editorial


Joscha Schmierer

Niemand konnte annehmen, mit dem Friedenprozeß auf Basis der Osloer Abkommen würden Anschläge palästinensischer Terroristen für die Zukunft ein für allemal unterbunden. Auch Anschläge israelischer Terroristen konnten nicht verhindert werden. Es war gerade die Einsicht, daß sich Fundamentalismus nicht mit Panzern und Gewehren bekämpfen läßt, die auf israelischer Seite zu den Osloer Abkommen führten. Dazu kam das Bewußtsein, daß die Aufrechterhaltung der Besatzung die verständigungswilligen Kräfte unter den Palästinensern schwächen mußte. Wollte man also überhaupt einen Friedensprozeß einleiten, durfte man nicht ewig warten. Sobald sich aber Israel einmal zu dem Abkommen durchgerungen hatte, konnte es kein Interesse mehr daran haben, die andere Seite zu schwächen. Statt Schwächung des Feindes, mußte nun Stärkung des Partners die Devise sein.

Shimon Peres hat vor kurzem in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, erschienen in der Ausgabe vom 10. März, noch einmal an diese Grundeinsichten, die den Friedensprozeß ermöglichten, erinnert:

"Unser Problem ist nicht mehr die jordanische oder die syrische Armee. Unser Problem ist der Fundamentalismus, die Zunahme von Atomwaffen in unverantwortlichen Händen, die Ausbreitung des Terrors. All das kennt keine Grenzen und bedroht unsere Nachbarn genauso wie uns. Ob Hosni Mubarak, König Hussein oder Jasir Arafat - sie alle können davon ein Lied singen." Da der Fundamentalismus nicht militärisch zu bekämpfen sei, gelte es, "die ökonomische und psychologische Ausgangsbasis zu verändern. Wir müssen den Menschen, die sich von fundamentalistischen Ideologien eine Erlösung erhoffen, eine bessere Botschaft bringen." Die Botschaft der derzeitigen israelischen Regierung an die Palästinenser lautet dagegen, daß sie keine Achtung verdienen. Regierungschef Netanjahu macht, was ihm unter innenpolitischen und koalitionspolitischen Gesichtspunkten opportun erscheint. Damit kündigt er praktisch die Osloer Abkommen auf, von denen er sich aus außenpolitischen Interessen nicht offen verabschieden kann.

Amos Oz verwies in dem Streit um die jüngsten Siedlungsvorhaben noch einmal auf den offenen Charakter des Friedensprozesses, der eben deshalb so eminent auf Verfahren gegenseitiger Rücksicht und Verständigung angewiesen ist:

"Die Osloer Abkommen basieren auf einer für beide Seiten revolutionären Idee: Daß ihre jeweiligen Ansprüche im Streit um das Heilige Land nur bis zu einem gewissen Punkt gültig sind. Bis zu welchem? Und wie können die gegensätzlichen Ansprüche so miteinander verquickt werden, daß beide Seiten damit leben können? Es wird lange dauern, bis diese Fragen gelöst sind; das wird Geduld und Weisheit verlangen. Mit Planierraupen und terroristischen Angriffen können wir diese Arbeit nicht angehen" (Süddeutsche Zeitung, 6.3.97).

Benjamin Netanjahu hat in einem Interview vor den jüngsten Ereignissen gemeint, die internationale Gemeinschaft habe ein ernsthaftes Problem: "Im Zweifelsfall ist immer Israel schuld. Den Frieden fördert das nicht, denn, wenn immer nur die eine Seite zur Rechenschaft gezogen wird, braucht sich die andere an keine Zusage zu halten" (Die Woche, 24.1.97). Da ist sicher etwas dran, muß aber nichts mit Antisemitismus zu tun haben, sondern kann schlichter Reflex darauf sein, daß sich Israel in der ganzen Auseinandersetzung mit den Palästinensern immer wieder als überlegene Macht erwiesen hat und sich auf absehbare Zeit auch weiterhin als solche erweisen wird.

Mit den Osloer Abkommen wird versucht, das Prinzip der Gewalt durch Rechtsvereinbarungen untereinander abzulösen. Die Palästinenser werden dabei am kürzeren Hebel sitzen, weil die bestehenden Machtverhältnisse durch keine Vereinbarung aus der Welt geschafft werden. Bestenfalls kann ausgeschlossen werden, daß sie unmittelbar zur Geltung kommen. Verletzend, und eben nicht nur für die Palästinenser, ist es, wenn Israel in allen Fragen, die noch nicht durch Vereinbarung definitiv geregelt sind, schlicht auf die überlegene Macht rekurriert: "Es sollen vollendete Tatsachen geschaffen werden, welche die Palästinenser und der Rest der Welt beklagen mögen, aber zu schlucken haben" (Amos Oz). Oder wie Uri Avnery die Sprache der Regierungspolitik Netanjahus übersetzt: "Seht ihr, sagt er den Israelis mit beinahe sichtbarem Augenzwinkern, ich kann machen, was ich will. Keiner wagt es, mir etwas anzutun. Clinton habe ich in der Tasche. König Hussein auch. Die Palästinenser drohen, aber es kommt nichts dabei heraus" (taz, 20.3.97).

Der Terror von Hamas und anderen richtet sich natürlich nicht gegen diese oder jene Handlung der israelischen Regierung, sondern gegen die Existenz des israelischen Staates und gegen die Friedensabkommen, durch die sie von palästinensischer Seite anerkannt worden ist. Dieser Terror wird durch israelische Regierungshandlungen nicht einmal erklärt, geschweige denn gerechtfertigt. Das Problem ist, daß von den Institutionen der Palästinenser verlangt wird, ihn zu unterbinden, während sie zugleich offen mißachtet werden. Arafat kann, selbst wenn er es will, nicht erfolgreich gegen antiisraelischen Terror vorgehen, wenn unter den Palästinensern der Eindruck wächst, der Friedensprozeß ermutige nur neue Demütigungen durch Israel.