur. Die rechtlich stattfindende Abkehr von einer materiellen, wertefundierten und eindeutigen Rechtsetzung hin zu einem prozeduralen Recht, das lediglich ein Bewertungsverfahren anbietet (im bundesdeutschen Abtreibungsrecht das Kriterium der Zumutbarkeit eines Kindes für die betroffene Frau), wird dieser ulturellen Pluralisierung gerecht.

Der Fötus: Ein Etwas oder ein Teil des Geheimnisses des Ich?

Gilt also für den Umgang mit dem Fötus: anything goes? Ein Teil der postfeministischen Diskussion versucht das Mutter-Fötus-Verhältnis aus der Beziehung der Frau zu jenem zu begreifen, was in ihr und doch ganz anders als sie selbst ist. Für diese Position ist der Fötus weder Person noch keine Person, sondern Beziehung, die sich unmittelbar im ahnenden Erleben, in Empathie und geistiger Begegnung mit dem Ungeborenen realisiert, mittelbar durch die "körperbildende Wirkmacht der Technik" (Barbara Duden) sinnlich wahrnehmbar wird. Von hier aus erklärt sich die bindungs- und loyalitätsstiftende Bedeutung der Ultraschallbilder vom Fötus - gerade auch bei zielorientierten, "rationalen" Menschen, die für die Tiefenschichten der Erfahrung des Ungeborenen nicht empfänglich sind. Ob als intuitives Ahnen oder durch die Wirkmacht des Bildes, das im Sinne von Emmanuel Levinas nicht notwendig empirisch vorhandene "Antlitz" des Ungeborenen stiftet die Beziehung zwischen den Eltern und dem Kind, fordert Loyalität und Verantwortlichkeit. Nur in dieser Beziehung füllt sich die Leerformel von der "Würde des Ungeborenen" mit Leben. Die liberal-rationalistische Argumentation verleugnet diese Beziehung, die feministische denunziert sie etwa mit ihrem Aufruf zum "Bildersturm" gegen die Ultraschallphotos vom Fötus.13 Denn beim Anblick des auf den Monitor oder auf ein Bild gebannten Fötus zeigen sich die Grenzen eines sich auf Selbstbehauptung versteifenden Konzepts von Autonomie. Es sind nicht die Eltern oder die Frau, die über die Aufnahme einer Beziehung zum Kind entscheiden, sondern die Beziehung definiert sich vom Fötus her. Sein Antlitz enthält den Imperativ: "Du sollst mich nicht töten!" Die "freie" Entscheidung über Sein oder Nichtsein des Fötus setzt hingegen den Abbruch dieser Beziehung zum Ungeborenen schon voraus.14 Ein derartiges Verständnis der Beziehung zum fötalen Leben, in der sich dessen Würde realisiert, läuft nicht auf eine politische oder rechtliche Ablehnung der Abtreibung hinaus. Vielmehr gibt es gewichtige Anhaltspunkte dafür, daß in einem - durch Einschüchterungen, durch rechtliche und durch soziale Diskriminierungen der Abtreibung - vergifteten Klima das Annehmen der inneren Beziehung zum Kind erschwert wird. Hingegen eröffnet eine liberale Kultur, in der sich die soziale und psychische Funktion von Kindern ebenso verwandelt, wie Schwangerschaftsabbrüche ohne Strafen und Zwänge möglich sind, Chancen zu einem Begegnungserleben mit dem Ungeborenen.

Um der Kinder willen

Nicht die strafrechtliche Liberalisierung von Abtreibungen gefährdet die Würde des Ungeborenen, sondern jene lebenskulturellen Modelle, die auf den Annahmen völlig kalkulierbarer "Familienplanung" und der Wunschkindideologie basieren, wovon die feministische Interpretation des fraulichen Selbstbestimmungsrechts eine Spielart ist. In einer Kultur, die die Widerfahrnisdimension des Kinderbekommens und den vom Kind her bestimmten Beziehungscharakter des Eltern-Kind-Verhältnisses ignoriert, nur Wunschkinder zuläßt und damit ungewollten Kindern ein Daseinsrecht abspricht, würden nicht nur Föten, sondern letztlich alle Kinder der Chance auf ein eigenes Leben beraubt und zum Objekt der Interessenbefriedigung Dritter degradiert.

Bewahren wir aber ein Wissen darüber, daß ein Schwangerschaftsabbruch einen Akt der Tötung darstellt, fördert eine liberale Praxis der Abtreibung keine gesellschaftliche Anomie. Auch Inkonsistenzen im Gefüge der Rechtsnormen, die etwa jede Verwendung von Embryonen für wissenschaftliche Zwecke rigoros verbieten, gleichzeitig aber einen Schwangerschaftsabbruch (prinzipiell) zu jedem Entwicklungszeitpunkt erlauben, sind als Resultate pragmatischer Politik dann ethisch vertretbar, wenn sie kulturell von einem Wissen um die Gewalttätigkeit all dieser Festlegungen getragen werden. In einer solchen Kultur würde der Fötus auch durch eine Entscheidung über eine Verwendung seines Körpers nicht zum bloßen Zweck instrumentalisiert, sondern bliebe als "Menschenopfer", als eine Gabe der Generosität und Nächstenliebe, in seiner Würde belassen.14

@Body o.E. = Andrea P. hat sich übrigens - entgegen dem gesunden Menschenverstande - für ihr Kind entschieden. Die Freiheitsgrade zukünftiger Kultur werden sich auch daran messen lassen, inwieweit sie solche Entscheidungen ermöglichen oder sie zugunsten einer rationalen Lebensführung, einer sinnvollen Verwendung des toten Fötus oder eines sonstwie als soziale Norm auftretenden Selbstbestimmungsrechts, jetzt kein Kind zu wollen, einschnüren.

1 Name vom Autor geändert.

2 Praktiziert wird die Fötalgewebetransplantation bei Parkinson insbesondere in Schweden, Großbritannien und osteuropäischen Ländern. An der medizinischen Hochschule Hannover laufen Vorbereitungen, diese auch in der Bundesrepublik durchzuführen.

3 Statistisches Jahrbuch 1995, 435.

4 Vgl. Ingrid Schneider. Föten. Frankfurt/Main 1995, 211 f.

5 Zugespitzt formuliert dies der PDS-Gesetzentwurf "zur Sicherung der Unantastbarkeit der Grundrechte von Frauen". Er bestreitet, daß die Leibesfrucht "ein Mensch von Anfang an" sei. Vielmehr komme der Frau die alleinige Definitionsmacht darüber zu, ob ihre Leibesfrucht ein erwünschtes Kind sei oder "ein Etwas, das ihre Lebenspläne zu zerstören suche". (BT-Ds 13/397, S. 5)

6 Marina Knopf, Elfie Mayer, Elsbeth Meyer, Traurig und befreit zugleich. Psychische Folgen des Schwangerschaftsabbruchs, Hamburg 1995, 48, 17.
Eine pointierte Version der Instrumentalisierung des Fötus bietet die feministische Argumentation da, wo sie Abtreibung als Chance zu fraulicher Authentizität und Selbstbewußtwerden deutet und konsequenterweise in Abtreibungskarrieren die Chance zu "gesteigerter Verantwortung für das eigene Leben" der Frau aufleuchten sieht. (Rita Seitz, Mein Bauch gehört mir? Schwangerschaftsabbruch als Möglichkeit weiblicher Autonomie, München, 1992, 153).

7 Auch die verbreitete Praxis der Leichenverbrennung oder die Verstümmelung durch Unfälle oder durch Kriege stellen das Andenken an einen Toten nicht in Frage. Unter Pietätsgesichtspunkten bildet die üblicherweise betriebene "Entsorgung" abgetriebener Föten (mit einem Gewicht unter 500 g) in einer Klinikmüllverbrennungsanlage zudem schwerlich eine Alternative. Auch die bei bestattungspflichtigen Föten üblichen Formen der Feuerbestattung, des anonymen Begräbnisses oder der Beerdigung im eigenen Grab blieben selbst bei einer weitgehenden "Ausschlachtung" des Fötus möglich.

8 Exemplarisch hierzu: Maja Langsdorff, Kleiner Eingriff - großes Trauma? Schwangerschaftskonflikte, Abtreibung und die seelischen Folgen, Braunschweig 1991; Patricia Lunneborg, Jetzt kein Kind. Warum Abtreibung eine positive Entscheidung sein kann, Frankfurt/M. 1996; Marina Knopf, Elfie Mayer, Elsbeth Meyer, Traurig und befreit zugleich, a.a.O.

9 Peter Petersen, Schwangerschaftsabbruch. Unser Bewußtsein vom Tod im Leben, Stuttgart 1986.

10 Zitiert in: I. Schneider, Föten, a.a.O., 216.

11 Norbert Hoerster, Neugeborene und das Recht auf Leben, Frankfurt/Main 1995; Michael Tooley, Abtreibung und Kindstötung, in: A. Leist, Um Leben und Tod, Frankfurt/M. 1990, 157-195, besonders 169 ff.

12 So zeichnet Barbara Duden eindrucksvoll die mit den Visualisierungstechniken einhergehenden kulturellen Veränderungen im Verhältnis zum Fötus nach, der sich mit seiner technischen Sichtbarmachung zum kulturellen Symbol der Unschuld und eines abstrakten Lebens verwandele. Erschöpft sich die konkrete Beziehung der Eltern zu ihrem Kind aber wirklich in der Übernahme kultureller Schablonen und Moden? Wer die durch Ultraschallphotos gestiftete Beziehung zum "Abstraktum des Fötus" als "Mißbrauch des Begriffs Leben" denunziert, müßte zudem angeben können, was das "eigentliche" Wesen des Fötus und des Lebens ausmache (Barbara Duden, Der Frauenleib als öffentlicher Ort. Vom Mißbrauch des Begriffs Leben, Frankfurt/Zürich 1991).

13 Entsprechend halbherzig bleibt daher auch Ingrid Schneiders Versuch, das Frau-Kind-Verhältnis nicht besitzindividualistisch, sondern als "Beziehung" zu verstehen, wenn sie gleichzeitig postuliert, allein die Frau bestimme über die Beziehung zum Kind (I. Schneider, Föten, a.a.O., 236 f.).

14 Vgl. zur Differenz zwischen einem Gabentausch und durch rationale Zweckinteressen bestimmten Marktvorgängen: Andrew Kimbrell, Ersatzteillager Mensch - die Vermarktung des Körpers, Frankfurt/M. 1994, 251 ff.; Jean Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod, München 1982.