Berliner Ungleichzeitigkeiten

Zum Streit über das "Planwerk Innenstadt"

Klaus Hartung

Als Ende letzten Jahres das "Planwerk Innenstadt" der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, schlugen prompt die Wogen der Entrüstung darüber zusammen. Der generelle Historismusverdacht war sofort zur Stelle. Er vereinte eine große Rechts-links-Koalition. Der CDU-Bausenator Kleemann erregte sich über die Rückkehr zu "mittelalterlichen Gassen", die für "Pferdefuhrwerke" gedacht waren. Die kritischen Kritiker aus Hochschule und taz-Milieu polemisierten gegen die angebliche Absicht, mit barocken Miniaturen die durchgrünten Stadtlandschaften der sozialistischen Moderne zuzustellen. Ostberliner Stadtplaner wie Bruno Flierl, Bernd Hunger oder Wolfgang Kil schließlich sahen den Endkampf um die Errungenschaften des Sozialismus gegen die Restauration gekommen. Der außerordentlich rüde Stil und der dominierende Ideologieverdacht im Streit ist gewiß dem Berliner Reizklima zuzuschreiben. Es ist eben so: Wird in Berlin ein Vorschlag gemacht, schaut niemand richtig hin, aber alle sind gleich dagegen.

Ein solches Debattenverhalten hat viel mit der Nachkriegsgeschichte und der Situation der Stadt zu tun. Es gibt in Berlin - was zumindest die öffentlichen Wortführer und die veröffentlichte Meinung betrifft - keinen Konsens über das, was die Stadt ist. Das unterscheidet Berlin auf leidvolle Weise von allen anderen europäischen Metropolen. Nicht nur die Mailänder, Amsterdamer oder Wiener, sondern auch die Einwohner der osteuropäischen Städte, von Riga, Warschau oder Budapest, berufen sich trotz aller städtebaulichen Gewaltakte der Nachkriegszeit auf ein Stadtbild, das sie geprägt hat. Selbst in Dresden oder Leipzig gibt es jenes Grundverständnis, jene gemeinsame Idee der eigenen Stadt, auf die alle Stadtplanungsdebatten gründen müssen.

In Berlin hingegen ist selbst der Begriff des historischen Zentrums umstritten. Stadtplaner oder Denkmalschützer blamieren sich durchaus nicht, wenn sie öffentlich dessen Zentralität und geschichtliche Autorität leugnen. Dabei zeigt ein bloßer Blick auf den Stadtplan, daß das historische Zentrum im Straßenmuster verewigt ist. Noch immer grassiert das Ideologem von der "polyzentralen Stadt". Jede europäische Metropole ist immer auch polyzentral, was durchaus kein Gegensatz zum historischen Zentrum bedeutet. Nur in Berlin schließt, so wird prätendiert, das eine das andere aus. Dieser Grunddissens über die Stadt infiziert selbst die sinnliche Gewißheit. Man kann sich nur schwer über evidente Tatsachen verständigen. Was jeder Spaziergänger unmittelbar sieht und erlebt, darf der ideologisch gefestigte Stadtplaner glatt ignorieren: daß beispielsweise die einstige Hauptstadt der DDR durch das historische Zentrum eine Flucht diffuser leerer Stadträume geschlagen hat. Ohnehin wird immer noch von Westberlinern und Ostberlinern gleichermaßen das historische Zentrum Ostberlin zugeordnet, obwohl es die Mitte der vereinten Stadt ist. In ihrer Erregung über das "Planwerk" endet das Blickfeld der Empörung auf seiten der Ost- oder Westberliner Kritiker immer noch am Verlauf der Mauer. Was an der Grenze der Blickfelder nicht erblickt wird, ist das terrain vague von Spontangrün, Durchgangsstraßen, suburbaner Bebauung, das sich entlang des einstigen Mauerstreifens durch den Südteil der Innenstadt zieht. Es trennt beispielsweise den Innenstadtbezirk Kreuzberg radikal von der Innenstadt ab, was Kreuzberger Kiezideologen freilich für einen natürlichen Standortvorteil halten.

@INI-2Z = Die Nachkriegszeit Berlins hat es mit sich gebracht, daß Teilungsgeschichte und Moderne auf unheilvolle Weise verquickt wurden. Der Bombenkrieg wurde nach 1945 von Stadtplanern gewissermaßen als Gottesurteil über das "steinerne Berlin" und das historische Verhängnis, das ihm entsprang, behandelt. Der sozialreformerische Furor der urbanistischen Moderne, der in den Jahrzehnten zuvor in der europäischen Stadt des 19. Jahrhunderts kochte, wollte das zerstörte Berlin als Tabula rasa für die radikale Utopie einer geordneten Stadt verstehen. Der sozialdemokratische Stadtbaudirektor der Weimarer Zeit, Martin Wagner, der aus der türkischen Emigration heimkehrte und davon ausging, daß achtzig Prozent der historischen Substanz von Berlin zu retten sei, wurde regelrecht mundtot gemacht. Es ging nicht um Wiederaufbau, sondern Neubau, um Neuanfang. Scharouns berühmter Plan für den Wiederaufbau ist dafür symptomatisch: Er schlug die Liquidation des barocken Straßensterns vor und wollte das Berlin der Zukunft in der Topographie des Urstromtals neu beginnen lassen.

Eine solche Geschichtsfeindschaft, die die Stadt in der vorgeschichtlichen Natur begründen wollte, wirkte fort und wurde verinnerlicht. In Westberlin wurde das Hansaviertel planiert, die südliche Friedrichsstadt zusammen mit dem barocken Rondell Mehringplatz einem geplanten Autobahnkreuz geopfert. Ausgebrannte Baudenkmäler wie die Krolloper wurden abgerissen. In seiner Energie unterschied sich der Westberliner Zerstörungwahn keineswegs von der Ostberliner Barbarei. Allein, was in Ostberlin vernichtet wurde, war ungleich bedeutender für das Selbstbewußtsein und die Identität der Stadt. Die Sprengung des Schlosses liquidierte nicht nur den Hohenzollernsitz und den größten Barockbau Nordeuropas. Es verschwand auch der innerstädtische Maßstab, das Fluchtlinien und Traufhöhen organisierende Baudenkmal. Die Rasur des mittelalterlichen Berlins um die Marienkirche schuf nicht nur das trübe Glacis des Fernsehturms, sondern vertrieb auch die mittelalterliche Herkunft der Stadt. Mit dem Abriß des Fischerkiezes in den sechziger Jahren verschwand ein bewohntes barockes Viertel, der südliche Teil von Alt-Cölln. Das Gedächtnis an diesen Stadtteil und an den für DDR-Verhältnisse völlig ungewohnten Widerstand der Einwohner ist bis heute nicht der Vergessenheit entrissen. Eine ständig wachsende Flut stadthistorischer Literatur hilft inzwischen, die Stadtgeschichte zu entziffern. Eine Monographie über die Fischerinsel fehlt noch immer.

Neben der Geschichtsfeindschaft war es der Totalitätsanspruch der stadtplanerischen Moderne, der Berlin verheerte. Nie ist zwar dieser Totalitätsanspruch zum totum gediehen, aber alle Wendungen der stadtplanerischen Ideologien und Korrekturen zielten wiederum auf Totalität. Dazwischen liegen die Reste der alten Stadt mit ihren ins Leere gehenden Fluchtlinien, die Inseln suburbaner Idylle, die innerstädtischen Peripherien zwischen den dichten Quartieren des Kiezes. Fünfzig Jahre Nachkriegsbau haben es nicht geschafft, ein identitätsstiftendes Stadtbild entstehen zu lassen. Sie haben nur die Erinnerung an die historische Stadt schwer beeinträchtigt. Statt dessen begegnet man einem urbanen Steinbruch mit verschiedenen Zerstörungsschichten, mit Bruchkanten von Stadtutopien und Stadtideologien. Hinzu kommt, daß der Nationalsozialismus, die Emigration und Vernichtung des Berliner Judentums und die Geschichte der Teilung mitsamt der Isoliserung und Enteignung in Ostberlin das städtische Bürgertum weitgehend zerstört haben. Es fehlt der Humus, das mittelständische Kapital und die kulturelle Tradition, aus dem Bauherren entstehen können, die mit Verantwortung gegenüber dem Genius loci und mit einem individuellen Anspruch gegenüber der eigenen Stadt bauen. Statt dessen wurde der Städtebau von anonymen Investoren, von den städtischen Baugesellschaften oder vom Staat beherrscht. Sie bauten für die Rendite oder für die Mietersoziologie. Entsprechend verwandelte sich auch der historische Baugrund in das anonyme Grundstück.

Die Vereinigung Berlins ist in vielerlei Hinsicht eine Wende. Der Konsens der urbanistischen Moderne mit ihrer gesellschaftspolitischen Hybris war schon zerfallen, wenngleich nicht überwunden. Immer noch wird gebetsmühlenhaft das Zitat Ernst Blochs vom Berlin als der "ewigen Kolonialstadt" und dem "Gebilde, das sozusagen immer nur wird und nie ist" oder Karl Schefflers ähnlich lautendes Diktum vorgebracht, um Modernität als das gewachsene Stadtschicksal zu legitimieren. Aber weder Scheffler noch Bloch konnten darin eine Carte blanche für die Geschichtsfeindschaft der Moderne meinen. Sie analysierten die Berliner Dynamik schließlich vor dem Hintergrund der bestehenden historischen Stadt. Aber auch diese Geschichtsfeindschaft ist brüchig geworden, wenngleich die wenigen direkten historischen Rekonstruktionen (Schinkels Bauakademie oder das Schlüterschloß), die in Berlin denkbar sind, noch immer als restaurative Gefahr tabuisiert werden. Vor allem aber zwang das Ende der Teilung zu einer neuen stadtplanerischen Logik: Der Zusammenhang der Stadt mußte rekonstruiert werden, vom Verkehrsnetz bis hin zu den städtischen Räumen. Auf der Tagesordnung stand, sich wieder der historischen Wurzeln zu vergewissern, um die Zukunft zu planen. Erstaunlicherweise hat das der normale Städter in Berlin schneller begriffen als die Stadtplanung. Seit Jahren gibt es einen innerstädtischen Tourismus der Einwohner, einen Prozeß der Selbsterforschung. Die Angebote historischer Bootsfahrten und Rundgänge werden vor allem von Berlinern wahrgenommen. Das vereinte Berlin, das für die Bewohner der geteilten Stadt ein unbekannter Ort war, wird allmählich angeeignet.

Die Stadtplanung jedoch hinkte hinterher. Gründe dafür gab es genug. War sie vorher ein Opfer der Teilung, so wurde sie nun zum Opfer der Vereinigung. Sie fand sich wieder im Handgemenge mit fiebrigen Investoren und war selbst in einer hitzigen Zukunftseuphorie gefangen. Unter der panischen Erwartung einer schnell wachsenden Stadt verplante man die Stadträume. Neue Trabantenstädte wie Karow-Nord oder Buch wurden konzipiert, neue Zentren wie die "Kreuze" aller vier Himmelsrichtungen entworfen. Die Stadtplanung sah sich aufgefordert, schon Fakten für die Hauptstadtentscheidung zu schaffen. Es gab zwar ambitionierte Versuche wie durch das "Stadtforum", Planungsprozesse und eine interessierte Fachöffentlichkeit möglichst eng zu verzahnen. Aber alle Debatten waren letztlich chronisch überfordert durch den übermächtigen Entscheidungsdruck. Die Berliner Planungskultur war nicht auf die völlig neue Kräftekonstellation vorbereitet. Sie wurde überrascht vom Druck des global operierenden Anlagekapitals, von der Intervention der Regierungs- und Parlamentsinteressen und von den Zwängen aufgrund der extremen Defizite der hinterlassenen DDR-Stadtlandschaft. Überdies bekämpften sich die beiden Senatsressorts von Stadtplanung und Bauen ausgiebig. So beschränkte sich die städtische Intervention nur auf bürokratische Regeln über Traufhöhe, Blockrandbebauung und die "steinerne" Fassadengestaltung. Die Aufgabe der Rekonstruktion des historischen Zentrums blieb auf der Strecke. Noch immer ist seine Zentralität im Netzwerk der Stadt nicht wieder hergestellt. Noch heute gibt es teilungsbedingte Maschen und Blockaden im Straßenmuster. Statt dessen wurden einzelne Wettbewerbsgebiete wie Spreeinsel, Potsdamer Platz, Alexanderplatz ausgeschnitten und unter hohem Aufwand und weltweiter Beteiligung geplant. Inzwischen ist die Mitte überlagert von einer chaotischen Planungscollage. Wettbewerbsergebnisse, Bereichsentwicklungspläne, Verkehrsplanungen und Bebauungspläne überlappen und widersprechen sich.

Als der Stadtentwicklungssenator Peter Strieder und sein Staatssekretär Hans Stimmann das "Planwerk Innenstadt" im November 1996 im Staatsratsgebäude vorstellten, gab es vor allem einen Generalvorwurf: der Entwurf komme zu schnell, zu hastig, zu brüsk. Die kurze Skizze des Berliner Planungselends allerdings macht deutlich, daß er um sieben Jahre zu spät kommt. Tatsächlich mußte das Planwerk Ergebnisse von Wettbewerben wie am Alexanderplatz oder am Potsdamer Platz akzeptieren und integrieren, die seinen Maximen durchaus widersprechen.

Wolfgang Kils Beitrag im Januar-Heft der Kommune erhellt leider überhaupt nicht Ziel und Struktur des Planwerks, noch macht er die spezielle Berliner Problematik mit all ihren ideologischen Blockaden deutlich. Er ist Teil eines Chorwerks der Empörung von einigen Ostberliner Stadtplanern. In ihrer eher schweigenden Mehrheit reagiert der größere Teil allerdings weitaus differenzierter. Kils Artikel ist Dokument einer ost-typischen Abwehrreaktion, geschrieben im Entlarvungscode der Westlinken. Die ideologischen Positionen werden später noch erörtert. Wolfgang Kil jedenfalls läßt den Gegenstand seiner Erregung gar nicht erst zu Wort kommen. Er überhört das explizit Gesagte und übersieht das evident Geplante. Praktiziert wird jene Art von Ideologiekritik, die sofort zum "eigentlich Gemeinten", zu dem, "was dahinter liegt" vorstößt. An der Schnur einiger Zitate gelangt er dann zum eigentlichen Spiritus rector, zum Innensenator Jörg Schönbohm, der Kil zufolge das DDR-Erbe plattmachen will, um einer restaurativen Idee von Hauptstadtrepräsentation willen. Kil blickt denn auch am Schluß mit großem Mißmut auf die deutsche Vereinigung. Das ist ihm unbenommen. Zur Sache trägt es nicht bei.

Bruch mit der Berliner Stadtplanung

Es ist also nötig, Ziele und Struktur des Planwerks wenigstens zu skizzieren. Gemessen an den Berliner Traditionen ist das "Planwerk Innenstadt" ein Skandalon. Es setzt tollkühn aufs Ganze, denkt Westberlin und Ostberlin als Zusammenhang. Das entspricht durchaus noch nicht dem Normalbewußtsein des Berliners und widerspricht der bisherigen Planungskultur. Es ist zudem ein gänzlich überraschender Auftritt der Exekutive. Der Stadtentwicklungssenator begibt sich mit einem klaren Vorschlag und in voller Verantwortung an die Öffentlichkeit. Das macht man eigentlich nicht in Berlin. Üblicherweise wird das, was mit der Stadt geschehen soll, von der Politik nicht formuliert, sondern Wettbewerben, Gremien, Jurys überantwortet. Zwei Teams - der Architekturhistoriker Fritz Neumeyer und der österreichische Architekt Manfred Ortner für Westberlin und der Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm und der Architekt Bernd Albers für Ostberlin - haben im Zeitraum von nur einem halben Jahr den Plan erstellt. Auch das ist für Berlin ein provozierend kurzer Zeitraum.

So wurde das Planwerk von der Stadtplanerszene als Tour de force und üble Brüskierung aufgenommen. Es gab eine überwältigende Mehrheit derjenigen, die empört Gehör, Mitreden und Berücksichtigung beanspruchten. Auch wenn man sich jetzt nach dem ersten Streit nun auf die Formel geeinigt hat, daß die Debatte, die durch das Planwerk ausgelöst wurde, begrüßt werden kann, bleibt viel Ressentiment zurück. In der Tat sind Planungen, Wettbewerbsergebnisse, Baupläne übergangen worden. Dennoch ist der Vorwurf, die Verfasser des Planwerks seien undemokratisch vorgegangen, unsinnig. Die Ostberliner Kritiker gar halluzinierten in diesen Vorschlag einen zentralistischen Planungsakt im Stile der DDR. Sie sahen nicht, daß zunächst einmal eine überaus machtlose Idee vorliegt, die überhaupt erst durch die breite Diskussion politisches Gewicht bekommen kann.

In diesem Jahr sollen durch öffentliche Debatten der Themenschwerpunkte und durch dreitägige Workshops für die einzelnen städtischen Orte die Ziele des Planwerks durchgearbeitet werden, um es dann zunächst als Senatsvorlage einzubringen. Ob die Große Koalition einen Konsens findet, steht dahin. Klaus Landowski, der Fraktionsvorsitzende der CDU, hat prompt von Verschwendung öffentlicher Mittel gesprochen und vorgeschlagen, den Haushalt des Stadtentwicklungssenators zu kürzen. Das wünschen sicherlich auch die linken Kritiker.

Dabei ist die Schnelligkeit des Verfahrens selbst allemal gerechtfertigt: Es gibt Gründe für die Dringlichkeit. Einmal schafft die Verkehrsverwaltung Fakten. Sie will weitgehend die übergroßen Ostberliner Verkehrsachsen, die achtspurigen Schnellstraße,n wie die Leipziger oder die Alexanderstraße, erhalten. Zum zweiten ist die Chance für eine konsequente Stadtplanung relativ hoch, weil es keinen Spekulationsdruck gibt und der Immobilienmarkt zerfällt. Die nächste Investorenwoge, die nach dem Hauptstadtumzug zu erwarten ist, wird die Chance auf einen kleinteiligen Wohnungsbau schnell hinwegspülen.

Mutig muß auch eine andere Qualität genannt werden. Das "Planwerk Innenstadt" versucht, ein Stadtbild zu vermitteln. Dabei organisiert es die historische Rekonstruktion auf Augenhöhe des Passanten. Sie ist schließlich die einzig adäquate Perspektive. Dieser Versuch macht das Planwerk extrem angreifbar. Da nur stadträumliche Strukturen und keine Architektur in den Computersimulationen vorgestellt werden können, muß der Betrachter zumindest so freundlich sein, seine eigene Vorstellungskraft anzustrengen. Im öffentlichen Streit fehlte diese Freundlichkeit. Allerdings unterstreicht Hans Stimmann zu Recht, daß allein die stadtbildliche Qualität in der Lage ist, zu provozieren und eine breite Debatte einzuleiten.

Das Planwerk wird sich nicht in extenso durchsetzen lassen. Es wird eine Fülle von Einzelkompromissen geben. Es gibt aber ein paar Axiome, mit deen es steht oder fällt: Der Rückbau der großen Verkehrsachsen durch das historische Zentrum; die Ergänzung der Monostrukturen der Plattenbauten durch kleinteilige Stadthäuser auf historischem Grundriß; die Aufwertung und Verdichtung des Marx-Engels-Forums mit neuen Funktionen; die Rekonstruktion der historischen Räume von Alt-Cölln und Alt-Berlin und die Wiedergewinnung der historischen Plätze.

Stadtgeschichte und historischer Kompromiß

Im Zentrum des Planwerks steht mithin die Geschichte. Es knüpft an am historischen Straßenmuster. Es will den "verborgenen Stadtgrundriß" (Strieder) wieder freilegen. Das hat mit voluntaristischer Nostalgie nichts zu tun. Historische Plagiate mit Stuck sind ausdrücklich nicht intendiert. Es ist ein Projekt der Stadtstruktur und nicht der Fassaden. Schon ein Blick auf den aktuellen Stadtplan zeigt selbst dem, der die Geschichte Berlins nicht kennt, was der historische Stadtkern ist, wo die mittelalterliche Struktur ist, wo die barocke Stadterweiterung beginnt. Er kann auch den Einschnitt der großen Räume der Moderne erkennen. Das geübte Auge schließlich wird aus den vorhandenen Altbauten das historische Stadtbild und seine Zerstörungsmuster entziffern. Dabei unterscheiden sich allerdings die Ausgangslagen von Westberlin und Ostberlin. Im Westen der Stadt ist das Gründerzeitnetz weitgehend erhalten. Hier kann es sich nur um Rückbau von übergroßen Verkehrsschneisen, um Rückgewinnung von Platzkanten oder um die Weiterentwicklung des historischen Blockmusters handeln.

In Ostberlin hingegen muß eine weitaus kompliziertere Dialektik der historischen Rekonstruktion in Gang gesetzt werden. Der Bruch der Moderne und die Repräsentationsräume der DDR sollen nicht liquidiert werden. Sondern der geschichtliche Stadtzusammenhang soll als neue "Schicht auf die vorhandene Stadt gelegt werden" (Hoffmann-Axthelm). Die sozialistische Moderne wird wieder in eine spannungsvolle Beziehung zu dem gesetzt, was in ihrem Namen weggeräumt wurde: der geschichtliche Text der Stadt. Im Prinzip ist das ein ironisches Projekt, das nicht das Neue durch das neue Alte ersetzen will, sondern das Bild der Widersprüchlichkeit der Berliner Entwicklung entfaltet. Dieses Ziel läßt sich an konkreten Vorschlägen deutlich machen: Bedeutsame Orte wie die ehemaligen Stadttore sollen städtebaulich aufgewertet und kenntlich gemacht werden. Historisch wichtige Plätze, wie der Spittelmarkt oder Molkenmarkt, die unter achtspurigen Stadtautobahnen verschwunden sind, sollen wieder zurückgewonnen werden. Die neue Führung der Alexandrinenstraße soll den Festungsverlauf erfahrbar machen. Die Marienkirche, die gegenwärtig in einem öden Turmwettbewerb mit dem Fernsehturm steht, soll städtebaulich eingefaßt werden. Die Fischerinsel, die zum reizlosen Fundament von fünf 21stöckigen Plattenbauhochhäusern verkommen ist, soll durch eine kleinteilige Randbebauung ihren Grachtencharakter zurückgewinnen. Es ist beabsichtigt, die Plattenbauvorstädte und Stadtperipherien, die die Innenstadtstruktur zerbröseln, zu reurbanisieren. Grundsätzlich ist das Ziel, im Zentrum wieder eine erfahrbare und bevölkerte Innenstadtdichte herzustellen.

Die Verfasser des Planwerks streben ausdrücklich einen historischen Kompromiß mit der vorhandenen Hauptstadt der DDR an. Explizit wird erklärt: Kein Abriß! Das Planwerk zeigt es deutlich. Selbst der Palast der Republik ist da erhalten. Allein, alle Betonung nützt wenig. Der Verzicht auf Abriß wird schlicht ignoriert und den Verfassern wird summarisch das "Plattmachen der DDR-Geschichte" unterstellt. Im Beitrag von Wolfgang Kil gibt es nicht den geringsten Hinweis auf diese Zielsetzung. Ein Ostberliner Stadtplaner wie Bruno Flierl, der auch die Hauptstadtplanung der DDR mit zu verantworten hat, mag sich brüskiert fühlen, daß die sozialistische Zukunftsstadt vom Planwerk als Vergangenheit, die nicht mehr entwicklungsfähig ist, verabschiedet wird. Er kann Gründe gegen diesen historischen Kompromiß vorbringen, aber er sollte zumindest die Absicht ernst nehmen. Dabei gibt es selbst unter den Polemikern keine Stimme, die die Erbschaft der DDR noch als Vorbild hinstellen. Auch sie sprechen vage von der Notwendigkeit der Nachverdichtung und Reurbanisierung. Aber - wie es scheint - sehen sie im Zentrum ihr angestammtes Terrain, das heilige Ostberliner Reservat. Wer mit den Ansprüchen der Hauptstadt und mit der Erinnerung an die Stadtgeschichte kommt, wird als Expropriateur entlarvt.

Deprimierend und trostlos ist, welches Maß an habitueller Geschichtslosigkeit im Streit über die Stadtplanung in Berlin hingenommen wird. Von den Ostberliner Kritikern hörte man in der öffentlichen Debatte nie auch nur einen Anflug von Bedauern über den Verlust, den Berlin erlitten hat. Daß die sozialistische Stadtlandschaft, die sie verteidigen, immer auch eine Mahnung an den barbarischen Umgang mit der eigenen Stadt darstellt, scheinen sie nicht wahrhaben zu wollen. Für sie beginnt die Ostberliner Stadtgeschichte mit der DDR und hört auch damit auf. Das "Barocke" gilt geradezu als Schimpfwort, historische Erinnerungen werden als willkürlicher Akt behandelt, als Rekurs auf etwas, was nur noch "irgendeine frühere Epoche" sei. Und "Urbanität" wird als ein Kampfbegriff gegen Mieterinteressen denunziert.

Dieses rüde lieblose Wegbürsten der Stadtgeschichte ist nicht nur Ostberlinern vorbehalten. Da profilieren sich auch die Westberliner, sobald es um das historische Zentrum geht. Eine bemerkenswerte Spontankoalition von linker Stadttheorie, grüner Leidenschaft für Kaltluftschneisen und rechter Verkehrslobby meldete sich da zu Wort. Der CDU-Bausenator Kleemann postuliert, die "einstige Berliner Mitte ist untergegangen", weil er die achtspurige Leipziger Straße behalten will. Der Kreuzberger Bezirksbürgermeister Franz Schulz von den Bündnisgrünen lehnt eine Öffnung der Friedrichstraße nach Kreuzberg hin ab. Er argumentiert: "Der Mehring-Platz braucht nicht alte Preußengeschichte, sondern mehr Wohn- und Grünqualität für die dortigen Mieter." Die "alte Preußengeschichte" darf man natürlich ablehnen und dann auch das Muster der barocken Stadterweiterung in den Orkus werfen.

Die Geschichtsfeindschaft wird folgerichtig ideologisch überformt. Gern konstruiert man einen prinzipiellen Gegensatz zwischen Einwohnern und Stadthistorie. In DDR-Zeiten waren die Adressen Fischerinsel oder Leipziger Straße privilegiert. Die Population war staatsnah und noch heute finden sich dort die Bastionen der PDS-Wählerschaft. Diese Mieter fühlen sich ohnehin als Opfer der Vereinigung. Sie klagen in öffentlichen Debatten über die kränkende Unterstellung, daß sie "nicht gern hier wohnen". Sie begreifen die Erinnerung an stadtgeschichtliche Zusammenhänge als Diffamierung ihrer Wohnumgebung. Die Polemiker gegen das Planwerk sind im Grunde herzlich wenig an ihnen interessiert. Ihnen dienen sie als ideologische Figuren, um die ideologische Antinomie zwischen "Einwohnerschaft" und "Urbanität", zwischen "Bewohnerstadt" und "historischer Stadt" zu postulieren. Die Soziologie wird gegen Stadtkultur ausgespielt. Die Mieterinteressen sind schließlich politisch korrekt. Die Interessen des Stadtbürgers mit seinem Anspruch auf Identität der Stadt und historischer Mitte hingegen werden als reaktionär dargestellt. Viel Achtung haben diese Mieterapologeten vor dem Stadtbewohner nicht, wenn sie ihm nichts anderes als die Mieterrolle und seine Wohnzufriedenheit zubilligen. "Stadtbürgerschaft entpuppt sich", so schreibt Wolfgang Kil, "als literarische Verklärung einer längst untergegangenen Bourgeoisie." Daß er diesen Untergang begrüßt, darf man unterstellen. Aber er wirft auch gleich die Ansprüche an eine zivile städtische Kultur hinterher. Was er dagegen anzubieten hat, sind die Interessenlagen der "Betroffenen". Dabei hat Kil nicht begriffen, daß die "Betroffenheit" als legitimatorische Kategorie nicht mehr so richtig taugt. Längst ist der "Betroffene" nicht mehr sakrosankt. Man hat inzwischen seine Borniertheit und seinen Egoismus kennengelernt. Auch der "Ost-Betroffene" mit seiner besonderen Qualität als Vereinigungsopfer veraltet mittlerweile. In einer Stadt wie Berlin, die mit Mühe dem Berliner die Ansprüche einer Verantwortung für das Gemeinwesen antrainieren muß, ist das Heiligsprechen der Betroffenheit schlicht destruktiv.

@INI-2Z = Eine ähnliche ideologische Disposition trifft man bei der Verteidigung des öffentlichen Raums an. Die Stadtbrachen mit Grünbesatz, die die DDR hinterlassen hat, gelten unbesehen als öffentlicher Raum, auch wenn er von der Öffentlichkeit geflohen wird. Daß diese Räume weitgehend entleert und damit verwahrlost sind, daß sie vom Passanten gemieden werden und oft als Parkfläche privatisiert wurden, zählt nicht. Diese Räume sind für die Gegner des Planwerks ideologische Bastionen. Denn sie sind ja der Kapitalverwertung entzogen. Allein das gilt es zu verteidigen.

Das Paradoxe dieser ideologischen Reaktionen ist, daß für die historische Mitte nicht gilt, was überall sonst in Berlin Konsens ist. Jeder Stadtteil, jeder Kiez hat inzwischen eine außerordentlich hohe Sensibilität für die Stadtteilgeschichte entwickelt und in den letzten Jahrzehnten historisches Wissen akkumuliert. Im Kiez ist man stolz darauf. Das Wissen über das Zentrum ist in Berlin hingegen noch unterentwickelt. In jeder Stadtplanungsdebatte wird die Einsicht beschworen, daß das "Straßenmuster das kollektive Gedächtnis der Stadt" sei. Ausgerechnet für das historische Zentrum soll diese These nicht gelten. Über die Gründe für diesen Widerspruch kann man rätseln. Sie haben wahrscheinlich etwas damit zu tun, daß das Planwerk mit der Rekonstruktion des historischen Zentrums die Vereinigung Berlins auf die Tagesordnung setzt und notwendigerweise alle latenten Abwehrmechanismen provoziert. Die innere Stadtgeographie muß sich ja ändern. Aber noch fällt es dem Bewohner der Mitte offenbar ebenso schwer zu akzeptieren, daß Kreuzberg dazugehört, wie es der Kreuzberger bis heute noch nicht wahrhaben will, daß sein Bezirk zu Zentrum gehört.

Angst vor Vermischung

Auf ein ebenso heftiges und ideologiesiertes Abwehrverhalten trifft ein anderes Ziel des Planwerkes. Es hat die Absicht, hochwertigen Wohnraum im Zentrum und den mittelständischen Bauherren zu fördern. Ohnehin ist Berlin als Mieterstadt mit einem extrem hohen Anteil an sozialem Wohnungsbau eine Abnormität. Inzwischen hat es sich herumgesprochen, daß die öffentlichen Kosten des sozialen Wohnungsbau nicht mehr finanzierbar sind und es mehr Sinn macht, privates Wohnungseigentum zu fördern. Insbesondere muß in Berlin der zunehmende Trend junger Ehepaare und der Besserverdienenden zur Stadtflucht und zum Umzug ins Umland umgekehrt werden. Das Wohnen in der Stadt gilt es attraktiv zu machen. Das ist eine unverzichtbare Voraussetzung für die Reurbanisierung der Mitte.

Hinzu kommt, daß nur noch ein Drittel der Vorkriegsbevölkerung im Bereich der Mitte wohnt. Die Entleerung der Mitte kann jeder Spaziergänger erfahren. Das Planwerk hat daher nicht nur den Rückbau der vagen maßstablosen Räume und der übergroßen Verkehrsflächen eingezeichnet. Der gewonnene Baugrund soll auch parzelliert werden, so daß kleinteilige innerstädtische Grundstücke für Stadthäuser mit Läden und Wohnetagen und Garten am Hinterhaus gebaut werden können. Dieses Angebot soll idealiter den mittelständischen Bauherren, der selbst im eigenen Haus wohnen will, anziehen.

Man sollte meinen, daß ein solches Ziel begrüßt würde, selbst wenn man sich diese neue Art der Bauherren noch nicht vorstellen kann. Schließlich wären diese Bauherren unmittelbar an einer hohen Lebensqualität im Umfeld interessiert, die dann auch wiederum die Attraktivität der Plattenbauwohnungen anheben würde. Wer sie erhalten will, müßte gerade allen Versuchen urbaner Vermischung, die der Monotonie der Wohnungsmaschinen entgegenarbeiten, eigentlich zustimmen. Allein, gerade dieses Ziel wird abgewehrt. Der Vorwurf: es würde eine Zwei-Klassen-Einwohnerschaft entstehen. Diesen Vorwurf erhebt nicht nur die PDS, sondern auch Frau Jakubeit, die Staatssekretärin des Bausenators. Mit der Plattenmonotonie wird zugleich das Reservat der sozialistischen Gleichheit verteidigt. Vermischung widerspricht der Reservatkultur.

Wolfgang Kil zitiert Hoffmann-Axthelm: "Die Leute fürchten den Zuzug von außen" und setzt hinzu: "Das ist wohl wahr, denn die Ostberliner haben mit den Mechanismen der Segregation schon ihre Erfahrung." Es ist sicher richtig, daß dieses Motiv den Protest der Bewohner der Fischerinsel motiviert. Allein, der Stadtplaner Kil verschanzt sich dahinter. Seine Argumentation ist in der Tat fremdenfeindlich. Der Fremde ist hier der Westberliner, der ins Reservat einzudringen droht. Tatsächlich aber ist die Fischerinsel und ihre homogene Bewohnerschaft gegenüber der umliegenden Stadt segregiert. Jede segregierte Situation wird im Lauf der Jahre einen Niedergang erfahren. Die gefährliche "soziale Strategie", vor der Wolfgang Kil angeblich die Bewohner bewahren will, ist nichts als ein Spiel mit dem ideologischen Verdacht. Es dient auch nicht den wohlverstandenen Interessen der Mieter, wenn der Anspruch an Urbanität als Sehnsucht nach der Idyllik "lauschiger Seitenstraßen Charlottenburgs" denunziert wird. Urbanität und Vermischung sind - das hat sich nun wirklich herumgesprochen - Rettungsstrategien, die die nachhaltige Lebenskraft der Viertel allein sichern können. Es würde den Ostberlinern langfristig dienen, wenn sie das begreifen.

Gewiß, Berlin "ist viele Städte", die das "disparate, aufregende, creative Berlin" (Kil) schaffen. Aber das sucht nun wirklich niemand entlang der Leipziger Straße, wo sich bestenfalls der Charme einer Fußgängerzone in Wanne-Eickel entwickeln kann. Wer dieses Bild beschwört, denkt an dichte Quartiere wie Prenzlauer Berg, Spandauer Vorstadt, Scheunenviertel. Hier blüht in der Tat eine neue Metropolen-Kultur, hier vermischt sich Ost und West. Diese Chance sollte auch die historische Mitte der Stadt erhalten. Um nichts mehr und um nichts weniger geht es in diesem Planwerk.

So ist schließlich ein Postskriptum zum Thema "Würde" fällig. Nichts kann die Gehässigkeit und Häme der Kritiker mehr provozieren, als dieser Begriff. Es gehört zur historischen Erbschaft Berlins, daß es sich mit den stadträumlichen Folgen der Vereinigung abgefunden hat. Es gab kein Stadtbild, auf das man stolz sein konnte, noch machte der Anspruch darauf einen Sinn. Urbanität flüchtete sich in den Kiez und wurde mithin auch "verkiezt". Grünflächen, verkehrsberuhigte Straßen, Straßenmöblierung und Kinderspielplätze galten als ausreichende Erfüllung städtischer Kultur. Mit der Vereinigung und der Hauptstadtentscheidung sind neue Ansprüche über die Stadt gekommen. Sie werden bislang eher "von außen" gestellt. Aber nur, weil es dem Berliner immer noch schnuppe ist, ob das Bild seiner Stadt verwahrlost ist, sind diese Ansprüche doch nicht gegenstandslos. Ohnehin ist die hämische Entwertung der ästhetischen Forderungen im Namen der "Bewohnerstadt" nichts als eine stadtfeindliche Ideologie. Eine lebendige demokratische Kultur in einer Stadt und die Identifikation mit dem Gemeinwesen setzt auch den Stolz auf Stadtbild und auf "Würde" voraus. Das weiß die Toskana-Fraktion am besten, wenngleich sie es für Berlin nicht wahrhaben will. Leider aber gibt es in Berlin eine ziemliche Ähnlichkeit zwischen Politik und Stadtplanerszene. Wie die Politik visionsarm die Misere der Stadt verwaltet und den Bann der alten Strukturen nicht sprengen kann, so bewegt sich die Stadtplanerszene in den ideologischen Mustern der Kiezkonformität. Das "Planwerk Innenstadt" ist mithin ein couragierter Versuch, den Bann der geteilten Stadt zu sprengen. Immerhin könnte die Rekonstruktion einer erfahrbaren, sichtbaren und lebendigen historischen Mitte genau der Schritt sein, der Berlin wirklich vereint.